Parlamentskorrespondenz Nr. 433 vom 18.05.2009

Klimawandel und Konflikte um Energie und Wasser bedrohen die Welt

Hassan bin Talal für neue umfassende Sicherheitspolitik

Wien (PK) - Der Ad Hoc Ausschuss der Euro-Mediterranen Parlamentarischen Versammlung für Energie und Umwelt trat heute unter der Leitung seines Vorsitzenden Stefan Schennach im Parlament zu einer Sitzung mit dem Thema "Solar- und erneuerbare Energien" zusammen. Die Euro-Mediterrane Versammlung begleitet den "Barcelona-Prozess" zur Zusammenarbeit zwischen Europa und den mediterranen Ländern parlamentarisch und stellt überdies ein Dialogforum zwischen den arabischen Partnern der EU und Israel dar. Auf dem Programm der heutigen Sitzung stehen Vorträge und Präsentationen im Hohen Haus. Am Vormittag sprach unter anderen auch der jordanische Kronprinz Hassan bin Talal, am Nachmittag wird das technisch, wirtschaftlich und politisch zukunftsweisende Projekt "Sauberer Strom aus der Wüste" präsentiert. Morgen Dienstag werden die Tagungsteilnehmer ihre Arbeit in der durch Nutzung erneuerbarer Energieträger energieautark gewordenen Stadt Güssing im Burgenland fortsetzen und dort auch das "Europäische Zentrum für erneuerbare Energien" besichtigen. 

In seiner Begrüßungsansprache hielt der Bundesratspräsident Harald Reisenberger fest, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung dürfen angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise nicht mit weniger Engagement als bisher verfolgt werden. "Das weitere Entwickeln von Technologien, die den Anteil an erneuerbaren Energien steigern helfen, ist auch eine Chance, in einem Bereich mit noch sehr viel Potenzial Arbeitsplätze zu schaffen und die Wirtschaft zu fördern".

Als ein ausgezeichnetes Beispiel dafür nannte Reisenberger das Projekt "Sauberer Strom aus der Wüste" der DESERTEC-Stiftung. Die Sonne sei nicht nur eine auf absehbare Zeit unerschöpfliche Energiequelle, führte der Bundesratspräsident aus, ihre Nutzung lasse überdies – anders als bei Erdöl und Wasserkraft – keine politischen Konflikte erwarten. Für den "Barcelona-Prozess" habe dies auch deshalb große Bedeutung, weil er arabischen EU-Partnern und Israel ein gemeinsames Dialog-Forum biete. Bedauerlicherweise haben ungelöste Probleme in der Region bisher Fortschritte auf dem Weg zur Zusammenarbeit verhindert, sagte Präsident Reisenberger. Seit dem Ausbruch der Gaza-Krise sei die Kooperation über das Mittelmeer hinweg beeinträchtigt. "Mare nostrum - unser Meer" haben die Römer das Mittelmeer genannt, erinnerte der Bundesratspräsident und beklagte, es habe im Barcelona-Prozess am 23. April erstmals seit Dezember 2008 wieder ein Treffen der Hohen Beamt/innen gegeben, es sei aber nicht absehbar, wann das nächste wieder zustande kommen kann. "Derzeit sind auch keine Termine für Ministertreffen bestätigt", berichtete Harald Reisenberger.

Vor diesem Hintergrund sprach Harald Reisenberger der Euro-Mediterranen Parlamentarischen Versammlung eine Vorreiterrolle zu und dankte allen Mitgliedern und Partnern des Ad Hoc-Ausschusses dafür, nach Wien gekommen zu sein. "Ich sehe darin auch eine Wertschätzung für mein Land, das sich seit Bruno Kreisky dem Nahen und Mittleren Osten sowie den Ländern Nordafrikas besonders verbunden fühlt und diese Tradition auch weiterführen möchte."

Hassan bin Talal für multilaterale Weltordnung auf regionaler Basis

Als erstem Referenten erteilte Ausschussvorsitzender Stefan Schennach dem jordanischen Kronprinzen Hassan bin Talal das Wort. Der Onkel des regierenden jordanischen Königs gilt als ein führender Intellektueller der arabischen Welt, ist ein überzeugter Humanist, fungierte bis 2007 als langjähriger Präsident des Club of Rome und engagiert sich leidenschaftlich im globalen Dialog der Kulturen und Religionen. Im österreichischen Parlament erinnert man sich an Hassan bin Talals inspirierende Rede nach den Ereignissen des 11. September 2001. Damals hatte der Autor zahlreicher Bücher zu historischen und politischen Themen über die Gemeinsamkeiten der drei abrahamitischen Religionen – Judentum, Christentum und Islam – gesprochen und nachdrücklich dafür plädiert, das Gemeinsame im Interesse des Friedens über das Trennende zu stellen.

