Parlamentskorrespondenz Nr. 770 vom 24.09.2008

Mehrwertsteuersenkung bei Lebensmitteln: zurück an Finanzausschuss

SPÖ und FPÖ ohne BZÖ-Unterstützung in der Minderheit

Wien (PK) – Die von SPÖ und FPÖ gemeinsam beantragte Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Lebensmittel von 10 auf 5 % fand im Nationalrat heute nach teils heftiger Debatte keine Mehrheit, nachdem nach ÖVP und Grünen auch das BZÖ dem Antrag die Zustimmung versagt hatte. Der Antrag wurde an den zuständigen Finanzausschuss zurück verwiesen.

Vor Eingang in die Debatte meldete sich Abgeordneter ÖLLINGER (G) zur Geschäftsordnung zu Wort und ersuchte die vorsitzführende Präsidentin um die Klärung einer Frage, die sich auf die Einbringung von Abänderungsanträgen zum S-F-Antrag betreffend ein Sozialrechts-Änderungsgesetz 2008 bezog. Es gebe seiner Ansicht nach inhaltliche Abweichungen in den Abänderungsanträgen, obwohl es sich um die Änderung von gleichen Paragraphen handle.

Klubobmann Dr. CAP (S) war der Meinung, dass man sich keine Sorgen machen müsse und ganz korrekt vorgegangen wurde. Klubobmann Dr. VAN DER BELLEN (G) konnte sich dieser Sichtweise nicht anschließen und war der Meinung, dass durch die SPÖ ein Chaos verursacht werde. Klubobmann Dr. SCHÜSSEL (V) schloss sich der Position von Öllinger an. Er bitte daher darum, die Anträge ordnungsgemäß einzubringen.

Klubobmann Ing. Westenthaler (BZÖ) wiederum sah keine Probleme, da es um zwei Anträge gehe, wobei einer wohl mehrheitlich angenommen wird und der andere nicht. NR-Präsidentin Dr. GLAWISCHNIG-PIESCZEK stellte schließlich fest, dass es von Seiten des Präsidiums keine Möglichkeit gebe, die Anträge inhaltlich zu überprüfen und sie daher zulässig sind. Sollte es tatsächlich Widersprüchlichkeiten geben, dann obliege es dem Verfassungsgerichtshof, diese zu korrigieren.

Abgeordnete Mag. PRAMMER (S) stellte in ihrer Wortmeldung zur Geschäftsordnung klar, dass, wenn zwei Anträge zu ein und demselben Gesetz beschlossen werden, beide Anträge gelten und an den Bundesrat weitergeleitet werden. Dieser habe dann zu entscheiden, ob er eine der Initiativen oder beide beschließen werde. Dann gebe es die Beurkundung durch den Bundespräsidenten. Die letzte Kundmachung, die getätigt wird, sei die gültige.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (V), der die Debatte über die Mehrwertsteuersenkung eröffnete, bezeichnete diese Maßnahme in Übereinstimmung mit Alexander van der Bellen als steuerpolitischen GAU. Von Haus aus sei klar gewesen, erinnerte er, dass dies EU-rechtlich nicht zulässig sei, zumal es bereits zwei begünstigte Mehrwertssteuersätze in Österreich gebe. Dazu komme noch, dass es der Mehrwertsteuersenkung an jeglicher sozialen Treffsicherheit fehle. Angesichts des größeren Konsums der Reichen laufe der SP-Vorstoß auf eine Umverteilung von unten nach oben hinaus. Stummvoll zeigte sich darüber hinaus überzeugt, dass die Senkung von den Handelsketten nicht weitergegeben werde, und kam zu dem Schluss, 1 Mrd. € würde damit "in den Rauchfang geschrieben". Als Alternative schlug er vor, diese Milliarde im Rahmen einer umfassenden Reform des Einkommens- und Lohnsteuerrechts einzusetzen.

