Parlamentskorrespondenz Nr. 639 vom 08.06.2016

Volksanwaltschaft will Betreuungsmängeln mit klaren Regeln beikommen

Ombudsstelle hält rechtliche Standards von Schubhaft bis zu Pflegeheimen für notwendig

Wien (PK) – Wenn private Sicherheitsleute polizeiliche Aufgaben übernehmen, wird die Volksanwaltschaft unruhig: Hoheitsbefugnisse wie die Ausübung von Zwangsgewalt können nicht ausgegliedert werden. Man schließe sich hier der Meinung des Verfassungsgerichtshofes an, betont Volksanwalt Peter Fichtenbauer. Aus diesem Grund wurde 2014 ein amtswegiges Prüfverfahren im Anhaltezentrum (AHZ) Vordernberg gestartet, wo Schubhäftlinge in vielen Bereichen von privatem Sicherheitspersonal betreut wurden. Der Sonderbericht darüber vom Mai 2015 war heute Debattengegenstand im Volksanwaltschaftsausschuss des Nationalrats. Fichtenbauer verlangt vor allem eine rechtliche Klarstellung nach dem Muster des Justizbetreuungsagentur-Gesetzes, damit ein Public-Private-Partnership-Vertrag in Anhaltezentren verfassungskonform umgesetzt wird, wiewohl Vordernberg derzeit aufgrund sinkender Schubhaftsfälle als Erstaufnahmezentrum für Flüchtlinge diene. Empfehlungen wie den offenen Vollzug habe das Innenministerium per Erlass bereits umgesetzt. Dem vorjährigen Prüfbericht gaben alle Fraktionen bis auf die Grünen ihre Zustimmung.

Eingangs beleuchtete der Ausschuss jenen Teil des Tätigkeitsberichts 2015, in dem die Ombudsstelle ihre präventive Menschenrechtskontrolle allgemein beschreibt. Diesen Bericht nahm der Ausschuss einstimmig an, die Debatte darüber wird im Nationalratsplenum fortgesetzt. Die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung in Österreich war dabei ebenso markantes Thema wie die Bedingungen in Alten- und Pflegeheimen, oder die Flüchtlingsbetreuung. Vorschläge zur Verbesserung von Missständen werden der Volksanwaltschaft zufolge mit den jeweiligen Regierungsressorts zwar immer wieder erarbeitet – teils mit Erfolg, wie SPÖ und Grüne am Beispiel Netzbetten-Abschaffung in Psychiatrien bestätigten. Allerdings brauch es manchmal den Weg an die Öffentlichkeit, um in der Politik ein Problembewusstsein zu schaffen, so Volksanwalt Günther Kräuter. In vielen Feldern, mit denen die Volksanwaltschaft befasst ist, sieht Volksanwältin Gertrude Brinek schließlich auch die Abgeordneten berufen, aktiv zu werden; etwa bei der Lesbarkeit juridischer Vorgaben, mit denen Menschen im Alltag befasst sind, Stichwort Sachwalterschaft.

Auf eine Kritik der Grünen hin, Fichtebauer, den die FPÖ 2013 für die Volksanwaltschaft nominiert hatte, zeige trotz seines Amts parteipolitische Präferenzen, betonten alle drei VolksanwältInnen ihre vollständige Unabhängigkeit. Das beweise die tägliche Arbeit nach dem Prinzip: Gesetze sind von allen einzuhalten, ohne Ausnahme, hoben Brinek und ihr Kollege Günther Kräuter die vorbildlich parteiunabhängige Haltung der Ombudsstelle hervor. Ungeachtet dessen berief sich Fichtenbauer auf sein staatsbürgerliches Rechte der freien Meinungsäußerung. Ausgelöst worden war der Vorwurf durch Fichtenbauers Auftritt in einer Fernsehdebatte vor der Bundespräsidentenwahl.

Vordernberg: Volksanwaltschaft vermisst legistische Grundlage für Sicherheitsfirma

Speziell Umfang und verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Public-Private-Partnership (PPP) durch die Beauftragung von privatem Sicherheitspersonal im Schubhaftvollzug prüfte die Volksanwaltschaft (VA) in Vordernberg eingehend. Zwischen April 2014 und März 2015 erfolgten zudem vier Besuche von Prüfkommissionen der VA im Rahmen ihres Mandats; weitere Kontrollbesuche sind laut Fichtenbauer in Planung, obwohl das Anhaltezentrum nicht mehr in seiner ursprünglichen Bestimmung, sondern als Erstaufnahmezentrum für Asylwerbende genutzt werde. Als Grundlage für ähnliche Fälle in Zukunft brauche Österreich aber klare rechtliche Regelungen für die Anstellung privater Unternehmen im hoheitlichen Bereich, meinte er. Gesetzlich eindeutig definiert gehören etwa die rechtlichen Konsequenzen, wenn ein Privatangestellter in einem Zentrum wie Vordernberg jemanden verletzt. Die Abgrenzung der Kompetenzbereiche müsse ebenfalls unmissverständlich sein. Hilfsdienste wie Gartenpflege, Küchenarbeit oder Außensicherung könnten aber Privatpersonal durchaus übertragen werden.

