Parlamentskorrespondenz Nr. 919 vom 27.11.2007

Prammer übergibt Lupac-Wissenschaftspreis 2007 im Parlament

Auszeichnung geht an Talos, Obinger und Dietrich

Wien (PK) – Nationalratspräsidentin Barbara Prammer überreichte heute Abend im Rahmen eines Festakts im Parlament den Wissenschaftspreis 2007 der Margaretha Lupac-Stiftung für Parlamentarismus und Demokratie. Die diesjährige Ausschreibung des Preises erfolgte zum Thema „Entwicklungen im politischen System Österreichs unter Berücksichtigung der europäischen Dimension“. Die Auszeichnung, die mit 15.000 € dotiert ist und heuer zum zweiten Mal vergeben wurde, teilen sich die Wissenschaftler Emmerich Talos, Herbert Obinger sowie Astrid Dietrich.

Zum Festakt konnten Nationalratspräsidentin Prammer und Zweiter Nationalratspräsident Michael Spindelegger zahlreiche Jury- und Kuratoriums-Mitglieder der Lupac-Stiftung für den Wissenschaftspreis 2007 begrüßen, darunter auch den Vorsitzenden der Jury, Univ. Prof. DDr. Manfried Welan.

Die Jury unter der Leitung von Manfried Welan hat aus zahlreichen Bewerbungen zwei Bewerbungen zur Auszeichnung vorgeschlagen. Zum einen handelt es sich um die Publikation von Univ.-Prof. Dr. Emmerich Tálos und Univ.-Prof. Dr. Herbert Obinger  "Sozialstaat Österreich zwischen Kontinuität und Umbau. Eine Bilanz der ÖVP/FPÖ/BZÖ – Koalition". In diesem Werk wird der Politikwechsel des Jahres 2000 analysiert. Der Hauptbefund lautet, dass dieser Machtwechsel sowohl in programmatischer Hinsicht als auch auf der Ebene der politischen Entscheidungsprozesse und der realisierten Maßnahmen zu einem Bruch mit den für die Nachkriegszeit charakteristischen Politik- und Entscheidungsmustern geführt hat. Der Gegenstand wird dabei nicht nur empirisch dokumentiert und rekonstruiert, sondern auch theoriegeleitet erklärt.


Ausgezeichnet wird auch  die Dissertation von Mag. Dr. Astrid Dietrich "Medien und EU. Mediale Aufmerksamkeit für die politische Europäische Union im intermedialen Vergleich mit besonderer Berücksichtigung des Qualitäts- und Boulevardaspektes". Diese Arbeit geht von der These aus, dass der zunehmenden Europäisierung von Ökonomie und Politik bislang keine gleichwertige Europäisierung der politischen Öffentlichkeit gefolgt ist. Die Dissertation nimmt zu folgenden Fragen Stellung: Ob und in welchem Ausmaß zeigen sich Europäisierungsprozesse in Österreich in der medialen Aufmerksamkeit? Welchen Beitrag leisten die unterschiedlichen Medien zur Europäisierung von Öffentlichkeit, insbesondere im Vergleich zwischen Qualitäts- und Boulevardmedien?


Das Stiftungskuratorium unter der Leitung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat sich dieser Auswahl durch die Jury einstimmig angeschlossen.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zeigte sich in ihren Begrüßungsworten äußerst erfreut, dass die Verleihung des Margaretha Lupac-Preises mittlerweile schon zu einer traditionellen Institution im Parlament geworden ist. Prammer hob die Bedeutung des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Parlament hervor und unterstrich, dass auch der heurige Wissenschaftspreis wieder an drei sehr renommierte Preisträger geht. Für die Arbeit im Hohen Haus sei es wichtig, dass immer wieder aktuelle wissenschaftliche Impulse gesetzt werden, so die Präsidentin, die darauf hinwies, dass die „bemerkenswerte Dissertation“ von Astrid Dietrich den Prozess der Europäisierung in den nationalen Medien zum Inhalt hat. Diese Arbeit sollte für die Medien ein Anstoß, also ein Kick-off, sein, so Prammer, sich in Zukunft verstärkt mit der europäischen Herausforderung in der Berichterstattung  zu beschäftigen.

