Parlamentskorrespondenz Nr. 669 vom 13.07.2009

Nationalrat: Bilanz über die erste Tagung der XXIV. Legislaturperiode

Knapp 45 % der Gesetzesbeschlüsse einstimmig

Wien (PK) – Mit heutigem Tag geht die erste Tagung der XXIV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrats zu Ende. Sie war vor allem durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, aber auch durch die Bildung einer neuen rot-schwarzen Regierung unter Bundeskanzler Werner Faymann und durch die nicht abreißende Kritik an Drittem Nationalratspräsidenten Martin Graf geprägt. Insgesamt verabschiedeten die Abgeordneten in dieser Tagung 98 Gesetze, davon knapp 45 % Prozent einstimmig. Mehr als 268 Stunden tagte das Plenum des Nationalrats, dazu kommen 131 Ausschuss- und 32 Unterausschusssitzungen. Auffallend hoch war die Zahl der Schriftlichen Anfragen an Regierungsmitglieder (2.825). Vor allem Anfrageserien werden bei der Opposition immer beliebter.

Viele der im abgelaufenen Arbeitsjahr beschlossenen Gesetze stehen in Zusammenhang mit der Wirtschafts- und Finanzkrise. So verabschiedeten die Abgeordneten noch am Tag ihrer Angelobung ein umfassendes Konjunkturbelebungspaket mit einer Reihe von Maßnahmen zugunsten der mittelständischen Wirtschaft. Zahlreiche weitere Maßnahmen wie eine umfangreiche Steuerentlastung durch die Steuerreform 2009, die Bereitstellung von Milliardenbeträgen für Infrastrukturprojekte, die Gewährung von Staatsgarantien für große Unternehmen im Ausmaß von 10 Mrd. €, die Ausdehnung der Kurzarbeit, ein Paket gegen die steigende Jugendarbeitslosigkeit, die Förderung thermischer Sanierungen und die Einführung einer Verschrottungsprämie für Altautos bei gleichzeitigem Neuwagenkauf folgten. Ebenso wurden Politikergehälter bis Anfang 2011 eingefroren, der Anlegerschutz beim Wertpapierhandel verbessert und, zur Entlastung des Arbeitsmarkts, der Zugang zur Altersteilzeit erleichtert.

Darüber hinaus verabschiedete der Nationalrat in der vergangenen Tagungsperiode ein Familienrechtspaket zur Stärkung der Rechte in Patchworkfamilien und ein Sanierungspaket für die Krankenkassen, beschloss eine Ausweitung des Gewalt- und Opferschutzes, eine bessere soziale Absicherung für pflegende Angehörige und ein schärferes Vorgehen gegen Alkolenker, Raser und Drängler im Straßenverkehr, stimmte für die Einführung eines verpflichtenden Kindergartenjahres ab 2010, nahm umfassende Adaptierungen am Universitätsgesetz vor und regelte das humanitäre "Bleiberecht" für bereits lange in Österreich lebende Ausländer neu. Auch eine Ausweitung des Schulversuchs Neue Mittelschule, eine Novelle zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, geänderte Strukturen bei den ÖBB, die Einführung neuer Reisepässe mit gespeicherten Fingerabdrücken, die Einrichtung eines Bundesamtes zur Korruptionsbekämpfung im Innenressort, eine neue Marktordnung im Agrarsektor, die Entschärfung der rigiden Antikorruptionsbestimmungen im Strafrecht und neue Haftungsregelungen für erhebliche Umweltschäden gehören zu den Gesetzesbeschlüssen.

Für das im Mai beschlossene Doppelbudget für die Jahre 2009 und 2010 galten erstmals die neuen haushaltsrechtlichen Bestimmungen. Sie sollen im Endausbau eine wirkungsorientierte Haushaltspolitik und eine geschlechtergerechte Gestaltung des Budgets bringen. Dazu kommen ein neuer verbindlicher vierjähriger Finanzrahmen sowie eine Erweiterung und Vertiefung der begleitenden Haushaltskontrolle durch den Budgetausschuss des Nationalrats. Anhand einer Vielzahl neuer Berichte zum Budgetvollzug können die Abgeordneten die Entwicklung des Budgets zeitnäher denn je kontrollieren.