Heute sprach Hassan bin Talal über die Herausforderung, die Belastung der Umwelt des Planeten Erde soweit zu reduzieren, dass sie auch noch in vierzig Jahren imstande sein werde, zehn Milliarden Menschen zu ernähren und ausreichend Nahrung, Wasser und Energie zu liefern.

Zunächst wies Hassan bin Talal auf die Bedeutung der Ozeane als Verkehrswege für den Welthandel hin und machte darauf aufmerksam, dass 90 % des globalen Güteraustausches über die Meere und 65 % der Öltransporte per Schiff abgewickelt werden. In Zukunft werde die Bedeutung des Indischen Ozeans als Verkehrsweg enorm zunehmen, prognostizierte Hassan bin Talal und warnte vor Engpässen an den Meerengen rund um die arabische Halbinsel. Innerhalb der nächsten 25 Jahre werde der globale Energiebedarf um 40 % steigen und die Hälfte dieser Zunahme werde von Indien und China ausgehen. Hinsichtlich der Energiesicherheit werde daher der Indische Ozean den global verwundbarsten Punkt darstellen und drohe zu einem Krisenherd akuter Ressourcenkonflikte zu werden. Zunehmen werde auch die Zahl von Ölpipelines, wobei sich Hassan bin Talal weniger um die Sicherheit der Pipelines besorgt zeigte, als um die Sicherheit der Menschen, die in der Nähe dieser Pipelines leben.

Wir stehen vor einer Krise, die über die Dichotomie von Regierung und Markt hinausgehe, sagte Hassan bin Talal und sprach die Hoffnung aus, Möglichkeiten für ein effektives Management dieser Krise jenseits der Beschränkungen eines Denkens zu finden, das sich auf nationalstaatliche Begriffe reduziere. Dies sei eine der Leitideen des West Asien-Nordafrika-Forums (WANA), das er kürzlich in Amman eröffnet habe. "Warum sollten wir zwischen Massenarbeitslosigkeit und dem Zusammenbruch des ökologischen Gleichgewichts wählen müssen?", fragte der Redner, und nannte es eine Notwendigkeit, die Managementregeln zu verändern, um die drohende Katastrophe zu verhindern. Einen Ausweg sah Hassan bin Talal in der Einrichtung regionaler Identitäten, wobei er sich vom Helsinki-Prozess, der zu neuen Formen der Zusammenarbeit ermutige, inspiriert zeigte. Es gehe um eine Zusammenarbeit von Vertretern unterschiedlicher Interessen, die nicht von ideologischen Fragen bestimmt werde, sondern vom Engagement für das gedeihliche Zusammenleben der Menschen in einer Region.

Die WANA-Region sah Bin Talal dabei in der Mitte zwischen der Euro-Atlantischen Region und der ESCAP (Economic and Social Commission for Asia and the Pacific), wobei er davor warnte, die bisher vorherrschende unilaterale Politik fortzusetzen, die multilaterale Realitäten ebenso ignoriere wie regionale. Der Klimawandel und die mit Klima- und Energiefragen zusammenhängenden Sicherheitsprobleme kümmerten sich nicht um die Grenzen von Staaten. Daher gehe von der fortwährenden Vergeudung fossiler Rohstoffe eine existenzielle Bedrohung aus.

Zudem drohe der zunehmende Wassermangel den Charakter unserer Weltordnung insofern zu verändern, als grenzüberschreitende Ressourcenkonflikte ohnehin schon fragile Regionen weiter zu destabilisieren drohten. Zugleich könne beobachtet werden, dass die Schuldenkrise in den USA und deren schwindende moralische Autorität die Rolle der USA als demokratisches Vorbild mindere. Vor diesem Hintergrund unterstrich Hassan bin Talal die Notwendigkeit einer Politik der guten Nachbarschaft und bewertete die neue Energiepolitik der Europäischen Union mit ihrem Fokus auf Diplomatie, Diversifizierung der Energieversorgung, Energieeffizienz und erneuerbare Energieträger positiv. Was aber sowohl der NATO als auch der EU fehle, sei eine umfassende Strategie für den Umgang mit den Sicherheitsaspekten, die mit Energiefragen verbunden sind.  