Die Laudatio auf die PreisträgerInnen hielt Univ.-Prof. Oliver Rathkolb. Persönlich habe ihn, Rathkolb, die Dissertation Dietrichs sehr beeindruckt, vor allem die stringente Inhaltsanalyse österreichischer Printmedien in Bezug auf ihre EU-Berichterstattung. Der europäische Kommunikationsraum, der im Entstehen begriffen ist, wird in der nationalen Öffentlichkeit noch wenig bis gar nicht wahrgenommen, skizzierte er, und EU-Themen sind in nationalen Medien nach wie vor nur ein „Nebenthema“. Rathkolb regte an, das 500 Seiten starke Werk möglichst rasch zu publizieren, um es einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Großes Lob äußerte Rathkolb auch für das Werk von Emmerich Talos und Herbert Obinger, das die Einschnitte bzw. die Transformationen in die Sozial- und Wirtschaftspolitik der schwarz-blauen Koalition zum Thema hat. Talos, hielt Rathkolb fest, ist einer der Gründerväter der österreichischen Politikwissenschaft, und ein starker Impulsgeber für die theoriegeleitete Zeitgeschichte. Herbert Obinger ist, so der Laudator, „bereits ein Politikwissenschafter der zweiten Generation“. Obinger, der nunmehr an der Universität Bremen lehrt, zeige mit seiner Berufslaufbahn bereits jene typisch europäische Entwicklung der Transnationalität, die es ermögliche, von der nationalen Nabelschau wegzukommen, und größere Zusammenhänge zu vergleichen.

Michael Spindelegger meinte in seiner Einleitung zur anschließenden Diskussion, eine solche sei im Rahmen der Preisverleihung neu, aber eine sehr interessante Facette dieser Veranstaltung, weil sie es ermögliche, tiefer in die Materie einzudringen und die Thesen der prämierten Arbeiten näher kennenzulernen. Es stelle sich, so Spindelegger weiter, die Frage, ob die Politik so weit gehen solle, sich in grundlegende Fragen unserer Gesellschaft einzumischen und zwar so, dass dieses Vorgehen den Namen Reform verdiene. Weiters stelle sich dann aber die Frage, wo dabei die Grenze liege. Für ihn sei klar, dass Politik gestalten müsse, hielt der Präsident in Beantwortung dieser Fragen fest.

Im Hinblick auf die europäische Problematik unterstrich Spindelegger die Bedeutung entsprechender Information, um zu mehr Verständnis in diesen Bereichen zu gelangen. Dabei komme es aber natürlich auch auf die Qualität der entsprechenden Informationen an, so Spindelegger abschließend.

Emmerich Talos verwies darauf, dass Österreich seit geraumer Zeit in Veränderung begriffen sei, was ab 2000 deutlich merkbar wurde, indem das Verhandlungsmoment sehr stark in den Hintergrund gedrängt wurde. Das Zurückdrängen der verhandlichen Ebene bedingte, so Talos, eine Aufwertung der politischen Ebene, wovon aber primär die Regierung profitiert habe. Es habe zwar auch einen Bedeutungsgewinn des Parlamentarismus gegeben, doch stelle sich die Frage, ob die Regierung durch diesen Prozess nicht noch stärker geworden sei.

Manfried Welan schloss an Talos an und meinte, den entscheidenden Unterschied habe der EU-Beitritt bedingt, durch den das politische System in Österreich insgesamt geschwächt worden sei. Österreich habe immer schon ein stark gouvernmentaler Zug ausgezeichnet, dieser sei durch die EU noch verstärkt worden.

