Parlamentskorrespondenz Nr. 1143 vom 27.10.2015

UVP-Feststellung: Einbeziehung von NachbarInnen als Knackpunkt

Rupprechter will Rechtsunsicherheiten zügig ausräumen

Wien (PK) - Bürgerrechte versus Wirtschaftsinteressen – mit diesen Vorzeichen entspann sich heute im Umweltausschuss des Nationalrats unter den Abgeordneten eine intensive Debatte um die Bewertung Europäischer Vorgaben im Zusammenhang mit der Umweltpolitik. Anlass war eine Aussprache mit Umweltminister Andrä Rupprechter über jüngste Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), beispielsweise zum Individualrechtsschutz in Zusammenhang mit Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) bei Großprojekten.

Während Grüne und NEOS darauf drängen, Bürgerinitiativen und NachbarInnen bei Entscheidungen über die Notwendigkeit eines UVP-Verfahrens einzubinden, warnt die FPÖ, Investitionsprojekte könnten durch ausgeweitete Prüfverfahren gefährdet werden. Bundesminister Rupprechter betonte, sein Ressort arbeite bereits an einer unionsrechtskonformen Lösung zur Einbindung der Öffentlichkeit in UVP-Feststellungsverfahren. Damit wolle man nicht zuletzt dem gesteigerten Prüfaufwand entgegenwirken, mit dem sich Behörden und Verwaltungsgerichte im Moment konfrontiert sähen. Entschließungsanträge der Grünen und der NEOS auf Adaptierungen in der Umweltverträglichkeitsprüfung wurden von der Ausschussmehrheit vertagt, da eine UVP-Novelle gerade ausgearbeitet werde, wie SPÖ und ÖVP verdeutlichten. Ebenfalls in die Vertagung schickten die Regierungsparteien einen FPÖ-Antrag auf Schutz der Wasserversorgung vor Privatisierung.

Umweltverträglichkeitsprüfung: EuGH-Urteil erhöht Prüfaufwand

"Derzeit besteht große Rechtsunsicherheit", räumte Minister Rupprechter in Bezug auf die Rechtsstellung von NachbarInnen zur Überprüfung der UVP-Pflicht ein. Das Umweltministerium arbeite daher daran, möglichst rasch eine unionsrechtskonformen Lösung zu finden, mit der die Wiederherstellung der Bindungswirkung im Feststellungsverfahren durch die Einbeziehung von NachbarInnen gewährleistet ist.

Dieses Frühjahr hatte der EuGH auf eine Individualbeschwerde aus Österreich hin entschieden, dass gemäß Aarhus-Konvention zur Beteiligung der Öffentlichkeit betroffenen BürgerInnen bei großen Bauprojekten im gesamten Verfahren ein Mitspracherecht zur Umweltverträglichkeitsprüfung eingeräumt werden muss. Der Verwaltungsgerichtshof sieht ebenso den Ausschluss von NachbarInnen und Bürgerinitiativen aus dem Verfahren zur Feststellung des Bedarfs einer Umweltverträglichkeitsprüfung als unionsrechtswidrig an. Für Grüne und NEOS besteht aufgrund dieser Urteile eindeutiger Handlungsbedarf seitens des Gesetzgebers. Immerhin seien durch das EuGH-Urteil negative UVP-Feststellungsbescheide nicht mehr bindend, zeigte Grünen-Umweltsprecherin Christiane Brunner auf und ihr Bereichskollege von den NEOS, Michael Pock, wies auf mehrere Fälle von Rechtsunsicherheit bei diversen Infrastrukturprojekten hin. Es gelte daher, "in einem abgegrenzten Rahmen" die Parteistellung von AnrainerInnen in UVP-Belangen zu stärken, so Pock. Sollten betroffene Personen ebenso Parteistellung im Feststellungsverfahren erhalten wie die Standortgemeinde, der Projektwerber, Umweltanwältin oder Umweltanwalt und die mitwirkenden Behörden, könnten sie gegen einen negativen UVP-Feststellungsbescheid das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anrufen, wenn ein ausreichendes Interesse oder eine Rechtsverletzung geltend gemacht wird.