Im Hinblick auf die Vorbereitungen des UN-Klimagipfels in Kopenhagen im kommenden Dezember sprach Hassan bin Talal sein Bedauern darüber aus, dass keine Vertreter der WANA-Region - weder die arabischen Staaten, noch Israel, Iran und Türkei - in diese Konferenz einbezogen wurden. Ein interregionales Treffen sei aber unvermeidlich. Denn es drohe eine gewaltsame Auseinandersetzung um schwindende Ressourcen. Zu vermeiden sei dieser Konflikt nur durch eine Zusammenarbeit für eine präventive Sicherheitsstrategie mit folgenden Elementen: Eine EU-WANA-Wasser- und Energiegemeinschaft, die Einrichtung eines Sozialen Förderungsfonds und eine regionale Sicherheitsorganisation. Durch diese Zusammenarbeit will Hassan bin Talal eine authentische Regionalpolitik verwirklichen.

Weit oben auf der Tagesordnung steht für Hassan bin Talal dabei die Gründung einer supranationalen, unparteiischen Wasser- und Energiegemeinschaft, die einen institutionellen Rahmen für die Entwicklung eines neuen Managements zum Schutz gemeinsamer Ressourcen schafft. Das sei keine nur "grüne" Idee, denn es gehe dabei auch um eine nachhaltige Perspektive für die ganze Wirtschaft.

In diesem Zusammenhang erinnerte Hassan bin Talal an die Präsentation der DESERTEC-Initiative vor zwei Jahren in Brüssel und wies einmal mehr darauf hin, dass die Sonne die größte verfügbare, aber am wenigsten genutzte Energiequelle der Erde sei. Sie biete 700 Mal mehr Energie, als die Menschheit derzeit in Form von fossilen Brennstoffen nutze. DESERTEC ziele darauf ab, die reichen Energiequellen in Wüstenregionen - Sonne und Wind - zu nutzen und die so gewonnene Energie mit Hochspannungsleitungen, die auf tausend Kilometer nur 5 % Energieverlust aufweisen, in die Verbraucherzentren zu transportieren. Experten errechneten laut Bin Talal, dass Solarkraftwerke innerhalb von 40 Jahren mehr als die Hälfte des elektrischen Stroms liefern könnten, den die EU-WANA-Region brauche. Die Vorteile des Projekts reichten weit über die Sphäre der Energieversorgung hinaus. Denn die Verfügbarkeit elektrischen Stroms würde es erlauben, mit Hilfe von Meerwasserentsalzungsanlagen die zunehmende Wasserknappheit der Region zu überwinden. DESERTEC verspreche auch eine Vielzahl von Arbeitsplätzen zu schaffen. Beim Bau eines einzigen 250 MW Sonnenkraftwerks können tausend Arbeiter und Ingenieure für mehrere Jahre beschäftigt werden, stellte Hassan bin Talal in Aussicht.

Eine regionale Organisation für die Wasserwirtschaft sei notwendig, weil der Klimawandel dazu führen werde, dass bis 2025 fünf Milliarden Menschen von Wassermangel betroffen sein werden. Wenn man die Flucht von Millionen Menschen und verstärkten Migrationsdruck vermeiden möchte, müsse man effiziente Organisationen schaffen, die imstande seien, Wasser und andere lebensnotwendige Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Seine Forderung nach Einrichtung eines Sozialen Förderungsfonds begründete Hassan bin Talal mit seiner Kritik an der Beschränkung des ECOSOC der Vereinten Nationen auf Maßnahmen gegen Sicherheitsbedrohungen. Es sei nicht hinzunehmen, dass der ECOSOC weiterhin als Stiefkind des Sicherheitsrates betrachtet werde. Es gehe darum, die Bedrohungen wahrzunehmen, die es darstelle, wenn drei Viertel der Weltbevölkerung unter sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen leben müssen, die als Angriff auf ihre menschliche Würde zu werten sind. Solidarität mit den Armen bedeute, ihr legitimes Recht auf eine bessere Energieversorgung, die leistbarer, gesünder, verlässlicher und nachhaltiger ist, anzuerkennen.

Eine regionale Sicherheitsorganisation soll einem neuen Sicherheitsdenken entsprechen, das den traditionellen, staatenzentrierten und auf einen "harten Begriff" von Sicherheit beschränkten Vorstellungen im Hinblick auf die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen in der Region überwindet und zu einem Element umfassender Sicherheitsprävention wird. "Der Maßstab der Glaubwürdigkeit für unser Eintreten zugunsten der Freiheit ist unsere Bereitschaft, Verantwortung für das Wohl unseres Nachbarn und für das Gesamtwohl zu übernehmen", schloss Kronprinz Hassan bin Talal.

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie – etwas zeitverzögert – auf der Website des Parlaments im Fotoalbum : www.parlament.gv.at (Schluss)