Parlamentskorrespondenz Nr. 350 vom 05.04.2011

Hearing im Innenausschuss zum Fremdenrechtspaket

Fekter will Asylgerichtshof zu Migrationsgerichtshof umwandeln

Wien (PK) – Mit einem Hearing im Innenausschuss des Nationalrats starteten heute die parlamentarischen Beratungen über das Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 . Dabei ging es unter anderem um die neue Rot-Weiß-Rot-Karte für Zuwanderer, die künftige fünftägige Anwesenheitspflicht für AsylwerberInnen in den Erstaufnahmestellen, die neuen Schubhaftregelungen sowie die verschärften Bestimmungen für Zuwanderer in Bezug auf den Erwerb deutscher Sprachkenntnisse, wobei die insgesamt neun geladenen ExpertInnen unterschiedliche Aspekte des Gesetzespakets aufgriffen.

So warnte etwa der Germanist Hans-Jürgen Krumm vor unrealistischen Anforderungen an MigrantInnen und prophezeite, dass die in Hinkunft verlangten Deutschkenntnisse für rund die Hälfte der Betroffenen eine echte Barriere sein werden. Der Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes Gerhard Hesse zeigte sich von der Verfassungskonformität der neuen Regelungen im Asylgesetz überzeugt. Wolfgang Taucher, Direktor des Bundesasylamts, untermauerte mit statistischem Zahlenmaterial, dass das Untertauchen von AsylwerberInnen während des Verfahrens ein existierendes Phänomen sei.

Von vielen Seiten kritisiert wurden die komplizierten Formulierungen im gesamten Fremdenrecht. So urgierten etwa sowohl Rechtsanwältin Nadja Lorenz als auch Wolfgang Zapf eine Vereinfachung der Bestimmungen. VertreterInnen der Wirtschaftskammer und der Arbeiterkammer bewerteten die neue Rot-Weiß-Rot-Karte für hoch qualifizierte ausländische Arbeitskräfte positiv.

Innenministerin Maria Fekter verwies auf eine neue Gesetzesbestimmung, die ihr zufolge ausdrücklich festschreibt, dass unmündige Minderjährige künftig nicht mehr in Schubhaft genommen werden dürfen. Sie machte außerdem auf laufende Verhandlungen mit den Ländern über ein Bundesamt für Asyl und Migration aufmerksam und sprach sich dafür aus, den Asylgerichtshof zu einem Migrationsgerichtshof umzuwandeln. Man solle das bewährte System beibehalten und die Asylagenden nicht wieder zurück an den Verwaltungsgerichtshof übertragen, bekräftigte sie.

Hesse: Aufenthaltspflicht für AsylwerberInnen ist verfassungskonform

Eingeleitet wurde das Hearing durch eine Stellungnahme vom Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts, Gerhard Hesse. Er ging insbesondere auf die neu formulierten Mitwirkungspflichten für AsylwerberInnen ein und zeigte sich überzeugt davon, dass diese nicht gegen das verfassungsrechtlich normierte Grundrecht auf Schutz der persönlichen Freiheit verstoßen. Anders als in den Vorentwürfen sei die Anwesenheitspflicht für AsylwerberInnen in der Erstaufnahmestelle auf 120 Stunden beschränkt und dürfe nur im Falle einer notwendigen Einvernahme durch das Bundesasylamt um weitere 48 Stunden verlängert werden, skizzierte er. Es seien auch keine Zwangsakte bei Verlassen der Unterkunft vorgesehen, allerdings kann Hesse zufolge ein Festnahmeauftrag erfolgen, sollte ein Asylwerber der Behörde nicht zur Verfügung stehen. Schubhaft komme nur unter bestimmten Voraussetzungen in Frage.

Erlaubt ist ein Verlassen der Erstaufnahmestelle, wie Hesse erläuterte, unter anderem aufgrund familiärer Fürsorgepflichten, aus medizinischen Gründen und zur Befolgung einer behördlichen Ladung. Die AsylwerberInnen müssten darüber hinaus verpflichtend über Beginn und Ende der Anwesenheitspflicht informiert werden.

