Parlamentskorrespondenz Nr. 733 vom 16.12.2002
DAS DACH DES ÖSTERREICHISCHEN PARLAMENTS - EIN KUNSTWERK
Wien (PK) - Wer glaubt, Dach- und Schornsteine interessieren Architekten nur insoweit, als sie diese funktional und zur übrigen Gestaltung eines Gebäudes passend auf dieses aufzusetzen haben, der hat sich in Theophil Hansen getäuscht. Hansen hat sein Hauptwerk als ein Gesamtkunstwerk konzipiert, das die Thematik der Innenausstattung sowie der Gestaltung von Rampe und Außenmauern auch an den Giebeln und Attiken bis zum Dach konsequent fortsetzt. Von den Betrachterinnen und Betrachtern oft weniger aufmerksam wahrgenommen oder oft auch nicht gut sichtbar, hat Theophil Hansen diesen Teilen des Parlaments ein ebenso künstlerisches Augenmerk geschenkt wie den anderen.
Nur für Privilegierte, die in einem hohen Stockwerk eines Gebäudes vis à vis eine Wohnung oder ein Büro haben, ist die Dachkonstruktion - man könnte durchaus auch Dachlandschaft sagen - sichtbar. Sie zeigt nochmals sehr deutlich die architektonische Gliederung des Gebäudes: einerseits die Achse des Langhauses, in das man vom Zentralportikus aus über das obere Vestibül in die Säulenhalle gelangt, welche in den Empfangssalon weiterführt und schließlich über einen Gang in den Budgetsaal mündet; andererseits die an den Seitenfronten herausragenden Baublöcke für die Sitzungssäle des Herrenhauses (links von der Rampe) und des Abgeordnetenhauses (rechts von der Rampe). Von der Straße aus betrachtet, sind die Verbindungsbauten zwischen diesen Baublöcken und dem Langhaus in der Mitte nicht zu sehen.
Die von der Ringstraße her sichtbaren Flächen der einzelnen Dächer sind in antiken Formen mit Deckkappen und Palmetten aus Kupferblech verziert. Sogar die Schornsteine, deren Anbringung für die Heizungsanlage des Reichsratsgebäudes von großer Bedeutung waren, wurden mit einer künstlerischen Ausgestaltung bedacht. Hansen war ursprünglich gegen Schornsteine, da sie, seiner Auffassung nach, das ästhetische Gesamtgefüge empfindlich störten. Da das Baukomitee darauf jedoch nicht verzichten wollte, machte der Architekt aus der Not eine Tugend und verpasste ihnen die Form einer ionischen Säule, auf die er monumentale Zieraufsätze aus Metall setzen ließ. Auf dem großen ionischen Volutenkapitell stehen um eine kleine Säule vier gusseiserne Figuren, die nach dem Modell des Bildhauers Hugo Härdtl gefertigt wurden. Sie stellen die "Gesellen des Hephaistos" dar, die Fackeln und Hämmer in ihren Händen halten. Über dem Blattkranzkapitell der kleinen Säule ist noch ein kuppelförmiger Funkenfänger aus Gusseisen angebracht.
Es ist wohl kein Zufall, dass Hansen gerade die Gesellen des Hephaistos für den figuralen Schmuck des Kamins auswählte und auch nicht, dass sie aus Metall gefertigt wurden, ist doch Hephaistos in der griechischen Mythologie die Personifikation des aus der Erde brechenden Feuers und der Schutzgott der Schmiedekunst, der, gemeinsam mit seinen Gehilfen, die Attribute der Götter fertigte: etwa die Rüstung des Ares, den Bogen der Artemis, die Pfeile des Eros, den Wagen des Helios und das Zepter des Zeus, mit dem dieser seine Blitze schleudert.
DIE GIEBEL UND IHRE AKROTERE
Wendet man seine Aufmerksamkeit den Seitenflügeln zu, die sich vor den kubischen Saalbauten befinden, so fällt auf, dass diese etwas niedriger sind, um so die Saalblöcke herausragen zu lassen. Sie sind wie der Zentralportikus mit Giebeln versehen, besitzen aber keinen Reliefschmuck. Durch die Thematik des Mittelgiebels - "Seine Majestät der Kaiser hat auf Grund der von ihm verliehenen Verfassung die Kronländer zur Gesetzgebung und Beratung um sich versammelt" - sollte laut Theophil Hansen der Gesamttätigkeit des Parlaments Ausdruck verliehen werden (darauf wurde bereits in der Ausgabe der PK Nr. 582 vom 13. 8. 2001 näher eingegangen). Demgegenüber sollten die Flügel und die Saalbauten die Richtungen darstellen, in denen diese wirksam sein soll, nämlich in der Tätigkeit der verschiedenen Ministerien. Hansen wollte ursprünglich nicht nur die Giebel an den vorderen und hinteren Seitenflügeln ausführen, sondern auch jene auf den Innenseiten. Da letztere aber ohnehin kaum zu sehen gewesen wären, verzichtete man schließlich darauf. Die Entwürfe für die rückwärtigen Giebel blieben unausgeführt.
