Parlamentskorrespondenz Nr. 913 vom 03.12.2004

HAUPTVERBANDSREFORM IM AUSSCHUSS MIT V-F-MEHRHEIT BESCHLOSSEN

Massive Kritik der Opposition an der Besetzung der Gremien

Wien (PK) - Bei der heutigen Sitzung des Sozialausschusses wurde die umfangreiche Tagesordnung noch erweitert, und zwar um die Regierungsvorlage betreffend das 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz (3. SVÄG 2004). Kernstück der Novelle ist die Neuorganisation des Hauptverbands, die bei der Opposition auf massive Kritik stieß. Während die Sozialdemokraten und Grünen von einer Demontage der Selbstverwaltung sprachen, verteidigten die Regierungsfraktionen die Neuregelung. Einerseits werde damit nämlich dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes entsprochen und andererseits werden schlagkräftige Verwaltungsstrukturen geschaffen. Nach einer ausführlichen Diskussion wurde die Vorlage schließlich mit V-F-Mehrheit angenommen.

Der Verfassungsgerichtshof hat maßgebliche Bestimmungen über die Organisation des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger aufgehoben. Die Regierung schlug daher eine Neuorganisation des Hauptverbandes vor. Konkret besteht der Hauptverband künftig nur noch aus zwei Verwaltungskörpern: der 37 Mitglieder umfassenden Trägerkonferenz und dem 12-köpfigen Verbandsvorstand. Die Trägerkonferenz fungiert dabei als eine Art Aufsichts- und Kontrollorgan und ist unter anderem für die Bestellung des Verbandsvorstandes, das Budget, das Dienstrecht und die Genehmigung von Tarifverträgen zuständig. Vertreten sind in der Trägerkonferenz je zwei Funktionäre - ein Arbeitgeber- und ein Dienstnehmervertreter - der wichtigsten Sozialversicherungsträger sowie je ein Vertreter der drei mitgliederstärksten Seniorenorganisationen.


Der Verbandsvorstand muss sich aus je zur Hälfte aus Versicherungsvertretern der Dienstgeber und der Dienstnehmer zusammensetzen. Der Verbandsvorstand kann Aufgaben an das - öffentlich auszuschreibende - Verbandsmanagement delegieren, dieses ist dem Verbandsvorstand gegenüber weisungsgebunden und berichtspflichtig. Das Sozial- und Gesundheitsforum Österreich bleibt als Beratungsorgan des Hauptverbands bestehen, ist aber wie die Controllinggruppe kein eigener Verwaltungskörper mehr.


Das von der Regierung vorgelegte 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004 enthält aber nicht nur Bestimmungen über die Neuorganisation des Hauptverbandes, sondern auch zahlreiche weitere Adaptierungen und Ergänzungen des Sozialversicherungsrechts. So wird klargestellt, dass Versicherte erst ab dem Jahr 2006 das vorgesehene Service-Entgelt für die e-card zahlen müssen, auch wenn sie die Chipkarte schon im Laufe des kommenden Jahres erhalten. Im gesamten Jahr 2005 ist stattdessen noch die Krankenscheingebühr zu entrichten; ein Versicherter, der bereits eine e-card hat, muss bei einem Arztbesuch sowohl diese als auch einen Krankenschein vorlegen.


Neuerlich adaptiert werden die Bestimmungen in Bezug auf die Einholung einer chefärztlichen Bewilligung bestimmter Medikamente. Da es nach wie vor keine Einigung zwischen dem Hauptverband und der Ärztekammer in dieser Frage gibt und die von Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat vorgeschlagene Verordnung - Einholung der Bewilligung per Fax - auf Ablehnung gestoßen ist, soll nun für den Übergangszeitraum bis zur Verfügbarkeit der technischen Infrastruktur der e-card mittels einer neuen Verordnung auch für grundsätzlich bewilligungspflichtige Arzneimittel das System der nachträglichen Kontrolle festgeschrieben werden, wobei eine verpflichtende Dokumentation der Ärzte über die Auswahl der Medikamente vorgesehen ist.