Was die Rechtsberatung betrifft, wird laut Hesse den Betroffenen künftig von Amts wegen ein Rechtsberater zur Verfügung gestellt. Das Bundeskanzleramt hege eine Präferenz für juristische Personen, führte er aus. Zur Interessentensuche werde es ein transparentes und offenes Verfahren geben.

Kreuzhuber: Rot-Weiß-Rot-Karte setzt richtige Weichenstellung

Margit Kreuzhuber befasste sich als Vertreterin der Wirtschaftskammer Österreich mit der Einführung der Rot-Weiß-Rot-Karte und hob aufgrund der demographischen Entwicklung die Notwendigkeit hervor, die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte nach Österreich zu forcieren. Mit der Rot-Weiß-Rot-Karte würden richtige Weichenstellungen gesetzt, bekräftigte sie. Österreich brauche eine gezielte Migrationspolitik, um dem drohenden Facharbeitermangel zu begegnen. Das derzeitige Zuwanderungssystem sei nicht flexibel und transparent genug.

Mit der Rot-Weiß-Rot-Karte sollen Kreuzhuber zufolge besonders hochqualifizierte Arbeitskräfte und Fachkräfte in Mangelberufen angesprochen werden. Als Kriterien für den Erhalt der Karte sind unter anderem Berufserfahrung und Sprachkenntnisse vorgesehen, auch das Alter spielt eine Rolle. Sollten sich die Rahmenbedingungen ändern, könne das Punktesystem entsprechend angepasst werden. Besonders begrüßt wurde von Kreuzhuber auch, dass ausländische AbsolventInnen österreichischer Universitäten einen erleichterten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt erhalten.

Krumm: Viele MigrantInnen können neue Sprachanforderungen nicht erfüllen

Universitätsprofessor Hans-Jürgen Krumm vom Institut für Germanistik der Universität Wien stellte eingangs seiner Wortmeldung fest, er sei dafür, von Zuwanderern in einem "vernünftigen" Ausmaß Deutschkenntnisse zu verlangen. Seiner Ansicht nach ist es aber unzumutbar, die derzeit geltenden Lernanforderungen zu verdoppeln, die Lernzeit zu halbieren und gleichzeitig Förderungen zu reduzieren.

Besonders ärgere ihn als Wissenschaftler, dass die Bestimmungen betreffend den Erwerb von Sprachkenntnissen nunmehr verschärft würden, ohne die bisherigen Integrationsmaßnahmen zu evaluieren, sagte Krumm. Man wisse nicht, wer was und unter welchen Bedingungen schaffe. Gleichzeitig zeigten Erfahrungen in Deutschland, dass zu hohe Anforderungen von den MigrantInnen nicht bewältigt werden könnten. Krumm rechnet damit, dass die neuen Sprachanforderungen für nahezu die Hälfte der österreichischen MigrantInnen zu einer echten Barriere werden. Das führe nicht zu Integration, sondern zu Demotivation, mahnte er. Besondere Probleme erwartet er unter anderem für ältere Personen, Personen mit körperlich sehr anstrengenden Berufen, jugendliche Schulabbrecher und Frauen in bestimmten Lebenssituationen.

Skeptisch äußerte sich Krumm auch zum verpflichtenden Erwerb von Basiskenntnissen der deutschen Sprache vor dem Zuzug nach Österreich. Bei bestimmten Berufen könne man vorangehenden Spracherwerb und Zuzugsberechtigung durchaus koppeln, meinte er, im Bereich der Familienzusammenführung sei dies aber nicht vertretbar. Krumm verwies auf den hohen Zeit- und Kostenaufwand für viele Betroffene und warnte vor einer Schuldenfalle für die Familien.

