Parlamentskorrespondenz Nr. 678 vom 14.09.2010

EU-Unterausschuss beschließt Subsidiaritätsrüge

Kritik an EU-Plänen für Saisonniers und konzerninterne Entsendungen

Wien (PK) – Die Mitglieder des EU-Unterausschusses des Nationalrats griffen heute erstmals zum Instrument der Subsidiaritätsrüge, ein Kontrollinstrument, über das nunmehr die nationalen Parlamente - in Österreich sowohl Nationalrat als auch Bundesrat - in laufenden EU-Gesetzgebungsverfahren verfügen. Die Kritik betraf die Vorschläge der EU zur Vereinheitlichung der Rahmenbedingungen für SaisonarbeiterInnen. Die geplante Richtlinie würde gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen, heißt es in der begründeten S-V-Stellungnahme, die mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP, FPÖ und BZÖ mehrheitlich beschlossen wurde.

In Österreich funktioniere die Regelung für die Saisonniers sehr gut, der Bedarf an Arbeitskräften sei stark regional bedingt und könne daher nur im Inland selbst bestimmt werden, argumentierten sowohl Sozialminister Rudolf Hundstorfer als auch Innenministerin Maria Theresia Fekter. Die Abgeordneten hatten insbesondere Sorge, dass vor allem die Saisonniers instrumentalisiert werden könnten, um das Lohnniveau zu drücken, zumal die Mindestrechte zu niedrig angesetzt seien.

Äußerst kritisch nahmen die Abgeordneten auch zu den Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen für nicht EU-BürgerInnen im Rahmen einer Entsendung von Arbeitskräften innerhalb internationaler Konzerne Stellung. In einem Antrag auf Ausschussfeststellung fordern SPÖ und ÖVP mit Unterstützung der Grünen die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Sozialpartnern eine Einschätzung zu den möglichen Auswirkungen des Richtlinienvorschlags vorzunehmen. Der Entwurf enthält in den Augen der Abgeordneten unklare Begriffsbestimmungen, sodass die möglichen Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt nicht abgeschätzt werden können. Sie hegen auch Bedenken im Hinblick auf die Wahrung des Subsidiaritätsprinzips.

Pläne der EU-Kommission

Beide Richtlinienentwürfe sind Teil eines umfassenden Maßnahmenpakets zur legalen Zuwanderung aus dem Jahr 2005 (Haager Programm), das nunmehr im so genannten "Stockholmer Programm" aufgegriffen wurde, auf welches sich der Europäische Rat im Dezember 2009 geeinigt hat.

Für die Einreise von Drittstaatsangehörigen im Rahmen einer konzerninternen Entsendung soll es laut vorliegendem Entwurf ein einheitliches Antragsverfahren mit einer zuständigen Behörde ("One-Stop-Shop-Schnellverfahren") geben, sowie eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ("Single Permit") mit bis zu dreijähriger Gültigkeit. Unter welchen Bedingungen Konzerne ihre Arbeitskräfte, die nicht aus der EU stammen, in ihren Niederlassungen innerhalb der EU flexibel einsetzen können, wird einheitlich definiert. Das Schema zielt auf Schlüsselpersonal, einschließlich ManagerInnen, SpezialistInnen und PraktikantInnen mit Hochschulabschluss ab. Weitere Bestimmungen betreffen die Festlegung von Versagungsgründen und Zulassungskriterien wie ein "Fast-Track"-Verfahren mit einer Verfahrensfrist von höchstens 30 Tagen, eine verpflichtende Auslandsantragsstellung und ein arbeits- und sozialversicherungsrechtliches Gleichbehandlungsgebot. Eine Arbeitsmarktprüfung soll grundsätzlich unzulässig sein.

