Parlamentskorrespondenz Nr. 304 vom 13.05.2003
GRUNDSATZDISKUSSION UND SACHBEZOGENE FRAGEN ZUR PENSIONSREFORM
Wien (PK) - Im Rahmen der Behandlung der Pensionsreform, einem Teil des Budgetbegleitgesetzes 2003, ergriff als Erster Abgeordneter Friedrich Verzetnitsch (S) im Budgetausschuss das Wort. Der ÖGB-Präsident erinnerte an das Jahr 1955, in dem das ASVG, die Basis für das heutige Pensionssystem, beschlossen wurde und an dessen Intention, den Lebensabend der Menschen materiell abzusichern. Der Redner kam auch auf die Pensionsreformkommission und die Mitarbeit der Sozialpartner zu sprechen und strich heraus, dass, soweit es den ÖGB und die Arbeiterkammer betrifft, nie eine offizielle Einladung zur Teilnahme erfolgt sei; lediglich die Namen von Experten wurden bekannt gegeben, sollte man die Absicht haben, sie zu Sitzungen einzuladen. Auch sei es unrichtig, dass sich die Kommission mit kurzfristigen Reformen auseinandergesetzt habe. Vielmehr habe sie ein langfristiges Reformkonzept erarbeitet. Es gab seitens der Kommission keinen Vorschlag zum Übergang von alten zum neuen System. Schon gar nicht habe die Kommission angeregt, die vorzeitige Alterspension abzuschaffen. Die Einwände der AK-Vertreter, dass es für ältere Menschen keinen Arbeitsplatz mehr gebe, sei in der Kommission sehr ernst genommen worden. Auch der Vorsitzende der Kommission, Professor Tomandl, habe auf dieses Problem hingewiesen.
Der Redner sprach von seinem Verdacht, dass es bei der jetzigen Reform um keine langfristige Sicherstellung gehe, sondern um Reformmaßnahmen, die von finanzpolitischen Überlegungen des Budgets getragen sind. Das schloss er auch aus der Tatsache, dass die Reform im Budgetausschuss beraten wird. Verzetnitsch regte an, die Koalitionspartner sollten diese Vorlage zurückstellen, um „Zeit und Raum“ für eine umfassende Pensionsreform zu geben.
Abgeordneter Walter Tancsits (V) erinnerte daran, dass man in der „heißen Phase des Wachstums“ begonnen habe, das Pensionssystem ASVG für kurzfristige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu gebrauchen. Schon Mitte der sechziger Jahre habe man Schritte in Richtung vorzeitige Pension gesetzt.
Erstaunt zeigte sich der Abgeordnete darüber, dass man nun von kurzen Diskussionszeiten spreche. Für ihn beginne die Debatte über die Pensionsreform mit Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre, wo die Sozialpartner als wesentliche Träger des Pensionssystems den Beirat für Wirtschaft und Sozialfragen beauftragt haben, ein Gutachten zu erstellen und Maßnahmen für eine langfristige Absicherung des ASVG und des Pensionssystems vorzuschlagen. Es folgten die Pensionsreformmaßnahmen 1995, die Reformmaßnahmen 1997 und die Pensionsreform 2000. Vom Sozialminister wollte Tancsits wissen, wieweit sich in den Eckpunkten der vorliegende Regierungsentwurf mit den Maßnahmen decke, die von Experten im Sozialpartnergutachten vorgeschlagen wurden bzw. die Pensionsreformkommission erarbeitet hat.
Welche Änderungen wurden in den Begutachtungsentwurf eingebaut? Welche Übergangs- und Abfederungsmaßnahmen wurden für jene, die knapp vor der Pensionierung stehen, vorgesehen? Wie schaut es mit der Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten aus? Was ist mit einem „Begleitpaket für ältere Arbeitnehmer“? – So lauteten seine Fragen.
Abgeordnete Heidrun Silhavy (S) verwies auf die Beiratsstudie aus 1991, in der es hieß, für die Aufbringung der Mittel seien erhöhte Bundesbeiträge nötig. Für sie ist unverständlich, warum unbedingt am 4. Juni die Vorlage beschlossen werden muss. Dass man sich auf weitere Verhandlungstermine geeinigt habe, hielt sie für richtig, bemängelte aber die unkorrekten Erläuterungen und Fehler im Rahmen der Textgegenüberstellung.
Die Obfrau des Sozialausschusses gab zu bedenken, dass bereits Ende der fünfziger Jahre konservative Politiker das System für unfinanzierbar gehalten hätten. Nun gehe es um die Diskussion, ob es in Zukunft das Umlageverfahren und den Generationenvertrag weiter geben solle oder ob man in Richtung Bruch des Generationenvertrages geht. Wenn man eine langfristige Sicherung wolle, dann dürfe es keine Eile geben. Unter Druck könne man eine Materie, die nicht nur die Pensionen umfasst, sondern auch den Arbeitsmarkt, die Arbeitsmarktpolitik und die Gesundheit betrifft, nicht beraten.
