Parlamentskorrespondenz Nr. 562 vom 01.07.2010

Budgetkonsolidierung sozial gerecht mit Bedacht auf die Wirtschaft

Bundeskanzler Faymann in der Fragestunde des Bundesrats

Bundeskanzler Werner Faymann stand heute am Beginn der 786. Sitzung der Länderkammer den Bundesrätinnen und Bundesräten Rede und Antwort. Die Fragen spannten einen weiten Bogen von der Arbeitsmarktsituation über die Budgetkonsolidierung und Verwaltungsreform bis hin zum ORF.

Bundesrätin Waltraut HLADNY (S/St): Wie stellt sich die Beschäftigungssituation in Österreich im europäischen Vergleich dar?

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Auch wenn jeder Arbeitslose zu viel ist, so sei die Arbeitslosenquote in Österreich im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern sehr niedrig, betonte Bundeskanzler Werner FAYMANN. Mit einer Arbeitslosigkeit von 4,9 % im April 2010 weise Österreich den zweitniedrigsten Wert innerhalb der EU auf. Das mache deutlich, sagte der Regierungschef, dass in Österreich gesicherte Strukturen vorhanden sind, die Innovationskraft der Industrie und der Klein- und Mittelbetriebe hoch sind und die Arbeitsmarktverwaltung gut funktioniert. Österreich investiere 2,1 Mrd. € in die aktive Arbeitsmarktpolitik und sei damit ein Vorbild für andere Länder. 

Auch die Beschäftigung von Frauen und älteren Personen sei im europäischen Durchschnitt hoch. Sorge machten ihm nur jene Jugendlichen, die nach der Ausbildung schwer eine Arbeit finden. Deshalb habe das AMS für diese Gruppe besondere Schwerpunkte gesetzt und stelle auch Überbrückungshilfen zur Verfügung, bemerkte er gegenüber Bundesrätin Martina DIESNER-WAIS (V/N). Ihm sei es wichtig, dass SchulabgängerInnen nicht in Hoffnungslosigkeit abgleiten.

Angesichts der häufigen Kritik an den Kursangeboten des AMS, die von Bundesrat Elmar PODGORSCHEK (F/O) angesprochen worden war, sagte der Bundeskanzler, die Angebote seien bereits in der Vergangenheit verbessert worden und der Sozialminister arbeite an einer weiteren Qualitätssteigerung. Dass die Zeit der Arbeitslosigkeit in Österreich zu den kürzesten in Europa zähle, sei auch auf ein gutes Angebot an AMS-Kursen zurückzuführen.

FAYMANN teilte die Sorgen von Bundesrat Efgani DÖNMEZ (G/O) in Bezug auf die steigende Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse. Man müsse alles unternehmen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen von ihrer Arbeit auch leben können. Dazu sei Wirtschaftswachstum nötig, aber er erwarte sich auch Lösungen in Gesprächen mit allen Beteiligten, zumal dies eine Frage der Gerechtigkeit darstelle.

  

Bundesrätin Angelika WINZIG (V/O): Haben Sie sich vor bzw. beim Europäischen Rat vom 17. Juni 2010, der sich u.a. mit wirtschafts- und finanzpolitischen Themen im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise, mit den UNO-Millenniums-Entwicklungszielen und mit den aktuellen Entwicklungen im Iran befasst hat, dafür eingesetzt, dass die Außen- und die Finanzminister an den Beratungen des Europäischen Rats teilnehmen können?

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Bundeskanzler Werner FAYMANN betonte explizit die gute Zusammenarbeit mit Außenminister Michael Spindelegger und verlieh seinem Bedauern Ausdruck darüber, dass zwei Drittel der Mitglieder des Europäischen Rats entschieden haben, bei den meisten Sitzungen keine zusätzlichen MinisterInnen beizuziehen.

Faymann konnte keinen Zeitpunkt nennen, wann die Europäische Bürgerinitiative umgesetzt wird. Es sei davon auszugehen, dass das Europäische Parlament noch im Herbst dieses Jahres einen Beschluss fasst, dann müssten aber alle Länder entsprechende Bestimmungen einführen, und wie lange dieser Prozess dauere, dafür könne er keine Prognosen abgeben, erklärte er Bundesrätin Monika KEMPERLE (S/W). Er hoffe aber auf eine baldige Realisierung dieses direktdemokratischen Instruments auf europäischer Ebene, um etwa gegen Spekulationen auf den Finanzmärkten mobilisieren zu können.