Somit weisen lediglich die beiden Seitengiebel an der Ringstraßenfront figurale Gestaltung auf. Für das Herrenhaus wählte man das Thema "Justiz" nach einem Entwurf von Hugo Härdtl, für das Abgeordnetenhaus "Innere Verwaltung" nach einem Entwurf von Johannes Benk.
Im Justiz-Giebel bildet die thronende Justitia den Mittelpunkt der Gruppe. In ihrer rechten Hand hält sie eine Schriftrolle, die ein antikes Gesetzbuch symbolisieren soll. Die linke Hand umfasst das Richtschwert, auf das sie ihre Blicke richtet. Sie erinnert, insbesondere auch durch diese beiden Attribute, an die beiden Figuren des Athenebrunnens "ausübende und gesetzgebende Gewalt". Neben ihr befinden sich zwei Eroten, die mit älteren Männergestalten kommunizieren. Der rechte Erot reicht dem Mann eine Schriftrolle, dieser gibt wieder einer knabenhaften Gestalt hinter sich juristische Anweisungen, die dieser in ein Buch einträgt. Im Giebelzwickel liegt eine halbnackte Frau mit einem Gesetzbuch in der Hand. Der linke Giebelzwickel ist insofern interessant, als man dort ein Rutenbündel neben einem jungen Mann bemerkt, auf den eine Frau zeigt. Damit wird auf den strafenden Aspekt der Justiz hingewiesen, da das Rutenbündel, die "fasces", im alten Rom Zeichen der Machtbefugnis und der Strafgewalt hoher Beamter waren.
Auch die "innere Verwaltung" beherrscht als thronende Frauengestalt das Zentrum im Giebel des Abgeordnetenhauses. Sie wird ebenfalls von zwei Eroten an ihrer Seite flankiert. Der rechts stehende, welcher sich der sitzenden Göttin zuwendet, hält in seiner Hand ein Füllhorn, das Symbol des Reichtums und des Wohlstandes. Er leitet zur Gruppe "Gewerbe und Handel" über, die aus drei Personen besteht. Der Hammer, den eine Frauengestalt mit sich führt, weist auf das Gewerbe hin, die männliche Gestalt, auf die sie sich stützt, stellt den Gott Hermes bzw. Merkur dar. Die liegende männliche Gestalt im Giebelzwickel verkörpert den Ackerbau. Auf der linken Giebelseite schließen an den Eroten die Allegorien "Kunst und Wissenschaft" an, erkennbar durch die Attribute einer geöffneten Schriftrolle, in welche sich eine weibliche Gestalt vertieft, und eine Lyra, die bei einer weiteren Frauengestalt zu sehen ist. Im Giebelzwickel liegt eine Allegorie der Kunstindustrie, dargestellt mit einer Amphore.
Auf den großen und kleinen Giebeln befinden sich so genannte "Akrotere", plastische Figuren, die auf antiken Tempeln über Giebelscheiteln und Giebelecken aufgestellt wurden. Am Parlamentsgebäude sind diese in drei verschiedenen Formen ausgeführt.
Über dem Giebelscheitel des Zentralportikus an der Ringstraßenfront sowie über demjenigen des mittleren Giebels an der Rückseite stellen die Akrotere einen Rankenbaum dar, aus dem Palmettenfächer entwachsen. Dieser ist von zwei Mädchen umgeben. Die Mittelakrotere der kleinen Seitengiebel gestaltete Hansen mit einander zugewandten Sphingen, in deren Mitte sich ein Rankenwerk befindet. Auf den Ecken der beiden Mittelgiebel und der kleinen Seitengiebel wurden die Akrotere in Form eines nach außen gerichteten Greifs - halb Adler, halb Löwe - gefertigt.
FRIESE UND RELIEFS - EINE HOMMAGE AN DIE REGIONEN, AN DIE TUGENDEN UND AN DIE STAATSAUFGABEN
An beiden kubischen Saalbauten sowie an den beiden Längsseiten des Mittelbaus, sind Friesplatten verlegt, die ein einheitliches Gestaltungsbild vermitteln. Eine nackte weibliche Figur mit Flügeln, welche weit ausgespreizt sind, steht auf Akanthusblättern, aus denen geschwungene Kelche und Ranken wachsen. In den Händen hält sie Siegespalmen, das Attribut der Siegesgöttin.
Wendet man sich den Attiken der beiden Saalbaublöcke zu, so fällt deren aufwändige ornamentale Verzierung auf. Nach den Plänen Hansens sollte die Attika ebenso reich mit thematischen Anspielungen auf die Monarchie und die Aufgaben des Staates geschmückt werden wie andere Gebäudeteile.
Zwischen den Quadrigensockeln ist ein ganzes Band von Reliefs zu sehen, 50 an der Zahl, die allegorisch die Kronländer, Flüsse und Städte der Donaumonarchie versinnbildlichen. Unter diesen allegorischen Darstellungen kann man zwei verschiedene Formen unterscheiden. Eine Gruppe zeigt eine Frauenfigur, die auf dem unteren Reliefrand sitzt und neben der ein oder zwei Knaben stehen. Die Werkzeuge und Attribute in ihren Händen beschreiben näher das Thema des Reliefs. Bei der zweiten Gruppe fehlt die Frauenfigur. Es gibt nur Eroten, teils geflügelt, teils ohne Flügel, die ein Wappenschild oder ein Piktogramm der Stadt, bzw. der Provinz tragen.
