Parlamentskorrespondenz Nr. 1223 vom 28.12.2017

Kinderheime: Gewalt gibt es immer noch

Sonderbericht der Volksanwaltschaft zu Kindern und ihren Rechten in öffentlichen Einrichtungen

Wien (PK) – Die Zahl an fremd untergebrachten Kindern und Jugendlichen steigt, so der Sonderbericht der Volksanwaltschaft zum Thema Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen. Gewalt und sexuellen Missbrauch gibt es immer noch (III-55 d.B. und III-635-BR d.B.). Bedauerlicherweise wären viele Fehler vermeidbar gewesen, stellte die Volksanwaltschaft nach fünfjähriger Prüfung fest. Positiv wurde festgehalten, dass die Bereitschaft zur Problemeinsicht steigt. Besonders wichtig sei der Kontakt zwischen den Kindern und den Eltern. Dieser wird aber durch Strukturschwächen wie Unterbringungen in anderen Bundesländern erschwert.

Angesehen hat sich die Volksanwaltschaft auch die Verantwortung gegenüber Heimopfern. Das Heimopferrentengesetz ist aus Sicht der Volksanwaltschaft novellierungsbedürftig. Es sei nicht gelungen, die staatliche Geste der Verantwortung auf alle bekannten Opfergruppen zu erstrecken. Das Verfahren lasse eine rasche Klärung nicht zu, heißt es im Bericht.

8.423 Kinder leben in sozialpädagogischen Einrichtungen

2016 lebten 8.423 Minderjährige in sozialpädagogischen Einrichtungen, 5.162 wurden von Pflegeeltern betreut. Die Zahlen steigen, 2016 waren es um vier Prozent mehr Kinder als 2015. Laut Volksanwaltschaft gibt es nicht nur zu wenig Angebote zur Vermeidung von Fremdunterbringung, auch die Ressourcen sind knapp. Zur Verbesserung empfiehlt die parlamentarische Ombudsstelle den Ausbau ambulanter Unterstützung.

Bundesweit gesehen schneidet Wien am schlechtesten ab. Jedes 100. Kind lebt in Wien sowie in der Steiermark nicht bei seinen Eltern. In Wien kommt es in über 40% der behandelten Fälle zu einer Fremdunterbringung, in den anderen Bundesländern müssen erheblich weniger Kinder von ihren Eltern getrennt werden. Im Burgenland beispielsweise werden nur 19% fremd untergebracht, die anderen Fälle erhalten Unterstützung bei der Erziehung.

Gewalt und sexueller Missbrauch in Einrichtungen

Man dürfe sich nicht der Illusion hingeben, dass es Gewalt und sexuellen Missbrauch in Einrichtungen nicht mehr gibt, so das Ergebnis der Prüfung. Auch heutzutage werden Minderjährige in Heimen Opfer von Übergriffen. Verantwortlich sind in den meisten Fällen andere Minderjährige. Die PrüferInnen stellten aber fest, dass pädagogisch bedenkliche Sanktionssysteme, die erniedrigen, immer noch existieren und zur Anwendung kommen.

Das Missbrauchsrisiko wird durch strukturbedingte Probleme, wie schlechte Arbeitsbedingungen oder Fehlplatzierungen von Minderjährigen erhöht. Überfordertes Personal und ungünstige Gruppenkonstellationen bieten einen Nährboden für Übergriffe, ruft die Volksanwaltschaft ins Bewusstsein.

In Wien berichteten Kinder, in ständiger Angst vor einzelnen Jugendlichen zu leben. Auch das Personal schilderte, dass man bei Impulsdurchbrüchen von einzelnen, psychisch kranken Jugendlichen, den Schutz anderer Kinder nicht gewährleisten könne. Deshalb mahnt die Volksanwaltschaft erneut die Notwendigkeit des Schutzes dieser Personen ein.