Die ÖVP äußerte zwar leise Zweifel, ob für eine PPP in Anhaltezentren wirklich ein eigenes Gesetz nötig ist, insgesamt sieht sie dennoch die Errichtung der Schubhafteinrichtung in Vordernberg durch den Sonderbericht bestätigt. Gelobt wurde von den Kommissionen die bauliche Ausgestaltung des Zentrums sowie grundsätzlich auch die Form der Unterbringung von Angehaltenen. Von separierten Hungerstreikenden bis mangelhafter Dolmetschleistung orten die Grünen mehr Missstände als die Volkspartei. Hier braucht es ihrer Meinung nach eine rechtliche Grundlage zur menschenwürdigen Betreuung von Festgehaltenen, zumal privatrechtliche Verträge nicht einfach zu ändern seien. Die FPÖ monierte, das Innenministerium habe in Vordernberg den ständigen Einsatz von ExekutivbeamtInnen, den die Volksanwaltschaft vorgeschlagen hatte, abgelehnt.

Nationaler Präventionsmechanismus trat bislang 1.575-mal in Aktion

Im Rahmen der präventiven Menschenrechtskontrolle waren die Kommissionen der Volksanwaltschaft 2015 insgesamt 501-mal im Einsatz, in diesem Jahr bislang 197-mal. 439 der vorjährigen Besuche und Beobachtungen in öffentlichen und privaten Einrichtungen, die als Orte der Freiheitsentziehung gelten, erfolgten unangekündigt. Seit dem Beginn der präventiven Menschenrechtskontrolle im Juli 2012 hat die Volksanwaltschaft 1.575 Einsätze verzeichnet. Als Nationaler Präventionsmechanismus (NPM) prüfen Kommissionen der Ombudseinrichtung, ob das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT), sowie Regelungen der UN- Behindertenrechtskonvention eingehalten werden. Grundlage für die Besuche und Beobachtungen in Justizanstalten, Polizeianhaltezentren, Krankenhäusern, Jugend-, Alten- bzw. Pflegeheimen und Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sowie von Exekutiveinsätzen (Zwangsakte) etwa bei Demonstrationen, ist eine verfassungsrechtliche Kompetenzerweiterung, die ab heuer auch die Begleitung von Abschiebeflügen umfasst.

Herkules-Abschiebungen für Volksanwaltschaft rechtlich bedenklich

Abschiebeflüge mit Maschinen des Bundesheers sieht die Volksanwaltschaft äußerst kritisch. Das verdeutlichte Fichtenbauer mit Hinweis auf die Verfassung und auf Ausstattungsmängel wie ungenügend abgetrennte Toiletten an Bord. Außerdem missfällt ihm, das Bundesheer als Assistenz der Polizei heranzuziehen. Die NPM-Kommissionen wollen künftig selber bei Abschiebeflügen anwesend sein, vor allem um die Verhältnismäßigkeit der Methoden durch die Exekutive sicherzustellen. Leichte Formen der Zwangsgewalt schließe das Fremdenpolizeigesetz indes nicht gänzlich aus, so der Volksanwalt. Von den NEOS wird befürchtet, bei einer Zunahme von Rückführungen gerieten Menschenrechte eher ins Hintertreffen.

Eindeutige Kritik kam von der Volksanwaltschaft bei ihren Besuchen in Spielfeld, wo Flüchtlinge nach ihrem Grenzübertritt auf unzureichende Versorgung stießen, verbildlichte Fichtenbauer die Rahmenbedingungen, die abgelaufenen Medikamenten, zu wenig Kinderärzte und ungenügende Übersetzungsdienste umfassten. Seitens der BeamtInnen habe es ebenfalls Klagen gegeben, und zwar über die unklare Befehlslage und insgesamt schlechte Planung. Für das Innenministerium und die Landespolizeidirektion Steiermark sind derartige Kritikpunkte systemimmanent, sagte Fichtenbauer.

Menschen mit Behinderung: Kosten als Hindernis für Inklusion

Die Situation von Menschen mit Behinderung in Österreich ist laut Volksanwaltschaft trotz Verbesserungen in den letzten Jahren noch lange nicht zufriedenstellend – und teilweise sogar menschenrechtlich abzulehnen. Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung wertet Volksanwalt Kräuter wie SPÖ und Grüne jetzt zwar mehr auf Inklusion ausgerichtet als noch vor einigen Jahren. Damit jede und jeder aus dieser Personengruppe ein selbstbestimmtes Leben führen kann, brauche man aber mehr Geld, stellte er mit Verweis auf die Kosten persönlicher Assistenz fest. Am 4. Juli wolle daher die Volksanwaltschaft im NGO-Forum zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam mit Zivilgesellschaft und Parlament Akzente setzen. Ein dringlicher Punkt ist beispielsweise die sozialrechtliche Verbesserung der Arbeitsverhältnisse in Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

In den 93 durch Menschenrechtskommissionen besuchten Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zeigten die NPM-Berichte vom letzten Jahr Fälle von erniedrigender Behandlungen aufgrund von Fremdbestimmtheit der BewohnerInnen und fehlender Barrierefreiheit auf. Vereinzelt träten "manifeste Verwahrlosung und Schädigungen der psychischen und physischen Integrität von Personen ein, ohne, dass Behörden, Gerichte oder gerichtlich bestellte Sachwalterinnen und Sachwalter dagegen einschreiten", skizziert der NPM-Bericht die systembedingten Problemfelder, gerade in behördlich nicht angemeldeten Einrichtungen.

