Parlamentskorrespondenz Nr. 485 vom 11.05.2016

Skepsis gegenüber CETA auch im Bundesrat

EU-Ausschuss vertagt Verhandlungen bis Gutachten des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments vorliegt

Wien (PK) – Wie bereits im EU-Unterausschuss des Nationalrats am 13. April dieses Jahres vertagte auch heute der EU-Ausschuss des Bundesrats die Beratungen über CETA – das rund 1600 Seiten umfassenden Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Man will das Ergebnis des Gutachtens des Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienst des Parlaments abwarten, das klären soll, welche Teile des Abkommens in den nationalstaatlichen Bereich und welche in EU-Kompetenz fallen, denn nur für letztere kommt eine vorläufige Anwendung in Frage, begründete Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) die heute eher kurze Diskussion im Ausschuss. Erst wenn diese essentielle Vorfrage geklärt sei, werde man sich intensiv mit den Inhalten des Abkommens auseinandersetzen. Dem schloss sich auch Stefan Schennach (S/W) an, wobei er seine kritische Haltung zu dem Abkommen erkennen ließ und auch auf die negative Stellungnahme der Landeshauptleute hinwies.

FPÖ und Grüne legen ihre kritische Haltung in Anträgen fest – Knackpunkt vorläufige Anwendung von Vertragsteilen

Dennoch war die Frage der vorläufigen Anwendung im Ausschuss Thema, nachdem die FPÖ-BundesrätInnen Monika Mühlwerth (F/W) Christoph Längle (F/V) und Bernhard Rösch (F/W) dazu einen Antrag auf Stellungnahme eingebracht haben, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, sich auf europäischer Ebene einheitlich und klar gegen eine vorläufige Anwendung von CETA auszusprechen. Das sei aus verfassungsrechtlichen und demokratiepolitischen Gründen inakzeptabel, so die Begründung. Auch Stefan Schennach (S/W) machte darauf aufmerksam, dass eine vorläufige Anwendung bei eventueller Ablehnung des Abkommens durch nationale Parlamente zu einer problematischen Situation führen könnte.

Dazu stellte die Sektionschefin des Wirtschaftsministeriums, Bernadette Gierlinger, fest, eine etwaige vorläufige Anwendung sei erst möglich, wenn das Europäische Parlament zugestimmt hat. Für eine vorläufige Anwendung kämen nur jene Teile in Frage, die in die alleinige EU-Kompetenz fallen, hielt sie fest. Das betreffe etwa den Zollabbau und die Beseitigung von Markthemmnissen. Die öffentlich noch immer umstrittenen Investitionsschutzbestimmungen seien nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums jedoch von der vorläufigen Anwendung auszunehmen, da hier auch die Kompetenzen der Mitgliedsstaaten betroffen seien.

Trotzdem sieht FPÖ-Bundesrätin Mühlwerth eine Dringlichkeit, den Antrag abzustimmen, denn sie befürchtet, dass der Ministerrat bereits im Mai das Abkommen unterzeichnen könnte, was seitens des Wirtschaftsministeriums dezidiert in Abrede gestellt wurde. Die Kommission plane die Unterzeichnung des Abkommens anlässlich des EU-Kanada-Gipfels im Oktober. Mühlwerth sprach sich seitens ihrer Fraktion dezidiert gegen CETA als Eintrittstor für TTIP aus. Ihr zufolge spreche nichts dagegen, die Zölle abzubauen, bei CETA gehe es aber um viel mehr.

Auch Heidelinde Reiter (G/S) legte einen Antrag auf Stellungnahme vor. Darin verlangen die Grünen von der Bundesregierung, CETA auf europäischer Ebene abzulehnen, solange die Forderungen des EU-Ausschusses in Bezug auf TTIP, die dieser in Stellungnahmen formuliert hat, sowie jene der einheitlichen Länderstellungnahme vom 5. Mai 2014 nicht umgesetzt sind. Die Grünen kritisieren nach wie vor die Investitionsschutzklausel und befürchten die Senkung ökologischer und sozialer Standards. CETA halten sie für ein Einfallstor für Agrarprodukte. Reiter sprach sich daher mit Nachdruck dafür aus, sich ausreichend Zeit zu nehmen, um das vorliegende Verhandlungsergebnis zu evaluieren und entsprechende Informationen zu sammeln.

