Parlamentskorrespondenz Nr. 607 vom 29.05.2018

Sozialausschuss: Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition über Umbau der Sozialversicherung

Ministerin Hartinger-Klein hält an Einsparungsziel von einer Milliarde Euro fest

Wien (PK) – Die von der Regierung angestrebte Neuorganisation der Sozialversicherung werde zu mehr Fairness führen und überdies die langfristige Finanzierbarkeit des Systems sicherstellen, erklärte Bundesministerin Beate Hartinger-Klein heute im Sozialausschuss. Besonders erfreulich sei, dass durch die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen die seit langem geforderte Harmonisierung der Leistungen von über 7 Millionen Versicherten nun umgesetzt werden könne. Während auch die Abgeordneten der Regierungsfraktionen das ihrer Ansicht nach größte Reformprojekt der Zweiten Republik lobten, kam von Seiten der Opposition massive Kritik.

Die Abgeordneten Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) bezweifelten – auch unter Hinweis auf Aussagen von Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker -, dass durch die anvisierten Maßnahmen tatsächlich eine Milliarde Euro eingespart werden kann. Der Gesundheitssprecher der NEOS, Gerald Loacker, bemängelte vor allem die weiterhin bestehende Sonderstellung der öffentlichen Bediensteten sowie die Nichteinbeziehung der 15 Krankenfürsorgeanstalten.

Die Eckpunkte der neuen Sozialversicherungsorganisation

Bundesministerin Beate Hartinger-Klein präsentierte im Rahmen der Aktuellen Aussprache, die als erster Punkt der Tagesordnung stand, die von der Regierung geplante "Sozialversicherungsorganisation der Zukunft". Nicht zuletzt der aktuelle Länderbericht der EU, aber auch die unter ihrem Vorgänger in Auftrag gegebene Studie der London School of Econmics hätten einen dringenden Reformbedarf aufgezeigt.

Im Sinne einer leistungsfähigen, modernen und bürgernahen Sozialversicherung sei es das primäre Ziel, bei gleichen Beiträgen den Menschen auch österreichweit die gleichen Leistungen anbieten zu können, unterstrich die Ressortchefin. Dafür müssen die sich aus der Struktur der derzeit bestehenden 21 Sozialversicherungsträger und ihrer Doppel- und Mehrfachgleisigkeiten ergebenden hohen Verwaltungskosten gesenkt sowie Einsparungs- und Optimierungspotenziale gehoben werden. Um die Verwaltungskosten nachhaltig zu begrenzen, werde ein Kostendeckel vorgesehen. Dabei soll die Organisationsstruktur neu geordnet werden, indem die Anzahl der Träger auf vier, maximal fünf, reduziert wird. Kosten in der Verwaltung und Privilegien werden durch die Zusammenlegung nachhaltig reduziert bzw. abgeschafft. Auch die Probleme und die bürokratischen Hürden, die sich aus den unverständlichen und lästigen Mehrfachversicherungen ergeben, werden dann der Vergangenheit angehören, hob die Ministerin hervor.

Im konkreten sollen die neun Gebietskrankenkassen zur einer Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengeführt werden, erläuterte Hartinger-Klein die neuen Strukturen. Die Landesstellen werden aber weiterhin für die regionale Versorgungsplanung zuständig sein und können auf Basis des österreichweiten Gesamtvertrags über Zu- bzw. Abschläge verhandeln. Weiters sollen sich die Versicherungsanstalten der Beamten und der Eisenbahner sowie der Selbstständigen und der Bauern zu jeweils einem Träger zusammenschließen. Die Pensionsversicherungsanstalt bleibt als eine der Säulen des Sozialversicherungssystems erhalten. Was die AUVA angeht, so gebe es den klaren Auftrag an die Verantwortlichen, bis Ende des Jahres 2018 ein finanzielles Konzept vorzulegen.

Umfassende Kritik der Opposition: Vom Anschlag auf die AUVA bis zur Schaffung eines neuen Verwaltungsmolochs

Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) war der Auffassung, dass der Umbau zu keinen Einsparungen führen und in der Anfangsphase sogar zusätzliche Kosten verursachen werde. Außerdem habe der Hauptverband bereits eine Leistungsharmonisierung eingeleitet; man brauche daher keinen weiteren Verwaltungsmoloch. Alois Stöger (SPÖ) bezweifelte die hohe Anzahl an FunktionärInnen und wies darauf hin, dass es laut ASVG nur 460 VersichertenvertreterInnen geben kann. Sein Fraktionskollege Markus Vogl beklagte, dass die Finanzämter nun die SV-Beiträge der Unternehmen prüfen sollen. Abgeordneter Dietmar Keck (SPÖ) war der Meinung, dass es sehr wohl die gesetzliche Möglichkeit gegeben hätte, die Krankenfürsorgeanstalten in die Reform miteinzubeziehen.

