Parlamentskorrespondenz Nr. 768 vom 28.10.2004

DIE PARTEIEN UND IHRE HALTUNG ZUR PENSIONSHARMONISIERUNG

Gründe für Reform: demographische Entwicklung und Ungerechtigkeiten

Wien (PK) – Die Pensionsharmonisierung stand auf der Tagesordnung des Sozialausschuss es. Die Opposition nannte die Reform unfair, ungerecht und unsozial. Die Mandatare der Regierungsparteien verteidigten erwartungsgemäß die Vorlage. Bundesminister Herbert Haupt stellte Korrekturen in Aussicht. Staatssekretärin Ursula Haubner wies darauf hin, dass gemeinsam mit Arbeitsmedizinern und Interessenvertretungen eine Definition der Schwerarbeit erarbeitet werde.

Abgeordneter Franz Riepl (S) meinte, von einer Harmonisierung sei man weit entfernt. Der SPÖ gehe es nun darum, allfällige Erkenntnisse aus dem Hearing von den beiden Regierungsparteien zu erfahren. Je länger man sich mit der Vorlage beschäftige, umso klarer werde deren soziale Ungerechtigkeit, betonte der Redner und führte zwei Beispiele an. Erstaunt zeigte sich Riepl darüber, dass sich die FPÖ, die vorgibt, der Hüter der sozialen Gerechtigkeit zu sein, in keiner Weise mit den Argumenten der Experten auseinandersetzt.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) kam auf das Pensionskonto zu sprechen, wies darauf hin, dass dieses erst um 2050 schlagend werde und dass bis zu diesem Zeitpunkt das Modell der Parallelrechnung gelte. Sehr viele Personen werden aus beiden Pensionssystem, als dem alten und dem neuen, Zeiten erwerben und erfahren trotz des Pensionsbescheides über das Pensionskonto nicht, wie hoch tatsächlich ihre Pension sein wird, so der Abgeordnete. Auch sprach Öllinger davon, dass die über 50-Jährigen nach der Pensionsreform 2003 behandelt werden; das hänge mit den finanziellen Interessen zusammen. Deshalb wünschte er Auskunft über die Pensionsaufwendungen, gemessen am BIP, nicht nur für die gesetzliche Pensionsversicherung, sondern auch für das Beamtensystem bis 2010. Auch stellte er die Frage, weshalb das System der Pensionsversicherung nicht bis 2010 stabil auf 10,7 % gehalten, sondern um 1 %, gemessen am BIP, nach der Reform 2003 heruntergefahren werde. Dafür bestünde keine Notwendigkeit.

Abgeordnete Ridi Steibl (V) meinte in Richtung Öllinger, wenn die Grünen eine Grundsicherung wollen, so sei jetzt mit der neuen Wartezeitvariante ein erster Schritt in diese Richtung getan worden. Nicht nur diese komme den Frauen zugute, sondern auch das Pensionssplitting für Zeiten der Kindererziehung und die Bestimmung, dass es keine Ersatzzeiten, sondern nur Beitragszeiten gibt. So gelten für Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges als Basis für den Pensionsbeitrag 70 % der Bemessungsgrundlage in der Arbeitslosenversicherung, für die Zeiten des Notstandshilfebezuges 92 % davon; für den Pensionsbeitrag bei der Notstandshilfe erfolge keine Anrechnung des Partnereinkommens. Auch werden Zeiten der Kindererziehung mit einer Beitragsgrundlage von 1.350 € wirksam. Die Leistungen für die Pflege behinderter Kinder werden vom derzeit 30. Lebensjahr auf das 40. Lebensjahr ausgedehnt.

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (F) verwies auf das Ziel dieser Harmonisierung: ein einheitliches Pensionssystem für alle auf der Basis des ASVG zu schaffen. Für jene, die kurz vor der Pension stehen, gebe es eine „sanfte Übergangsregelung“. Zu den kritisierten Abschlägen betonte der Redner, Abschläge habe es auch in der Vergangenheit gegeben, nur habe keiner viel darüber geredet. Auch er begrüßte die vielen Verbesserungen etwa im Bereich der Kindererziehungszeiten.

