Parlamentskorrespondenz Nr. 479 vom 04.06.2013

Verfassungsausschuss ebnet Weg für Gesetzesbeschwerde

Verwaltungsgerichte: Redaktionsversehen in Verfahrensgesetzen werden beseitigt

Wien (PK) – Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren können sich künftig direkt an den Verfassungsgerichtshof wenden, wenn sie der Meinung sind, dass im Verfahren anzuwendende Gesetze verfassungswidrig sind. SPÖ, ÖVP und FPÖ haben sich nach mehrmonatigen Verhandlungen auf einen Gesetzentwurf zur Einführung der so genannten "Gesetzesbeschwerde" verständigt. Damit wollen die Abgeordneten nicht nur den Rechtsschutz für die BürgerInnen ausbauen, sondern auch die Rechtsbereinigungsfunktion des Verfassungsgerichtshofs stärken. Der auf Basis eines FPÖ-Antrags erarbeitete Gesetzesvorschlag ist bereits auf dem Weg ins Plenum des Nationalrats, der Verfassungsausschuss gab heute grünes Licht.

Grüne und BZÖ lehnten den Entwurf vorläufig ab - sie sehen noch einige offene Punkte. Ausschussvorsitzender Peter Wittmann (S) hofft aber, die Bedenken der beiden Oppositionsparteien bis zur Abstimmung im Nationalrat noch ausräumen zu können und zeigte sich über das "Feintuning" des Gesetzentwurfs gesprächsbereit. Gespräche sollen Anfang nächster Woche stattfinden.

Voraussetzung für die Anrufung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) soll dem nunmehr vorliegenden Entwurf zufolge das Vorliegen eines erstinstanzlichen Urteils sein. Damit knüpfen die Abgeordneten an einen Vorschlag der FPÖ-Abgeordneten Peter Fichtenbauer und Harald Stefan (2227/A) an. Der "Parteienantrag auf Normenkontrolle" ist demnach gleichzeitig mit der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zu stellen, nur in Ausnahmefällen kann man sich auch später noch an den VfGH wenden. Die Bestimmungen gelten analog auch bei vermeintlich gesetzeswidrigen Verordnungen. Bestimmte Materien bleiben allerdings von der Gesetzesbeschwerde ausgenommen, welche das genau sind, soll in einem einfachen Gesetz geregelt werden. Dieses noch zu erarbeitende Bundesgesetz hat auch die Folgen für den Fall zu bestimmen, dass der VfGH der Gesetzes- bzw. Verordnungsbeschwerde stattgibt.

Wie bei Individualbeschwerden kann der Verfassungsgerichtshof bei unzureichender Erfolgsaussicht die Behandlung einer Gesetzesbeschwerde ablehnen.

Was die geplanten Ausführungsbestimmungen zur "Gesetzesbeschwerde" betrifft, haben die Koalitionsparteien und die FPÖ in Form einer Entschließung bereits einige Eckpunkte vorgegeben. So ist eine Viermonatsfrist vorgesehen, innerhalb derer der Verfassungsgerichtshof über die Ablehnung einer "Gesetzesbeschwerde" entscheiden soll. Das ordentliche Gerichtsverfahren soll während dieser viermonatigen Frist nicht unterbrochen werden. Für offenkundig mutwillige oder in bloßer Verzögerungsabsicht gestellte Parteienanträge auf Normenkontrolle stellen die Abgeordneten eine "angemessene" Mutwillensstrafe in Aussicht.

Als Beispiele für Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde führt die Entschließung ausdrücklich Provisorialverfahren, strafrechtliche Ermittlungsverfahren und Angelegenheiten des Exekutions-  und Insolvenzrechts an. Jedenfalls soll sichergestellt werden, dass der Zweck des ordentlichen Gerichtsverfahrens nicht unterlaufen werden kann. In Kraft treten sollen die neuen Verfassungsbestimmungen mit 1. Jänner 2015, bis dahin soll auch das Ausführungsgesetz beschlossen sein.

Koalitionsparteien wollen Grüne und BZÖ noch überzeugen

Im Rahmen der Debatte äußerte Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) "große Freude" darüber, dass das Rechtsschutzsystem in Österreich nun entscheidend ausgebaut wird. Die juristische Welt sei in Bezug auf die Gesetzesbeschwerde ziemlich gespalten, meinte er, vor allem die Vertreter der ordentlichen Gerichtsbarkeit hätten sich gegen deren Implementierung gesträubt. Fichtenbauer glaubt allerdings nicht, dass das neue Rechtsschutzinstrument, wie befürchtet, zu Verfahrensverzögerungen führen wird, und zeigte sich überzeugt, dass die Realität die kritischen Stimmen widerlegen wird.

