Parlamentskorrespondenz Nr. 1411 vom 10.12.2015

Sozialrechtsänderungsgesetz schließt Lücken in der Sozialversicherung

Opposition befürchtet negative Auswirkungen auf Notarztsystem

Wien (PK) – Das Sozialrechts-Änderungsgesetz 2015 (SRÄG 2015) wurde vom Nationalrat mehrheitlich beschlossen. Es bringt Änderungen im ASVG und anderen Sozialversicherungsgesetzen sowie im Arbeitslosenversicherungsgesetz, Mutterschutzgesetz und Väter-Karenzgesetz mit sich. Die Neuerungen reichen von der Berücksichtigung bestimmter Agrarförderungen bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge von LandwirtInnen über die Absenkung des Unfallversicherungsbeitrags für die Eisenbahnbediensteten auf 1,3% bis hin zur Übernahme der amtlichen Verlautbarungen der Sozialversicherung in das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS). Erlassen wird mit der Sammelnovelle auch ein Bundesgesetz über die Entschädigung für Heeresschädigungen, das an die Stelle des bisherigen Heeresversorgungsgesetzes tritt.

Als mit dem Beschluss des Nationalrats miterledigt gelten ein Antrag von Nikolaus Scherak (N) sowie ein Antrag von Daniela Musiol (G) betreffend die Gleichstellung von Pflegeeltern beim Anspruch auf Elternkarenz. Eine Bürgerinitiative, die sich gegen Kürzungen der AMS-Mittel im Bereich der Bildung und Ausbildung von Erwachsenen wandte, wurde vom Nationalrat einstimmig zur Kenntnis genommen. Die Opposition konnte sich mit ihren zahlreichen Anträge zu Sozialthemen nicht durchsetzen.

FPÖ fordert neuerlich Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern

Dagmar Belakowitsch-Jenewein (F) sah zwar durchaus positive Verwaltungsvereinfachungen in der Regierungsvorlage, wollte ihr aber nicht zustimmen, weil künftig die Notarzttätigkeit in die Kategorie "selbständige Tätigkeit" falle. Damit werde eine Umgehung des gerade erst beschlossenen Ärztearbeitszeitgesetzes geschaffen. Grundsätzlich sei das Sozialversicherungsgesetz zu kompliziert geworden.

Für Werner Neubauer (F) war offen, wie das geplante Bonus-Malus-System für die Beschäftigung älterer ArbeitsnehmerInnen finanziert werden kann. Der Familienlastenausgleichsfonds (FLAF) könne diese Kosten jedenfalls nicht tragen. Viele offene Fragen sah Neugebauer auch bei der Neugestaltung des Pensionssystem. Er forderte Sozialminister Hundstorfer auf, sich klar gegen die jüngst geäußerten Vorstellungen von Finanzminister Schelling zu stellen. Viel Einsparungspotenzial gebe es jedoch bei den Sozialversicherungsträgern und bei Luxuspensionen.

SPÖ sieht einen Beitrag zu mehr sozialer Gerechtigkeit

Dietmar Keck (S) wies auf eine Reihe von Änderungen hin, durch die bisherige Mängel in der Sozialversicherung behoben werden. Besonders wichtig war ihm, dass ein Anspruch auf Sonderkrankengeld für Menschen geschaffen wird, die bereits ausgesteuert sind, die sich aber noch in einem aufrechten Arbeitsverhältnis befinden. Auch die Elternkarenz für Pflegeeltern ohne Adoptionsabsicht schaffe mehr soziale Gerechtigkeit.

Johann Hell (S) betonte, dass wesentliche Forderungen der Bürgerinitiative durch das neue Budgetbegleitgesetz bereits umfasst sind. Damit sei sichergestellt, dass mehr Mittel für die Qualifizierung älterer ArbeitnehmerInnen und Langzeitarbeitslose zur Verfügung gestellt werden. Zusammenlegungen von Sozialversicherungsträgern lehnte er, wie auch Michael Ehmann (S), ab. Das System sei an sich gut, sagte Ehmann und wandte sich gegen das "Sozialversicherungs-Bashing" der Opposition. Die Forderungen der NEOS würden keine Verbesserungen für die Versicherten bringen. Hannes Fazekas (S) begrüßte Projekte, die darauf abzielen, jungen Menschen bessere Orientierung für die Berufswahl zu geben und insbesondere Lehrlinge im Betrieb, in den Berufsschulen und hinsichtlich ihrer Wohnsituation zu unterstützen. Das sei nicht zuletzt wichtig für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

Grüne sehen Notarztsystem gefährdet

Judith Schwentner (G) begrüßte, dass mit der Novelle mehrere Lücken in der Sozialversicherung geschlossen werden. Versäumt worden sei jedoch, eine Lücke bei den Pensionsansprüchen vieler Frauen zu schließen. Betroffen seien Frauen, die vor 2005 Kinder bekommen und zu wenig Beitragsjahre erworben haben. Die versprochenen Änderung, die diesen Frauen zu einer eigenständigen Pension verhelfen soll, lasse immer noch auf sich warten.

