Parlamentskorrespondenz Nr. 690 vom 26.09.2003

VERFASSUNGSGERICHTSHOF HOB 2002 43 GESETZE ZUMINDEST TEILWEISE AUF

Wien (PK) - Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob im Jahr 2002 von 62 geprüften Gesetzen 43 zumindest teilweise auf. 19 Normen hielten der Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof stand. Das geht aus einem Bericht hervor, den Bundeskanzler Wolfgang Schüssel vor kurzem dem Nationalrat vorgelegt hat und der die Abgeordneten über die Tätigkeit des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes in den Jahren 2002 und 2001 informiert. (III-56 d.B.)

Wie eine Aufstellung zeigt, waren es am häufigsten vom VfGH selbst veranlasste Prüfungen sowie Anträge der Gerichte und der Unabhängigen Verwaltungssenate, die zur Aufhebung einer Gesetzesnorm führten. Individualanträge hatten demgegenüber nur in seltenen Fällen Erfolg. Über die Anfechtung von Gesetzen durch Abgeordnete zum Nationalrat hat der Verfassungsgerichtshof im Jahr 2002 siebenmal entschieden, von den vier dabei geprüften Normen wurden zwei zumindest teilweise aufgehoben, zwei wurden bestätigt. Eine Reihe der von der Opposition zuletzt eingebrachten Gesetzesprüfungsanträge ist noch offen.

Insgesamt wurden im Jahr 2002 2.569 neue Fälle an den Verfassungsgerichtshof herangetragen, 2.594 Fälle konnten erledigt werden. Wie bereits in den vorangegangenen Jahren betraf ein Großteil der neuen Fälle, nämlich 1.925, Beschwerden von Bürgern, die sich durch einen Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt sahen oder meinten, der betreffende Bescheid beruhe auf einer gesetzeswidrigen Verordnung bzw. einem verfassungswidrigen Gesetz. Darüber hinaus gingen beim VfGH 385 Gesetzesprüfungsanträge ein, davon 348 bezogen auf Bundesgesetze und 37 bezogen auf Landesgesetze, sowie 95 Anträge auf Prüfung von Verordnungen. Die restlichen Fälle betrafen u.a. Kompetenzkonflikte, Wahlanfechtungen, vermögensrechtliche Ansprüche und Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Rechnungshof und geprüften Rechtsträgern hinsichtlich der Prüfungszuständigkeit.

Da auch im Jahr 2002 die Zahl der erledigten Fälle wieder jene der neuen übertraf, ging die Zahl der offenen Fälle von 1.184 zum Jahresende 2001 auf 1.159 Fälle zum Jahresende 2002 zurück. Acht der offenen Fälle datieren aus dem Jahr 1999 und 80 aus dem Jahr 2000.

Die Verfahrensdauer der vom VfGH behandelten Fälle ist dem Bericht zufolge im internationalen Vergleich äußerst positiv zu sehen. Durchschnittlich vergehen rund acht Monate vom Eingang eines Falles bis zur entsprechenden Beschlussfassung. Die Richter machen jedoch darauf aufmerksam, dass es zunehmend Rechtsfälle gibt, deren Lösung eines überdurchschnittlichen Aufwandes bedarf. Das betrifft etwa jene Fälle, wo es um eine Verzahnung von verfassungsrechtlichen Problemen mit EU-Recht geht, aber auch Gesetzesprüfungsanträge von Abgeordneten zum Nationalrat oder von Landesregierungen, deren Zahl zuletzt gestiegen ist. Um auch in Zukunft seine Aufgaben in der erforderlichen Qualität und Raschheit erfüllen zu können, urgiert der VfGH eine Aufstockung der verfassungsrechtlichen Mitarbeiter.

Kritisch äußert sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Bericht zur Einrichtung von Behörden, gegen deren Entscheidungen ein Rechtszug an den Verwaltungsgerichtshof nicht vorgesehen ist. Beschwerden gegen Bescheide derartiger Behörden würden den Verfassungsgerichtshof über Gebühr beanspruchen, ohne dass dem ein adäquater Rechtsschutzgewinn gegenüber stehe, meinen die Richter. Kritik üben sie außerdem daran, dass belangte Behörden in verfassungsrechtlichen Verfahren immer häufiger keine Stellungnahme abgeben und der Verfassungsgerichtshof relativ häufig damit konfrontiert ist, dass bei gemeinderechtlichen Bescheiden die erforderliche Rechtsbelehrung fehlt. Ausdrücklich positiv vermerkt wird hingegen die Eröffnung eines Rechtszugs von den Vergabekontrollbehörden an den Verwaltungsgerichtshof.

Der Verfassungsgerichtshof setzt sich neben dem Präsidenten und der Vizepräsidentin aus 12 weiteren Mitgliedern und sechs Ersatzmitgliedern zusammen. Darüber hinaus gab es im Jahr 2002 in den Referaten 22 verfassungsrechtliche MitarbeiterInnen. Traditionsgemäß trat der VfGH auch in den beiden Berichtsjahren zu je vier Sessionen von jeweils dreiwöchiger Dauer zusammen.

VWGH: ÜBERLANGE VERFAHREN IN WIDERSPRUCH ZU MENSCHENRECHTSKONVENTION

Nichts geändert hat sich in den Jahren 2001 und 2002, wie aus dem Bericht des Bundeskanzlers hervorgeht, an der prekären Situation im Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Der Gerichtshof ist nach wie vor notorisch überlastet, was immer häufiger Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Überschreitung der angemessenen Verfahrensdauer zur Folge hat. Der EGMR hat in diesem Zusammenhang bereits mehrfach eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch Österreich festgestellt.