Ihre Fragen betrafen die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit, das Altersübergangsgeld und die Altersteilzeit.
Abgeordneter Karl Öllinger (G) meinte in Anspielung auf das schlechte Wetter mit Donner und Hagel: „Auch der Himmel weint über diese Pensionsreform.“ Er sprach von seiner Erwartung, dass von Seiten der Regierungsparteien Maßnahmen zur Harmonisierung der Pensionssysteme vorgestellt werden, gibt es doch bereits einen Beschluss im Ministerrat, der aber noch nicht in seinem Klub eingelangt sei. Bereits bei der Pensionsreform 1997 habe man versucht, eine Harmonisierung herbeizuführen; damals habe man den Beamten mit ihren höheren Beiträgen zugesichert, dass sie dadurch ihr eigenständiges Pensionssystem absichern. Mit der jetzigen Reform werde tatsächlich massivst in das Leben der Menschen eingegriffen. Trotzdem wird das, befürchtet Öllinger, nicht das Ende sein, die nächste Reform sei bereits für den Herbst angekündigt, und zwar die Harmonisierung der Systeme, das heißt, gleiche Beiträge generieren gleiche Leistungen. Bei einem beitragsorientierten Pensionskonto gibt es aufgrund der unterschiedlichen Beitragssätze unterschiedliche Leistungen. Die Pensionsreformkommission habe aber zu einem solchen Pensionskonto eher nein gesagt, weil die Pensionen zu niedrig wären.
An Hand einer Statistik von Amt der oberösterreichischen Landesregierung über den Bundeszuschuss wies Öllinger darauf hin, dass zwischen 2003 und 2007 der Bundeszuschuss, ohne dass Maßnahmen ergriffen werden, bei 4,3 % des BIP liegen werde, zwischen 2008 und 2012 auf 3,4 % fallen, zwischen 2012 und 2017 bei 3,6 % liegen werde, zwischen 2018 und 2022 auf 4,7 %, dann auf 6,3 % (2023–2027), auf 8,1 % (2028–2032) und auf 9 % (2033–2037) steigen werde, um dann gemäß der Änderung der demographischen Entwicklung abzusinken. Werden Reformmaßnahmen ergriffen, dann beträgt der Bundeszuschuss 2003–2007 3,7 % gemessen am BIP, 2008–2012 0,85 %, 2013–2017 minus 0,29 %, 2018–2022 minus 0,27 %, 2023-2027 0,45 %, 2028-2032 2,34 % und 2033-2037 2,34 %. Aus dieser Auflistung schließt Öllinger, dass die ASVG-Versicherten alle anderen Pensionssysteme finanzieren und dass mit dieser Reform eine Umverteilung in die Wege geleitet werden soll. In den Erläuternden Bemerkungen werde die Entwicklung des Bundeszuschusses nur bis zum Jahr 2006 dargestellt, meinte er. – Gibt es Modellberechnungen, wie sich der Bundeszuschuss bis und nach 2028 entwickelt, wie er sich auf die einzelnen Pensionssysteme auswirkt?, fragte er sogleich. Weiters interessierte er sich für die vorzeitige Alterspension für SchwerarbeiterInnen.
Abgeordneter Karl Dobnigg (S) sprach auch die vorzeitige Alterspension für SchwerarbeiterInnen an, befürchtet aufgrund der vorgeschlagenen Hackler-Regelung mehr Arbeitslose, auch mehr arbeitslose Frauen, und glaubt, dass zusätzlich 100.000 bis 120.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssten.
Abgeordneter Werner Fasslabend (V) strich heraus, dass er eine Pensionsreform wolle, die nicht nach 2, 3 Jahren wieder Änderungen bedürfe, und vertrat die Ansicht, dass einmalige mutige Schritte bei der Bevölkerung Sicherheit auslösen. Die Vorlage werde seiner Meinung nach auch im Plenum noch Veränderungen erfahren. Fasslabend gibt zu, dass der Erstentwurf inakzeptabel gewesen sei, nun nach den vorgenommenen Veränderungen habe er, Fasslabend, jedoch das Gefühl, dass „man auf dem richtigen Weg“ sei und die Vorlage am 4. Juni beschließen werde. Eine längere Beratungszeit würde in der Bevölkerung zu einem Verunsicherungsprozess führen. Der Redner gesteht zu, dass von der Hackler-Regelung die Schwerarbeiter nicht erfasst sind und will eine Veränderung bis zur 2. Lesung erzielen.