Dietrich ortete die Notwendigkeit einer europäischen Öffentlichkeit, durch die über Sachthemen auf supranationaler Ebene diskutiert werden könnte. Es bräuchte einen Diskurs zwischen nationalen und supranationalen Protagonisten, und dieser müsste auch auf gesamteuropäischer Ebene abgebildet werden.

Wolfgang Bachmayer ging auf die veränderte Situation zwischen Politik und Medien ein. Die Politik habe nach wie vor ihre Chance, gestaltend zu wirken, sie dürfe sich aber nicht zu stark von Medien und Meinungsforschung treiben lassen. Noch sei sie im Besitz des Primats der gesellschaftlichen Umgestaltung, es gelte aber, den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen, illustrierte Bachmayer am Beispiel des Imageverlusts des Wortes "Reform".

Obinger meinte schließlich, die europäische Integration ließe nach wie vor genügend Handlungsspielraum, Wirtschaftspolitik im nationalen Rahmen zu gestalten. Hier lägen zentrale Politikfelder, wo die Politik Gestaltungsmöglichkeiten vorfinde, die es aber auch zu nutzen gelte.

Die Preisträger

Zu den Forschungs- und Publikationsschwerpunkten von Emmerich Tálos, geboren 1944, zählen die Sozialpolitik der Ersten und Zweiten Republik, der Wohlfahrtsstaat und die Sozialpartnerschaft. Neben der Veröffentlichung von 35 Büchern zeichnet Tálos für die Herausgabe von Schwerpunktheften genauso verantwortlich wie für zahllose Artikel, die sich immer wieder mit politischen Entscheidungsprozessen auseinandersetzen. Neben einer langen wissenschaftlichen Karriere zählt Emmerich Tálos zu einem der Initiatoren des Volksbegehrens "Sozialstaat Österreich".

Herbert Obinger, Jahrgang 1970, promovierte an der Universität Wien im Fach Politikwissenschaften. Seine Habilitation schloss er im Jahr 2004 an der Universität Bremen ab. Seit 2006 ist er Professor für vergleichende Staatstätigkeitsforschung und vergleichende Sozialpolitik; derzeit hat er die Funktion des Direktors des Instituts für Politikwissenschaften der Universität Bremen inne. Neben zahlreichen Buchbeiträgen und Aufsätzen veröffentlichte Obinger unter anderem Bücher zum Wohlfahrtsstaat sowie zu Demokratie und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit.


Astrid Dietrich, 1976 in Graz geboren, schloss das Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien mit der nunmehr ausgezeichneten Dissertation im Jahr 2006 ab. Sie ist als Lektorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, am Lehrgang für Public Communication der Universität Wien und am FH Campus Wien, Studiengang Biotechnologie tätig. Die bisherigen Publikationen setzen sich vor allem mit den Themen Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit auseinander.

Der Wissenschaftspreis

Die Margaretha Lupac-Stiftung, die den Wissenschaftspreis alle zwei Jahre vergibt, geht auf Margaretha Lupac (1910 – 1999) zurück, die, geprägt durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, ihr gesamtes Vermögen in der Höhe von rund 1,5 Mill. € der Republik Österreich für Zwecke des Parlaments vermachte. Mit diesen Mitteln wurde seitens des National- und Bundesrats eine Stiftung mit dem Zweck eingerichtet, herausragende Verdienste um den Parlamentarismus und die Demokratie auszuzeichnen und Forschungsarbeiten zum Thema Parlamentarismus zu unterstützen, Tagungen und Veranstaltungen durchzuführen und österreichische Künstlerinnen und Künstler zu unterstützen. Den Vorsitz im Kuratorium der Stiftung hat die Nationalratspräsidentin inne. Abwechselnd zum Wissenschaftspreis wird alle zwei Jahre ein Demokratiepreis ausgeschrieben.

Informationen über die Preisträger, ihre Forschungsarbeiten sowie die Margaretha Lupac-Stiftung sind auch über die Website des Parlaments (www.parlament.gv.at) Menüpunkt Aktuelles, Infothek abrufbar.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at

(Schluss)