Parlamentskorrespondenz Nr. 1273 vom 18.11.2015

Bundesrats-Enquete: Wie können wir digitalen Wandel nutzen?

Offener Partizipationsprozess "Digitaler Wandel und Politik" soll in Digital Roadmap einfließen

Wien (PK) – Welche neuen Wege können in der Gesellschaft, in unserem Zusammenleben durch digitalen Wandel beschritten werden? Und vor allem: Welche Politik braucht es dafür? Wie soll das sogenannte "Big Picture der politischen Aufgaben" aussehen, damit BürgerInnen Digitalisierung als Chance nutzen können? Diese gesellschaftspolitische Denkaufgabe steht im Mittelpunkt des Crowdsourcing-Projekts "Digitaler Wandel und Politik", das der Präsident des Bundesrats Gottfried Kneifel zum Schwerpunkt seines Vorsitzes im zweiten Halbjahr 2015 gemacht hat und heute in einer parlamentarischen Enquete mit ExpertInnen aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft inhaltlich fortgesetzt wurde.

Grundlage für die Enquete war nämlich das bereits mehr als 100 Seiten umfassende Grünbuch "Digitaler Wandel und Politik", an dem Interessierte seit Monaten online unter www.besserentscheiden.at mitschreiben können. Bildung, Datenschutz, Urheberrecht, Netzneutralität, Verkehr, Steuerrecht und Demokratie sind darin jene großen Überschriften, bei denen das Kollektiv Handlungsbedarf für die Politik sieht. Statements dazu gab es bei der Enquete von den beiden Staatssekretären Sonja Steßl und Harald Mahrer, die für die Digital Roadmap der Bundesregierung verantwortlich sind, sowie Max Lemke von der Europäischen Kommission.

Kneifel: Digitales Lernen muss im Kindergarten beginnen

Im Zusammenhang mit dem offenen Partizipationsprozess sprach Bundesratspräsident Gottfried Kneifel von einer Premiere im Parlament. Noch nie sei ein gesellschaftspolitisches Thema so offen und breit erarbeitet und in den parlamentarischen Raum gebracht worden. Der Prozess wurde von allen Fraktionen gemeinsam mitgetragen, mitgestaltet und mitverantwortet, wie Kneifel zudem sagte. Hier sah er auch eine Chance zur Neupositionierung des Bundesrats. Gerade die Zweite Kammer habe die Möglichkeit, in die Zukunft zu schauen, weil sie bestimmte parlamentarische Aufgaben, wie die Ausrichtung eines U-Ausschusses, nicht bewältigen müsse.

Das Grünbuch wird Kneifel zufolge auch weiterhin online zu finden sein. Die Phase der Ideenfindung ist demnach noch nicht vorbei. "Wir brauchen jede Anregung, getreu dem Motto: Die beste Idee ist für Österreich gerade gut genug", so der Bundesratspräsident. Es gehe darum, dass die Digitalisierung von allen Gesellschaftsgruppen als Chance genutzt werden könne. Er selbst zeigte sich dabei zuversichtlich, bereits jetzt nehme Österreich etwa im Bereich des E-Governments oder in der Hochleistungsbildverarbeitung eine Vorreiterrolle in Europa ein. "Diese Beispiele zeigen, dass sich Österreich im digitalen Wandel behaupten kann", sagte Kneifel. Ein wesentlicher Faktor sei dabei die Bildung. Geht es nach ihm, muss digitales Lernen bereits im Kindergarten beginnen.

Lemke: Digitale Transformation wird EU wettbewerbsfähiger machen

Von Seiten der Europäischen Kommission schilderte Max Lemke, zuständig für die Initiative "Digitising European Industry" unter Kommissar Günther Oettinger, die europäischen Pläne zur Digitalisierung der Industrie. "Die vierte industrielle Revolution", wie er einleitend klarmachte. Bei der digitalen Transformation gehe es dabei im Wesentlichen um drei Dimensionen: Die Innovation von Produkten, von Verfahren und von Geschäftsmodellen. Der Anteil digitaler Technologien an der Wertschöpfung beträgt ihm zufolge bereits heute in vielen Sektoren mehr als 50 %, etwa in der Automobilindustrie, aber auch in der Luftfahrt und bei Landmaschinen. Was die Innovation von Verfahren betrifft, werden in der Fabrik der Zukunft viele smarte Maschinen zusammenarbeiten, so seine Prognose. Nicht vergessen sollte man aber, dass die menschliche Arbeit ein wesentlicher Faktor in der Produktion bleiben wird. "Die Fabrik der Zukunft ist genauso wenig menschenleer, wie Büros papierlos sind", sagte Lemke. Die größte Veränderung der digitalen Transformation bringe aber neue Geschäftsmodelle mit sich. Denn wozu eine Enzyklopädie kaufen, wenn diese umsonst im Internet abrufbar ist?, wie Lemke argumentierte. In der Digitalisierung sieht er eine große Reihe von Chancen und Möglichkeiten, wettbewerbsfähiger zu werden und Produktionskapazitäten nach Europa zurückzuholen. Adidas sei beispielsweise zurück nach Europa gegangen und produziere maßgeschneiderte Schuhe zum Preis von Massenprodukten.