Bei der konstituierenden Sitzung des Nationalrats wurden Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Zweiter Nationalratspräsident Michael Spindelegger mit breiter Mehrheit wiedergewählt. Spindelegger wechselte kurze Zeit später allerdings ins Außenministerium und wurde im Präsidium des Nationalrats von Fritz Neugebauer abgelöst. Bei der Wahl zum Dritten Präsidenten konnte sich Martin Graf durchsetzen – Proteste der Grünen wegen vorgeblich markierter Stimmzettel fanden kein Gehör. Graf kam in weiterer Folge allerdings durch umstrittene Aussagen und Handlungen sowie durch verschiedene Vorkommnisse in seinem Umfeld massiv unter Beschuss und wurde von mehreren Seiten mit Rücktrittsaufforderungen konfrontiert.

Dass die Regierungsparteien durch die neue Mandatsverteilung – 57 SPÖ, 51 ÖVP, 34 FPÖ, 21 BZÖ, 20 Grüne – nicht mehr über eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat verfügen, zeitigte bereits Auswirkungen. So wurde ein Gesetzentwurf, der auf eine Lockerung des Bankgeheimnisses bei der Verfolgung ausländischer Steuersünder in Österreich abzielt, an den Finanzausschuss zur weiteren Beratung zurückverwiesen, nachdem er an der Hürde Zweidrittelmehrheit zu scheitern drohte. Die Koalitionsparteien hoffen nun, über den Sommer eine Einigung mit zumindest einer Oppositionspartei zu erzielen. Aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Nationalrats kann der Finanzausschuss auch in der tagungsfreien Zeit jederzeit zu einer Sitzung einberufen werden.

Auch der in der letzten Sitzung vor Tagungsende eingesetzte Untersuchungsausschuss zur Abhör- und Bespitzelungsaffäre im Bereich des Parlaments wird im Sommer arbeiten. Er soll unter anderem der Frage nachgehen, ob Abgeordnete in der laufenden und in der vergangenen Legislaturperiode gesetzwidrig überwacht wurden. Auslöser für die Affäre war die bekannt gewordene Rufdatenerfassung eines von Abgeordnetem Peter Westenthaler (B) benutzten Handys. Außerdem wirft die FPÖ den Grünen vor, in Bespitzelungen involviert zu sein.

Rund ein Viertel der 183 Abgeordneten zog im Oktober 2008 erstmals in den Nationalrat ein. Der Frauenanteil unter den MandatarInnen ging mit rund 27 % deutlich zurück. Die geänderte Zusammensetzung des Nationalrats hat auch eine neue Sitzordnung im Plenarsaal bewirkt: Grüne und FPÖ haben Platz getauscht. Zum Ende der Tagungsperiode wurde mit Helene Jarmer erstmals eine gehörlose Abgeordnete im Nationalrat angelobt.

Die neue Regierung unter Bundeskanzler Werner Faymann stellte sich am 3. Dezember dem Nationalrat vor und präsentierte ihr Regierungsprogramm. Mit Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, Gesundheitsminister Alois Stöger, Außenminister Michael Spindelegger, Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek befand sich gleich eine ganze Reihe neuer Gesichter im Regierungsteam. Etwas verspätet wurde Justizministerin Claudia Bandion-Ortner angelobt. In Folge des Regierungsübereinkommens kam es auch zu einzelnen Kompetenzverschiebungen zwischen den Ressorts: der Bereich Arbeit wanderte ins Sozialministerium, dem Wirtschaftsministerium wurde stattdessen die Zuständigkeit für Familienangelegenheiten zugeordnet. Im Verteidigungsressort sind nun auch die Sportagenden angesiedelt.

Kurzfristig für Aufregung sorgte die Vorgehensweise der ÖVP bei der Marathonsitzung des Nationalrats am 27. Februar. Um eine Dringliche Anfrage des BZÖ in den frühen Morgenstunden zu verhindern, brachte die ÖVP selbst eine Dringliche Anfrage ein, zog diese in weiterer Folge jedoch wieder zurück. BZÖ und Grüne sprachen daraufhin von einer "Biegung" der Geschäftsordnung. Besonders hoch gingen die Emotionen auch nach einer Rede von SPÖ-Abgeordnetem Christian Faul, in der er BZÖ-Abgeordneten Gerald Grosz heftig verbal attackierte.