Im Hinblick auf die Entwicklungszusammenarbeit konnte der Bundeskanzler keine verbindlichen Aussagen zu etwaigen Budgetzahlen machen. Entwicklungszusammenarbeit sei wichtig, unterstrich er, aber im Zuge der Budgetkonsolidierung würden alle Bereiche genau geprüft, inwieweit mehr Effizienz möglich ist.

Faymann erinnerte weiters an die beschlossenen Sanktionen gegenüber dem Iran, die im Zusammenhang mit der dortigen Menschenrechtssituation und der Entwicklung von Atomwaffen stehen und beantwortete damit Zusatzfragen der BundesrätInnen Angelika WINZIG (V/O), Monika MÜHLWERTH (F/W) und Peter MITTERER (o.F./K).

Bundesrätin Cornelia MICHALKE (F/V): Wie viele Personen werden durch die von Ihnen unterstützte "Reichensteuer" betroffen sein und wie hoch sind die Einnahmen, welche Sie daraus erwarten?

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Zur Budgetkonsolidierung seien höhere Einnahmen unverzichtbar, stellte der BUNDESKANZLER klar. Dabei gehe es um mehr Gerechtigkeit. Die einnahmenseitigen Maßnahmen sollten 40 % ausmachen, die Einsparungen in der Verwaltung 60 %. Es gebe aber viele Bereiche, wie zum Beispiel bei Gesundheit, wo zwar Umschichtungen notwendig seien, das Einsparungspotenzial insgesamt aber nicht vorhanden sei.

Um die soziale Gerechtigkeit der Einnahmen zu gewährleisten, bekräftigte der Bundeskanzler abermals sein Ziel, Aktiengewinne besteuern zu wollen ebenso wie Vermögenszuwächse, wobei jedoch die Mittelschicht nicht belastet werden soll. Auch die OECD kritisiere immer wieder, dass in Österreich die vermögensbezogenen Steuern äußerst gering sind, die arbeitsbezogenen Steuern jedoch zu den dritthöchsten zählen.

Es gehe darum, Bevorzugungen abzubauen und Steuerschlupflöcher zu schließen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer lehnte Faymann dezidiert ab, denn diese würde jeder und jede im Supermarkt bezahlen. Wesentlich sei es, dass man im Zuge der Budgetkonsolidierung das Wirtschaftswachstum im Auge behalte. Das gelte insbesondere auch für die Steuerpolitik, denn es wäre fatal, die Kaufkraft zu drosseln, die ein wesentlicher Faktor bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise sei. Die Frage der Stiftungen werde intensiv diskutiert, man wolle jedoch auf keinen Fall jene treffen, die dann in andere Länder wechseln.

Die Vorschläge für die kommenden Budgets würden derzeit von der Regierung ausgearbeitet, sodass man die Budgetkonsolidierung für die Jahre 2011 bis 2013 auf Schiene bringt. Auf keinen Fall dürften die Maßnahmen einen Schaden für Österreich bringen.

Der Bundeskanzler ging damit auch auf Zusatzfragen der Bundesrätinnen Martina DIESNER-WAIS (V/N), Elisabeth GRIMLING (S/W) und Elisabeth KERSCHBAUM (o.F./N) ein.  

Bundesrätin Adelheid EBNER (S/N): Die Strukturfondsprogramme der Periode 2000 bis 2006 mussten bis spätestens 31. März 2010 endabgerechnet werden; hat Österreich seine Programme, die aus dem EU-Regionalfonds (EFRE) gefördert werden, rechtzeitig abgeschlossen?

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Die EU habe in Österreich Projekte mit ca. 900 Mio. € gefördert, die Kofinanzierung aus dem eigenen Budget belaufe sich auf 940 Mio. €, informierte Bundeskanzler Werner FAYMANN. Die Endabrechnung für alle österreichischen Programme sei an die Kommission übermittelt worden. Der Regierungschef zeigte sich überzeugt, dass die Regionalförderung bei Kommissar Johannes Hahn in guten Händen liegt und unterstrich die positiven Beschäftigungs- und Wirtschaftseffekte der Regionalfonds. Er könne jedoch keine Aussagen über die zukünftigen Budgetmittel für die europäischen Strukturfonds machen, räumte Faymann ein, er könne nur bestätigen, dass diese Förderungsform seitens der Staats- und RegierungschefInnen unterstützt werde.