Abgeordneter KRAINER (S) erwartete sich hingegen von dem SPÖ-Fünf-Punkte-Programm 1 % mehr Inlandsnachfrage, eine Steigerung des BIP um 0,5 % sowie 10.000 zusätzliche Arbeitsplätze. Hinsichtlich der Weitergabe der Senkung der Mehrwertsteuer verwies er auf das geplante Preismonitoring. Den Einwand der fehlenden sozialen Treffsicherheit ließ Krainer nicht gelten. Vielmehr hielt er der Volkspartei vor, die von ihr initiierten Beschlüsse hinsichtlich Schenkungs- und Erbschaftssteuer seien sozial nicht treffsicher gewesen.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) lehnte eine Senkung der Mehrwertsteuer ab und argumentierte, angesichts des fehlenden Wettbewerbs in Österreichs Lebensmittelhandel sei es geradezu abenteuerlich, eine Weitergabe der Senkung an die Konsumenten zu erwarten. Die Mehrwertsteuersenkung werde genauso versickern wie einst die Senkung der Getränkesteuer, warnte er. Für sinnvoller hielt es van der Bellen, die 1 Mrd. € für eine Senkung der Sozialversicherungsabgaben und der Lohn- und Einkommenssteuer im untersten Bereich einzusetzen.

Abgeordneter HOFER (F) verwies auf die grundsätzlich positiven Reaktionen der Vorstandschefs der großen Lebensmittelketten und deren Ankündigung, die Senkung sofort weiterzugeben. Er kündigte die Zustimmung seiner Fraktion zum SPÖ-Antrag an und erinnerte, die FPÖ sei immer schon für Steuersenkungen eingetreten. Verwundert zeigte sich Hofer über die Haltung des BZÖ, dem er vorwarf, im Parlament gegen die Senkung zu stimmen, in Kärnten jedoch Unterschriften dafür zu sammeln. An die Adresse der ÖVP gerichtet stellte er fest, wenn die Volkspartei gegen die Mehrwertsteuersenkung stimme, dann werde sie dies dem Bürger erklären müssen.

Abgeordneter SCHULTES (V) bezeichnete die Senkung der Mehrwertsteuer als Wahlversprechen, das schon vor der Wahl gebrochen werde, zumal, wie er betonte, diese Senkung nicht kommen werde. Die Maßnahme werde nicht weitergegeben, sie werde aber viel kosten, wobei das Geld den Gemeinden fehlen werde. Auch sei die Senkung der Mehrwertssteuer EU-rechtswidrig und werde ein Vertragsverletzungsverfahren nach sich ziehen. Die SPÖ wolle mit ihrem Vorstoß die Wähler "pflanzen", stand für Schultes fest. Die FPÖ wiederum freue sich, da sie dann ein halbes Jahr lang über die EU schimpfen kann, fügte der Redner an.

Abgeordneter WESTENTHALER (B) stellte fest, das BZÖ sei grundsätzlich für Steuersenkungen, meinte aber, es hätten sich in den letzten Tagen einige Rechtsunsicherheiten ergeben. So sei die Senkung der Mehrwertssteuer EU-rechtswidrig, sodass nicht garantiert werden könne, dass diese Maßnahme nicht bereits einige Monate nach der Wahl wieder aufgehoben werden müsse. Die SPÖ verspreche damit etwas, was sie gar nicht halten kann, kritisierte Westenthaler. Der Redner schlug deshalb in einem Antrag vor, die Initiative an den Finanzausschuss zurückzuverweisen, dort mit Experten zu diskutieren und dann "Nägel mit Köpfen" zu machen.

In einem B-V-Entschließungsantrag forderte Westenthaler statt der Mehrwertssteuersenkung eine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer vorzunehmen. Ein weiterer Antrag des BZÖ betraf die Senkung der Mehrwertssteuer auf Medikamente von 20 % auf 10 %.

Abgeordneter Mag. ROSSMANN (G) zeigte sich überzeugt, dass eine Senkung der Mehrwertssteuer angesichts des fehlenden Wettbewerbs im österreichischen Lebensmittelhandel nicht bei den Konsumenten ankommen werde, und zweifelte ebenfalls an der sozialen Treffsicherheit der Maßnahme. Was Österreich vor dem Hintergrund eines drohenden Konjunkturabschwunges nun brauche, sei vielmehr eine Senkung der Lohn- und Einkommensteuer, um die unteren und mittleren Einkommen zu entlasten. Finanziert werden sollte diese Maßnahme aus Steuern, die die Reichen und Superreichen treffen, meinte Rossmann.