Krunz: Es wird zu wenig im Bereich Integration getan

Shukri Krunz von der Initiative Liberaler Muslime Österreich (ILMÖ) wies darauf hin, dass er selbst Migrant sei, sich aber zu hundert Prozent in Österreich integriert fühle. Er begrüßte im Gegensatz zu Krumm den verpflichtenden Erwerb deutscher Sprachkenntnisse vor Zuzug, gab aber gleichzeitig zu bedenken, dass Deutschkenntnisse nicht allein für eine erfolgreiche Integration ausreichten. Eltern müssten auch die Bildung ihrer Kinder entsprechend fördern und sie zu Weltoffenheit erziehen, skizzierte er. Ein Problem ist für Krunz, dass Migrantenkinder oft erst spät in den Kindergarten kommen und manche Wohnviertel und Gemeindebauten eine hohe Konzentration von MigrantInnen aufweisen. Es werde auch nichts unternommen, um diese Probleme zu lösen. Auch am AMS übte Krunz Kritik, wobei er im Konkreten Computerkurse für Frauen hinterfragte, die beinahe Analphabeten seien.

Lorenz: Fremdenrecht wird noch komplizierter und unlesbarer

Rechtsanwältin und Asylrechtsexpertin Nadja Lorenz machte darauf aufmerksam, dass das Fremdenrecht durch die neuen Bestimmungen noch komplizierter und noch unlesbarer werde. Sie forderte daher einen legistisch bereinigten "großen Wurf". Darüber hinaus setzte sie sich in ihrer Wortmeldung mit der Schubhaft für Minderjährige, der unabhängigen Rechtsberatung, der Anwesenheitspflicht für AsylwerberInnen und der Rückkehrrichtlinie der EU auseinander.

Lorenz wies unter anderem darauf hin, dass künftig 16- bis 18-Jährige in Schubhaft genommen werden könnten und gelinderen Mitteln nicht mehr wie bisher der Vorrang zu geben sei. Die angepriesene Höchstdauer von zwei Monaten Schubhaft für die Betroffenen ist ihr zufolge daher in Wahrheit eine Verschlechterung gegenüber der jetzigen Rechtslage. Es sei aus den Erläuterungen auch nicht ersichtlich, wozu diese Verschärfung diene, sagte Lorenz, um EU-Vorgaben handle es sich jedenfalls nicht. Sie forderte, die Schubhaftbestimmungen nicht zu verschärfen, sondern im Gegenteil auch für Familien gelindere Mittel vorzuziehen. Kein Verständnis zeigte Lorenz außerdem für die fünftägige Anwesenheitspflicht für AsylwerberInnen in der Erstaufnahmestelle, auch wenn diese Bestimmung verfassungskonform sein sollte.

Als bedenklich wertete Lorenz darüber hinaus die vorgesehene objektive Rechtsberatung. Rechtsvertretung und Rechtsbeistand heiße immer Parteilichkeit, argumentierte sie. Im Bereich der Ausweisung illegal in Österreich aufhältiger Fremder vermisst sie einen Instanzenzug zu einer unabhängigen Stelle, wie dies ihrer Ansicht nach die EU einfordert.

Peyrl: Spracherwerb ist entscheidendes Kriterium für Integration

Johannes Peyrl äußerte sich als Vertreter der Arbeiterkammer Wien grundsätzlich zustimmend zur neuen Rot-Weiß-Rot-Karte. Es werde sich allerdings erst mit der Zeit zeigen, "ob wir wirklich alle Schrauben richtig angezogen haben", meinte er. Uneingeschränkt begrüßt wurde von ihm die neue Regelung für ausländische StudienabsolventInnen und die "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" für Familienangehörige. Auch auf ein besonderes Detail im neuen Gesetzespaket machte Peyrl aufmerksam: demnach hat das Versäumnis, eine Scheidung bekannt zu geben, in Hinkunft weniger gravierende Auswirkungen als bisher.

Den Spracherwerb erachtet Peyrl als entscheidendes Kriterium für Integration und als wichtige Voraussetzung für Aufstiegschancen im Arbeitsleben. Er sprach sich aber dafür aus, im Falle besonderer Lebensumstände eine Verlängerung der vorgesehenen Fristen vorzusehen bzw. gegebenenfalls auch Ausnahmen zu gewähren, um soziale Härten zu vermeiden. Wichtig ist für ihn auch die Bereitstellung von Online-Unterlagen, um das Erlernen von Deutsch im Ausland zu erleichtern.

