Parlamentskorrespondenz Nr. 522 vom 12.06.2013

Sexualstrafrechtsänderung hebt Strafrahmen einzelner Delikte an

Lebhafte Diskussion über Ahndung sexueller Belästigungen

Wien (PK) – Nach der Debatte um die zukünftige Ausbildung der LehrerInnen wandte sich der Nationalrat Themen aus dem Justizbereich zu. Am Beginn stand dabei das Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013, das die Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung, die Stärkung des Schutzes von Kindern sowie ein wirksameres Vorgehen gegen Menschenhandel zum Ziel hat. Konkret sind die Anhebung der Strafrahmen für einzelne Delikte, so etwa für Vergewaltigung und qualifizierte geschlechtliche Nötigung, aber auch die Ausweitung von Straftatbeständen, unter anderem bei sexuellem Missbrauch von Unmündigen, vorgesehen. Die Änderungen fanden die Zustimmungen aller Fraktionen, auch wenn vor allem die VertreterInnen der Opposition noch weitere Maßnahmen für nötig hielten. Die Debatte bot den Abgeordneten auch Gelegenheit, die rechtliche Situation bei Fällen sexueller Belästigung und den Kinderschutz zu diskutieren.

Ein schärferes Vorgehen gegen Kinderschänder sowie die Einrichtung eines Opferfonds für psychologische und medizinische Betreuung forderte in diesem Zusammenhang ein Antrag der FPÖ, der bei der Abstimmung allerdings in der Minderheit blieb.

Fichtenbauer: Wesentliche Anliegen der FPÖ teilweise umgesetzt

Abgeordneter Peter FICHTENBAUER (F) sprach von einem wesentlichen Schritt in die richtige Richtung und erinnerte daran, dass die Kernpunkte dieses Gesetzes stets Anliegen der FPÖ waren. Er begrüßte vor allem die Ausdehnung der inländischen Gerichtsbarkeit auf Fälle des Sexualtourismus und hob darüber hinaus die Anhebung der Strafrahmen bei Vergewaltigung und qualifiziertem sexuellem Missbrauch sowie die inhaltliche Erweiterung bei sexuellem Missbrauch von Unmündigen als besonders positiv hervor. Mit Bedauern stellte er allerdings fest, dass sich die Regierungsparteien dem Entschließungsantrag seiner Fraktion, in dem ein Ausbau der psychotherapeutischen Betreuung sowie die Einrichtung eines Fonds für Opfer von Sexualdelikten gefordert wird, nicht anschließen konnten.

Ikrath: Mehr Sensibilität für Schutz der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung

Durch das vorliegende Paket würden Richtlinien der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen umgesetzt, betonte Abgeordneter Peter Michael IKRATH (V). Darüber hinaus implementiere das Parlament damit auch eine Entschließung des Nationalrats, in der ein besserer Schutz von wehrlosen bzw. psychisch beeinträchtigten Personen vor sexuellem Missbrauch eingefordert wurde. Mit der deutlichen Anhebung der Strafen bei Sexualdelikten wiederum setze man ein Zeichen und trage vor allem der verstärkten Sensibilität in der Bevölkerung hinsichtlich des Schutzes der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung Rechnung, war Ikrath überzeugt. Ein Abänderungsantrag des Redners hatte eine Klarstellung betreffend den Zeitpunkt des Inkrafttretens zum Inhalt.

Steinhauser: Prävention und Aufklärung bei Sexualdelikten nötig

Abgeordneter Albert STEINHAUSER (G) plädierte für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema Strafen und bemerkte, der Zeitpunkt für die Anhebung der Strafmaße sei nicht glücklich gewählt und eher dem Wahlkampf geschuldet. Angesichts einer hohen Dunkelziffer bei Sexualdelikten müssten jedenfalls die Prävention und die Aufdeckung im Vordergrund stehen, betonte der Justizsprecher der Grünen. Steinhauser brachte in seiner Rede auch den Fall des FPÖ-Abgeordneten Lausch aufs Tapet und unterstrich, die Vorwürfe der sexuellen Belästigung seien inhaltlich nicht widerlegt worden, zumal das Disziplinarverfahren wegen Verjährung eingestellt werden musste.