Aufgrund der Vertagung der Materie wurden auch diesen beiden Anträge in der heutigen Sitzung nicht abgestimmt und bleiben weiter in Verhandlung.

Kanada hat sich in Verhandlungen sehr bewegt

Im Gegensatz zu den ablehnenden Wortmeldungen seitens der FPÖ und der Grünen betonte Ferdinand Tiefnig (V/O), in den Verhandlungen habe sich sehr viel bewegt, Kanada habe keine Einwendungen mehr gegen den rechtlichen Status eines gemischten Abkommens und habe auch die EU-Position zu den Schiedsgerichten akzeptiert. Man müsse sich nun den Text genauer anschauen und Informationen sammeln, sagte er und kritisierte insbesondere die Kampagnen seitens der Krone und der Handelskette Spar gegen CETA und TTIP, welche die öffentliche Meinung stark beeinflusst hätten. Spar könnte bereits heute mehr heimische Produkte anbieten anstatt Billigprodukte aus dem Ausland für seine S-Budget-Linie einzukaufen.

Einig war man sich, dass es ich dabei um ein gemischtes Abkommen handelt, das in den nationalen Parlamenten zu ratifizieren ist, zumal nicht alle Teile davon in EU-Kompetenz, sondern einige in nationalstaatliche Kompetenz fallen. Auch seitens des Wirtschaftsministeriums ließ man keinen Zweifel daran, dass man den Vertrag als ein gemischtes Abkommen betrachtet, und diese Meinung würden auch die anderen EU-Mitgliedsstaaten vertreten.

Neues Investitionskapitel in CETA wäre wichtiges Signal für TTIP

Wie in der dazu vom Wirtschaftsministerium vorgelegten Information betont wird, konnte in den Verhandlungen für die wichtigsten österreichischen Anliegen ein gutes Ergebnis erzielt werden. So sei das Investitionskapitel auf österreichisches Betreiben fundamental überarbeitet worden und enthalte jetzt die wesentlichen neuen Elemente des Kommissionsvorschlags für TTIP. In diesem Zusammenhang streicht die Unterlage insbesondere die Einführung eines bilateralen Investitionsgerichts und einer Berufungsinstanz hervor. Die RichterInnen sollen durch die Vertrags- und nicht Streitparteien mit strengen Anforderungen an Qualifikation, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ernannt werden. Außerdem verpflichten sich die Vertragsparteien, an der Etablierung eines multilateralen Investitionsgerichts zu arbeiten. Explizit wurde eine Klausel zum staatlichen Regelungsrecht und Verfahrenserleichterungen für Kleine und Mittlere Betriebe (KMU) aufgenommen.

Wie die zuständige Sektionschefin unterstrich, wäre eine Verabschiedung dieser reformierten Bestimmungen ein wichtiges Signal für die laufenden Verhandlungen zu TTIP mit den USA, aber auch ein Signal an China und Japan. Österreichischen Investoren würde mit CETA ein zusätzliches Instrument zur Durchsetzung ihrer Rechte im komplexen kanadischen Rechtssystem zur Verfügung gestellt, da Österreich derzeit über kein bilaterales Investitionsschutzabkommen mit Kanada verfügt. Sie stellte auch klar, dass sich ein Unternehmen nur dann als kanadischer Investor auf die Investitionsschutzbestimmungen aus CETA berufen könne, wenn es nach kanadischem Recht begründet oder geführt ist, ferner entweder selbst eine substantielle Geschäftstätigkeit in Kanada ausübt oder im Eigentum beziehungsweise unter Kontrolle einer natürlichen Person aus Kanada oder eines Unternehmens mit substantieller Geschäftstätigkeit in Kanada steht. Damit seien insbesondere rechtlich unselbständige Zweigniederlassungen und auch Briefkastenfirmen nicht klagsberechtigt.