Auch was unter Saisonarbeit zu verstehen ist, soll künftig durch einheitliche Kriterien umschrieben werden. Ferner werden auch hier die Zulassungsvoraussetzungen und Versagungsgründe gesetzlich fixiert. Es soll ein Verfahren für Zulassung und Arbeitsaufnahme und eine kombinierte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis mit dem Aufdruck "Saisonarbeiter" geben. Die maximale Aufenthaltsdauer soll 6 Monate im Kalenderjahr betragen. Der Vorschlag sieht auch eine erleichterte Wiedereinreise durch die Erteilung von "Multi-seasonal worker permits" (bis zu 3 Jahren) oder durch Anwendung eines erleichterten Verfahrens vor, sowie die Verpflichtung, nach Ablauf der Erlaubnis das Land zu verlassen. Wie bei der konzerninternen Entsendung will die EU garantieren, dass das Verfahren und die Zulassung nicht länger als 30 Tage dauert. Regelungen für eine angemessene Unterkunft und verhältnismäßige Kosten sowie in Bezug auf Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit und des Arbeitsrechts runden die Gesetzesinitiative der EU-Kommission ab. Die Festlegung von Zulassungsquoten für SaisonarbeiterInnen bleibt jedoch weiterhin den Mitgliedstaaten überlassen. 

Kritische Stimmen von Fekter und Hundstorfer

Sowohl Innenministerin Maria Theresia Fekter als auch Sozialminister Rudolf Hundstorfer machten ihre Bedenken gegen die beiden Richtlinienvorschläge deutlich. Fekter befürchtete, dass eine zirkuläre Migration die Folge sein könnte und auf Grund der geplanten multisaisonalen Bewilligungen ein Einstieg zu einem Daueraufenthalt ermöglicht wird. Die multisaisonale Bewilligung sei darüber hinaus auch arbeitsmarktrelevant, sagte sie. Fekter plädierte daher dafür, die derzeit gut funktionierende Quotenregelung in Österreich beizubehalten. Sie meinte auch, dass die Fristen von 30 Tagen für die Verfahren zu niedrig angesetzt sind. Als Innenministerin bestand sie vor allem auf einer Harmonisierung mit den Visa-Regelungen.

Der Sozialminister teilte die kritische Beurteilung seiner Regierungskollegin. Für die saisonale Beschäftigung, bei der vor allem regionale Gegebenheiten ausschlaggebend sind, könne es keine europaweiten Regelungen geben, merkte er an. Eine erleichterte Anwerbung aus Drittstaaten sei auch das falsche Signal, denn im Vordergrund müsse die Integration stehen. Hundstorfer trat für eine zwingende Arbeitsmarktprüfung ein und warnte vor zirkulärer Migration. Durch die Richtlinie werde das Sozialdumping in keiner Weise bekämpft, stellte er fest. Dem Sozialminister gingen auch die Bestimmungen in Bezug auf konzerninterne Entsendungen zu weit. Eine Arbeitsmarktprüfung sei hier ebenfalls nötig. Seiner Meinung nach müsse man auch darauf achten, dass Leiharbeitskonstruktionen ausgeschlossen werden.

Abgeordnete befürchten Lohn- und Sozialdumping

Der ablehnende Standpunkt der SPÖ wurde von Abgeordneter Christine Muttonen dargelegt. Sie brachte sowohl den S-V-Antrag auf Stellungnahme zu den Saisonniers (Subsidiaritätsrüge) als auch den S-V-Antrag auf Ausschussfeststellung zur Entsendung von MitarbeiterInnen innerhalb internationaler Konzerne ein. Muttonen bekräftigte die Bedenken im Hinblick auf die zirkuläre Migration und auf die im Vorschlag enthaltenen Mindestrechte, die zu einem Lohn- und Sozialdumping führen können. Hinsichtlich der MitarbeiterInnen internationaler Konzerne sei es ungeklärt, ob sie überhaupt dem österreichischen Sozialrecht unterliegen, bemängelte sie. Dieser Beurteilung schloss sich Abgeordneter Hannes Weninger (S) vollinhaltlich an. Abgeordneter Oswald Klikovits (V) mahnte die Notwendigkeit ein, die Auswirkungen der EU-Initiativen auf den Arbeitsmarkt zu prüfen.