S-Abgeordneter Richard Leutner machte darauf aufmerksam, dass früher die besten 15 Jahre für die Bemessungsgrundlage gerechnet wurden und somit die Zeiten der Arbeitslosigkeit nicht relevant waren. Jetzt durch die lebenslange Durchrechnung werden auch schlechte Zeiten hinzugerechnet. Nimmt man wirklich für Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges 70 % der Bemessungsgrundlage als Basis für den Pensionsbeitrag, dann – so Leutner - werde es bei den Saisonbeschäftigten zu dramatischen Pensionseinbußen kommen. Auch Minister Haupt sprach davon, dass diese Regelung korrigiert gehöre. Von der Reform seien die über 50-Jährigen besonders durch die Auswirkungen der Abschläge betroffen. Im Hearing sei deutlich geworden, dass die Abschläge „aufgedoppelt“ werden, einmal durch die Pensionsreform 2003 und noch einmal durch das Harmonisierungsprojekt. Das seien keine versicherungsmathematischen Abschläge, sondern prohibitive, sagte Leutner, und zwar deshalb, weil man die jetzige Reform nicht auf der Rechtslage vor der Reform 2003 aufsetzt. Unter 50-Jährige werden aufgrund der Parallelrechnung trotz Abschlagssystem besser gestellt als über 50-Jährige. Seiner Ansicht nach sollte man die über 50-Jährigen besser schützen.

Abgeordnete Renate Csörgits (S) befasste sich mit der Anrechnung der Kindererziehungszeiten, machte darauf aufmerksam, dass aufgrund der Regelung der besten 15 Jahre diese bisher kaum Bedeutung hatten. Die SPÖ wolle eine höhere und längere Bewertung der Kindererziehungszeiten.

Abgeordneter Erwin Spindelberger (S) erklärte, dies sei „Politik des Lobbyismus pur“ und habe mit einem einheitlichen Beitrags- und Leistungsrecht nichts zu tun. Im Zusammenhang mit der Hacklerregelung wies er darauf hin, dass die Bauarbeiter und die Saisonniers keine Möglichkeit haben, 12 Monate durchzuarbeiten, sondern im Schnitt 9 Monate arbeiten und 3 Monate arbeitslos sind. Das bedeute, dass sie nicht unter diese Hacklerregelung fallen, weil ihnen die Voraussetzung der 45 Beitragsjahre fehle. Unter diese Regelung fallen Leute, die beim Schreibtisch sitzen und ein durchgehendes Beschäftigungsverhältnis aufzuweisen haben, betonte er.

Abgeordneter Maximilian Walch (F) gab bekannt, da auch in Zukunft kein Bauarbeiter unter die Hacklerregelung fallen werde, habe Minister Haupt die Schwerarbeiterregelung ins Leben gerufen. Die vorzeitige Alterspension gebe es nach wie vor durch den Pensionskorridor; hier könne man unter gewissen Voraussetzungen freiwillig die vorzeitige Alterspension in Anspruch nehmen. Besonders hob Walch hervor, dass die Harmonisierung Gerechtigkeit bringe.

Abgeordneter Dietmar Keck (S) unterstrich, dass die Schwerarbeiterregelung nicht für Frauen gelte, und bemängelte, dass es noch keine Definition für die Schwerarbeit gebe. Seiner Ansicht nach sollte man zurück an den Start und ein sozial ausgewogenes, faires und gerechtes Pensionsharmonisierungsmodell machen.

Staatssekretärin Ursula Haubner vertrat die Ansicht, hätte man schon früher bestehende Ungerechtigkeiten zwischen den Pensionssystemen beseitigt, wäre nun vieles leichter. Es wurde ein Jahr lang intensiv verhandelt, in einzelnen Bereichen habe man sich geeinigt. Warum soll man wieder von vorne anfangen?, fragte sie. Zur Schwerarbeiterregelung gebe es im Ressort Gespräche mit Arbeitsmedizinern und Vertretern der Interessenvertretungen. Der ÖGB sei stark eingebunden, und man sei bemüht, eine gemeinsame gute Lösung zu finden. Man habe sich darauf geeinigt, dass Tätigkeiten bewertet werden sollen. Es gebe etwa Überlegungen in Richtung unregelmäßigen Dienst, Nacht-, Schicht- und Wechseldienst, bezüglich Umgang mit gefährlichen und gefährdeten Personen.

Über die Parallelrechnung wurde sehr lange mit dem ÖGB und der AK diskutiert. Die Verhandler auf der Regierungsseite hätten sich vom ÖGB überzeugen lassen, dass die Parallelrechnung eine gute Sache sei, gingen doch alte Ansprüche nicht verloren. Sie sei zwar kompliziert, aber gerecht.

Hinsichtlich der Kindererziehungszeiten meinte Haubner, man müsse den Frauen, wenn sie ein Leben lang nur Teilzeitarbeit leisten, klarmachen, dass ihre Pension gering sein wird. Das Pensionssystem könne diese Situationen nicht ausgleichen. Im neuen System werden Kindererziehungszeiten besser valorisiert.