Die Zusatzfragen stellten Bundesrätin Bettina RAUSCH (V/N) und Bundesrat Johann ERTL (F/N).

Bundesrat Magnus BRUNNER (V/V): Welche Maßnahmen der Verwaltungsreform, die von der Arbeitsgruppe Verwaltung neu unter Einbindung von IHS, Wifo und Rechnungshof bereits zahlreich erarbeitet wurden, werden Sie heuer noch umsetzen?

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Wir stehen am Beginn der Verwaltungsreform, sagte Bundeskanzler FAYMANN und verwies auf die im Mai beschlossenen ersten 45 Projektmaßnahmen mit einem Einsparungspotenzial von ca. 100 Mio. €. Das betreffe zum Beispiel die Vereinheitlichung des Beschaffungswesens, der EDV-Systeme und der Wetterdienste, aber auch das Prinzip des One-Stop-Shop in den unterschiedlichsten Feldern.

Das Ziel gehe aber in Richtung von Einsparungen in der Höhe von drei Milliarden, wobei vor allem Doppelgleisigkeiten auf allen Ebenen reduziert werden müssen. Wesentliche Ansatzpunkte seien die Verwaltung im Bildungsbereich, der gesamte Gesundheitsbereich sowie der Förderungsdschungel. Er sei deshalb auch strikt dafür eingetreten, die Länder in die Transparenzdatenbank miteinzubeziehen, um endlich Klarheit zu bekommen, was mit den vielfältigen Förderungen und Transferzahlungen passiert. Man müsse die Geheimhaltung durchbrechen, denn bei alldem handle es sich nicht um Mittel aus der Privatschatulle einiger, sondern um das Steuergeld, warf Faymann ein.

Faymann wollte den Verhandlungen zum Beamtendienstrecht nicht vorgreifen, denn es sei gute Tradition, zuerst innerhalb der Sozialpartnerschaft zu verhandeln und auch den Mut zu haben, heikle Punkte intensiv zu diskutieren.

Die Zusatzfragen kamen von den Bundesräten Günther KALTENBACHER (S/St), Elmar PODGORSCHEK (F/O) und Peter ZWANZIGER (o.F/K).

Bundesrat Peter MITTERER (o.F./K): Wird von Ihnen und auch von der Bundesregierung angedacht, dass der VwGH auch in Fällen, in denen der Sachverhalt vollständig abgeklärt ist oder nur mehr geringfügige Ergänzungen erforderlich erscheinen, meritorisch, also in der Sache selbst, entscheiden kann?

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Beim Verwaltungsgerichtshof sei kein Systemwandel vorgesehen, stellte Bundeskanzler FAYMANN fest, es werde auch in Zukunft keine Möglichkeit geben, an diesem Höchstgericht Beweisverfahren durchzuführen. Eine Entlastung erwartet sich der Regierungschef jedoch von den Verwaltungsgerichtshöfen erster Instanz, die dann im Einzelfall entscheiden werden. Einen konkreten Termin für die Einrichtung dieser Landesverwaltungsgerichtshöfe wollte Faymann nicht nennen, da man die Stellungnahmen abwarten müsse. Ziel der Reform seien eine Vereinfachung und kürzere Verfahrensdauern, ohne die hohe rechtliche Qualität zu beeinträchtigen. Der Weg zum Gericht müsse für jeden leistbar sein, stellte Faymann außer Zweifel und reagierte damit auf Fragen der BundesrätInnen Gerald KLUG (S/St), Stefan SCHENNACH (G/W) und Cornelia MICHALKE (F/V).

Die Kritik von Bundesrat Kurt STROHMAYER-DANGL (V/N) an der Bestellung einer Richterin des VfGH in den Aufsichtsrat eines staatsnahen Unternehmens konterte Faymann mit dem Hinweis, es seien schon in der Vergangenheit Mitglieder des VfGH in Aufsichtsräten vertreten gewesen, zum Beispiel der ehemalige Präsident Korinek in einer Wohnbaugenossenschaft. Er, Faymann, habe die Arbeit der VerfassungsrichterInnen in diesen Gremien immer sehr geschätzt und plane daher von sich aus keine Änderung, es sei denn, der Gerichtshof selbst spreche sich dafür aus.

Bundesrat Hans-Peter BOCK (S/T): In welchem Rahmen – global, europäisch oder national – sollte es zu einer Umsetzung einer Transaktionssteuer kommen?

