Parlamentskorrespondenz Nr. 950 vom 23.10.2014

Start des parlamentarischen Prozesses zur Reform der U-Ausschüsse

Erste Lesung im Nationalratsplenum, breite Zufriedenheit mit vorliegendem Verhandlungsergebnis

Wien (PK) – Die Reform der Untersuchungsausschüsse legt nun im parlamentarischen Gesetzgebungsprozess an Tempo zu. Nachdem gestern SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne und NEOS das Gesetzespaket eingebracht hatten, wurde es bereits heute an der Spitze der Tagesordnung des Nationalratsplenums im Rahmen einer Ersten Lesung diskutiert, wie es die Geschäftsordnung vorsieht, um es dann dem Geschäftsordnungsausschuss zuweisen zu können. Dieser tritt gleich nach Sitzungsende zusammen, mit dem Plan, die Gesetzestexte einer dreiwöchigen Begutachtung zu unterziehen. Die weitere Debatte im Ausschuss ist für Ende November bis Anfang Dezember in Aussicht genommen, damit die Vorlage zeitgerecht vor Weihnachten dem Plenum zur Beschlussfassung übermittelt werden kann. Einem Inkrafttreten mit 1. Jänner 2015 stünde dann nichts mehr im Wege, die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses wäre ab diesem Zeitpunkt das Recht von einem Viertel der Abgeordneten. Derzeit ist ein Mehrheitsbeschluss nötig. (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 931)

Die Verankerung des Minderheitsrechts, das nicht nur die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses betrifft, sondern sich auch auf Beweisanforderungen und die Ladung von Auskunftspersonen bezieht, stellt einen bedeutenden Schritt dar, der durch eine umfassende Verfahrensreform ergänzt wird. Geändert werden zu diesem Zweck das Geschäftsordnungsgesetz des Nationalrats (719/A), das Bundes-Verfassungsgesetz, das Verfassungsgerichtshofgesetz, das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung, die Nationalrats-Wahlordnung, das Bundesbezügegesetz und das Mediengesetz (718/A). Neu erlassen werden soll ein Informationsordnungsgesetz (720/A).

Die Neuerungen betreffen unter anderem die Beiziehung eines Verfahrensrichters zur Unterstützung der Vorsitzführung sowie eines Verfahrensanwalts zum Schutz der Grund- oder Persönlichkeitsrechte von Auskunftspersonen. Deren Rechte und Pflichten werden ebenfalls klar definiert. Strittige Fragen können an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden. Geht es darum, ob Fragen an Auskunftspersonen zulässig sind, fungieren die VolksanwältInnen als Parlamentarische Schiedsstelle. Untersuchungsausschüsse sollen in der Regel nicht länger als 14 Monate dauern, den Vorsitz führt die Präsidentin des Nationalrats bzw. ihre Stellvertreter im Präsidium. Durch das neue Informationsordnungsgesetz soll Klarheit im Umgang mit klassifizierten und nicht-öffentlichen Informationen geschaffen werden. Sollten diese Regeln von einem bzw. einer Abgeordneten gebrochen werden, fällt der Schutz der Immunität weg. Die Immunität der Abgeordneten wird auch im Fall einer Verleumdung durchbrochen.

Selbstbewusstsein des Parlaments gestärkt, man ist auf Augenhöhe mit der Regierung

Die erste parlamentarische Debatte über das Reformpaket zu den Untersuchungsausschüssen war geprägt von breiter Zustimmung und Zufriedenheit mit dem Verhandlungsergebnis. Es fielen Formulierungen wie "Bereicherung und notwendige Weiterentwicklung der parlamentarischen Demokratie" (Andreas Schieder - S), "historischer Tag" (Otto Pendl – S), "Meilenstein für gelebten Parlamentarismus" (August Wöginger - V, Heinz-Christian Strache - F), "Jahrhundertreform für das Parlament" (Gernot Darmann – F), "freudvoller Tag" (Eva Glawischnig-Piesczek – G), und "selbstbewusster Schritt in Richtung modernes Arbeitsparlament" (Matthias Strolz – N).