Abgeordneter Richard Leutner (S) stellte fest, aus dem Blickwinkel der ArbeitnehmerInnen habe der Entwurf nichts mit Selbstverwaltung zu tun. In der Trägerkonferenz, wo die Budgethoheit liegt, werde es nach diesem Entwurf künftig eine deutliche Arbeitgebermehrheit geben. Und im Vorstand, wo laufende Entscheidungen getroffen werden, soll es künftig eine paritätische Besetzung geben. Damit werden aber 3 Millionen ArbeitnehmerInnen künftig das selbe Gewicht haben wie 300.000 Selbstständige, gab er zu bedenken. Das bedeute, dass Selbstständige zehn Mal so viele Stimmen wie ArbeitnehmerInnen haben. Solche Grundsätze erinnerten an die Wahlrechte im vorvorigen Jahrhundert.

Die Tatsache, dass Sozialversicherungsbeiträge als Dienstgeber-

und Dienstnehmerbeiträge abgeführt werden, ändere nichts daran, dass

in der Sozialversicherung überwiegend Unselbstständige versichert

sind. Eine paritätische Besetzung entspreche daher keineswegs der

Versichertenstruktur. So werde auch nicht berücksichtigt, dass bei den AK-Wahlen die FSG bis zu 70 % gewonnen hat. Sie könne aber nur 4 Mitglieder in den Vorstand entsenden und ist damit nur zu 33 % repräsentiert. Der Entwurf sei daher das Gegenteil von Demokratie, resümierte Leutner.

Abgeordneter Walter Tancsits (V) ging auf die wichtigsten Punkte im SRÄG ein, z.B. die weitere Umsetzung der Chefarztpflicht Neu, die zusätzlichen Zuschussmöglichkeiten bei bestimmten Dauerbehandlungen (Tumorerkrankungen) sowie die Neuregelung der Entgeltfortzahlung, der vor allem für die Kleinbetriebe eine große Hilfestellung darstellt.

Hinsichtlich der Reform des Hauptverbandes gab Tancsits zu bedenken, dass die Opposition das diesbezügliche Gesetz beim Verfassungsgerichtshof beeinsprucht habe. Hätte man das Erkenntnis ganz ernst genommen, dann wäre nun sogar die Direktwahl von Versichertenvertretern verboten, gab er zu bedenken. Er glaube, dass nun ein vernünftiger Vorschlag vorgelegt wurde, der alle Träger mit einbezieht, den paritätischen Aufbau widerspiegelt und eine bisher ausgeschlossene Gruppe, nämlich die Pensionisten, berücksichtigt. Der Vorwurf, dass die Wirtschaftsvertreter die Mehrheit haben, gehe sicherlich ins Leere.

Auch Abgeordneter Karl Öllinger (G) erinnerte daran, dass der VfGH im Jahr 2003 die Hauptverbandsreform aufgehoben hat. Der Gesetzgeber hätte eigentlich genügend Zeit gehabt, um auf diese Aufhebung zu reagieren. Jetzt werde aber eine „versuchte Reform" in allerletzter Minute präsentiert, die den parteipolitischen Einfluss und die Arbeitgeberdominanz festschreibe. Es sei zwar richtig, dass eine zeitgemäße Form für die Organisation des Hauptverbandes gefunden werden musste, aber die könne nur so aussehen, dass die Selbstverwaltung den Versicherten übertragen wird. Auch bei der Zuschussregelung hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die nun der AUVA überantwortet wird, könne man erkennen, dass das Prinzip der Selbstverwaltung nicht ernst genommen wird. Diese Maßnahme hätte man nämlich ganz woanders regeln müssen.

