Parlamentskorrespondenz Nr. 444 vom 31.05.2005

DER BEREICH ESOTERIK WIRD UNÜBERSCHAUBAR

Familienausschuss diskutiert Sekten-Bericht

Wien (PK) - Der Bericht über die Tätigkeit der Bundesstelle für Sektenfragen im Jahr 2003 (III-64 d.B.) stand als weiterer Punkt auf der Tagesordnung des heutigen Familienausschusses und wurde einstimmig zur Kenntnis genommen. Als Experte war dazu German Müller, Geschäftsführer der Bundesstelle, eingeladen.

Dem Bericht zufolge haben sich im Jahr 2003 1.602 Personen mit ihren Anliegen an die Bundesstelle für Sektenfragen gewandt. In 644 Fällen erfolgte über die Vermittlung von Sachinformation hinaus eine intensive psychosoziale Beratung. Die meisten Anfragen galten Scientology, dem Satanismus und den Zeugen Jehovas, dahinter rangieren Pfingstler, Evangelikale und Charismatiker, der Bruno-Gröning-Freundeskreis, Sahaja Yoga und die Freie Christengemeinde / Pfingstgemeinde. Insgesamt bezogen sich die Anfragen an die Sektenstelle auf 296 verschiedene Gruppierungen.

Bekräftigt wird von der Bundesstelle der bereits in den Vorjahren geäußerte Befund, dass der Bereich Esoterik, vor allem die so genannte Gebrauchsesoterik, in weiten Teilen der Bevölkerung bereits gut verankert zu sein scheint. Diese verbreitete Akzeptanz mache eine explizit kritische Auseinandersetzung mit diesem Bereich, so die AutorInnen des Berichts, schwierig. Betroffene seien fast immer volljährige und mündige Erwachsene. Insgesamt stelle der Bereich Esoterik ein unüberschaubares Sammelbecken von Organisationen, kleinen Gruppierungen und EinzelanbieterInnen dar. Tatsache sei, dass der Trend zur Aufsplitterung weiter voranschreite, sagte German Müller.

Weiters betonte er, dass die Beratungswünsche nach wie vor im Steigen begriffen seien. Seitens seiner MitarbeiterInnen versuche man, so rasch wie möglich mit den direkt Betroffenen in Kontakt zu kommen, da sich in den meisten Fällen zuerst die Angehörigen an die Beratungsstelle wenden. Dennoch sei man für die direkt Betroffenen oft letzte Anlaufstelle, um Hilfe in der Ausstiegsphase bekommen zu können. Ein Anliegen sei es ihm, Müller, darüber hinaus, mit den Gruppen selbst Kontakt aufzunehmen. Jedenfalls stelle die psychosoziale Betreuung einen wesentlichen Bereich der Arbeit seiner Institution dar.

Seitens der Bundesstelle sei man auch um umfassende Information vor allem an Private, staatliche Stellen, LehrerInnen, Medien und die Gruppen selbst bemüht. Voraussetzung dafür sei eine intensive Vernetzung. Als einen Schwerpunkt seiner Arbeit bezeichnete Müller die Prävention und Multiplikatorenschulung, die unter anderem im Rahmen der Pädagogischen Akademien und der Psychotherapieausbildung erfolge.

Die Arbeit der Bundesstelle für Sektenfragen wurde sowohl von Bundesministerin Ursula Haubner als auch von den Abgeordneten allgemein gelobt. Haubner wies auf die Wichtigkeit der Prävention und Beratung hin und betonte die Bedeutung der Bundesstelle für Sektenfragen im Rahmen der Jugendarbeit.

In der anschließenden Debatte meldeten sich die Abgeordneten mit zahlreichen Detailfragen zu Wort. Vor allem thematisierten sie das Problem der Abgrenzung im Spannungsfeld zwischen persönlicher Religiosität und Spiritualität einerseits und esoterischen Methoden andererseits (Abgeordnete Hans Langreiter, Barbara Riener, beide V, und Barbara Rosenkranz, F). Abgeordnete Gabriele Binder (S) hinterfragte unter anderem, ob die Gesetzeslage in Österreich im Hinblick auf die rechtlichen Bestimmungen in Frankreich ausreichend sei. Als einen offensichtlich blinden Fleck bezeichnete Abgeordneter Karl Öllinger (G) sektiererische Tendenzen in muslimischen Gemeinschaften und appellierte an die Ministerin, sich auch mit diesen Gruppierungen auseinander zu setzen. Weitere Themen sprachen die Abgeordneten Ruth Becher (S), Ridi Steibl, Anna Höllerer, Roderich Regler (alle V) Sabine Mandak (G) und Marialuise Mittermüller (F) an.

Dazu stellte German Müller fest, dass eine Abgrenzung außerordentlich schwierig sei, und er und seine MitarbeiterInnen in einem heiklen Spannungsfeld arbeiteten. Sowohl der rechtliche Rahmen als auch der Datenschutz setzten dabei Grenzen. Laut Gesetz müsse ein Gefährdungs- und Konfliktpotenzial gegeben sein und man könne nur bei Missbrauch einschreiten. Parameter stellten die Gefährdung der Freiheit, der Familie, des Kindeswohls und der Gesundheit sowie die Finanzen dar. Bei der Bewertung seien die Praktiken heranzuziehen und nicht die Religion. Es könne keine Definitionen zur Abgrenzungsfrage geben, hielt Müller fest, denn damit würde man in ein Wespennest stechen.

Als ein großes Problem bezeichnete Müller die Vermengung beim Angebot an Gesundheitstherapien sowie bei Seminar- und Psychokursen.

In Bezug auf Sektenbildung im muslimischen Bereich gab Müller Abgeordnetem Öllinger recht. Die Schwierigkeit, an die Betroffenen heranzukommen, liege insbesondere in der kulturellen Problematik, sagte Müller. Man mache aber auch die Erfahrung, dass einige Gruppen AsylantInnen ansprechen oder VertreterInnen zu psychiatrischen Anstalten schickten und den Kranken Gottesdienste anböten.

Die geltende Gesetzeslage betrachtete Müller als ausreichend und meinte, mit Beratung komme man weiter als mit zusätzlichen Verboten und Geboten. In Frankreich könnten neben Individualpersonen auch die Gruppen als juristische Personen belangt werden, außerdem stelle die Ausnützung von Schwäche einen Tatbestand dar.

Zusammenfassend stellte Müller fest, dass man das Sektenproblem keineswegs als ein spezielles Kinder- und Jugendproblem ansehen könne. So seien im Besonderen die Menschen in einer Umbruchsphase betroffen, sowie ältere Menschen, die mit Einsamkeit zu kämpfen hätten.

Bundesministerin Ursula Haubner begründete die Entscheidung, von der Neuauflage der Informationsbroschüre über Sekten Abstand genommen zu haben, damit, dass die Nachfrage im Laufe der Jahre geringer geworden sei. Außerdem sei es schwierig, die große Bandbreite in einer Broschüre abzudecken. Viel effektiver sei die Informations- und Beratungstätigkeit der Bundesstelle für Sektenfragen. Darüber hinaus seien einzelne Familienberatungsstellen auf Sektenfragen besonders spezialisiert. (Fortsetzung)