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Am besten wäre die weltweite Einführung einer Transaktionssteuer, da man damit Fluchtmöglichkeiten ausschließe. Dennoch hielte er es für falsch, bekräftigte FAYMANN, darauf zu warten, dass sich alle einigen. Deshalb müsse man eine Einigung in der EU oder innerhalb der Euro-Zone anstreben, er könne sich aber auch einen nationalen Alleingang vorstellen. All dies sei zwar schlechter als eine weltweite Regelung, aber besser, als nichts zu tun. Der Bundeskanzler machte jedoch keinen Hehl daraus, dass die Stimmung in der EU für die Einführung einer Transaktionssteuer eher negativ ist. Nicht einmal die Hälfte der EU-Länder hätten sich dafür ausgesprochen, berichtete er.

Auf die Befürchtung von Bundesrat Josef SALLER (V/S), Alleingänge könnten wettbewerbsverzerrend wirken, meinte Faymann, die Klimapolitik zeige, dass es nichts bringe, wenn man auf alle anderen warte. Man schade nicht nur nächsten Generationen, sondern es gebe auch keinen Druck auf andere. Eine Pionierfunktion einzunehmen, könne in der medialen Öffentlichkeit Druck auf die anderen ausüben und sei daher nicht zu unterschätzen. Selbstverständlich sei bei all diesen Maßnahmen geboten, den Schnittpunkt zwischen Beispielgebung und Rücksichtnahme auf die Wirtschaft nicht aus den Augen zu verlieren.

Bundesrat Peter ZWANZIGER (o.F./K) gegenüber bemerkte Faymann, Einnahmen aus einer solchen Steuer, sollte sie kommen, würden zunächst in die Budgets der Nationalstaaten fließen. Sollten sich in der EU alle einig sein, dann könne er sich auch eine gemeinsame Finanzierung vorstellen.

Bundesrätin Monika MÜHLWERTH (F/W) thematisierte die kursierende Idee eines Fonds für Banken, damit diese für schlechte Zeiten gerüstet sind. Der Bundeskanzler hielt solche Fonds grundsätzlich für nicht falsch, schränkte aber ein, diese könnten nur funktionieren, wenn auch andere Rahmenbedingungen und Reglementierungen getroffen werden. Es dürfe keinesfalls dazu kommen, dass solche Fonds eine Motivation darstellen, noch mehr Risiken einzugehen. Derartige Fonds könnten daher nur ein Mosaikstein eines ganzen Pakets sein, wie etwa eigene Rating-Agenturen, das Verbot bestimmter Geschäfte oder auch die Trennung von Investmentbanken und anderen Banken mit traditionellem Geschäft.

Bundesrat Gottfried KNEIFEL (V/O): Warum haben Sie im Zuge der eben erfolgten Novellierung des ORF-Gesetzes keine Reform der Gremien des Österreichischen Rundfunks vorgeschlagen, obwohl vor allem der Rechnungshof und der Publikumsrat diese dringend einmahnen?

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Die heute auf der Tagesordnung stehende ORF-Reform sei elementar und grundsätzlich, betonte Bundeskanzler Werner FAYMANN. Man sei übereingekommen, die Frage der Gremien, wer wie bestellt werden soll, in Verhandlungen bis Ende 2011 zu lösen. Dieser politischen und breiten Diskussion wolle er nicht vorgreifen. Ziel seien jedenfalls schlanke Entscheidungsstrukturen, antwortete er Bundesrat Josef STEINKOGLER (V/O).

Nachdem Bundesrat Stefan SCHENNACH (G/W) eine Medienabgabe pro Haushalt in die Diskussion eingeworfen hatte, merkte Faymann an, er sei offen, über alles zu diskutieren, was langfristig dazu beiträgt, die Unabhängigkeit der Medien sicherzustellen.

Bundesrat Josef KALINA (S/W) gegenüber wies Faymann auf die Bestimmung hin, wonach eine Frauenquote von 45 % auf allen Ebenen vorgesehen ist. Das sei ein Prozess, der bei den künftigen Neubestellungen Einfluss haben wird.

Der Bundeskanzler zeigte sich auch davon überzeugt, dass der ORF vertragsgemäß die Mittel aus der Refundierung der Gebührenbefreiung dazu verwenden wird, die Barrierefreiheit auszubauen. Er reagierte damit auf eine Frage von Bundesrat Elmar PODGORSCHEK (F/O).

(Schluss Fragestunde/Forts. BR)


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