Der EuGH lasse ausdrücklich offen, in welchem Verfahren der Rechtsschutz für die betroffene Öffentlichkeit gilt, unterstrich Rupprechter, weswegen Einwendungen betreffend die UVP-Pflicht von Vorhaben in den Materienverfahren zulässig seien. Anhand dieser Judikatur habe der Verwaltungsgerichtshof bereits einige Genehmigungen aufgehoben, was vor allem für Projektwerber erhöhte Unsicherheit mit sich bringe. Eine EU-rechtlich saubere Vorgangsweise sei daher sicherzustellen.

Zur vollständigen Umsetzung der Aarhus-Konvention zeigte Umweltminister Rupprechter sich zuversichtlich, auf einem guten Weg zu sein. Die Arbeiten mit den Bundesländern dazu liefen nach Plan; einen konkreten Umsetzungsbericht versprach er bis Ende Dezember 2015 zu übermitteln. Abgeordnete Brunner (G) mahnte in diesem Zusammenhang den Zeitplan ein, den das Aarhus-Convention-Compliance-Committee Österreich zur Implementierung der Bestimmungen in die relevanten Gesetze bis Jahresende gegeben hat.

Eine UVP-Novelle werde gerade entworfen, folgerten Karin Greiner (S) und Georg Strasser (V) aus den Darstellungen des Ministers. Sie argumentierten damit die von den Regierungsfraktionen beschlossene Vertagung der Anträge von Grünen und NEOS auf Änderungen im UVP-Gesetz, mit denen dem Minister Vorgaben zur Gesetzesnovellierung gemacht werden sollten, wie Christiane Brunner (G) formulierte.

Während Michael Pock (N) konkret aus den höchstgerichtlichen Entscheidungen die Forderung ableitet, NachbarInnen schon im UVP-Feststellungsverfahren und nicht nur bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung Parteistellung einzuräumen (1320/A(E)), zielen Wolfgang Pirklhuber und Christiane Brunner (beide G) zunächst auf eine Evaluierung des UVP-Gesetzes bezüglich Massentierhaltung ab: Zahl und Größe tierhaltender Betriebe ohne ausreichende Weideflächen sowie die Zahl der Genehmigungen von Massentierhaltungsbetrieben in Raumordnung und Flächenwidmung seien klar zu dokumentieren und spezifische Umweltgefahren durch intensive Tierhaltung müssten analysiert werden. Die Schwellenwerte für Umweltverträglichkeitsprüfungen bei der Massentierhaltung sollten deutlich herabgesetzt werden, verlangen die AntragstellerInnen (1246/A(E)) darüber hinaus. FPÖ-Abgeordneter Harald Jannach kann sich zwar damit anfreunden, Gesetzeslücken zu schließen, er warnte aber davor, durch ausgeweitete UVP-Verfahren Betriebsansiedelungen zu verhindern. Ebenso trat er gegen eine vorschnelle Herabsenkung der Schwellenwerte für Massentierhaltungen auf.

Gewässerbewirtschaftung: Rupprechter setzt auf Regionalprogramme zum Gewässerschutz

Die EuGH-Rechtsprechung hinsichtlich Gewässerbewirtschaftung thematisierten Rudolf Plessl (S) und Johann Höfinger (V) sowie die Grünen-Abgeordneten Georg Willi und Wolfgang Pirklhuber. Ausgangspunkt war das sogenannte "Weser-Urteil", wonach ein EU-Mitgliedsstaat ein Vorhaben nicht zulassen darf, wenn sich dadurch der Zustands eines Oberflächenwasserkörpers verschlechtert oder wenn die Verbesserung der Gewässerqualität dadurch gefährdet ist – etwa bei Vertiefungen von Flussläufen. Laut Umweltminister Rupprechter geht das heimische Wasserrechtsgesetz mit der Interpretation des EuGH grundsätzlich konform, da bei der Gewässerbewirtschaftung Fragen der Verschlechterung bzw. der Verbesserung auf Vorhabens-Ebene zu prüfen seien. An der Vollzugspraxis müsse man folglich in diesem Bereich nichts ändern. Weil allerdings dem EuGH zufolge eine Verschlechterung der Wasserqualität schon dann vorliegt, wenn die Gewässergüte auch nur in einem Teilbereich absinkt, unabhängig vom ökologischen Gesamtzustand eines Gewässers, werde in gering beeinträchtigten Gewässern künftig eine komplexere Prüfung erforderlich sein, meinte der Umweltminister. Die geänderte Bewertung von Begrifflichkeiten in der EU-Wasserrahmenrichtlinie ziehe daher eine neue Auslegung von entsprechenden Bestimmungen im heimischen Recht nach sich.