Differenzierter reagierte Abgeordneter Wolfgang Schüssel (V) auf die beiden Vorlagen. Er teilte die Sorgen Muttonens, was die Regelungen für die Saisonniers betrifft, und meinte, dabei handle es sich um ein vielschichtiges Thema, das man nicht europaweit regeln könne. Das österreichische Modell sei vernünftig und funktioniere gut. Weniger ablehnend bewertete er die Erleichterungen für konzerninterne Entsendungen. Österreichs Wirtschaft sei stark exportorientiert, und zahlreiche internationale Firmen hätten in Österreich ihre Headquarters, argumentierte er. Daher mache es in diesem Bereich Sinn, es den MitarbeiterInnen dieser Konzerne zu erleichtern, in der EU Ausbildungsprogramme zu absolvieren. Er wolle deshalb den Vorschlag der EU nicht generell ablehnen, sondern ihn als einen Denkanstoß sehen, den man in Verhandlungen verfeinern könne.  

Im Gegensatz dazu lehnte Abgeordneter Johannes Hübner seitens der FPÖ den Richtlinienvorschlag zur konzerninternen Entsendung vollinhaltlich ab und brachte dazu auch einen Antrag auf Ausschussfeststellung ein. Dieser blieb jedoch in der Minderheit.

Das BZÖ sprach sich strikt gegen beide Richtlinienentwürfe aus. Der diesbezügliche Antrag auf Ausschussfeststellung fand jedoch ebenfalls nicht die erforderliche Mehrheit.

Abgeordneter Ewald Stadler (B) kritisierte vor allem die möglichen finanziellen Belastungen des Sozialsystems durch die angedachte Regelung für Saisonniers. Die von der Regierung vorgelegte Subsidiaritätsrüge war in den Augen Stadlers nicht ausreichend, weil SPÖ und ÖVP nur ihre Bedenken hinsichtlich der Subsidiarität äußern, sich darin aber, im Gegensatz zu ihren Wortmeldungen, nicht deutlich gegen die Initiativen aussprechen. Auch die angenommene Ausschussfeststellung zu den konzerninternen Entsendungen wurde von Stadler als unzureichend betrachtet. Die geplante Regelung sei mit der Subsidiarität nicht vereinbar, sagte er, und habe Auswirkungen auf den österreichischen Arbeitsmarkt.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer hielt dem entgegen, dass es sich bei beiden Kommissionsvorschlägen um Materien handelt, die mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Deshalb müsse man sich in den Diskussionsprozess aktiv einbringen, um eigene Standpunkte durchzusetzen. Eine Ablehnung allein würde lediglich zur Überstimmung der eigenen Position führen, argumentierte er.

Die Grünen begründeten ihre negative Haltung zu den beiden Vorlagen ebenfalls mit der Gefahr des Lohn- und Sozialdumpings, ihre Kritik ging aber Großteils in eine andere Richtung als die der anderen Parteien. Abgeordnete Birgit Schatz (G) sah weniger ein Subsidiaritätsproblem, sondern hielt das System der SaisonarbeiterInnen an sich für problematisch. Sie trat dafür ein, dieses System einzuschränken, da durch eine Verkürzung der Beschäftigung die Zirkulation noch mehr beschleunigt werde und die Betroffenen keine Möglichkeit hätten, sich zu verwurzeln, sagte sie. Schatz forderte daher ein strategisch gut strukturiertes Einwanderungsprogramm. Sie hielt es auch für erforderlich, Personen, die innerhalb internationaler Konzerne entsendet werden, die Möglichkeit zu geben, ihre Familie mitzunehmen. Schatz teilte jedoch die Vorbehalte in Bezug auf die Gefahr von Leiharbeit und die unklaren Definitionen des Personenkreises. (Schluss)