Vor allem war es den RednerInnen wichtig zu unterstreichen, dass das Parlament mit diesem Gesetzespaket einen wesentlichen Schritt zu mehr Selbstbewusstsein gegenüber der Regierung macht. Man befinde sich auf gleicher Augenhöhe mit der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit, bemerkten etwa Otto Pendl (S) und Josef Cap (S), die Zeiten für eine oft entwürdigende Situation des Parlaments seien vorbei, meinte Eva Glawischnig-Piesczek (G). "Da haben wir etwas ganz Wichtiges geschafft", zeigte auch Peter Pilz (G) seine uneingeschränkte Freude über die Einigung. "Ich bin heute stolz auf dieses Parlament, wir schaffen die größte Reform der Demokratie seit 1945", sagte er und war überzeugt davon, dass sich mit dieser "großen, kompletten und wichtigen Reform die Politik in Österreich zum Besseren wenden wird". Schon allein die Tatsache, dass parlamentarische Minderheiten Untersuchungsausschüsse einsetzen und diese von der Mehrheit nicht mehr abgedreht werden können, werde präventive Wirkung haben, strichen vor allem die Grüne Klubobfrau Eva Glawischnig-Piesczek und Dieter Brosz (G) hervor. Das Verhalten der Verwaltung wird sich einfach anpassen, wenn man jederzeit Vorwürfen des Machtmissbrauchs, der politischen Korruption und der Verschwendung von Steuergeldern nachgehen kann, bemerkte die Klubobfrau der Grünen. Brosz nannte dies einen "Kulturbruch" im positiven Sinn, denn es werde nicht mehr möglich sein, dass die Regierung ihre Abgeordneten unter Druck setzt.

Die Oppositionsparteien FPÖ, Grüne und NEOS wiesen zudem darauf hin, dass die Reform ohne den Druck der Bevölkerung nicht möglich gewesen wäre. Heinz-Christian Strache (F), Matthias Strolz (N) und Rainer Hable (N) sprachen in diesem Zusammenhang von einem "Sieg der BürgerInnen", die mit ihrem 250.000 Unterschriften die diesbezüglichen Petitionen und Bürgerinitiative unterstützt und damit klargemacht haben, welch großes Anliegen es ihnen sei, die parlamentarische Kontrolle zu stärken. Für Strache ist man jedoch noch nicht am Ende des Weges angelangt, für ihn muss als nächster Schritt der Ausbau der direkten Demokratie erfolgen.

Die Grünen appellierten, Österreich müsse nun den Weg, den es mit diesem Paket als Avantgarde der Kontrolle beschreitet, fortsetzen. Der Prozess, die komplexe Reform mit Unterstützung von ExpertInnen der Klubs und der Parlamentsdirektion im Haus selbst zu erarbeiten, werten die Grünen auch als exemplarisches Beispiel für zukünftige Parlamentsarbeit und parlamentarisches Selbstbewusstsein.

Team Stronach befürchtet Aushöhlung der Minderheitsrechte

Lediglich dem Team Stronach geht die Reform nicht weit genug. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf wird nach Meinung von Klubobfrau Kathrin Nachbaur das Minderheitsrecht sogar ausgehöhlt, nachdem die meiste Macht beim Verfahrensrichter liegen soll. Auch ihre Klubkollegin Waltraud Dietrich warnte vor der mächtigen Position des Verfahrensrichters, der durch die Mehrheit bestimmt wird. Die Vorsitzführung durch die Nationalratspräsidentin, die nach Ansicht Dietrichs wiederum unter Einfluss des Bundeskanzlers steht und die vom Verfahrensrichter unterstützt werden soll, trage weiters dazu bei, dass man der Mehrheit alles in die Hand gibt, warnte Dietrich. Die Mächtigen haben es sich wieder gerichtet, SPÖ und ÖVP haben es geschafft, dass die Opposition in weiten Bereichen ausgeschaltet wird, so das Fazit der Vertreterinnen des Team Stronach.  

Nachbaur konnte auch deshalb die Euphorie der anderen Fraktionen nicht nachvollziehen, weil für sie die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen als Minderheitsrecht eine Selbstverständlichkeit in der modernen Demokratie darstellt und man mit dem vorliegenden Paket nun einen selbstverständlichen Schritt aus der demokratiepolitischen Steinzeit setze.

SPÖ und ÖVP: U-Ausschüsse sind kein Polittribunal und keine Politshow, sondern haben der Aufklärung zu dienen

Seitens der Regierungsparteien wurde vor allem Wert darauf gelegt, dass es gelungen sei, die Grund- und Persönlichkeitsrechte von Auskunftspersonen zu schützen und dem Parlament die Entscheidung in die Hand zu geben, wie die Einstufung der Dokumente in Bezug auf Vertraulichkeit aussieht. Die Informationsordnung werde nicht nur für die Untersuchungsausschüsse gelten, sondern auch für die anderen Verfahren im Haus, strich Klubobmann Andreas Schieder (S) hervor. Eine Diskussion um geschwärzte Akten sollte es dann nicht mehr geben.

