Parlamentskorrespondenz Nr. 1043 vom 26.11.2009
Tschechische Senatsmitglieder zu Besuch im Hohen Haus
Wien (PK) - Eine Delegation des Verfassungsausschusses des tschechischen Senats, die sich vom 26. bis 27. November in Österreich aufhält, wurde heute Vormittag von Bundesrat Albrecht Konecny (S) im Hohen Haus empfangen. Im Mittelpunkt der Aussprache standen vor allem die Auswirkungen des Lissabon-Vertrags auf die EU-Mitgliedstaaten, die Ausnahmebestimmungen für Tschechien in Bezug auf die Benes-Dekrete sowie das Atomkraftwerk Temelin. Von österreichischer Seite nahmen noch die Abgeordneten Peter Wittmann (S) und Werner Herbert (F) sowie Bundesrat Franz Eduard Kühnel (V) an der Unterredung teil.
Bundesrat Konecny (S) informierte die Gäste aus Tschechien zunächst über das österreichische Gesetzgebungsverfahren und die Kompetenzen des Bundesrats sowie über die konkrete politische Arbeit in der Länderkammer. Was den Stand der Umsetzung des Lissabon-Vertrags angeht, so sei Tschechien um einiges weiter, da in Österreich aufgrund der momentanen Blockade durch die Oppositionsparteien die erforderlichen Verfassungsbestimmungen sowie die Änderungen der Geschäftsordnungen noch nicht beschlossen werden konnten. Auch Abgeordneter Peter Wittmann (S), der Obmann des Verfassungsausschusses des Nationalrats, wies auf die derzeitige Pattstellung in Verfassungsangelegenheiten hin. Er zeigte sich jedoch überzeugt, dass es sich dabei nur um ein temporäres Problem handelt.
Der Leiter der tschechischen Delegation, Senator Jaroslav Kubera (Demokratische Bürgerpartei), vertrat eine sehr europakritische Position und war der Auffassung, dass der Lissabon-Vertrag eine viel zu starke Kompetenzverschiebung nach Brüssel zur Folge habe und dass vor allem die kleinen Staaten kaum mehr etwas mitzureden hätten. Jirina Rippelova (Sozialdemokratische Partei) und andere Delegationsmitglieder befürworteten hingegen den europäischen Integrationsprozess sowie die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags.
Abgeordneter Werner Herbert (F) betonte zunächst die guten bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern, die sich in den letzten Jahren aufgrund der Intensivierung der grenzüberschreitenden Kooperationen noch vertieft haben. Allerdings müsse er auch zwei kritische Themen ansprechen, nämlich das AKW Temelin, wo der Melker Prozess ins Stocken geraten sei, sowie die Benes-Dekrete, für die Tschechien Ausnahmeregelungen von der Grundrechtscharta erreicht habe.
Jaroslav Kubera, der Obmann des Verfassungsausschusses im Senat, räumte ein, dass es sich bei Temelin um ein sehr heikles Problem handle. Er gab in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass bei einem auch nur kurzfristigen Ausfall der russischen Gaslieferungen sich die öffentliche Meinung in seinem Heimatland schnell ändern könne. Bei der Ausnahmebestimmung für Tschechien, die im Rahmen des Lissabon-Vertrags erreicht wurde, gehe es nicht nur um die Benes-Dekrete, betonte Kubera. Andere Delegationsmitglieder bezeichneten dies jedoch als persönliche Meinung von Kubera und sprachen von einer rein politischen Angelegenheit; für die Mehrheit der tschechischen Politiker sei dieses Kapitel abgeschlossen.
Bundesrat Albrecht Konecny (S) wies Kubera bezüglich der Benes-Dekrete auf die einhellige Meinung aller bedeutenden Verfassungsexperten hin, dass es keine rückwirkenden Rechtsakte gibt. Außerdem sieht der Vertrag, der jetzt ratifiziert wurde, kein Opting-Out vor. Allerdings könnte es in etwa eineinhalb Jahren, wenn die von Tschechien erreichte Opting-Out-Klausel dem Beitrittsvertrag mit Kroatien beigefügt wird, Probleme geben, warnte Konecny. In der Frage Temelin stellte er fest, dass es sich bei diesem Kraftwerk keinesfalls um einen Schrottreaktor handle, wie dies in den Medien oft dargestellt werde, sondern um ein normales AKW mit einigen Merkwürdigkeiten. Positiv am Melker Prozess sei für ihn, dass sich die Zusammenarbeit der Wissenschaftler auf beiden Seiten substantiell vertieft habe und dass der Informationsaustausch zwischen den Behörden wesentlich verbessert wurde. (Schluss)