Jarolim: Behörden müssen bei Menschenhandel reagieren


Abgeordneter Johannes JAROLIM (S) begrüßte ebenfalls die Anpassungen in der Novelle, gab aber zu bedenken, die Erhöhung der Strafe alleine nütze nichts. So sei vor allem beim Menschenhandel die Reaktion der Behörden wesentlich, gab er zu bedenken und appellierte in diesem Zusammenhang auch an die Innenministerin. Der SPÖ-Mandatar bedauerte überdies, dass in der Frage des "Po-Grapschens" keine Lösung gefunden werden konnte. Derartige Übergriffe sollten zumindest genauso geahndet werden wie die üble Nachrede, schlug er vor.

Westenthaler: Schutz der Kinder muss verstärkt werden

Abgeordneter Peter WESTENTHALER (B) zollte der Justizministerin Respekt und Anerkennung für das vorliegende Paket, meinte aber, die beschlossenen Maßnahmen seien nur ein erster Schritt. Kinder müssten als besonders schützenswerte Gruppe definiert werden, verlangte Westenthaler. Er kritisierte die nach wie vor bestehende Unterscheidung zwischen sexuellem Missbrauch und schwerem sexuellem Missbrauch gegen Unmündige und argumentierte, jeder sexuelle Missbrauch von Kindern sei als schwer einzustufen. Der BZÖ-Sprecher forderte weiters eine generelle Anzeigepflicht bei Verdacht des sexuellen Missbrauchs sowie den Entfall von Verjährung und bedingter Entlassung bei Sexualdelikten. In einem Entschließungsantrag wandte er sich zudem gegen die bedingte Entlassung von zu lebenslanger Haftstrafe verurteilten Straftätern.

Abgeordnete Anna FRANZ (V) sah in der Novelle deutliche Verbesserungen zum Schutz von Kindern und von beeinträchtigten Menschen. Zum "Po-Grapschen" hielt sie fest, es handle sich hier um kein Kavaliersdelikt und dürfe nicht bagatellisiert werden. Das Strafrecht sei allerdings nicht das richtige Instrument, eine Sanktionierung mit Verwaltungsstrafen wäre ausreichend, meinte Franz.

Hagen: Entlassene Sexualstraftäter unter Beobachtung halten

Das Gesetz gehe in die richtige Richtung, aber nicht weit genug, lautete der Befund des Abgeordneten Christoph HAGEN (T). Sexualtäter gehören hinter Schloss und Riegel, und das möglichst lange, stand für ihn fest. Nach Ansicht des Redners sollte die Exekutive eine Möglichkeit erhalten, bedingt entlassenen Sexualstraftätern "auf die Finger zu schauen" und sie vorbeugend zu kontaktieren.

Justizministerin Karl: Opfer finden stärkere Berücksichtigung

Bundesministerin Beatrix KARL (V) interpretierte das Gesetz als wichtiges Signal in Richtung einer stärkeren Berücksichtigung opferbezogener Faktoren bei der Strafbemessung. Sie erinnerte überdies auch daran, dass durch den Beschluss Richtlinien der EU zur Bekämpfung des Menschenhandels und des sexuellen Missbrauchs von Kindern umgesetzt werden. Was das "Po-Grapschen" betrifft, äußerte sich die Ministerin skeptisch hinsichtlich einer strafrechtlichen Sanktionierung und meinte, das Strafrecht könne immer nur die Funktion einer Ultima Ratio übernehmen.

Wie gegen sexuelle Belästigung und Kindesmissbrauch vorgehen?

Viele Verbesserungen ortete auch Abgeordnete Sonja STEßL-MÜHLBACHER (F), die vor allem die höheren Strafen sowie die Tatbestandsausdehnungen begrüßte. Das "Po-Grapschen" bezeichnete sie als massive Grenzüberschreitung, die sehr wohl strafrechtlich geahndet werden sollte. Irritiert zeigte sich die Rednerin auch über das Ungleichgewicht, das bei den Strafen für Vermögensdelikte und jenen für Delikte gegen Leib und Leben besteht, wobei sie anmerkte, hier bestehe noch Handlungsbedarf bei zukünftigen Reformschritten.