Abgeordneter Christoph Matznetter (S) warf den Regierungsparteien die grundsätzliche Zerstörung des österreichischen Pensionssystems vor. Österreich habe mit gutem Grund in der Zweiten Republik auf das Umlageverfahren gesetzt, meinte er, nicht zuletzt weil man zuvor schlechte Erfahrungen mit dem Kapitaldeckungsverfahren gemacht hatte. Jetzt wolle man die Nettoersatzrate für Pensionisten auf durchschnittlich 55 % senken und Menschen damit wieder zwingen, auf die 2. und 3. Säule der Pensionssicherung umzusteigen. Er wisse eigentlich nicht, warum Europa jetzt in großem Stil in die Kapitalmärkte einsteige, nur damit die amerikanischen Pensionisten zu ihrem Geld kämen, sagte Matznetter und fragte sich gleichzeitig, wie die privaten Pensionsversicherungen neues Anlagekapital auftreiben werden können, wenn die heutigen Beitragszahler in einigen Jahren Pensionen beziehen. Noch dazu wisse man nicht, wie der Kapitalmarkt dann aussehen werde.
Nicht teilen wollte Matznetter auch das Argument seitens der Regierung, dass die Pensionsreform aus budgetären Gründen gemeinsam mit dem Doppelbudget 2003/2004 beschlossen werden müsse. Die budgetwirksamen Einsparungen der Pensionsreform in diesen beiden Jahren seien marginal, wies er auf die Erläuterungen hin.
Seitens der Freiheitlichen betonte Abgeordneter Sigisbert Dolinschek die Notwendigkeit einer Pensionsreform. Es müsse irgendetwas passieren, unterstrich er, "wir können es nicht so lassen, wie es ist". Längere Ausbildungszeiten und längere Lebenszeiten müssten irgendwie aufgefangen werden. Allerdings dürfe nicht bei jenen angesetzt werden, die ohnehin viele Beitragsjahre hätten.
Nach Ansicht von Dolinschek müsste mit drei Punkten im Wesentlichen das Auslangen gefunden werden: die Heranführung des faktischen Pensionsalters an das Regelpensionsalter, ein längerer Durchrechnungszeitraum, allerdings unter stärkerer Berücksichtigung der Aufwertungsfaktoren, sowie die "schon längst überfällige" Harmonisierung der Pensionssysteme. Der Abgeordnete mahnte darüber hinaus genug Zeit für die Beratungen ein.
Vizekanzler Herbert Haupt kritisierte das Verhalten von ÖGB-Chef Verzetnitsch, weil die Teilnahme an der Demonstration für diesen Vorrang vor der Diskussion im Parlament habe, und meinte, es habe immer schon zur Tradition in Österreich gehört, einander zuzuhören. Inhaltlich gab er zu bedenken, dass seines Wissens nach alle anderen 14 EU-Länder und auch die 10 Beitrittskandidaten im Bereich der Pensionsversicherung ein 3-Säulen-Modell - in unterschiedlichem Ausmaß - hätten.
Das System in Österreich ist nach Meinung Haupts nicht nur im Interesse der jüngeren Arbeitnehmer umzustellen, sondern auch im Interesse jener, die kurz vor dem Pensionsantritt stehen und viel länger als frühere Generationen in Pension sein werden. Deren Pensionsniveau könne nur gewahrt werden, wenn es jetzt zu einer Reform komme. Skeptisch äußerte sich Haupt zur Schaffung eines individuellen Pensionskontos, da er bei einer rein beitragsorientierten Betrachtungsweise andere Leistungskomponenten zu wenig berücksichtigt sieht und eine Irreführung der Betroffenen durch drohende versicherungsmathematische Abschläge - etwa bei einem weiteren Anstieg der Lebenszeit - befürchtet.
Auf die Frage, welche Verbesserungen er zwischen Begutachtungsentwurf und jetziger Regierungsvorlage sehe, nannte Haupt vier Punkte: Menschen mit besonders belastenden Arbeitsbedingungen könnten weiter früher in Pension gehen, Kindererziehungszeiten und Zeiten der Familienhospizkarenz würden bei der Durchrechnung stärker berücksichtigt, Kindererziehungszeiten würden besser angerechnet und schließlich gebe es eine Deckelung der Durchrechnungsverluste für einen Übergangszeitraum. Zudem bewertete der Vizekanzler die neue "Hacklerregelung" als "besonderen Fortschritt" im Regierungsentwurf. Sie bringe gezielt schwer arbeitenden Arbeitnehmern Vorteile, die, so Haupt, gesund genug seien, um keine Invaliditätspension zu bekommen.