Außergewöhnlich, wenn auch kein Novum in der Parlamentsgeschichte, war auch die Nichtzulassung einer schriftlichen Anfrage von G-Abgeordnetem Peter Pilz an Unterrichtsministerin Claudia Schmied. Nationalratspräsidentin Barbara Prammer begründete ihre Entscheidung damit, dass sie das Ansehen des Hauses zu wahren habe. Die FPÖ kritisierte, dass auf der Website des Parlaments in Einzelfällen aus Datenschutzgründen Namen in Schriftlichen Anfragen und Anfragebeantwortungen unkenntlich gemacht wurden.

98 Gesetzesbeschlüsse in 32 Sitzungen

Statistisch betrachtet gab es im abgelaufenen Parlamentsjahr keine besonderen Auffälligkeiten, sieht man von der nach wie vor enorm hohen Zahl von schriftlichen Anfragen ab. Sowohl Zahl und Dauer der Sitzungen als auch die Zahl der Gesetzesbeschlüsse bewegten sich in einem für eine verkürzte Tagungsperiode üblichen Rahmen.

Insgesamt traten die Abgeordneten in der Tagung 2008/09 zu 32 Plenarsitzungen mit einer Gesamtdauer von 268 Stunden und 34 Minuten zusammen. Dabei verabschiedeten sie 98 Gesetze und genehmigten 23 Staatsverträge sowie eine Vereinbarung mit den Bundesländern. 15 Berichte der Regierung, des Rechnungshofs und der Volksanwaltschaft wurden zur Kenntnis genommen. 44,9 % Prozent der Gesetzesbeschlüsse erfolgten einstimmig.

4 Dringliche Anfragen, 7 Aktuelle Stunden, 2 Misstrauensanträge

Im Rahmen der Plenarsitzungen hielten die Abgeordneten weiters 7 Aktuelle Stunden und 5 Fragestunden mit 33 Fragen und 132 Zusatzfragen ab. Dazu kommen drei Erklärungen von Regierungsmitgliedern. 40 Gesetzesanträge wurden in Erste Lesung genommen. In 44 Entschließungen erhielt die Regierung Arbeitsaufträge vom Nationalrat.

Auf Verlangen der Opposition nahm der Nationalrat darüber hinaus 4 Dringliche Anfragen (1 F, 3 G) und 5 Dringliche Anträge (2 F, 2 B, 1 G) in Verhandlung. Weiters hielt er 20 Kurze Debatten (5 F, 5 B, 10 G) zu schriftlichen Anfragebeantwortungen der Regierung, Fristsetzungsanträgen und Anträgen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ab.

Die Grünen konnten sich dabei mit ihrer Forderung, in Zusammenhang mit einem Betrugsfall bei der Bundesbuchhaltungsagentur einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, nicht durchsetzen. Auch zwei Misstrauensanträge gegen Innenministerin Maria Fekter, einer seitens der Grünen und einer seitens des BZÖ, scheiterten.

Von den drei Sondersitzungen des Nationalrats in dieser Tagung fanden zwei auf gemeinsames Verlangen der Opposition und eine auf Verlangen des BZÖ statt. Dabei thematisiert wurden die schwierige Lage in staatsnahen Betrieben und beim ORF. Das BZÖ warf der Regierung vor, bezüglich der Wirtschaftskrise untätig zu sein.

131 Ausschusssitzungen und 32 Unterausschusssitzungen

Zu den Plenarsitzungen kommen 131 Ausschusssitzungen und 32 Sitzungen von Unterausschüssen. Dabei wurden zusätzlich zu den im Plenum beratenen Berichten der Bundesregierung 31 weitere Berichte zur Kenntnis genommen und kamen nicht mehr ins Plenum.

Die Bewältigung der Wirtschaftskrise stand auch bei den Beratungen des für EU-Fragen zuständigen Hauptausschusses im Vordergrund. Darüber hinaus ging es unter anderem um die Rettung des Vertrags von Lissabon durch ein zweites Referendum in Irland, die Neubestellung von EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso in Folge der Wahlen zum Europäischen Parlament, die geplante EU-weite Harmonisierung des Asylrechts und die Bestellung von Ex-Justizministerin Maria Berger als Richterin beim EuGH.