"Kindesmissbrauch ist Mord an Kinderseelen" – mit diesem Satz brachte die Freiheitliche Familiensprecherin Anneliese KITZMÜLLER ihre Verärgerung über unzureichenden Kinderschutz auf den Punkt. In dem mitverhandelten Antrag ihrer Fraktion werde daher die bestmögliche Hilfe für minderjährige Missbrauchsopfer gefordert, etwa flächendeckende Psychotherapieeinrichtungen, ein eigener Opferfonds und vorbeugende Aufklärungsarbeiten, skizzierte die Abgeordnete. Außerdem richtete sie an die Grüne Fraktion den Appell, sich klar vom Grünen Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit zu distanzieren, da in dessen Vergangenheit pädophile Handlungen auszumachen seien.

Mehr Schutz von behinderten Menschen vor Missbrauch

Abgeordneter Franz-Joseph HUAINIGG (V) begrüßte die zur Debatte stehende Novelle, weil damit nun endlich der Strafrahmen bei sexuellem Missbrauch von wehrlosen und psychisch kranken Personen auf zehn Jahre erhöht werde. Bisher, schilderte der ÖVP-Mandatar, gab es strafrechtliche Benachteiligungen behinderter Menschen auf Grund unzulässiger Verharmlosungen. Zusätzlich zur Gesetzesänderung seien aber noch begleitende Maßnahmen im Sozialbereich zum Schutz vor Übergriffen gegen Menschen mit Behinderung notwendig, hielt Huainigg fest und nannte die Einsetzung von Vertrauenspersonen, die Sensibilisierung bei der Glaubhaftmachung von Vorwürfen und Selbstverteidigungskurse für behinderte Menschen als Beispiele.

Abgeordnete Judith SCHWENTNER (G) warf der FPÖ vor, diese wolle mit der Erwähnung von Vorhalten gegen Cohn-Bendit nur davon ablenken, dass gegen einen ihrer eigenen Nationalratsabgeordneten, Christian Lausch, schwerwiegende Vorwürfe wegen sexueller Belästigung bestünden. Lausch sei aus diesem Grund rücktrittsreif. Die Freiheitlichen sollten sich vor dem Hintergrund der Beschwerden gegen den FPÖ-Mandatar überlegen, ob sie tatsächlich die Interessen von Opfern oder eher jene der eigenen Partei vertreten wollen,  meinte Schwentner.

Angesichts der gegenständlichen Strafrechtsnovelle sei zu betonen, dass Gesellschaftspolitik nicht nur über das Strafrecht gemacht werden könne, sagte Abgeordneter Hannes FAZEKAS (S). Fraglos seien die in der Gesetzesänderung gesetzten Schritte gegen Menschenhandel und Kindesmissbrauch notwendig, räumte der SPÖ-Mandatar ein. Doch gerade das Sexualstrafrecht sei ganzheitlich zu betrachten. Nicht das Rachebedürfnis, sondern General- und Spezialprävention müssten im Vordergrund stehen. Zur Diskussion über die lebenslange Freiheitsstrafe sei anzumerken, dass eine solche Strafe in der Regel in Österreich nach 22 Jahren beendet sei, merkte Fazekas an. Es gebe sie aber sehr wohl in voller Länge bei gefährlichen und geistig abnormen Rechtsbrechern.

Abgeordneter Gernot DARMANN (F) ging auf den von seiner Parteikollegin Kitzmüller aufgeworfenen Fall Cohn-Bendit ein und erklärte, er sei bestürzt, dass die Grünen sich nicht von ihrem Fraktionskollegen im EU-Parlament distanzierten. An der vorliegenden Novelle zum Sexualstrafrecht lobte er zwar, dass die Strafrahmen bei Sexualdelikten angehoben werden, er vermisste jedoch darin eine Bestimmung, mit der für pädophile Täter ein lebenslanges Tätigkeitsverbot im Nahbereich von Kindern und Jugendlichen vorgesehen wird. Auch müssten Betreuungsinstitutionen zukünftig Informationen über entsprechende Verurteilungen von Mitarbeitern erhalten, denn es gelte, den Opferschutz über den Datenschutz zu stellen, so Darmann.

