Parlamentskorrespondenz Nr. 72 vom 11.02.2002

DER GEMÄLDEFRIES VON EDUARD LEBIEDZKI IN DER SÄULENHALLE

Hat der Besucher auf seinem Weg durch das Parlamentsgebäude Vestibül und Atrium durchschritten, gelangt er in das Herzstück des Hansenschen Prachtbaus, in die Säulenhalle. Ihr Fußboden aus Karstmarmorplatten bedeckt eine Fläche von 40 mal 23 Metern. Das Glasdach über der Raummitte und die reich kassettierte Randdecke werden von 24 monolithischen Säulen aus Salzburger Marmor getragen, deren jede 16 Tonnen wiegt.

Es wird berichtet, dass Theophil Hansen an die architektonische und künstlerische Gestaltung dieses Repräsentationsraumes sowie an die Qualität der verwendeten Materialien und die Art ihrer Bearbeitung allerhöchste Ansprüche stellte. Um den Glanz des Marmors zu steigern, wurden aufwändige Polierverfahren eingesetzt, für den reichen Goldschmuck, vor allem an den Kapitellen der korinthischen Säulen, griff man auf 23-karätiges Blattgold zurück. Dasselbe gilt für die bildnerische Ausstattung. Den 2.30 m breiten Fries schmückte ursprünglich ein monumentaler Gemäldezyklus, den Eduard Lebiedzki nach jahrzehntelangen Vorbereitungen in den Jahren 1907 bis 1911 schuf. Auf 126 m Länge hatte der Künstler mit allegorischen Figuren auf Goldgrund "die vorzüglichsten idealen und volkswirtschaftlichen Aufgaben des Parlaments" dargestellt. Bedauerlicherweise ist sein Werk heute nur noch in Fragmenten zu sehen, da es im letzten Krieg irreparable Schäden davontrug.

Eine erhalten gebliebene Allegorie der Gesetzgebung bestimmt heute die Hauptschauseite gegenüber dem Eingang; die weibliche Figur vor einem Thron wird von Personifikationen technischer und naturwissenschaftlicher Disziplinen sowie des Rechtsschutzes und der Mathematik flankiert. Ursprünglich nahm diesen zentralen Platz in Lebiedzkis Bildkomposition ein - nicht erhalten gebliebenes - Bildnis Kaiser Franz Josefs I., ein, das von Figuren zu den Themen Medizin, Jurisprudenz, Gesetz, Militär, Theologie und Philosophie umgeben war.

Den Fries der östlichen Schmalseite der Säulenhalle - bei Lebiedzki dem Thema Gesetzgebung gewidmet - zieren heute Gemäldefragmente mit Darstellungen zu den Themen Familie/Wohlstand, Viehzucht, Fischerei, Ackerbau und Jagd. 

An eine Restaurierung der durch Bombentreffer schwer beschädigten Gemälde war beim Wiederaufbau des Parlamentsgebäudes nach dem Krieg nicht zu denken. Die Reste der Gemälde wurden abgenommen, am Dachboden des Parlaments gelagert und die Marmortäfelung der Wände in der Säulenhalle bis über den Fries hochgezogen. Der Initiative des Leiters des Stenographendienstes, Ernst Krammers, eines vielseitig engagierten Beamten, und der Kunstbegeisterung von Nationalratspräsident Heinz Fischer ist es zu danken, dass in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Teilrestaurierung der erhaltenen Gemälde projektiert und gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt im Mai 1995 abgeschlossen werden konnte.

Maltechnisch werden die Friesgemälde Lebiedzkis von Experten als Marouflage beschrieben, als an die Wand geklebte Leinwandbilder. Im Italien der Renaissance entwickelt, verbreitete sich diese Technik in Österreich erst seit der Mitte des 19. Jahrhundert, wurde dann aber häufig für den Wand- und Deckendekor in den Bauten der Wiener Ringstraße verwendet.

Eduard Lebiedzkis Bilder zählen nicht zur fortschrittlichen Kunst ihrer Zeit. Man darf nicht vergessen, dass gleichzeitig Pablo Picasso und Georges Braque in Paris den Kubismus zum Durchbruch brachten und in Wien Oskar Kokoschka und Egon Schiele einen künstlerischen Neubeginn in der Malerei setzten. Nichtsdestoweniger schätzen die Kunsthistoriker das Werk Eduard Lebiedzkis als Teil einer der hervorragendsten Raumschöpfungen des Wiener Historismus und als "späte Frucht einer hochstehenden Interieurkunst". (Schluss)