Parlamentskorrespondenz Nr. 247 vom 08.04.2002
DER GESCHEITERTE REVOLUTIONÄR - GAIUS GRACCHUS (153 - 121 v. Chr.)
Wien (PK) - Er gilt als einer der größten Redner und bedeutendsten Staatsmänner Roms. Sein öffentliches Auftreten, seine Gestik und Beredsamkeit imponierten der Masse ungemein. Die Rede ist von Gaius Gracchus, dem Volkstribunen, der nach dem gewaltsamen Tod seines Bruders Tiberius dessen soziales Reformvorhaben wieder aufgriff und dieses mit allen verfügbaren Mitteln durchzusetzen versuchte. In entsprechend leidenschaftlicher Geste wurde seine Statue im Sitzungssaal des Abgeordnetenhauses des Reichsrates vom Künstler Stanislav Lewandowski auch gestaltet. Auch das darüber befindliche Friesgemälde, ausgeführt von August Eisenmenger, das die Entstehung des staatlichen Lebens darstellt, zeigt in einem Feld Gaius Gracchus auf der Rednertribühne.
Plutarch schildert in seinen "Lebensbeschreibungen", wie es der Volkstribun verstand, in Erinnerung an den Tod seines Bruders die Emotionen bei den Bürgern zu schüren. Gaius Gracchus verkörperte einen neuen Politikertypus, der als führende Einzelpersönlichkeit die Bedeutung der Masse im Staatsleben erkannt und es verstanden hat, Bevölkerungsgruppen durch geschicktes Agieren zu instrumentalisieren. In einer programmatischen Rede hat er einmal selbst offen ausgesprochen, dass der Wille der Massen die Macht sei, die ihn nicht zur Ruhe kommen lasse. In Fortführung der Politik seines Bruders hat er eine Umwälzung von Staat und Gesellschaft im Sinn der Popularen eingeleitet, die dann Cäsar als Massenagitator und Offizier zu Ende geführt hat. Beide, Tiberius und Gaius Gracchus, trugen - ungeachtet der unbestrittenen Notwendigkeit, sich der brennenden sozialen Frage zu widmen - durch ihre Politik dazu bei, dass am Ende der revolutionären Phase keine Demokratie, sondern eine Monokratie stand.
Dem Zeitalter der Revolution (133 – 121 v. Chr.) ging eine Umwälzung der römischen Gesellschaft voran. Die Nobilität, der Geld- und Handelsgeschäfte untersagt waren, konnte im Laufe des 2. vorchristlichen Jahrhunderts ihren Reichtum enorm ausweiten, indem sie sich auf Kosten der Kleinbauern, welche sich im Heer zu engagieren hatten, immer mehr Land aneignete. Um möglichst billig wirtschaften zu können, bediente man sich der Sklaven als Arbeitskräfte. Die Entwicklung mündete in - im Endeffekt erfolglosen - Sklavenaufständen sowie im Ruin des römischen Bauerntums und in dessen Proletarisierung. Die Bauern verloren im Zuge dessen auch ihre Wehrfähigkeit, womit negative Auswirkungen auf die Miliz unvermeidlich waren. Ein weiteres Konfliktfeld tat sich mit den "socii", den Bewohnern der römischen Provinzen auf, die das römische Bürgerrecht nicht besaßen.
Unter diesem Damoklesschwert sozialer Konflikte mit ungeahnter Sprengkraft wandelte sich das Volkstribunat unter Tiberius und Gaius Gracchus, das bislang geradezu als das Palladium der Nobilität gegolten hatte, zur Speerspitze sozialer Reformgesetzgebung, zum – nicht immer uneigennützigen - Sprachrohr benachteiligter Bevölkerungsgruppen.