Über diesen Reliefs ragen 44 allegorische Figuren, gefertigt aus Carraramarmor und 2,20 m hoch, die als ideale Personifikation menschlicher Tugenden, verschiedener Industrie- und Gewerbezweige sowie einzelner Berufe gedacht sind. So werden beispielsweise Sparsamkeit, Menschenliebe, Mäßigung, Mut, Geduld und Bergbau, Technologie, Geologie, Künstler, Priester dargestellt, wobei die Identifizierung sehr schwierig ist und man oft auf Mutmaßungen angewiesen ist. Dabei ist besonders der Arbeit von Walter Rehucek zu danken, der sich in seiner Dissertation aus dem Jahr 1995 mit dem figuralen Schmuck des Parlamentsgebäudes intensiv auseinandergesetzt hat und dessen Darlegungen eine unverzichtbare und unschätzbare Hilfe bei der Beschreibung darstellen.
Besonderes Augenmerk hat Theophil Hansen den acht Quadrigensockeln zugewendet, die die Attika der beiden Saalbauten abschließen. Darauf sind sechzehn Reliefs versetzt, die jeweils von zwei Statuen flankiert werden. Nach Plänen des Architekten sollte je ein Relief mit zwei Gestalten einen Wirkungsbereich des öffentlichen Lebens symbolisieren, in dem sich die dargestellten Persönlichkeiten hervorgetan haben. Hansen beschrieb den gedanklichen Hintergrund folgendermaßen: "Und da jedes dieser Reliefs von zwei Stauen flankiert ist, zusammen 32 Statuen, so wurden für diese berühmte Repräsentanten der entsprechenden öffentlichen Wirksamkeit gewählt und Namen aus der alten Geschichte für dieselben festgesetzt - aber nur......in dem Sinn, dass sie durch irgend welche Attribute und Bewegungen die Übereinstimmung der ihnen zugrunde liegenden Idee mit derjenigen des zugehörigen Reliefs andeuten".
Die Gruppen symbolisieren folgenden Themen, jeweils beginnend von jenem Sockeleck, das dem Zentralportikus am nächsten ist, und weitergehend in Richtung Schmerlingplatz (im Fall des Herrenhauses), bzw. Stadiongasse (im Fall des Abgeordnetenhauses):
Herrenhaus:
Augustus, Relief Wohlstand, Perikles
Pheidon von Argos, Relief Münzwesen, Theseus
Manlius Torquatus, Relief Strategie, Q. Fabius Maximus
Themistokles, Relief Taktik, Leonidas
Dädalos, Relief Industrie, Butades
Appius Claudius (302 v. Chr.), Relief Verkehr, Ptolemaios Lagi
Meleager, Relief Ackerbau, Triptolemos
Daphnis, Relief Viehzucht, Licinius Stolo
Abgeordnetenhaus:
Homer, Relief Kunst, Phidias
Archimedes, Relief Wissenschaft, M. T. Varro
Demosthenes, Relief Beredsamkeit, Cicero
Cato, Relief Gerechtigkeit, Aristides
Appius Claudius (458 v. Chr.), Relief Einigkeit, Lykurg
Solon, Relief Staatsorganisation, Servius Tullius
Orpheus, Relief Religion, Numa Pompilius
Plato, Relief Weltphilosophie, Aristoteles
DIE QUADRIGEN - SYMBOL FÜR DEN TRIUMPH DES PARLAMENTARISMUS
Hoch auf den Attiken der beiden Saalbauten ragen frei gegen den Himmel die Quadrigen, jeweils vier auf dem Herrenhaus und dem Abgeordnetenhaus, korrespondierend zu den Rossebändigern der Auffahrtsrampe. Diese Pferdegespanne, nach der Vorstellung Hansens Siegeszeichen, sollen den Triumph der parlamentarischen Tätigkeiten symbolisieren.
Die Quadrigen wurden nach dem Entwurf des Plastikers Pilz als Bronzeguss gefertigt. Bereits im August 1883 konnte die erste Quadriga aufgesetzt werden. Die Aufstellung der restlichen Quadrigen konnte 1885 abgeschlossen werden. Sie sind alle ident, unterschiedlich sind lediglich die Attribute der Siegesgöttin Nike. Sie hält entweder einen Ölzweig oder einen Lorbeerkranz in ihren Händen.
Nike steht in einem einachsigen Wagen mit niederem, halbrundem Wagenkasten, dessen Vorderseite von einem Doppeladler und der Habsburgerkrone geschmückt ist. Die Göttin ist mit einem Chiton bekleidet, der durch den Fahrtwind stark zu flattern scheint und ihre Körperkonturen zeigt. Dadurch sowie durch die Haltung des Oberkörpers, der sich stürmisch nach vorne neigt, vermitteln die Quadrigen große Dynamik. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die kraftvolle Gestaltung der Pferde. (Schluss)