Mit dem Pensionskorridor werde eine freiwillige Lösung geschaffen, früher in Pension zu gehen.

Ausschussobfrau Heidrun Silhavy unterstrich, dass die Pensionsreform 2003 ungerecht sei, die jetzige Vorlage nicht transparent und teilweise nicht nachvollziehbar sei. Das Motto „Beschäftigung vor Pension“ hielt Silhavy für ein „schönes Schlagwort“. Zu den frauenpolitischen Leistungen meinte sie, diese werden nicht ausreichen, um den Frauen eine ordentliche Pension zu garantieren. Kritisch äußerte sie sich auch zu der Behauptung der gleichen Beiträge für alle Gruppen, zumal die Bauern und die Gewerbetreibenden nie auf die von den ASVG-Versicherten bezahlten 22,8 % kommen werden. Auch sie verwies darauf, dass Frauen den Pensionskorridor nicht in Anspruch nehmen können.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) sprach seine Vermutung aus, dass die Steuerreform zum Teil aus der Pensionssicherungsreform finanziert werde, weil es keinen zwingenden Grund gebe, unmittelbar etwas zu ändern. Die Ausgangsthese, es dürfe keine Zeit verloren werden, ist nach Meinung Öllingers falsch.

Öllinger ist auch der Auffassung, dass vor allem die Frauen zu den Verliererinnen der Reform gehören. Seiner Meinung nach wäre es sinnvoller gewesen, Sockelpensionen einzuführen. Auch die dritte Säule sei für viele Frauen, die vielleicht nur Teilzeit arbeiten, keine Alternative, da sie sich kaum 60 € pro Monat leisten könnten. Kritik übte Öllinger auch daran, dass es keine konkreten Zahlen hinsichtlich des Gesamtaufwands für die Pensionen gebe.

Abgeordneter Reinhold Mitterlehner (V) bedauerte, dass nicht strukturiert diskutiert werde. Er würde sich auch wünschen, schriftliche Unterlagen vom Ministerium zur Frage des Übergangsrechts zu erhalten, um einen genauen Überblick über die Auswirkungen der Maßnahmen zu bekommen. Was die generelle Kritik der Opposition betrifft, so erinnerte Mitterlehner daran, dass die Formel 45/65/80 von der Gewerkschaft selbst gefordert wurde. Er glaube, dass die Pensionsharmonisierung tendenziell richtig sei; über graduelle Bereiche könne man aber noch diskutieren.

Es gehe nicht nur um graduelle Probleme, sondern um die grundsätzliche Frage der Gerechtigkeit, hielt Abgeordnete Christine Lapp (S) ihrem Vorredner entgegen. Auch die freiheitliche Gewerkschaftsfraktion habe etwa kritisch darauf hingewiesen, dass die Beitragssätze der Selbständigen und Gewerbetreibenden kaum verändert wurden. Ein wesentlicher Schwachpunkt der Reform ist, dass Menschen, die viele Jahre schwer arbeiten und dann gesundheitliche Probleme bekommen, mit hohen Abschlägen rechnen müssen und auch nicht in den Pensionskorridor kommen. Ein Armutszeugnis für die Regierung sei es auch, dass bei den ÖBB sofort daran gedacht werde, die Leute in Frühpension zu schicken, anstatt das Service und das Angebot zu verbessern.