Abgeordneter Mag. GASSNER (S) meinte, es gehe bei dem SPÖ-Antrag um eine Entlastung jener, die unter der Teuerung besonders leiden. Den Einwand, die Senkung der Mehrwertssteuer sei europarechtlich nicht möglich, bezeichnete er als Privatmeinung eines EU-Kommissars, wobei er daran erinnerte, dass es jetzt schon in einigen Mitgliedsländern mehr als zwei begünstigte Mehrwertssteuersätze gebe.

Ein von Gaßner eingebrachter Abänderungsantrag setzte den Zeitpunkt des Inkrafttretens der Senkung mit 1. 12. 2008 fest und präzisierte zudem den Begriff der Lebensmittel.

Abgeordneter AUER (V) lehnte den SP-Antrag als "Husch-Pfusch-Aktion" ab, wies auf die drohenden Einbußen für die Gemeinden hin und gab überdies zu bedenken, eine Zustimmung seitens der EU sei nicht zu erwarten. Hinsichtlich der Weitergabe erinnerte Auer an die Senkung der Getränkesteuer, die zu keinerlei Verbilligungen geführt habe.

Abgeordneter WEINZINGER (F) unterstützte hingegen die Mehrwertssteuersenkung auf Lebensmittel mit dem Argument, man könne dadurch den Haushalten 1 Mrd. € ersparen, und zeigte sich zuversichtlich, dass es möglich sein werde, durch entsprechende Preisüberwachung die Weitergabe sicherzustellen.

Abgeordneter Dr. MITTERLEHNER (V) stellte klar, die Senkung der Steuer werde zwar weitergegeben, die dadurch beabsichtigten Preissenkungen würden nicht nachhaltig sein. Fest stand für Mitterlehner überdies auch, dass die Preisumstellung die Unternehmen 20 bis 30 Mio. € kosten und bis 1. 12. gar nicht möglich sein werde.

FPÖ-Klubobmann STRACHE äußerte sich erstaunt darüber, dass sich das BZÖ, wie er sagte, "von einem EU-Kommissar leiten" lasse. Damit mache das BZÖ wieder einmal das Gegenteil von dem, was es versprochen habe, klagte er. Strache wandte sich vehement dagegen, vor der EU "in die Knie zu gehen", und betonte, viele Bürger hätten eine Entlastung notwendig. Die beantragte Rückverweisung des Gesetzesantrags an den Finanzausschuss wertete er als Ausflucht. 

Abgeordneter HÖRL (V) betonte, die ÖVP lehne die Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel aus gutem Grund ab. Für ihn ist diese Maßnahme der "größte anzunehmende Unsinn", da sie Unsummen koste und für sozial Schwache nur "Brosamen" bringe. Am meisten würden jene profitieren, die teure Lebensmittel kaufen. Massive Kritik übte Hörl an Infrastrukturminister und SPÖ-Spitzenkandidat Werner Faymann.

Abgeordneter KRAINER (S) brachte einen Abänderungsantrag zum Umsatzsteuergesetz ein, der seiner Darstellung nach ausschließlich technische Änderungen und legistische Richtigstellungen enthält. Krainer unterstützte das Vorhaben, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu halbieren.

Abgeordneter Mag. STADLER (o.F.) hielt in Richtung FPÖ-Klubobmann Strache fest, die Mehrwertsteuerrichtlinie der EU sage "klipp und klar", dass nur zwei reduzierte Mehrwertsteuersätze möglich seien. Man könne nicht so tun, als ob es die EU nicht gäbe, erklärte er. Die enge Zusammenarbeit zwischen SPÖ und FPÖ kritisierte Stadler neuerlich scharf. "Wer blau wählt, wählt rot", warnte er.

SPÖ-Klubobmann Dr. CAP wertete es als unangebrachte Unterstellung seitens der ÖVP, dass der Handel eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel nicht an die KonsumentInnen weitergeben würde. Die Ablehnung der Maßnahme durch den zuständigen EU-Kommissar bezeichnete er als Einzelmeinung. Er selbst vertrat in dieser Sache eine andere Rechtsauffassung. Cap präsentierte auch einen Entschließungsantrag des Kärntner Landtags, in dem mit den Stimmen der SPÖ und des BZÖ eine Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Lebensmittel gefordert wird.

Finanzminister Mag. MOLTERER warf der SPÖ vor, in völlig neuer Art und Weise eine Anti-EU-Stimmung in der Bevölkerung zu schüren. Zudem machte er geltend, dass eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel sozial nicht treffsicher wäre.