Für Schieder sowie für Klubobmann Reinhold Lopatka (V) und Abgeordneten August Wöginger (V) ist es vorrangiges Ziel der Reform, dass die Untersuchungsausschüsse zur Aufklärung und Problemlösung beitragen und keine Politshow mehr darstellen. Der Untersuchungsausschuss dürfe kein Umschlagplatz für streng vertrauliche Unterlagen sein, stellte Lopatka fest, weshalb er in diesem Punkt die Durchbrechung der Immunität für gerechtfertigt hält. Auch im Falle einer Verleumdung dürfe sich ein Abgeordneter nicht mehr hinter der Immunität verstecken, sagte er. Es sei notwendig gewesen, das Verfahren im Interesse des Schutzes der Persönlichkeitsrechte von Auskunftspersonen zu verrechtlichen, denn Untersuchungsausschüsse dürften auch keineswegs mehr zu einem Polit-Tribunal ausarten. Die Verfahrensrichter seien Garant dafür, dass nun rechtlich ordentlich im Ausschuss gearbeitet wird, zeigten sich sowohl Lopatka als auch Wöginger zufrieden.

Die Reform muss nun mit Leben erfüllt werden

SPÖ und ÖVP waren sich einig, dass die Reform nun auch mit Leben erfüllt werden müsse. Es gehe darum, dass die Abgeordneten die Chance ergreifen, mit diesem Rechtsrahmen verantwortungsvoll umzugehen und anstelle der Skandalisierung die Aufdeckung politischer Missstände und die sich daraus ergebenden Konsequenzen im Mittelpunkt stehen, betonten Lopatka (V) und Pendl (S). Das gesamtstaatliche Interesse müssten alle im Blickpunkt haben, so der Tenor.

Josef Cap (S) warf dazu einen weiteren Aspekt ein, zumal die kommenden Untersuchungsausschüsse einen enormen Arbeitsaufwand verursachen werden. "Wer die Reduzierung der Anzahl der Abgeordneten fordert, der fordert auch die Reduktion der Kontrolle", bemerkte Cap in Richtung einiger Oppositionsabgeordneter.

Der Hypo-Untersuchungsausschuss kommt bestimmt

Heinz-Christian Strache (F) hielt die Informationsordnung ebenfalls für wichtig, er sei aber gespannt, ob das funktionieren wird, sagte er. Wie sein Klubkollege Gernot Darmann begrüßte er die klaren Verfahrensregeln und hoffte auf die künftige Kooperation der Regierungsparteien. Als wahre Kraft der Kontrollfunktion bezeichnete Darmann die Minderheitsrechte im Verfahren bei Untersuchungsausschüssen. Die Arbeit beginne jetzt mit wichtigen und gut gewählten Ausschussthemen, so Darmann.

Matthias Strolz (N) räumte trotz seiner großen Zufriedenheit mit dem Verhandlungsergebnis ein, dass er die Position des Parlaments gerne noch stärker ausgestaltet gesehen hätte, weshalb er die externe Beiziehung eines Verfahrensrichters und eines Verfahrensanwalts als Wehrmutstropfen bezeichnete. Die NEOS hätten sich auch für eine Live-Berichterstattung aus dem Ausschuss eingesetzt.  

Als letzter Redner in der Debatte lenkte Peter Pilz (G) die Aufmerksamkeit auf die Frage, warum die so lange diskutierte Reform der Untersuchungsausschüsse gerade jetzt gelungen sei. Das liegt seiner Ansicht nicht nur daran, dass der Druck aus der Bevölkerung so groß war, sondern auch daran, dass keine der Parteien mehr sicher sein könne, ob sie in der nächsten Gesetzgebungsperiode Regierungs- oder Oppositionspartei ist. Außerdem seien auch die Abgeordneten von SPÖ und ÖVP angesichts des Vertrauensverlusts zur Überzeugung gelangt, dass man etwas verändern müsse, und dass nur ein starker Parlamentarismus die Regierung zu einer besseren Arbeit zwingen könne, folgerte Pilz.

Die Diskussion ließ auch keinen Zweifel daran, dass es schon bald im nächsten Jahr zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Hypo Alpe Adria kommen wird. Kathrin Nachbaur (T) und Rainer Hable (N) gingen darauf näher ein und kritisierten, wie die Regierung mit dem Thema umgegangen ist und nicht imstande gewesen sei, die finanzielle Katastrophe abzuwenden. Sie orten vor allem Fehlentscheidungen und Versäumnisse bei der Notverstaatlichung der Bank und teure Verzögerungen nach der Verstaatlichung.

Schließlich wies Zweiter Nationalratspräsident Karlheinz Kopf die Vorlage dem Geschäftsordnungsausschuss zu. (Fortsetzung Nationalrat) jan