Zur Vorberatung der seit Jahren diskutierten Verwaltungsreform wurde ein eigener Unterausschuss eingesetzt, der bereits im Sommer seine Arbeit aufnehmen soll. Erstes Thema des Unterausschusses wird die Reform der Schulverwaltung sein.

Erste Erfolge konnte das Geschäftsordnungskomitee erzielen, das zur Vorberatung der Reform der Geschäftsordnung des Nationalrats eingerichtet wurde. Der Nationalrat beschloss auf Basis von Empfehlungen des Komitees unter anderem, die Fragestunde lebhafter zu gestalten, sämtliche Ausschussberatungen über Berichte der Regierung öffentlich zu machen und das Mindestalter für die Unterstützung einer parlamentarischen Bürgerinitiative auf 16 zu senken. Auch über eine Neugestaltung von EU-Debatten im Nationalrat gibt es bereits eine grundsätzliche Einigung. Wenig Fortschritte sind hingegen bis dato in Bezug auf die Reform der Verfahrensordnung für Untersuchungsausschüsse zu verzeichnen.

Die Präsidialkonferenz trat in der Tagung 2008/2009 zu 13 Sitzungen zusammen.

Mit insgesamt 30 Petitionen und 12 Bürgerinitiativen wandten sich die BürgerInnen direkt an das Hohe Haus.

Fast 3.000 schriftliche Anfragen

Die Zahl der schriftlichen Anfragen ist weiter enorm hoch. Zwar wurde die Rekordzahl vom vergangenen Jahr nicht ganz erreicht, 2.825 Anfragen an Regierungsmitglieder bedeuten aber Platz 2 im langjährigen Ranking. Grund dafür ist nicht zuletzt eine ganze Reihe von Anfrageserien, die bei der Opposition offenbar immer beliebter werden. Dabei werden entweder an alle Ministerien die gleichen Anfragen gestellt oder ein Ministerium mit Dutzenden Anfragen zu einem Themenblock konfrontiert. Die Palette reicht etwa von Cross-Border-Leasing-Geschäften und den Frauenanteil in diversen Gremien über die Kriminalitätsentwicklung in einzelnen Bezirken und die Nutzung von Bundesheer-Gebäuden bis hin zur Teilnahme der MinisterInnen an "VIP-Veranstaltungen" und an Jagdausflügen.

Insgesamt wurden von den Abgeordneten, die Anfragen an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und Rechnungshofpräsident Josef Moser mitgerechnet, bis zum Ende der letzten Sitzung am 10. Juli 2.856 schriftliche Anfragen eingebracht. Die mit Abstand am meisten Anfragen gehen dabei auf das Konto der FPÖ (1.517), gefolgt von den Grünen (529) und dem BZÖ (520). Von Seiten der SPÖ wurden insgesamt 253 Anfragen gestellt, von der ÖVP 37.

An der Spitze der Anfragesteller liegt erstmals – mit 330 Anfragen – BZÖ-Abgeordneter Gerald Grosz, der sich für Postenvergaben in einzelnen Ressorts genauso interessierte wie für die Telefonkosten der Ministerien und die "Reisesucht" der Vorgängerregierung. Ihm folgen die FPÖ-Abgeordneten Harald Vilimsky (218) und Mario Kunasek (164) sowie SPÖ-Abgeordneter Johann Maier (149).

Besonderes Interesse zeigten die MandatarInnen neben dem Innenministerium (566 Anfragen) für das auch für Sport zuständige Verteidigungsministerium (272), das Justizministerium (251) und das Gesundheitsministerium (234). Immerhin noch 73 Anfragen wurden an das am Ende der Liste rangierende Frauenressort gestellt. An Nationalratspräsidentin Barbara Prammer richteten die Abgeordneten 25 schriftliche Anfragen, an Rechnungshofpräsident Josef Moser 6.

Darüber hinaus war das Hohe Haus auch im abgelaufenen Parlamentsjahr wieder Ort zahlreicher Veranstaltungen und internationaler Kontakte (siehe PK Nr. 670/2009 und PK-Nr. 671/2009). (Fortsetzung)