Parlamentskorrespondenz Nr. 744 vom 21.07.2011

Für die österreichische Landwirtschaft steht viel auf dem Spiel

Bundesrat diskutiert Zukunft der europäischen Agrarpolitik

Wien (PK) – Im Rahmen einer Aktuellen Aussprache befasste sich der Bundesrat zu Beginn seiner heutigen Sitzung mit jenen Chancen und Risiken, die die Gemeinsame Agrarpolitik nach 2013 für Österreich bereithält. Dabei zeigte man sich ob vorliegender Pläne betreffend Neuausrichtung des europäischen Landwirtschaftssektors durchaus besorgt.

Auch Bundesrat Georg KEUSCHNIGG (V/T) hielt fest, dass angesichts der zur Zeit diskutierten Pläne zu Recht von Risiken zu sprechen sei: Schließlich stehe nicht weniger als die Zukunft der kleinstrukturierten, ökosozialen und flächendeckenden Landwirtschaft Österreichs auf dem Spiel. An diesem überaus erfolgreichen Weg wolle und müsse man jedoch auch weiterhin festhalten. Die LandwirtInnen leisteten viel, doch hätten sie bereits heute mit einem sehr bescheidenen Einkommen das Auslangen zu finden. Schließlich lag im Zeitraum 2005 bis 2009 der durchschnittliche Monatsverdienst einer bäuerlichen Arbeitskraft in Tirol bei ca. 1.000 €. Die europäischen Förderungen seien deshalb unabdingbar. Die Gemeinsame Agrarpolitik hielt der Bundesrat dabei auch für den "entscheidenden Hebel", um der Abwanderungstendenz aus dem ländlichen Raum entgegenzusteuern und das Wirtschaftswachstum zu erhalten. Vor diesem Hintergrund dürfe man keine Kürzungen beim GAP-Budget vornehmen, stand für Keuschnigg fest, sondern müsse alles unternehmen, um dies zu verhindern.

Wolle Österreich ein Staat der Agrargroßbetriebe werden, sei es auf dem richtigen Weg, meinte Bundesrat Klaus KONRAD (S/St). Strebe man dies jedoch nicht an, so müsse man dringend Änderungen im Förderwesen vornehmen: Eine Deckelung der Betriebsförderungen, einen besseren Abgleich des Faktors Arbeit und die Verbesserung der Bildungsstrukturen in der Landwirtschaft hielt der Mandatar dabei für ebenso notwendig wie die Stärkung des touristischen Segments und der Energieproduktion im ländlichen Sektor. Anzustreben gelte es außerdem auch eine "Lebensmittelautarkie", denn Österreich erwirtschafte nicht in allen Produktionsbereichen Überschüsse: Besonders bei der Erzeugung von Obst, Gemüse und Wein könnte noch aufgeholt werden, meinte Konrad. Als erfreulich bezeichnete es der Redner, dass die Zahl der Bio-Betriebe auf über 22.000 zugenommen habe. Die Entwicklung des Sektors an sich müsse jedoch kritisch betrachtet werden, zumal man eine Zunahme der Groß- bei zeitgleicher Abnahme der Kleinbetriebe zu verzeichnen habe.

Auch Bundesrat Franz PIROLT (F/K) kam auf diese Tendenz zu sprechen und plädierte für Maßnahmen, die eine Ausdünnung der Bevölkerung im ländlichen Raum verhindern. Die landwirtschaftlichen Betriebe sah Pirolt vor allem durch einen Bürokratiezuwachs, die zu niedrig bemessene Förderung des Faktors Arbeit und eine ungerechte Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel belastet. Die Politik sei deshalb gefordert, die entsprechende finanzielle Ausstattung bereitzustellen, für Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen und in die ländliche Infrastruktur zu investieren. Der Spekulation mit Lebensmitteln gelte es indes mit wirksamen Maßnahmen entgegen zu treten, plädierte Pirolt. Als notwendige Ziele der Gemeinsamen Agrarpolitik definierte der Bundesrat das Einziehen einer Obergrenze im Förderbereich und die stärkere Berücksichtigung des Faktors Arbeit.

Landwirtschaftsminister Nikolaus BERLAKOVICH hielt die erfolgte Vergemeinschaftung der Agrarpolitik für notwendig, denn sie verhindere die Entstehung eines "Förderwettlaufs" zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Neustrukturierung der GAP vor dem Hintergrund der nächsten Finanzperiode stelle jedoch vor große Herausforderungen. Für Österreich gehe es dabei um viel, zumal Absicherung der heimischen Landwirtschaft, Förderung der Regionen und Lebensmittelstandards an diese Diskussion geknüpft seien. Im Zuge der Verhandlungen hätte man aber bereits einige Erfolge verbuchen können, stellte Berlakovich fest: So habe man etwa die Einführung einer einheitlichen Förderprämie und die Verschiebung der Bergbauernförderung von der zweiten in die dritte Säule verhindern können und das Ausmaß der Kürzungen deutlich reduziert. Grundsatzposition der europäischen AgrarministerInnen sei es, die Landwirtschaft Europas "grüner" zu gestalten. Der Weg, den Österreich eingeschlagen habe und der von Kommissionspräsident Barroso unlängst gelobt wurde, illustriere schließlich, dass Produktionssteigerung und ökologisches Wirtschaften nicht widersprüchliche Ziele sein müssten. Er wolle aber nicht verschweigen, so Berlakovich, dass in Hinblick auf die zukünftige Gestaltung der GAP noch viel Diskussionsbedarf bestehe.