Was die Valorisierung eingezahlter Pensionsbeiträge betrifft, sind Haupt zufolge derzeit drei Modelle in Diskussion. Man habe dieser Frage bisher aufgrund der 15-jährigen Durchrechnung nicht so hohe Bedeutung beigemessen, skizzierte er.
Als wichtiges Anliegen nannte Haupt darüber hinaus eine Harmonisierung der Pensionssysteme und wies in diesem Zusammenhang auch auf das immer größere Auseinanderklaffen der Gehälter innerhalb des öffentlichen Dienstes - bei Bund, Ländern und Gemeinden - seit Aufhebung des Harmonisierungsgebots 1995 hin. Der Idee eines Ausgleichsfonds zur Pensionssicherung steht er positiv gegenüber, wenn gewährleistet sei, dass dieser nicht von irgendjemandem "geplündert" werden dürfe.
Auch Arbeitsminister Martin Bartenstein zeigte sich über die gleichzeitige Terminisierung des Budgetausschusses und der ÖGB-Demonstration irritiert und stellte sich die Frage nach den Prioritäten der Gewerkschaftsvertreter. Der Kritik der Opposition, die Pensionsreform erfolge überfallsartig, hielt er eine Aussage des Pensionsexperten Rürup entgegen, wonach die Pensionsreform überfällig sei.
Die Notwendigkeit der Pensionsreform untermauerte Bartenstein zum einen mit kritischen Anmerkungen am österreichischen System seitens der EU und zum anderen mit dem Hinweis auf längere Ausbildungszeiten, kürzere Beitragszeiten und längere Zeiten des Pensionsbezugs. Wenn Menschen im Durchschnitt drei Jahre später vom Bildungs- in den Berufsbereich eintreten, sechs Jahre weniger Beiträge zahlten und 12 Jahre länger Pension beziehen, sei es leicht ausrechenbar, "dass es sich so nicht ausgehen kann". Zudem hält er ein höheres Maß an Beitragsgerechtigkeit auch im Umlagesystem für angebracht. Die Regierung bekenne sich zum Umlageverfahren, versicherte der Minister, genau so bekenne sie sich aber auch zur zweiten und zur dritten Säule der Pensionssicherung.
Als begleitende Maßnahmen zur Pensionsreform im Arbeitsmarktbereich listete Bartenstein u.a. die geplante umfassende Lohnnebenkostensenkung für 56- bis 58-jährige Arbeitnehmer, die "sinnvolle Reform" der Altersteilzeit und das Altersübergangsgeld für jene Personen auf, die zwischen 2004 und 2006 nicht mehr aufgrund langer Versicherungsdauer in Pension gehen könnten.
Zur Harmonisierung der Pensionssysteme merkte der Minister an, dies sei für ihn ein ganz wichtiger Punkt, man dürfe aber nicht glauben, dass man hier eine Lösung "aus dem Ärmel schütteln" könne. Deshalb sollten alle notwendigen Maßnahmen zur Pensionssicherung sofort gesetzt und ein einheitliches System in einem zweiten Schritt angegangen werden. Unbeantwortet ließ der Minister die Frage von Abgeordnetem Öllinger, wie sich der Bundeszuschuss zu den Pensionsversicherungen über das Jahr 2006 hinaus entwickeln wird.
Staatssekretärin Ursula Haubner wies auf die in den Regierungsentwurf eingearbeiteten Abfederungsmaßnahmen für Frauen, die Kinder erziehen, hin und nannte dabei die Erhöhung der pensionsbegründenden Kinderziehungszeiten von 18 auf 24 Monate pro Kind, die schrittweise Anhebung der derzeitigen Bemessungsgrundlage für Kinderbetreuungszeiten auf 150 % und die Verkürzung des Durchrechnungszeitraumes um drei Jahre für Frauen, die neben der Kinderbetreuung einer Erwerbsarbeit nachgehen. Es trägt ihrer Ansicht nach aber auch zur sozialen Fairness bei, dass lange Versicherungszeiten künftig besonders berücksichtigt und parallel zur allgemeinen Pensionsreform Maßnahmen zur Kürzung der Politikerpensionen gesetzt würden. Als wichtiges Anliegen nannte Haubner darüber hinaus die Harmonisierung der Pensionssysteme unter dem Motto "gleiche Leistung für gleiche Beiträge".
Ausschussvorsitzender Jakob Auer unterbrach die Sitzung des Budgetausschusses bis morgen, Mittwoch, Nachmittag. Zuvor hielt er in Richtung Abgeordnetem Matznetter fest, dass er noch keine Abänderungsanträge vorliegen habe und ihm keine Mitteilung eines Bundeslandes bezüglich der Auslösung des Konsultationsmechanismus zugegangen sei. (Schluss)