Gewaltschutzkonzepte seien ein wichtiges Instrument der Gewaltprävention, so ihr Rat. Wirksame Prävention müsse auch Minderjährige über verschiedene Arten von Grenzverletzungen aufklären. Entscheidend sei, ob es in den Einrichtungen präventive Maßnahmen zur Verhinderung sexueller Gewalt gibt und wie effektiv diese sind. Laut Volksanwaltschaft würde die Einrichtung von kinderanwaltlichen Vertrauenspersonen helfen. Zudem sollte das Personal zum Thema Sexualpädagogik weitergebildet werden.

Nachstationäre Betreuungsplätze fehlen

Ein weiteres Problem stellen nachstationäre Betreuungsplätze dar. Jugendliche mit intensivem Unterstützungsbedarf müssen teilweise länger in der Kinder- und Jugendpsychiatrie bleiben als notwendig, da zu wenig Nachbetreuungsplätze vorhanden sind. Solche Fehlplatzierungen lösen laut Volksanwaltschaft eine Reihe von Problemen aus, weshalb die erforderlichen Plätze dringend geschaffen werden müssen.

Österreichweit gibt es unterschiedliche Regelungen zur maximalen Gruppengröße in Heimen. Während in Wien und Salzburg acht Kinder in einer Gruppe sind, gibt es im Burgenland Gruppen mit bis zu 16 Minderjährigen. Die Volkanwaltschaft empfindet Gruppen von mehr als zehn Kindern weder als zeitgemäß noch würden sie den Erkenntnissen der Sozialpädagogik entsprechen, liest man im Sonderbericht.

Zudem werden Großheime mit mehreren Gruppen dem heutigen Standard nicht gerecht. Dort sei die Wirkung negativer Gruppendynamiken wesentlich stärker und beeinträchtige Entwicklungschancen. Besonders das Personal drängt in Richtung kleinerer Gruppen. Schon jetzt haben Wien, Vorarlberg, die Steiermark und Salzburg keine Großeinrichtungen mehr.

Zur Strafe ab in die Kälte

Über mehrere Fälle von erniedrigender unmenschlicher Behandlung berichteten die Kommissionen im Rahmen ihrer Besuche. So mussten Kinder als Strafe fast nackt im Regen, im Dunkeln in Einfahrt, Hof oder Wintergarten Strafe stehen, Stuhl sitzen oder im November ohne Jacke und Essen den Tag im Hof verbringen. Um solchen Methoden entgegenzuwirken, pocht die Volksanwaltschaft darauf, entwürdigende Strafen ausnahmslos zu verbieten und Sanktionen nur in direktem Zusammenhang mit dem Regelverstoß ausgesprochen werden dürfen.

Zum Thema Gesundheit empfiehlt die Volksanwaltschaft, präventive Angebote für Minderjährige auszubauen und einfach zugänglich zu machen. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie müssen die Bettenkapazitäten rasch ausgebaut werden. Außerdem spricht sich die Volksanwaltschaft für stärkere ambulante und tagesklinische psychiatrische Strukturen aus. Im Bereich Übergewicht sollte ein Masterplan zur Bekämpfung erstellt werden. Die tägliche Turnstunde soll flächendeckend umgesetzt werden.

Der Sonderbericht der Volksanwaltschaft entstand durch unangekündigte Expertenbesuche über fünf Jahre hinweg. Dadurch konnten Schwachstellen der Systeme aufgedeckt werden und Rückschlüsse gezogen werden. Die Volksanwaltschaft weist in dem Bericht auf zahlreiche Gesetzesmängel, Umsetzungsprobleme, Ausbildung- und Professionsdefizite bzw. Kommunikationsschwierigkeiten hin. Bedauerlicherweise wären viele Fehler vermeidbar gewesen, stellt das Prüforgan fest. Auf der unmittelbaren Handlungsebene steigt die Bereitschaft zur Problemeinsicht. (Schluss) gro