Steiner: Neues Zuwanderungssystem bringt keine Vorteile

Gernot Steiner vom Amt der Kärntner Landesregierung äußerte Zweifel daran, dass das neue, kriteriengeleitete Zuwanderungssystem tatsächlich Vorteile bringen werde. Er fürchtet unter anderem den verstärkten Zuzug billiger Arbeitskräfte nach Österreich und zunehmendes Lohndumping im Facharbeiter-Bereich. Steiner fragt sich außerdem, warum mit der Rot-Weiß-Rot-Karte und der "Blauen Karte EU" zwei verschiedene Aufenthaltstitel für hochqualifizierte Zuwanderer geschaffen werden.

Generell wird Steiner zufolge das Fremdenrecht weiter verkompliziert. Er rechnet in diesem Sinn auch mit einem vermehrten Verwaltungsaufwand bei der Vollziehung des Gesetzes. Die für die Vollziehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zuständigen Behörden würden zu "Botengängern und Handlangern" der jeweiligen AMS-Geschäftsstelle, kritisierte er.

Taucher: Untertauchen von AsylwerberInnen ist reales Problem

Wolfgang Taucher, Direktor des Bundesasylamts, wandte sich gegen den Begriff "Lagerhaft" in Zusammenhang mit der vorgesehenen Anwesenheitspflicht für AsylwerberInnen. Es handle sich bei den Erstaufnahmestellen weder um Lager, noch sei eine Haft vorgesehen, bekräftigte er. Das Verlassen der Erstaufnahmestellen werde grundsätzlich auch in Zukunft jederzeit möglich sein. Taucher gab gleichzeitig zu bedenken, dass das Untertauchen von AsylwerberInnen ein real existierendes Problem sei. Für die Behörden sei es jedoch wichtig, dass möglichst rasch geklärt werde, wer die Person sei, die einen Asylantrag stelle, und was sie für Motive habe. Dazu bedürfe es einer besonderen Verfügbarkeit.

Die Neuregelung der Rechtsberatung ist Taucher zufolge aufgrund eines VfGH-Erkenntnisses erforderlich. Er unterstützte die Regierungspläne einer objektiven Beratung, schließlich gehe es darum, die Betroffenen zu informieren und zu unterstützen, aber auch vor unrealistischen Hoffnungen zu bewahren, meinte er. Bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie der EU ist man laut Taucher unter anderem darauf bedacht gewesen, Doppelgleisigkeiten zu vermeiden und klare Zuständigkeiten festzulegen.

Zapf: Fremdenpolizeigesetz ist schwierig zu vollziehen

Wolfgang Zapf, Sicherheitssprecher des BZÖ Niederösterreich, hielt fest, er nehme aus der Perspektive eines langjährigen Polizeipraktikers zum Fremdenpolizeigesetz Stellung. Er gab zu bedenken, dass die gesetzlichen Bestimmungen von Polizisten und Kriminalbeamten vollzogen werden müssten, was aus seiner Sicht aufgrund der Kompliziertheit des Gesetzes aber schwierig ist. Es gebe im Gesetz Sätze mit 120 Wörtern, 5 Neben- und 2 Schachtelsätzen, veranschaulichte er und regte in diesem Sinn dringend an, das Gesetz lesbarer zu machen. Für Zapf ist es außerdem problematisch, dass für die Vollziehung des Fremdengesetzes und des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zwei verschiedene Behörden – die Bundespolizei und Landesbehörden – zuständig sind, die noch dazu unterschiedliche Perspektiven hätten.

Kritisch beleuchtete Zapf weiters die Informationspflichten bei Abschiebungen. Er fürchtet, dass die Betroffenen untertauchen, wenn sie vom genauen Abschiebetermin verständigt werden.

Was die Rot-Weiß-Rot-Karte betrifft, erscheine ihm ein Sechs-Monats-Visum für besonders Hochqualifizierte zur Arbeitssuche in Österreich für nicht notwendig, sagte Zapf. Er lehnt auch den erleichterten Arbeitsmarktzugang für ausländische AbsolventInnen österreichischer Universitäten ab. Diese sollten ihre in Österreich erworbenen Kenntnisse seiner Ansicht nach besser nutzbringend in ihrem Herkunftsland anbringen, schließlich könne ihre Ausbildung auch als Entwicklungshilfe gesehen werden.

(Fortsetzung Innenausschuss)