Das große Problem im Pensionsbereich liege darin, dass eine dringend notwendige Reform ständig verschoben wurde, meinte Abgeordneter Karl Donabauer (V). Außerdem wurde das Pensionssystem in der Vergangenheit oft als Ausgleich für Strukturschwächen der staatlichen Wirtschaft missbraucht. Das Pensionsrecht müsse sich den Veränderungen in der Gesellschaft und in der Berufswelt anpassen, gab der Redner zu bedenken, denn die Menschen würden älter als bisher und auch die Ausbildungszeiten seien länger. Nicht fair sei die Diskussion über die Bauern, die manchmal als Profiteure der Ausgleichszahlungen dargestellt werden. Er lade alle ein, sich das harte Leben von vielen Landwirten vor Ort anzuschauen, die oft in einfachsten Verhältnissen leben und nur geringe Pensionen erhalten. Man vergesse auch immer wieder, dass die Landwirte indirekt zum Budget beitragen (z.B. Solidarbeitrag, Abzug für das fiktive Ausgedinge etc.); die fehlenden 7,8 % beim Pensionsbeitrag lassen sich daher voll und ganz begründen.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) kam auf die Diskussion rund um die Anrechnung der Kindererziehungszeiten zu sprechen. Er persönlich glaube, dass die Anrechnung auf Basis eines Medianeinkommens in der Höhe von 1.350 € im Monat für zwei Drittel der Betroffenen vorteilhaft ist, da sie zum Zeitpunkt der Geburt eher jünger sind und noch nicht so hohe Gehälter beziehen. Was das Bonus-Malus-System betrifft, so werde damit ein freier gestalteter Pensionsantritt ermöglicht; dies entspreche laut Umfragen auch dem Wunsch der Bevölkerung. Ein wichtiges Anliegen war ihm auch, dass bei Vorliegen von verschiedenen Erwerbstätigkeiten mehr Flexibilität für die Versicherten ermöglicht werde. Er verstehe nicht, warum die SPÖ die Mitarbeitervorsorge, die sicher nicht nur den Vermögenden vorbehalten ist, „madig“ mache. Mit der Pensionsharmonisierung werde die erste Säule „fit“ gemacht, ohne die zweite oder dritte Säule abzuwerten, zeigte sich Tancsits überzeugt.

Bundesminister Herbert Haupt wies auf die verschiedenen Beweggründe hin, die eine Reform erforderlich machten. Neben der demographischen Entwicklung gebe es eine Reihe von Ungerechtigkeiten im System, die nicht mehr länger begründbar waren. Die Regierung habe daher versucht, ein neues langfristiges Konzept mit einem eingebauten Instrument der Nachjustierung (zehnjährige Bewährungsphase mit dreijähriger Evaluierung) zu entwickeln, das mehr soziale Gerechtigkeit zwischen Akademikern und manuell Arbeitenden sowie zwischen den einzelnen Berufsgruppen schaffen soll. Er war auch überzeugt davon, dass die Pensionsreform 2003 notwendig war, denn man wollte verhindern, dass die Verhandlungen noch einmal bis zum Nimmerleinstag verschoben werden.

Beim vorliegenden Entwurf handle es sich um einen politischen Kompromiss und er schließe nicht aus, dass noch Korrekturen (z.B. Verbesserungen für Zwillings- und Mehrlingsgeburten oder für Doppelwaisen bei der Invaliditätspension) durchgeführt werden. Haupt räumte ein, dass das temporäre System der Doppelberechnungen der Pensionen etwas schwierig sei; es wurde aber nur deshalb gewählt, um die Transparenz für jeden einzelnen zu gewährleisten. Nach Abschluss der Harmonisierung müsse dann auch die Neukodifizierung des Sozialrechts angegangen werden, kündigte der Sozialminister an.

Es sei auch nicht richtig, dass auf die Frauen vergessen wurde, hielt er den Kritikern entgegen. Gerade in seinem Bereich wurden bessere Rahmenbedingungen für Frauen mit Behinderungen geschaffen. Weiters verwies er auf die Initiative "Frauen in technische Berufe", auf die Fortbildungsmaßnahmen im IT-Bereich, die Schulungen für Pflege- und Sozialberufe, die Familienhospizkarenz, die Verbesserungen für pflegende Angehörige etc.

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (S) erinnerte daran, dass der Bevölkerung schon in den letzten Jahren insgesamt 44 Belastungsmaßnahmen zugemutet wurden. Zudem sei den Menschen schon bei der Reform 2003 die Chance genommen worden, etwas anzusparen, um die überfallsartigen Verschlechterungen auszugleichen. Insbesondere kritisierte die S-Rednerin die Verschlechterungen für Frauen, die aufgrund ihrer Lebensverläufe kaum die notwendigen Beitragsjahre erreichen, oft im Alter noch ihren Job verlieren und dann sehr geringe Pensionen erhalten.

Abgeordneter Karl Öllinger (G) schlug vor, dass man sich bei der nächsten Sitzung auf zwei, drei wichtige Themen, z.B. die Übergangsbestimmungen bzw. die Abschläge, konzentrieren sollte. Neben den Experten des Sozialressorts könnten an der Unterredung auch Vertreter der Arbeiterkammer teilnehmen, meinte er. Was die Diskussion um die Beitragssätze der Bauern angeht, so könne er die Aussagen von Donabauer durchaus unterschreiben. Aber man dürfe auch nicht vergessen, dass es einige wenige große Landwirte gebe, die durch das Fördersystem noch zusätzlich bevorzugt werden. (Forts.)