Absolut nicht nachvollziehbar sei, warum z.B. 800 Notare mit gleich vielen Personen in der Trägerkonferenz vertreten sind wie die 1,5 Millionen Versicherten der Wiener Gebietskrankenkasse. "Dies kann doch nicht Ihr Ernst sein!", meinte Öllinger. Außerdem gebe es bei den Notaren auch nicht die Unterteilung in Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter; sie können sich überhaupt gleich selbst verwalten. Diese Entwicklung sei ein absoluter Rückfall, urteilte der Sozialsprecher der Grünen, da quasi das ständische Gliederungsprinzip im Hauptverband eingeführt wird. Zusammenfassend könne man sagen, dass die Selbstverwaltung durch politische Leitungsgremien ersetzt wurde und sich vor allem eine Regierungspartei ihren dominierenden Einfluss sichere.

Abgeordneter Maximilian Walch (F) räumte ein, dass man die Entgeltfortzahlung vielleicht anders regeln hätte können. Ihm sei es aber lieber, wenn die Betriebe das Geld bekommen und nicht das Finanzministerium. Eine Reform des Hauptverbandes sei notwendig geworden, weil dort bisher eine „kleine Parteizentrale" agiert habe. Den Versicherten sei es egal, wer dort drinnen sitzt, sie wollen nur, dass sparsam und wirtschaftlich mit ihren Beiträgen umgegangen wird. Der Entwurf führe nun auch dazu, dass der Verwaltungsapparat reduziert wird. Außerdem müsse sich aufgrund der Pattstellung nun jeder bemühen, den anderen zu überzeugen.

Er könne nicht verstehen, warum die Opposition den Fortschritt nicht erkenne, der mit Entwurf einhergeht, meinte Abgeordneter Karl Donabauer (V). Es sei doch positiv, wenn nunmehr auch kleine Sozialversicherungen repräsentiert sind, die Betriebskrankenkasse zwei Vertreter entsenden kann und auch die Pensionistenvertreter einbezogen werden.

Bundesminister Herbert Haupt zeigte sich überzeugt davon, dass der vorliegende Entwurf sparsame und schlanke Strukturen schafft, da eine ganze Ebene der Selbstverwaltung wegfällt. Die Einbindung der Seniorenvertreter sei seiner Ansicht nach sinnvoll und richtig, weil dadurch auch diese Gruppe der Beitragszahler und –empfänger in die Entscheidungsprozesse einbezogen wird. Positiv sei, dass das Zukunftsgremium nicht mehr blockiert werden könne, wie dies früher oft der Fall war.

Haupt erläuterte die Vorgangsweise hinsichtlich der Chipkarte, wo es im Jahr 2005 eine Parallellösung geben wird. Eine komplette Umstellung des Systems sei nur dann möglich, wenn wirklich jeder Österreicher und jede Österreicherin eine e-card besitzt. Sodann ging er noch auf die Neuregelung der Entgeltfortzahlung ein, wodurch vor allem die Klein- und Kleinstbetriebe unterstützt werden sollen. Positiv beurteilte er die Arbeit der Controllinggruppe, die sich seiner Meinung nach mehr als bezahlt gemacht habe. Moderne Managementmethoden sollten auch im Hauptverband ihren Platz haben, um sich rechtzeitig auf die Herausforderungen der Zukunft einstellen zu können.

Abgeordneter Manfred Lackner (S) mutmaßte, dass auch diese Vorlage in ein, zwei Jahren wieder vom Verfassungsgerichtshof gekippt werde. Die neuen Regelungen führen dazu, dass der Hauptverband in eine Filiale der Wirtschaftskammer und des Wirtschaftsbundes umfunktioniert werde, urteilte der SPÖ-Mandatar. Fragwürdig sei, warum nur eine Betriebskrankenkasse in der Trägerkonferenz vertreten ist. Die Absicht hinter dem Entwurf sei klar erkennbar, die Selbstverwaltung sollte ausgehöhlt und die Dienstgeberinteressen gestärkt werden.