Ihre Betroffenheit über die Haltung der österreichischen Grünen zu Cohn-Bendit artikulierte auch Abgeordnete Karin HAKL (V) und ortete darin die Nachwirkungen einer "gescheiterten linken Utopie". Kinder müssten als die Wehrlosesten der Gesellschaft jedenfalls konsequent vor Übergriffen geschützt werden. Deshalb stelle sich die ÖVP auch klar gegen die Abschaffung lebenslänglicher Haftstrafen, machte Hakl klar.

Mit der Sexualstrafrechtsnovelle werde nun unterbunden, dass Täter beim Straftatbestand Vergewaltigung mit einem geringeren Strafausmaß rechnen können, wenn behinderte Menschen betroffen sind, zeigte sich Abgeordnete Helene JARMER (G) erfreut. Damit werde der Diskriminierung von Personen mit Behinderung Einhalt geboten, meinte Jarmer, die Republik trage damit auch der UN-Konvention zum Schutz behinderter Menschen vor Gewalt und Missbrauch Rechnung. Sie forderte darüber hinaus noch eine aktuelle Studie zu Missbrauchsopfern mit Behinderung in Heimen ein, denn die letzte Erhebung dazu stamme aus den 1990er Jahren.

Abgeordneter Werner HERBERT (F) griff den von den Grünen erwähnten Fall des Abgeordneten Lausch auf und sah darin einen "krampfhaften Versuch, die FPÖ anzupatzen". In seinen Ausführungen umriss Herbert seine Sicht des tatsächlichen Verlaufs der Dinge rund um die gegen Lausch erhobenen Anschuldigungen, die von einer seiner Kolleginnen an seiner damaligen Dienststelle, einer Justizanstalt, erhoben wurden. Herbert zufolge sei es dort nie zu einem Disziplinarverfahren gegen den jetzigen FPÖ-Mandatar gekommen, da sich herausgestellt habe, dass eine Anzeige gegen diesen nicht sinnvoll sei.

Daraufhin ergriff Grünen-Abgeordneter Peter PILZ das Wort, um festzuhalten, dass nur deswegen kein Disziplinarverfahren gegen Lausch eingeleitet wurde, weil die damit befasste Disziplinarbehörde den diesbezüglichen Akt mit eindeutigen Hinweisen auf sexuelle Belästigungen nicht bekommen habe. Nämliches Dokument sei damals im Kabinett des Justizministeriums in Beschlag genommen worden. Pilz folgerte, daran zeige sich erneut, dass das Verlangen der Freiheitlichen nach härteren Strafen nicht gelte, wenn die Beschuldigten aus der FPÖ selbst stammen, und kündigte ein Vorgehen der Strafbehörden in dieser Sache an.

In seiner Replik dazu richtete FPÖ-Abgeordneter Harald VILIMSKY erneut eine Aufforderung an die Grünen, sie sollten, anstatt Abgeordneten Lausch vorzuführen, dessen Unbescholtenheit an seinem früheren Dienstort bestätigt worden sei, lieber endlich von EP-Politiker Cohn-Bendit Abstand nehmen. Immerhin habe dieser ihnen in ihren Wahlkämpfen hilfreich zur Seite gestanden. Cohn-Bendit habe die "widerlichen Vorfälle", derer er bezichtigt wird, selbst dargestellt, in Deutschland seien daher auch schon Kommissionen dazu eingerichtet worden, erklärte Vilimsky.

Nationalratspräsidentin Barbara PRAMMER kündigte abschließend an, in der nächsten Präsidialkonferenz die in der Debatte getätigten Verurteilungen und Vorverurteilungen durch Abgeordnete zur Sprache zu bringen.

Die Änderung des Sexualstrafrechts nahm das Plenum in Zweiter und Dritter Lesung einstimmig an. Ebenso fand der SPÖ-ÖVP-Abänderungsantrag dazu, in dem das Inkrafttreten der Novelle mit 1. August 2013 festgeschrieben wird, einhellige Zustimmung. Der BZÖ-Entschließungsantrag zur lebenslangen Haft blieb in der Minderheit. Der mitverhandelte FPÖ-Antrag für härtere Bestrafung bei Kindesmissbrauch wurde, wie schon im Justizausschuss, auch im Nationalrat von der Mehrheit der Abgeordneten abgelehnt. (Fortsetzung Nationalrat) sox/hof/rei