Rupprechter will deswegen Regionalprogramme in den Bundesländern forcieren, in denen vorab Strecken und Kriterien bezeichnet werden, die den Grad der Schutzwürdigkeit bzw. den Nutzungsspielraum definieren. Einen eigenen Erlass dazu plane er aber nicht, ließ er Willi (G) wissen, zumal sein Ressort die Regionalprogramme der Länder mit Gewässerschutzmaßnahmen begleite. Eingebettet seien diese Maßnahmen zur Verbesserung der Rechtssicherheit und nachhaltigen Planung in die ländlichen Entwicklungsprogramme. Zum von Plessl (S) angesprochenen gesteigerten Nitrat-Gehalt in heimischen Gewässern sagte der Minister, Anfang 2016 sollte ein Nitrat-Aktionsprogramm als Teil des nationalen Gewässerentwicklungsplans vorliegen.

VW-Abgasskandal: Angleichung der Grenzwerte für Diesel und Benzin noch nicht fix

Aus aktuellem Anlass berichtete Rupprechter überdies vom gestrigen EU-Umweltministerrat, bei dem das Vorgehen gegen die Manipulation von Abgaswerten – Stichwort VW-Abgasskandal – behandelt worden war. Österreichs Forderungen seien unter den übrigen Mitgliedsländern auf breite Zustimmung getroffen. Um Abgas-Manipulationen künftig zu verhindern, sei die Diskrepanz der Abgaswerte im Testverfahren und im tatsächlichen Fahrbetrieb auszuräumen, außerdem müssten die Schadstoffgrenzen für Diesel-Kraftfahrzeugen auf das Niveau von Benzinern abgesenkt werden, plädierte der Minister. Wiewohl die Europäische Kommission in diesem Zusammenhang bereits ein neues Testverfahren zugesichert habe, gebe es bislang noch keine Stellungnahme zur Angleichung der zulässigen Stickoxid (NOX)-Emissionswerte von Diesel- und Benzinkraftfahrzeugen. Jedenfalls werde auf lange Sicht das steuerliche "Dieselprivileg" nicht aufrecht zu erhalten sein, befand Rupprechter und reagierte damit auf die Kritik von Grünen-Verkehrssprecher Willi, dass aufgrund eines "Steuerprivilegs" der schadstoffintensivere Diesel immer noch billiger als Benzin sei.

Wenig konnte Minister Rupprechter zum aktuellen Verhandlungsstand beim geplanten EU-Freihandelsabkommen TTIP mit den USA sagen, wie FPÖ-Umweltsprecherin Susanne Winter verlangte. Er geht allerdings nicht davon aus, dass die Gespräche noch in der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama abgeschlossen werden. Ihre Besorgnis um den Schutz des heimischen Wassers im Rahmen der TTIP-Verhandlungen verdeutlichte Winter auch in einem Entschließungsantrag (1355/A(E)), der von SPÖ und ÖVP mit Hinweis auf eine entsprechende Entschließung des Nationalrats aus dem Jahr 2013 und ein geltendes Verfassungsgesetz dazu vertagt wurde.

Winter weist in ihrem Antrag unter Berufung auf den europäischen Dachverband der Gewerkschaften darauf hin, dass öffentliche Dienstleistungen und die Wasserversorgung Bestandteil der TTIP-Verhandlungen seien, was sie vor dem Zugriff internationaler Spekulanten und Konzerne auf das heimische Wasser warnen lässt. "Die Öffentliche Daseinsvorsorge gehört zu den ureigenen und damit hoheitlichen Aufgaben der Gemeinden", sagte die FPÖ-Mandatarin und forderte, verfassungsrechtlich sicherzustellen, dass Eigentum und Betrieb von Wasserversorgungsanlagen Bund, Ländern, Gemeinden und deren ausgegliederten Rechtsträgern vorbehalten bleibe. Umweltminister Rupprechter hielt fest, die Trinkwasserversorgung stelle einen zentralen Teil der Daseinsvorsorge dar und müsse daher in der Kontrolle der öffentlichen Hand verbleiben. Dementsprechend habe auch das Europäische Parlament die EU-Kommission dazu aufgerufen, die Wasserversorgung von der EU-Richtlinie zur Konzessionsvergabe unbefristet auszunehmen. (Fortsetzung Umweltausschuss) rei/fru