Abgeordneter Franz Riepl (S) erinnerte daran, dass auch der Rechnungshof Kritik am Entwurf geäußert habe. Die Zusammensetzung der Gremien sei eindeutig politisch und nicht sachlich gerechtfertigt, urteilte er; dies sollten die Vertreter der Regierungsfraktion auch zugeben.

Abgeordneter Walter Posch (S) schloss sich der Kritik seiner Fraktionskollegen und der Grünen an, wonach die Besetzung der Gremien in keiner Weise die Versichertenstruktur widerspiegle. Damit werde eine autoritäre Politik fortgesetzt, wie sie auch bei der letzten Novellierung des Hochschülerschaftsgesetzes zum Ausdruck gekommen ist. Diese Tendenzen erinnern ihn an die 30er Jahre, wo u.a. auch die Ausschaltung autonomer Interessensvertretungen der Arbeitnehmer und Leistungskürzungen etc. an der Tagesordnung waren.

Bundesministerin Maria Rauch-Kallat ging auf einzelne Wortmeldungen ein und meinte, es sei legitim, dass auch die Privatkrankenanstalten - ebenso wie die anderen Krankenanstalten - eine Valorisierung erhalten. Hinsichtlich der Kritik an den Pharmafirmen wies die Ministerin darauf hin, dass die Pharmafirmen mit dem Arzneimittelpaket erheblich in die Pflicht genommen wurden; dies sei ein erfolgreicher Weg, zumal die Steigerungsrate unter 4 % liegen wird. Was das Sozial- und Gesundheitsforum angeht, so wurde damit der Versuch gestartet, eine möglichst breite Einbindung zu erreichen. Sie räumte ein, dass die Präsenz in den letzten Jahren nicht „sehr ermunternd war". Deshalb habe man auch die Abstimmungsregeln dahingehend verändert, dass Beschlüsse mit einfacher Mehrheit möglich sind.

Nach Meinung von Ausschussvorsitzender Heidrun Silhavy (S) läuft die Koalition sehenden Auges Gefahr, dass auch die nunmehrige Neuorganisation des Hauptverbandes vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wird. Überdies kritisierte sie, dass immer stärker Tendenzen in Richtung Privatisierung von Gesundheit erkennbar seien und es eine Abkehr vom Prinzip der solidarischen Gesellschaft gebe. An Gesundheitsministerin Rauch-Kallat richtete Silhavy die Frage, wo die versprochenen 20 Mill. € für Präventionsmaßnahmen seien.

Abgeordneter Sigisbert Dolinschek (F) machte geltend, dass die Neuorganisation des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger aufgrund des VfGH-Erkenntnisses erforderlich geworden sei. Ausdrücklich begrüßte er, dass nunmehr Seniorenvertreter gleichwertige Mitglieder in der Trägerkonferenz des Hauptverbandes seien.

Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat wies darauf hin, dass der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes die Neuorganisation des Hauptverbandes als verfassungskonform bewertet habe. Abgeordnetem Lackner teilte sie mit, dass die Gebühr für die Chipkarte schon mit 10 € pro Jahr festgelegt wurde; sie falle natürlich erst ab Beginn des Vollbetriebes, also ab 2006 an. Am einfachsten wäre es, wenn die Gebühr einmal jährlich mit den Krankenversicherungsbeiträgen eingehoben werden könnte. Da dies aber Auswirkungen auf die Lohnbuchhaltung hätte, brauche sie dafür die Zustimmung der Wirtschaftskammer. Die Verordnung zur vorgesehenen Neuregelung der Chefarztpflicht für Medikamente kündigte Rauch-Kallat für Jänner an. 

Für Präventionsmaßnahmen will die Gesundheitsministerin, wie sie sagte, 30 Mill. € aus Mitteln der Tabaksteuer zur Verfügung stellen. Derzeit werde noch geprüft, ob die Einrichtung eines entsprechenden Topfes einer rechtlichen Grundlage bedürfe.

Das 3. Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2004 wurde mit den Stimmen von ÖVP und FPÖ genehmigt. (Fortsetzung)