Tiberius Gracchus setzte im Jahr 133 v. Chr. den ersten Schritt zur Agrargesetzgebung. Im Grunde genommen, knüpfte er an ein altes, niemals abgeschafftes Ackergesetz an, und versuchte, den Besitz von Staatsland maßvoll zu beschränken, indem er über die alten Grenzen erlaubten Besitzes hinausging. Damit wollte er Neuansiedlungen durch Bauern in großer Zahl ermöglichen und gleichzeitig auch die alte Militärverfassung funktionsfähig erhalten. Dies rief den erbitterten Widerstand des Senats hervor, der einen Volkstribunen für seine Sache gewinnen konnten, womit das Gesetz zunächst zu Fall gebracht war. Daraufhin stellte Tiberius den verfassungswidrigen Antrag auf Absetzung des "Verräters", was ihm durch die Mobilmachung der unzufriedenen Massen auch gelang, womit er auch die verhängnisvolle Wendung zur revolutionären, Recht und Gesetz ignorierenden politischen Auseinandersetzung einleitete. Um nach Ablauf seines Tribunats nicht zur Rechenschaft gezogen zu werden, bewarb er sich - ebenfalls im Widerspruch zur Verfassung - um ein zweites Tribunat und besiegelte damit sein eigenes Schicksal. Tiberius und 200 seiner Anhänger wurden in einer bis dahin beispiellosen Lynchjustiz von Mitgliedern des Senats mit Stuhlbeinen und sonstigem Gerät brutal erschlagen.
Gaius griff die Reformversuche seines Bruders während seines zweijährigen Tribunats 123/122 v. Chr. - schon vorher hatte er durchgesetzt, dass die Wiederwahl eines Volkstribunen möglich war - wieder auf, und führte einen erbitterten Kampf gegen die Senatsherrschaft, indem er die Gegner der Nobilität durch Privilegien zu gewinnen suchte. Durch das Wiederaufgreifen des Ackergesetzes, durch ein Militärgesetz, das den Heeresdienst für Bauern beschränkte, sowie durch die gesetzliche Senkung der Getreidepreise versuchte er, die Massen an sich zu binden. Sein bedeutendster Schachzug gegen die Nobilität war aber das Richtergesetz, wodurch die Ritter, reiche Kaufleute und Staatspächter, in den Kreis der Geschworenen-Richter aufgenommen wurden, während im gleichen Zug dieses Recht den Angehörigen des Senats aberkannt wurde. Der Preis für diese Maßnahme war die Hereinziehung der Gerichte in die politische Auseinandersetzung.
Gaius Gracchus scheiterte aber schließlich an der Frage der römischen Besiedlung der Kolonien auf dem Areal von Karthago und jener des Bürgerrechts für die nicht italische Bevölkerung. Das Latiner- und Bundesgenossengesetz sah vor, den Latinern das volle römische Bürgerrecht und den übrigen Bundesgenossen die bisherige Rechtstellung der Latiner, d.h. gleiches Stimmrecht mit den Römern für die in Rom Anwesenden, zu verleihen. Der Senat erkannte hier sofort den schwächsten Punkt in der Position des wiedergewählten Volkstribunen, denn sowohl die Nobilität als auch die unteren Schichten der Bevölkerung lehnten dies ab. Darüber hinaus war die Besiedlung außerhalb Italiens nicht sehr populär.
Nun setzte, während Gaius Gracchus in Karthago war, eine überaus effektive Gegenstrategie des Senats ein, abermals mit Hilfe eines für ihre Sache gewonnenen Volkstribunen. Seine Gesetzesinitiative schlug fehl, schließlich misslang ihm auch die Wiederwahl für das Tribunat 121 v. Chr., und einer seiner schärfsten Gegner wurde Konsul. Gaius war damit ein politisch toter Mann. Das war aber den Gegnern nicht genug, und sie beantragten die Aufhebung der Kolonie Junonia (ehemaliges Karthago) in Afrika. Gaius zog sich mit seinen bewaffneten Anhängern auf den Aventin zurück, musste aber fliehen, nachdem er – berechtigt oder nicht – des Mordes an einem Mann während eines Opfers beschuldigt wurde. In dieser ausweglosen Situation ließ er sich von einem Sklaven töten. (Schluss)