Zum Status Quo in Europa berichtete Lemke, dass es etwa eine starke Digitalisierung in High Tech-Bereichen gibt. Die Kommission beobachtet aber auch starke Schwächen vor allen in den Bereichen, die mit dem Web zusammenhängen. Zudem sei Fragmentierung von nationalen und regionalen digitalen Programmen und Initiativen zu beobachten. Hier müsse sich Europa besser vernetzen. Es gehe darum, "keine nationalen Silos zu errichten", um gegenüber Nordamerika und Asien wettbewerbsfähig zu bleiben.

Was macht die Kommission?

Wie der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, bei der diesjährigen Hannover Messe im Frühjahr angekündigt hat, ist die Kommission dabei, eine umfassende Strategie für die Digitalisierung der europäischen Industrie zu entwickeln. "Wir arbeiten hart daran", sagte Lemke, Ziel der Strategie ist, jedem Produktionssektor Zugang zu den neuesten digitalen Technologien zu ermöglichen, wie er erklärte. Eine Säule der Strategie ist zudem, dass jedes mittelständische Unternehmen in Europa die Möglichkeit erhalten soll, sich über digitale Transformation beraten zu lassen. Zudem soll die europäische Industrie bei der Entwicklung der nächsten Generation digitaler Industrieplattformen eine führende Rolle einnehmen, Arbeitskräfte sollten auf die digitale Zukunft vorbereitet werden, so Lemke. Schließlich müssten auch Rechtvorschriften entsprechend angepasst werden. Details zur Strategie soll es von Oettinger bei der nächsten Hannover Messe 2016 geben.

Digital Roadmap: Steßl und Mahrer wollen Ergebnisse des Grünbuchs einfließen lassen

Die Ergebnisse des offenen Partizipationsprozesses zum Thema "Digitaler Wandel und Politik" wollen die beiden Staatssekretäre Sonja Steßl und Harald Mahrer in die Digitale Roadmap einfließen lassen, wie sie in der Enquete des Bundesrats sagten. Die digitale Roadmap soll die Entwicklungen der Digitalisierung in Österreich begleiten und auch in einer übergeordneten Strategie zusammenfassen. "Die Arbeitsgruppen sind seit August sehr aktiv", so die Staatssekretärin. Steßl und Mahrer wollen ab Jänner nächsten Jahres ebenfalls einen sogenannten Open Space-Prozess zum Regierungsprojekt starten, wo sich Steßl zufolge die gesamte Gesellschaft in den aktiven Prozess einbringen wird können. "Das sind Modelle der Partizipation und Diskussion, von denen wir mehr brauchen in Österreich", sagte Mahrer und bezeichnete die Bundesratsinitiative  als "wunderbares Beispiel", wie der Bundesrat in Zukunft als Transformationsplattform zwischen der Bundesregierung, dem Parlament und der Bevölkerung funktionieren könnte. Zukünftiges Potential für die Zweite Länderkammer sah Mahrer demnach in der Neuausrichtung des Bundesrats als Thinktank.

Was den digitalen Wandel betrifft, braucht es der Staatssekretärin zufolge eine Verständigung darüber, dass Digitalisierung sehr viele Möglichkeiten für die Gesellschaft bringt. Digitale Kompetenz müsse dabei neben Lesen, Rechnen und Schreiben eine vierte Kulturtechnik werden. "Unser Ziel muss es sein, dass wir Menschen für die Digitalisierung zukunftsfit machen und die digitale Kluft beseitigen", so Steßl.

Laut Mahrer hat Österreich aufgrund seines Bildungsniveaus und der gut aufgestellten Wirtschaft alle Chancen, den digitalen Wandel im positivsten Sinn zu nutzen. Jetzt gehe es darum, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das heiße aber nicht, weiter einzuschränken, stellte Mahrer fest. Die Politik sollte sich demnach auf der Regulierungsebene eher zurücknehmen und nach der sogenannten Trial-and-Error-Methode vorgehen. Notwendig ist für Mahrer zudem, mehr Geld für Bildung, Forschung und Entwicklung in die Hand zu nehmen. "Wir haben zu viel Geld in rückwärtsgerichtete Systeme gebunkert", sagte er. Die Innovationsmacht verschiebe sich in Richtung Osten, gerade die Grundlagenforschung sei in Zukunft essentiell für Österreich.

2 Panels, 13 ExpertInnen

Sabine Herlitschka (Infenion Technologies Austria), Bruno Buchberger (RISC – Johannes Kepler Universität Linz), Helmut Leopold (AIT Austrian Institute of Technology), Andreas Kovar (Koordination des Crowdsourcing-Projekts), Andreas Ebert (Microsoft Western Europe), Volker Panreck (ING-DiBA Direktbank Austria), Markus Gratzer (Österreichische Hoteliervereinigung) und Robert Bodenstein (Wirtschaftskammer Österreich) reden in einem von zwei Panels über Digitalisierung im Kontext von Innovation, Technik, Services und Märkte. Im zweiten Panel geht es um Wissensgesellschaft unter den Schlagworten Gesellschaft, Bildung, Wissenschaft und Arbeit. Statements kommen hier von Gerald Bast (Universität für angewandte Kunst), Gabriele Zgubic (Kammer für Arbeiter und Angestellte), Kurt Einzinger (Netelligenz), Max Schrems (Datenschutzexperte) sowie Thomas Lohninger (Arbeitskreis Vorratsdaten Österreich). (Fortsetzung Bundesrats-Enquete) keg

HINWEIS: Fotos von der Enquete finden Sie im Fotoalbum auf www.parlament.gv.at.


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