Die durchschnittliche Erledigungsdauer der im Jahr 2002 vom VwGH mit Sachentscheidung erledigten Bescheidbeschwerden betrug 21 Monate, 844 Akten waren sogar länger als drei Jahre anhängig. Insgesamt blieben im Jahr 2002 8.880 Beschwerden und 306 Anträge auf aufschiebende Wirkung unerledigt. Ein Abbau der Rückstände und eine Verringerung der Verfahrensdauer ist unter den gegebenen Bedingungen nach Meinung des VwGH nicht möglich, schon die gegenwärtigen Erledigungszahlen - rund 7.000 pro Jahr - könnten nur unter einem solchen Zeitdruck erreicht werden, dass auf Dauer die Qualität der Entscheidungen in Frage gestellt sein könnte.

Für die Vorbereitung eines Entscheidungsentwurfs stehen einem Richter laut Bericht durchschnittlich nur etwa zwei Arbeitstage zur Verfügung. Dazu kommt, dass der VwGH immer umfangreichere und komplexere Verfahren zu bewältigen hat. Als besonders aufwändig gestaltet sich etwa laut VwGH die nachprüfende Kontrolle von Entscheidungen neuer Kontroll- und Regulierungsbehörden, z.B. auf dem Telekom-Sektor. Der Verwaltungsgerichtshof zeigt Verständnis dafür, dass betroffenene Unternehmen in steigender Intensität beklagen, dass durch die lange Verfahrensdauer ein ganzer Wirtschaftszweig Schaden nehme.

Die volle Funktionsfähigkeit des VwGH kann nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes auf Dauer nur durch die Einrichtung von Verwaltungsgerichten erster Instanz wieder hergestellt werden. VwGH-Präsident Clemens Jabloner bedauert in diesem Sinn, dass konkrete Schritte zu dieser längst fälligen Strukturreform nicht in Sicht seien, obwohl die Bundesregierung die Etablierung von Landesverwaltungsgerichtshöfen in das Regierungsprogramm aufgenommen habe. Umso massiver fordert der VwGH eine (wenigstens vorübergehende) Personalvermehrung ein.

Skeptisch zeigt sich der VwGH, dass die kürzlich erfolgte Übertragung neuer Kompetenzen an die Unabhängigen Verwaltungssenate eine Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes zur Folge haben wird. Nur wenn die Unabhängigen Verwaltungssenate durch entsprechende personelle Ausstattung in die Lage versetzt werden, den neuen Herausforderungen in quantitativer und qualitativer Hinsicht zu entsprechen, könnte sich das positiv auf den VwGH auswirken, heißt es im Bericht, andernfalls drohten dem Gerichtshof durch Säumnisbeschwerden weitere Beeinträchtigungen. Auch mit der Einrichtung der Unabhängigen Finanzsenate ist dem VwGH zufolge keine greifbare Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes verbunden.

Ausdrücklich begrüßt wird vom VwGH hingegen die neue gesetzliche Regelung betreffend Massenverfahren, die in zwei Fällen - Fragen der Notstandshilfe und der Vergütung von Energieabgaben - bereits angewendet wurde.

Insgesamt wurden im Jahr 2002 laut Bericht 6.893 neue Beschwerden an den Verwaltungsgerichtshof herangetragen, dazu kamen 2.269 Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Gleichzeitig waren 8.931 Beschwerden und 355 Anträge auf aufschiebende Wirkung aus früheren Jahren beim VwGH anhängig, davon knapp über die Hälfte bereits länger als ein Jahr. 343 Fälle, die zu Beginn des Jahres 2002 offen waren, stammten sogar aus dem Jahr 1997.

Erledigt wurden im Jahr 2002 6.944 Beschwerden und 2.318 Anträge auf aufschiebende Wirkung, womit die Zahl der Erledigungen etwas über jener der neu eingelangten Beschwerdefälle lag. In 43 Fällen wurden beim Verfassungsgerichtshof Normenprüfungsverfahren anhängig gemacht, in fünf Beschwerdefällen entschied sich der VwGH für eine Vorlage des Falles an den Europäischen Gerichtshof.

Die 6.944 Beschwerde-Erledigungen führten in 2.862 Fällen zu einer Aufhebung des angefochtenen Bescheids, in 1.733 Fällen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Die übrigen Erledigungen erfolgten nicht in Form von Sachentscheidungen, die Beschwerden wurden beispielsweise zurückgewiesen, vor der Behandlung abgelehnt, zurückgezogen oder das Verfahren wurde eingestellt. Die meisten Beschwerden betrafen im Übrigen das Sicherheitswesen und den Steuer- und Abgabenbereich.

2002 waren im Verwaltungsgerichtshof neben dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten 12 Senatspräsidenten und weitere 49 Richter tätig.

Sowohl der Verwaltungsgerichtshof (www.vwgh.gv.at) als auch der Verfassungsgerichtshof (www.vfgh.gv.at) verfügen über eine eigene Website, die Entscheidungen der beiden Gerichtshöfe sind zudem über das kostenlose Rechtsinformationssystem des Bundes (www.ris.bka.gv.at) abrufbar. (Schluss)