Von einer Vereinheitlichung könne keine Rede sein, meinte Gerald Loacker (NEOS), da u.a. die 15 Krankenfürsorgeanstalten nicht berücksichtigt wurden. Auch die Beamten und Eisenbahner haben weiterhin eigene Strukturen, obwohl sie einer günstigeren Risikogemeinschaft angehören. Kritik übte Loacker zudem an der Sonderstellung der Beamten und Bauern bei der Unfallversicherung sowie an der Tatsache, dass die Pensionsversicherungsanstalt auch in Zukunft nicht für alle Berufsgruppen zuständig sein wird. Positiv beurteilte er hingegen den Wegfall der Mehrfachversicherungen. Dies betreffe etwa 3% der Versicherten; die restlichen 97% haben aber noch immer keine Wahlfreiheit, gab er zu bedenken.

Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) zeigte sich besorgt über die Regierungspläne bezüglich der AUVA und fragte sich, wie in Zukunft mit Freizeitunfällen umgegangen wird. Müsse sich nun jeder privat versichern? Skeptisch äußerte sie sich hinsichtlich der Einsparungsmöglichkeiten in der Verwaltung, zumal nur 200 von 2.000 FunktionärInnen bezahlt werden. 

ÖVP und FPÖ: Reform bringt effiziente Strukturen und mehr Gerechtigkeit für die Versicherten

Der Sozialsprecher der ÖVP, August Wöginger, zeigte sich erfreut über die Reform, die seit Jahren eingefordert wurde. Nun gebe es endlich den Mut dazu. Der Umbau werde anfangs natürlich Mehrkosten verursachen, räumte er ein, aber aufgrund der guten Wirtschaftsleistung sei jetzt der ideale Zeitpunkt für die Umsetzung. Das vorgestellte Modell sei übrigens sehr ähnlich wie eine Variante, die in der Studie der London School of Economics enthalten ist. Zum Thema AUVA merkte Wöginger an, dass es dabei nicht ausschließlich um Einsparungen bei den Verwaltungskosten geht, sondern dass Kooperationen gesucht werden müssen. Auch Peter Wurm und Dagmar Belakowitsch-Jenewein (beide FPÖ) waren sehr positiv gestimmt, da die Freiheitlichen seit vielen Jahren eine echte Strukturreform in der Sozialversicherung einfordert hatten. Die Kritik der SPÖ, die in der Vergangenheit nichts zusammengebracht habe, sei ziemlich unfair, urteilte Belakowitsch-Jenewein.

Hartinger-Klein sieht Einsparungsmöglichkeiten vor allem durch Strukturbereinigungen und Aufgabenbündelung

Die Sozialministerin war überzeugt davon, dass durch die Reform ein Einsparungspotential von etwa einer Milliarde Euro über einen gewissen Zeitraum hinweg zu lukrieren ist. Dafür brauche es natürlich nicht nur Effizienzsteigerungen in der Verwaltung, sondern vor allem Strukturbereinigungen und eine Bündelung der Aufgaben (z.B. Einkauf, Personalwesen, IT).

Die Regierung bekennt sich auch klar zum Prinzip der partizipativen Selbstverwaltung, unterstrich die Ministerin, allerdings wird an einer Weiterentwicklung gearbeitet, um das Aufsichtsrecht des Bundes zu stärken. Aus eigener Erfahrung wisse sie, dass ein verstärktes Augenmerk auf die fachliche Eignung der Mitglieder der Selbstverwaltung gelegt werden müsse. Mehr Effizienz müsse es auch bei den Entscheidungsstrukturen geben. Es könne nicht angehen, dass man 54 Beschlüsse braucht, um eine Maßnahme in die Wege zu leiten. Eine deutliche Reduktion soll es bei den FunktionärInnen geben, und zwar von 2.000 auf 400. Die Jobs der Angestellten seien jedenfalls gesichert; es werden jedoch nicht alle Stellen nachbesetzt.

Hartinger-Klein verteidigte auch das Vorhaben, wonach die Sozialversicherungsbeiträge in Hinkunft vom Finanzministerium geprüft werden sollen; dies entspreche dem Vier-Augen-Prinzip. Die fünf Betriebskrankenkassen bekommen die Möglichkeit, in die ÖGK hinein zu optieren. Drei Krankenkassen haben bereits signalisiert, eine Fusion eingehen zu wollen, informierte die Ministerin. Für die Krankenfürsorgeanstalten seien hingegen die Länder zuständig, erklärte sie. Für Freizeitunfälle müsse man auch in Zukunft keine Privatversicherung abschließen müssen. (Fortsetzung Sozialausschuss) sue