G-Klubobmann Dr. VAN DER BELLEN zeigte sich befriedigt darüber, dass die Mehrheit des Nationalrats der "rot-blauen Scheinlösung" nicht zustimmen werde. Eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel hätte nichts bewirkt und wäre "sauteuer" gewesen, argumentierte er. Zudem geht es seiner Meinung nach nicht an, denjenigen, die die Mehrwertsteuersenkung ablehnen, pauschal zu unterstellen, kein soziales Gewissen zu haben. Als "nebensächlich" wertete es Van der Bellen, ob die Mehrwertsteuersenkung nun den EU-Regeln entsprochen hätte oder nicht.

Die Anträge des BZÖ, die von SPÖ und FPÖ beantragte Änderung des Umsatzsteuergesetzes sowie die Änderung des Preisgesetzes und des Preisauszeichnungsgesetzes an den Finanzausschuss rückzuverweisen, wurden mehrheitlich angenommen. Damit ist das Vorhaben, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel zu halbieren, vorerst gescheitert.

Mit Stimmenmehrheit wurde der Antrag des BZÖ beschlossen, die Mehrwertsteuer auf Medikamente von 20 % auf 10 % zu senken.

S-B-Antrag auf Steuerfreiheit für Reisediäten

Abgeordneter Mag. ROSSMANN (G) erinnerte daran, dass die Grünen die vorliegende Gesetzesänderung schon einmal abgelehnt hätten, da es verfassungsrechtliche Bedenken gebe. Er zeigte in diesem Sinn kein Verständnis dafür, dass nunmehr auch noch die ursprüngliche Befristung der Regelung aufgehoben werden solle.

Abgeordneter HABERZETTL (S) brachte einen Abänderungsantrag zum Einkommensteuergesetz ein, der, wie er sagte, lediglich legistische und grammatikalische Richtigstellungen enthält. Begründet wurde die Gesetzesänderung von ihm damit, dass die Betroffenen nicht unnötig steuerlich belastet werden sollten. 

Abgeordnete TAMANDL (V) sprach sich dafür aus, im Rahmen der geplanten Steuerreform die Frage der Reisekosten generell neu zu regeln. Arbeitnehmerinnen, die gezwungen seien, Dienstreisen zu machen oder regelmäßig auf Baustellen zu arbeiten, sollten entlastet werden.

Abgeordneter WEINZINGER (F) kündigte die Zustimmung seiner Fraktion zur vorliegenden Gesetzesänderung an. Gleichzeitig unterstrich er allerdings, dass das österreichische Steuerrecht einer generellen Reform unterzogen werden müsse.

Abgeordneter BUCHER (B) signalisierte ebenfalls Unterstützung des Antrags durch seine Fraktion. Darüber hinaus brachte er zwei Abänderungsanträge zum Einkommensteuergesetz und einen Entschließungsantrag ein. Zum einen beantragt das BZÖ gemeinsam mit der ÖVP, statt wie bisher die Zuschläge für die ersten fünf Überstunden die Zuschläge für die ersten zehn Überstunden im Monat – bis maximal 86 € - ab Jänner 2009 steuerfrei zu stellen. Zum anderen fordern Bucher und seine FraktionskollegInnen einen Seuerbonus für alle Lohn- und Einkommensteuerpflichtigen von 200 € für das Jahr 2008, plus 50 € für jedes Kind, sowie die Einrichtung eines Heizkostenausgleichsfonds zur Unterstützung für alle BürgerInnen. Der Entschließungsantrag, der auch von der ÖVP mitgetragen wird, zielt auf eine ehestmögliche Senkung der Lohn- und Einkommensteuer in der Höhe jener Summe ab, die für die Senkung der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel aufzuwenden gewesen wäre.

Bei der Abstimmung wurde der S-B-Antrag  - nach Annahme von Abänderungsanträgen – in Dritter Lesung mehrheitlich angenommen. Zusatz- und Abänderungsanträge des BZÖ waren in Zweiter Lesung abgelehnt worden. Der V-B-Entschließungsantrag betreffend ehestmögliche Senkung der Lohn- und Einkommensteuer wurde mehrheitlich angenommen.

(Schluss Mehrwertsteuer/Forts. NR)