Eva Mückstein (G) befürchtete die Gefährdung der notärztlichen Versorgung, die durch die Novelle aus der Spitalsversorgung ausgegliedert werde. Ihre Fraktionskollegin Birgit Schatz schloss sich dieser Sicht an. Mückstein vermutete, hinter der Änderung stehe neben dem Versuch der Umgehung des Arbeitszeitgesetzes auch der Plan, in Zukunft mehr auf Paramedics zu setzen. Die freiberufliche Tätigkeit erhöhe zudem die Belastung der NotärztInnen. Zur Absicherung gewisser Standards forderte sie per Entschließungsantrag Richtlinien und Programme für die notärztliche Tätigkeit und für Paramedics, der jedoch abgelehnt wurde.

Helene Jarmer (G) sprach die Frage der Barrierefreiheit an. Österreich hätte sich im Nationalen Aktionsplan diesem Ziel verpflichtet, die Ministerien würden aber nicht berichten, was davon umgesetzt sei, kritisierte sie.

ÖVP: Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze hilft Betrieben

August Wöginger (V) betonte in Richtung Schwentner, dass es der ÖVP ebenfalls ein Anliegen sei, dass Kindererziehungszeiten auch vor 2005 als pensionsbegründend anerkennt werden können. Man arbeite an den entsprechenden Änderungen. Das SRÄG bringe Verbesserungen für Personen, die behinderte Angehörige pflegen. Die Regelung für nebenberuflich als NotärztInnen tätige SpitalsärztInnen sei eine notwendige Regelung, um das bisher gut funktionierende Notarztsystem aufrecht erhalten zu können. Diese Sicht teilte auch Martina Diesner-Wais (V), gerade der ländliche Raum profitiere davon, sagte sie. Marcus Franz (V) betonte, lange Arbeitszeiten seien Teil des Arztberufs. Eine Studie in den USA habe gezeigt, dass enge Arbeitszeitregelungen weder für die PatientInnen noch für die ÄrztInnen Verbesserungen bringen.

Die Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze, die ein schwer administrierbare bürokratische Hürde war, kann per Erlass vorgezogen werden. Wöginger sah darin, wie auch die ÖVP-Abgeordneten Gertrude Aubauer und Martina Diesner-Wais, eine gute Regelung vor allem für Gewerbebetriebe. Aubauer sprach auch das Thema der Arbeitslosigkeit älterer ArbeitnehmerInnen an. Der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsgipfel der Bundesregierung habe gute Ergebnisse gebracht und sichergestellt, dass durch innovative Projekte Arbeitsplätze besonders für diese Gruppe geschaffen werden.

Norbert Sieber (V) hob hervor, dass mit dem SRÄG der Verlust von Pensionsansprüchen, die besonders kleineren LandwirtInnen aufgrund der Einheitswertberechnung drohte, zeitgerecht abgewendet wird. Manfred Hofinger (V) sah Handlungsbedarf bei der Mindestsicherung, sie müsste gerechter gestaltet werden. Angelika Winzig (V) forderte die Attraktivierung der Lehre. Durch demographische Entwicklungen drohe in Teilen Österreichs ein Lehrlingsmangel. Österreichische Lehrstellensuchende und Flüchtlinge dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden.

NEOS kritisieren neuerliche Belastungen des FLAF

Gerald Loacker (N) thematisierte das Thema Notarztdienste im Kontext des grundsätzlichen Problems der Mehrfachversicherung. Die Kosten der Krankenversicherungsträger würden in Österreich "kleingerechnet", indem man Teile der Verwaltungskosten einfach hinausrechne. Damit verschleiere man die wahren Kosten der Sozialversicherungen und der durch sie geschaffenen politischen Versorgungsposten, die letztlich die SteuerzahlerInnen zu zahlen hätten. Christoph Vavrik (N) meinte, dem FLAF werde wieder einmal die Finanzierung von Leistungen "umgehängt", die nur bedingt familienrelevant seien. Solche Entscheidungen gefährden seiner Ansicht nach den eben erst eingeschlagenen Entschuldungspfad, sagte er und forderte in einem Entschließungsantrag eine Strukturreform des FLAF.

Team Stronach fordert Maßnahmen gegen den Ärztemangel

Waltraud Dietrich (T) thematisierte den Ärztemangel. Die Regierung demotiviere nicht nur junge Leute, den Arztberuf zu ergreifen, sondern auch die bereits ausgebildeten ÄrztInnen. Das Sozialrechtsänderungsgesetz schaffe eine "Mogelpackung" bei der Regelung der Arbeitszeit von Notärzten. Das gehe zulasten der PatientInnen. Nicht längere Arbeitszeiten seien hier die Lösung, sondern eine gerechte Entlohnung der ÄrztInnen bei fairen Arbeitszeiten. Dietrich forderte auch eine Deckelung von Luxuspensionen. Das Pensionssystem müsse grundsätzlich transparenter und fairer werden.