Die Abgeordneten Daniela Musiol (G) und Herbert Scheibner (B) sehen allerdings noch nicht alle Bedenken ausgeräumt. Die Grünen würden sich nach wie vor grundsätzlich zur Einführung der Gesetzesbeschwerde bekennen, sagte Musiol, es wäre aber sinnvoll gewesen "noch eine kurze Begutachtungsschleife einzuziehen", um offene Punkte zu klären. Sowohl Musiol als auch Abgeordneter Scheibner sind der Meinung, dass die Ausnahmeermächtigung zu weit gefasst ist, sie fürchten, dass die Gesetzesbeschwerde durch zu viele Ausnahmen ausgehöhlt werden könnte. Für Musiol ist es außerdem nicht einsichtig, warum strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgenommen werden sollen und wozu es eine Mutwillensstrafe braucht.

Ausdrücklich begrüßt wurde von Scheibner die von Ausschussobmann Peter Wittmann und ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl bekundete Bereitschaft, über das "Feintuning" des Gesetzesentwurfes Anfang nächster Woche nochmals zu verhandeln. Nach Meinung von Wittmann führt allerdings kein Weg daran vorbei, zentrale Ausführungsbestimmungen in einem eigenen Gesetz und nicht in der Verfassung zu verankern. In der Verfassung gebe es nirgends bestimmte Fristen, argumentierte er. Die Gefahr, dass einfachgesetzlich zu viele Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde verankert werden, sieht Wittmann nicht, darüber werde der Verfassungsgerichtshof sicher wachen.

Auf einzelne Adaptierungen am Gesetzentwurf hoffen nicht nur Grüne und BZÖ, sondern auch SPÖ-Abgeordneter Johannes Jarolim. Es komme ihm komisch vor, dass erstinstanzliche Gerichte keinen Gesetzesprüfungsantrag an den VfGH richten dürfen, Verfahrensparteien aber schon, meinte er. Zudem wünscht er sich eine ausdrückliche Feststellung von Seiten des Parlaments, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über eine Gesetzesbeschwerde vor dem OGH-Urteil vorliegen soll. Abgeordneter Fichtenbauer hielt dazu fest, er gehe davon aus, dass Gerichtsverfahren in der Praxis erst nach einer VfGH-Entscheidung fortgesetzt werden.

Sowohl der Gesetzentwurf als auch die Entschließung wurden mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ angenommen. Zuvor hatte Abgeordneter Fichtenbauer einen in der letzten Sitzung eingebrachten Abänderungsantrag zu seinem Antrag formal wieder zurückgezogen.

Durch den Beschluss des überarbeiteten FPÖ-Antrags sind zwei ursprüngliche Fünf-Parteien-Anträge zur Gesetzesbeschwerde (2031/A, 2032/A) miterledigt. Gleiches gilt für einen weiteren FPÖ-Antrag aus dem Jahr 2009 (337/A). Die beiden Fünf-Parteien-Anträge hatten eine Anrufung des VfGH erst nach einem letztinstanzlichen Gerichtsurteil vorgesehen und damit Befürchtungen hervorgerufen, der Verfassungsgerichtshof könne Entscheidungen des OGH künftig aushebeln und somit zu einer Art "Supergerichtshof" aufgewertet werden. Abstand nahmen die Abgeordneten auch von Überlegungen, mit der Einführung der Gesetzesbeschwerde die Möglichkeit der Bescheidbeschwerde (Art. 144 B-VG) aus der Verfassung zu streichen und damit die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofs in Verwaltungsverfahren zu beschneiden.

Verwaltungsgerichte: Verfahrens- und Ausführungsgesetz werden adaptiert

Einstimmig vom Verfassungsausschuss angenommen wurde ein Gesetzentwurf der Koalitionsparteien (2294/A), mit dem, rechtzeitig vor dem Inkrafttreten, diverse Redaktionsversehen in den Anfang dieses Jahres beschlossenen Ausführungs- und Verfahrensgesetzen zur Neuregelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit beseitigt und legistische Klarstellungen vorgenommen werden sollen. So wird etwa die Bestimmung über die örtliche Zuständigkeit für Verwaltungsgerichtsverfahren auf Wunsch der Länder neu formuliert. Bei der Abstimmung wurde auch eine Druckfehlerberichtigung berücksichtigt.

Ein Bericht der Bundesregierung betreffend die rechtliche Stellung von Legalparteien (III-409 d.B. ) wurde vom Ausschuss mit den Stimmen der SPÖ, der ÖVP und des BZÖ zur Kenntnis genommen. Im Bericht wird die Bedeutung von Legalparteien hervorgehoben und in Zusammenhang mit der Einführung von Verwaltungsgerichten wenig Änderungsbedarf gesehen. Die Grünen zeigten sich vom Inhalt des Berichts enttäuscht und meinten, dieser entspreche nicht dem, was sie sich vorgestellt hätten. (Fortsetzung Verfassungsausschuss) gs