Was den angesprochenen Strukturwandel in der Landwirtschaft anbelange, habe es ihn immer gegeben. Durch die getroffenen Maßnahmen sei er aber verlangsamt worden, sodass sich der heimische Agrarsektor durchaus sehen lassen könne: Man verfüge schließlich über die vielfältigste, jüngste und weiblichste Landwirtschaft Europas. Dass man es außerdem geschafft habe, "Bio-Weltmeister" zu werden, sei nicht zuletzt auf den Umstieg zahlreicher Großbetriebe auf eine ökologische Produktionsweise zurückzuführen, gab der Bundesminister zu bedenken.

Bundesrätin Elisabeth KERSCHBAUM (G/N) hielt fest, die Gemeinsame Agrarpolitik habe vieles verändert, manches aber nicht zum Guten. So sei etwa ein Wandel hinsichtlich des Bilds des Landwirts zu verzeichnen: Dieser werde nicht mehr vorwiegend als Nahrungsmittelproduzent, sondern vielfach nun noch als "Subventionsspezialist" wahrgenommen, beklagte sie. Die heimischen Bäuerinnen und Bauern würden jedoch lieber für ihre Produktion entsprechend entlohnt. Kritik übte Kerschbaum außerdem an der Tendenz zur Industrialisierung und Exportorientierung des österreichischen Agrarsektors. Sie plädierte für eine diesbezügliche Systemänderung und warb dafür, den Landwirt in Hinkunft auch stärker als "Energiewirt" zu betrachten. Was das Thema Ökologie anbelange, gelte es, auch andere Staaten "mitzuziehen" und sicherzustellen, dass biologische Landwirtschaft zum europaweiten Standard werde.

Bundesrat Martin PREINEDER (V/N) zeigte sich erfreut darüber, dass sich das Europäische Parlament gegen eine Kürzung des Agrarbudgets ausgesprochen hat . Europas Landwirtschaft müsse schließlich "grüner" werden, weshalb die GAP entsprechend zu gestalten sei. In Österreich verfüge man Gott sei Dank über keine industrielle Landwirtschaft, meinte Preineder, sondern verbuche sogar den höchsten Anteil an biologischer Produktion. Natürlich sei es Ziel, diesen noch weiter auszubauen, die Endentscheidung liege jedoch beim Konsumenten, hielt der Bundesrat fest. Er plädierte außerdem für weniger Orientierung an internationalen Märkten und sprach sich explizit gegen Spekulationen mit Lebensmitteln aus.

Bundesrat Michael LAMPEL (S/B) verwies auf den breiten gesellschaftlichen Konsens, der in Österreich über die Bedeutung einer kleinstrukturierten Landwirtschaft als Grundlage der Produktion gesunder Lebensmittel existiere. Die große Herausforderung sei, wie die Agrarpolitik über 2013 hinaus Verteilungsgerechtigkeit bei den GAP-Geldern sicherstellen könne. Der Einklang von Landwirtschaft und Umwelt müsse gesichert werden, wenn es etwa um den Schutz des Grundwassers gehe, forderte der Bundesrat nachdrücklich. Die GAP müsse nicht nur wirtschaftliche und soziale Faktoren berücksichtigen, sondern darauf abzielen, dass der Begriff "grüne Landwirtschaft" mit Leben erfüllt werde.

Bundesrat Gerd KRUSCHE (F/St) thematisierte das Fördersystem ab  2014, das wie ein Damoklesschwert über den landwirtschaftlichen Betrieben hänge. Derzeit gebe es für die Bauern und Bäuerinnen zu wenig Planungssicherheit und keine Gewissheit, dass sie für harte Arbeit auch gerecht entlohnt würden. Ein Fördersystem, in dem 37 % der Betriebe der unteren Größenordnung nur 7 %, aber 1 % im oberen Bereich 10 % der Fördermittel erhielten, sei von massiver Ungerechtigkeit geprägt. Hier brauche es eine Deckelung. Insgesamt sollte die Agrarpolitik mehr den Grundsatz der Subsidiarität berücksichtigen, sodass wichtige Entscheidungen auf nationaler Ebene fallen können.

Bundesminister Nikolaus BERLAKOVICH nahm zu den in der Aussprache aufgeworfenen Themen abschließend nochmals kurz Stellung. Auf die Wortmeldung von Bundesrätin Elisabeth Kerschbaum erwiderte er, Österreich sei in der Frage der Endlagerstätten für Atommüll nicht von seinem Anti-Atomkurs abgewichen. Die Festlegung solcher Endlager trage vielmehr zur Kostenwahrheit der Atomenergie bei. Eingehender diskutieren müsse man die Frage, wie gegen die Spekulation mit Agrarprodukten, die vor allem für Entwicklungsländer nachteilige Folgen habe, vorgegangen werden könne. Berlakovich hielt fest, dass Österreich keine industrielle Landwirtschaft aufweise, wie sie andere Länder hätten. Zum Thema der Kürzung der Fördermittel der GAP verwies der Minister auf erste Erfolge der Verhandlungen. Die Kürzungen werden sicher nicht in der ursprünglich geplanten Höhe von 25 bis 30 % erfolgen. Insgesamt stehe man vor einer grundsätzlichen Richtungsentscheidung, ob Europa weiter den Weg einer industrialisierten Landwirtschaft gehen wolle, oder ob man zu einer ökologisch nachhaltigen Agrarproduktion gelangen könne. Diese Frage sei noch nicht entschieden. Nachhaltigkeit werde auch in der Fischerei zunehmend ein Thema, die KonsumentInnen würden in dieser Frage kritischer, was auch für einige Betriebe in Österreich neue Chancen eröffne, sagte Berlakovich. (Schluss/Fortsetzung Bundesrat)


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