Der fraktionslose Abgeordnete Gerhard Schmid sah in der Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern eine Möglichkeit, Kosten einzusparen und so die Versicherten zu entlasten und ihnen gleiche Leistungen bereitzustellen. Der fraktionslose Rupert Doppler unterstützte die Forderung, dass Pflegegeld auch kürzer als sechs Monate zuerkannt werden kann. Das wäre etwa wichtig für Menschen mit Schenkelhalsbruch.

Oppositionsanträge von Luxuspensionen bis Heizungskostenzuschuss

Mitverhandelt wurden Anträge der Oppositionsparteien, die bereits im Sozialausschuss keine Mehrheit gefunden hatten und die nun auch im Plenum mehrheitlich abgelehnt wurden. So forderte Dagmar Belakowitsch-Jenewein eine Restrukturierung der AMS-Leitungsebene und Einführung von Leistungskomponenten bei der Entlohnung der AMS-Spitzenmanager. Sie thematisierte in einem Entschließungsantrag auch Fragen des humanen Umgangs mit Patienten und Pflegebedürftigen und beantragte die Wiedereinführung des Heizkostenzuschusses in Wien.

Waltraud Dietrich sprach sich in einem Antrag für eine österreichweite Flexibilisierung der Unterbringung von Lehrlingen aus. Außerdem will sie die Möglichkeit einer Zuerkennung des Pflegegeldes auch für einen kürzeren Zeitraum als sechs Monate.

Die Behindertensprecherin der Grünen Helene Jarmer forderte die Behandlung des Nationalen Aktionsplans für Menschen mit Behinderungen im Nationalrat.

Seitens der NEOS wünscht Gerald Loacker die Überarbeitung der Definition von "Verwaltungs- und Verrechnungsaufwand" bei den Sozialversicherungsträgern und im Hauptverband. Er wiederholte die Forderung seiner Partei nach einer Zusammenlegung von Sozialversicherungsträgern und sprach sich für die Kürzung von Luxuspensionen aus, die unabhängig von der Entwicklung der Höchstbeitragsgrundlage erfolgen sollten.

Sozialminister Hundstorfer: Pensionsprivilegien bei Sozialversicherungen gehören der Vergangenheit an

Sozialminister Rudolf Hundstorfer unterstrich, dass Luxuspensionen im Bereich der Sozialversicherungen der Vergangenheit angehören. Alle Pensionen seien mit Beiträgen unterlegt. Der Minister sah auch ausreichende Transparenz der Versicherungen gegeben. Der Rechnungshof durchleuchte die Sozialversicherungsträger seit vielen Jahren sehr genau. Der Sozialminister widersprach auch der Auffassung, dass bei der BVA ungerechtfertigte Privilegien bestehen. Dort würden auch sehr viele Selbstbehalte gefordert, gab er zu bedenken. Den Vorwurf des Schweigens zu den Vorstellungen des Finanzministers zur Reform des Pensionssystems wies er als unangebracht zurück. Er habe medial bereits ausführlich dazu Stellung genommen. Nochmals betonte er, an ein Einfrieren des Bundeszuschusses zu den Pensionen könne sicher nicht gedacht werden, denn das würde bedeuten, dass in Zukunft keine Pensionserhöhungen mehr möglich wären.

Zu dem Antrag von Abgeordneter Belakowitsch-Jenewein in Zusammenhang mit Pflegeleistungen über den Fonds Soziales Wien und daraus entstandenen Ansprüchen an einen Erben sagte er, es handle sich um einen Einzelfall. Dieser sei von allen zuständigen Stellen genau geprüft worden und derzeit gerichtsanhängig. Kritik an der Höhe von IT-Kosten im Sozialversicherungsbereich ließ der Minister nicht gelten, dass sie höher liegen als in anderen Bereichen anerkenne auch der Rechnungshof, da es um die Verwaltung sehr sensibler Daten aller BürgerInnen gehe. Über die Neugestaltung der Mindestsicherung werde seit zwei Monaten intensiv mit den Ländern verhandelt, betonte der Sozialminister. So lange die Finanzausgleichsverhandlungen nicht abgeschlossen sind, gelte die bestehende 15a-Vereinbarung, die die Festlegung der Höhe in die Hand der Bundesländer lege. Sein Ziel sei es, von den Kann-Bestimmungen zu festeren Regeln zu gelangen. Hundstorfer verwies auf den hohen Aufwand für Gutachten zur Administration des Pflegegelds. Die geltende Sechs-Monatsfrist für den Bezug sei vor diesem Hintergrund mit Bedacht gewählt und sehr sinnvoll, betonte er. (Fortsetzung Nationalrat) sox