Wirtschaftsministerium hebt positive Verhandlungsergebnisse hervor

Als wesentliche Punkte aus österreichischer Sicht weist das Papier des Wirtschaftsministeriums auf die umfassende Absicherung der öffentlichen Dienstleistungen und die volle Aufrechterhaltung der Möglichkeit zur Förderung der kulturellen Vielfalt hin. Unterstrichen werden darin die breiten Ausnahmen für die Wasserversorgung, für die Erzeugung nuklearer Energie und für öffentlich finanzierte Bildungs -, Sozial - und Gesundheitsdienstleistungen. Auch bleibe praktisch bis auf wenige Ausnahmen die Arbeitsmarktprüfung bei der Personenbewegung durchgehend aufrecht. Zudem werde dem österreichischen Anliegen nach substantieller Öffnung des kanadischen Beschaffungsmarktes vor allem auf subföderaler Ebene (Provinzen inklusive Gemeindeebene) Rechnung getragen. Neue Exportchancen erhofft sich Österreich durch die kanadische Marktöffnung vor allem auch in den für Österreich interessanten Sektoren Energie und Transport. Ein eigenes Webportal soll den Zugang zu Vergabemöglichkeiten insbesondere für KMUs erleichtern.

Positiv verzeichnet das Wirtschaftsministerium auch die Tatsache, dass das Nachhaltigkeitskapitel integraler Bestandteil des Abkommens ist. Die wesentlichen österreichischen Anliegen seien erfüllt, es werde durch die Wahrung des "right to regulate" der Vertragsparteien zu keiner Senkung von Sozial- und Umweltstandards zugunsten von Investitionen kommen, versichert man. Dieses "right to regulate" ist bereits in der Präambel des Abkommens sowie in anderen Kapiteln zu Nachhaltigkeit und Investitionen ausdrücklich festgehalten. Nachhaltige Ziele wie Corporate Social Responsibility oder Fair Trade würden gefördert, dazu soll eine möglichst hohe Transparenz sowie die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, vor allem bei der Überwachung der Implementierung und der Regelung möglicher Differenzen durch unabhängige Experten, beitragen. Man werde sich auch bemühen, weitere internationale Übereinkommen wie insbesondere das ILO-Übereinkommen (Internationale Arbeitsorganisation) zu ratifizieren.

Für die EU und Österreich ging es in den Verhandlungen auch darum, den Schutz des geistigen Eigentums in Kanada anzuheben, da es dabei zu Problemen gekommen ist. Dies betrifft vor allem eine Verbesserung des Urheberrechtsschutzes, aber auch die Verstärkung des Schutzes für wesentliche agrarische geographische Herkunftsbezeichnungen der EU wie z.B. für Österreich "Tiroler Speck", "Steirischeres Kürbiskernöl". Verbessert wird laut Ministerium auch der patentrechtliche Schutz insbesondere für pharmazeutische Produkte.

Österreich erhofft sich durch CETA signifikante wirtschaftliche Vorteile

Mit CETA fallen die meisten Zölle weg, bei sensiblen Agrarprodukten wurden jedoch Marktzugangsquoten für Kanada vereinbart, wird in der Unterlage des Ministeriums hervorgehoben. Allgemein erwartet sich Österreich "signifikante wirtschaftliche Vorteile" durch das Abkommen. Wie das Wirtschaftsressort ausführt, sind die außenwirtschaftlichen Verflechtungen Österreichs mit Kanada im Vergleich zu anderen EU-Staaten noch ausbaufähig, auch wenn mit dem Handelsvolumen im Vorjahr mit 1,5 Mrd. € ein neuer Höchstwert erzielt werden konnte. Laut einer Studie kann Österreich mit einem Exportanstieg bei Waren und Dienstleistungen von 50% bzw. 586 Mio. US-Dollar rechnen, wobei die größten Anstiege bei Nahrungsmitteln (131%), Textilien und Bekleidung (116%), Motorfahrzeugen (88%), sonstiger Transportausrüstung (60,3%) und elektrischen Maschinen (66,2%) erwartet werden.

Zeitplan

Sektionschefin Gierlinger informierte den Ausschuss, dass die Unterzeichnung des Abkommens für Oktober vorgesehen sei. Für Juni 2016 sei nur die Vorlage der formellen Entwürfe für die Ratsbeschlüsse geplant. Die Unterzeichnung des Abkommens durch Österreich setze eine Befassung des Ministerrats voraus. Nach der Unterzeichnung des Abkommens werde es dem EU-Parlament weitergeleitet. Sobald dort über den Text abgestimmt wurde, erhalten die nationalen Parlamente den Text zur Ratifizierung. (Fortsetzung EU-Ausschuss des Bundesrats) jan


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