Volksanwaltschaft: Cannabis-Schmerzmittel auf Rezept medizinisch sinnvoll

Den von der SPÖ angesprochenen Themenkreis Schmerztherapie nutzte Volksanwalt Kräuter zum Bekenntnis für die Verschreibung von Cannabinoiden, wenn andere Schmerzmittel für PatientInnen nicht möglich sind. Die Weigerung der Gebietskrankenkassen, das zu finanzieren, beruhe auf einem gesellschaftlichen Problem, sei aber nicht im Interesse von SchmerzpatientInnen. Irritierend findet er zudem die in seinen Augen landläufige Ansicht, dass ältere Menschen natürlich unter Schmerzen leiden. Neben einem echten Schmerzassessment bräuchten BewohnerInnen von Altenheimen daher auch entsprechend geschultes Pflegepersonal. Mehr Bewusstseinsbildung erwartet die Volksanwaltschaft weiters in Bezug auf Demenzkranke. Grüne und Team Stronach führten in diesem Zusammenhang die Demenzsstrategie der Regierung ins Treffen, und erfuhren, man habe immerhin einige Fortschritte bei der Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens beobachtet. Dennoch benötige Demenz einen höheren politischen Stellenwert in einer alternden Gesellschaft, ist Kräuter einig mit dem Oppositionsparteien. Aufgrund der steigenden Zahl Demenzkranker rät die Volksanwaltschaft überdies zu einer besseren gerontopsychiatrischen Ausbildung von Pflegekräften.

Missstände am Pflegesektor zeigten ÖVP und Grüne anhand von konkreten Fällen auf, die von einzelnen Einrichtungen bis zum System der Pflegegeldeinstufung reichten. Falls wie gemutmaßt Personen zwecks höherer Einstufung von der Aktivierung abgehalten werden, sei dies eindeutig kriminell, konstatierte Kräuter. Generell hält er einheitliche gesetzliche Standards für den Pflegebereich dringend erforderlich, genauso ein Zentralregister zur Sicherstellung der richtigen Medikation von in Pflege befindlichen Personen. Neben mangelernährten Menschen, die der selbstständigen Essensaufnahme nicht mehr fähig waren, finanzieller Ausbeutung, Handgreiflichkeiten oder einer Missachtung der Intimsphäre der BewohnerInnen orteten die NPM-Kommissionen vielfach Praktiken der mechanischen oder medikamentösen Freiheitsbeschränkung in Heimen. Dazu kamen normierte Essens- und Schlafenszeiten oder Duschtage, worin nach Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ebenfalls eine Form der Gewaltanwendung zu sehen ist.

Zur Gewaltprävention in Jugendheimen drängt Kräuter auf gelebte pädagogische Konzepte. Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen stehe wiederum ihre Unterbringung in kleinen Quartieren derzeit im Vordergrund.

Überbelag im Gefängnissen Grundproblem

Gefängnisse beziehungsweise Zellen, die überbelegt sind, eine unzureichend sanitäre Ausstattung und zu lange Einschlusszeiten sind nach Dafürhalten von Volksanwältin Brinek Nährboden für Eskalationen wie in der Justizanstalt Stein. Besonders in Ostösterreich registriert sie eine Verschärfung dieser Problemlage, nicht zuletzt durch die Schlepper, die in Untersuchungshaft festgehalten werden. Die Volksanwaltschaft arbeite daher mit der Justiz und dem Bundeskriminalamt zur Minderung der Überfüllung daran, die raschere Abschiebung verurteilter StraftäterInnen zu ermöglichen, was aber nicht so einfach sei. Die meisten ausländischen Häftlinge kommen nach Angaben der Ombudsstelle aus Serbien, Rumänien und Ungarn. Weiterhin augenscheinlich ist Brinek zufolge der Personalmangel in Gefängnissen, vor allem in der psychiatrischen Versorgung. Eventuell böten Sonderverträge für MedizinerInnen hier Abhilfe. Besonders belastend sieht sie die Lage im Maßnahmenvollzug, in dem geistig abnorme RechtsbrecherInnen auch nach Abbüßung ihrer Strafe auf ungewisse Zeit inhaftiert seien, obwohl ihnen eigentlich eine Krankenhausbehandlung zustehe.

Die Suizidprävention im Justizstrafvollzug auch in polizeilichen Anhaltezentren anzuwenden, stellte die FPÖ zur Diskussion und erhielt von Volksanwalt Fichtenbauer die Auskunft, bei Polizeianhaltungen gebe es 10-mal so viele Selbstmorde wie in Justizanstalten. Kurzzeitig festgehaltene Personen scheinen die größte Risikogruppe zu sein. (Schluss Volksanwaltschaftsausschuss) rei