Parlamentskorrespondenz Nr. 647 vom 07.06.2018

Volksanwaltschaft: Parlament soll Kinderrechte im Auge behalten

Menschenrechtskontrolle Thema im Volksanwaltschaftsausschuss

Wien (PK) – Die VolksanwältInnen Gertrude Brinek, Günther Kräuter und Peter Fichtenbauer sind alarmiert. Warum das Ausmaß an behördlichen Kindesabnahmen steige, sei unerklärlich, so Kräuter heute im Volksanwaltschaftsausschuss des Nationalrats, zumal zwischen den Bundesländern große Unterschiede herrschten. Fichtenbauer sieht noch großen Handlungsbedarf für die Sicherstellung angemessener Behandlung an Schulen für die rund 190.000 Kinder mit einer chronischen Erkrankung, wenn er auch erfolgte rechtliche Verbesserungen lobte. Die exzellente Präventivkontrolle durch die Kommissionen der Volksanwaltschaft unterstrich Brinek im Einklang mit ihren Kollegen. Angemeldet würden Besuche in Betreuungseinrichtungen im Normalfall nicht, nur wenn im Zuge der Folgeuntersuchungen die Anwesenheit aller Ansprechpersonen sicherzustellen ist.

Insgesamt 495 präventive Menschenrechtskontrollen führten die Kommissionen der Volksanwaltschaft 2017 durch. Die meisten Erstbesuche erfolgten in Kinder- und Jugendeinrichtungen, Psychiatrien, Krankenhäusern, sowie Alten- und Pflegeheimen. Mehrfach besucht wurden Justizanstalten, Polizeiinspektionen und Polizeianhaltezentren. Zu den 44 Anlassfällen, bei denen das Polizeiverhalten beobachtet wurde, gehörten dem Volksanwaltschaftsbericht zufolge Razzien, Abschiebungen und Demonstrationen. Der Tätigkeitsbericht 2017 wurde von den Ausschussmitgliedern ebenso einstimmig angenommen wie ein Sonderbericht über bedenkliche Zustände in Kinderheimen.

Situation in Kinderheimen bedenklich

Aus diesem Sonderbericht (III-55 d.B.) der Volksanwaltschaft zu Gewalt und sexuellem Missbrauch in sozialpädagogischen Einrichtungen geht hervor, dass strukturbedingte Probleme wie überfordertes Personal oder ungünstige Gruppenkonstellationen das Missbrauchsrisiko unter Minderjährigen häufig vergrößern. Überdies berichten die PrüferInnen über erniedrigende Sanktionssysteme in den Heimen. Bedenklich sei zudem die erschwerte Kontaktaufnahme zwischen Kindern und ihren Eltern aufgrund Unterbringungen in anderen Bundesländern oder gar im Ausland, worauf der Vorarlberger Reinhold Einwallner (SPÖ) hinwies. Ähnlich wie Gudrun Kugler (ÖVP) thematisierte er die wachsende Zahl an Fremdunterbringungen, wobei der SPÖ-Mandatar regionale Unterschiede bei Sozialarbeit vor Ort vermutete.

Volksanwalt Kräuter räumte ein, die genauen Gründe für die Entwicklung müssten erst wissenschaftlich untersucht werden. Eine Enquete im Parlament über Kinder in Notlagen böte einen Anstoß dazu. "Das Kindeswohl muss im Mittelpunkt stehen", betonte der Volksanwalt, niemals dürften finanzielle Gründe zu einer Unterbringung in einem Heim führen, das vom Wohnort des Kindes weit entfernt ist. Man arbeite hier intensiv mit den Kinder- und Jugendanwaltschaften zusammen. Generell seien Kindesabnahmen aber Gerichtsbeschlüsse, gegen die die Volksanwaltschaft nicht vorgehen könne.

Empfehlungen zur Lageverbesserung in sozialpädagogischen Einrichtungen hat die Volksanwaltschaft bereits gegeben. So dürfe eine Gruppe nie mehr als 10 Kinder oder Jugendliche umfassen, Gewaltprävention bzw. Schulungen dazu sollten Pflicht für BetreuerInnen sein. In öffentlichen Einrichtungen für Minderjährige wurde 2017 erneut eine Zunahme der Gewaltbereitschaft festgestellt, geht aus dem Volksanwaltschaftsbericht hervor. Oft sind Kinder mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen aus der Familie TäterInnen gegenüber anderen Minderjährigen. Kinder, die in Gewalt aufwachsen, trügen diese Gewaltbereitschaft ins Erwachsenenalter mit, mahnte Kräuter vor gesamtgesellschaftlichem Schaden.

Kinder- und Jugendpsychiatrie: Unzureichende Versorgung

Besonderes Augenmerk widmete die Volksanwaltschaft letztes Jahr auch der Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP). Sowohl ambulant als auch stationär bestünden hier große Versorgungslücken, geht aus dem Volksanwaltschaftsbericht (III-86 d.B.) hervor. Angesichts der wachsenden Zahl behandlungsbedürftiger Minderjähriger – 2016 waren es 16.552, Tendenz steigend – seien das Bettenangebot wie auch extramurale psychologische Behandlungsformen unbedingt auszuweiten, schloss sich Petra Wimmer (SPÖ) der Volksanwaltschaftskritik an. Alma Zadić (PILZ) äußerte menschenrechtliche Bedenken, wenn Kinder aus Platzmangel in der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht werden und erhielt Bestätigung von Volksanwalt Kräuter – ein derartiges Vorgehen wiederspreche der UN-Kinderrechtskonvention.

Ein weiteres Problem stellt der Mangel an nachstationären Betreuungsplätzen dar. Jugendliche mit intensivem Unterstützungsbedarf sind folglich teilweise länger in der Kinder- und Jugendpsychiatrie als notwendig. Zadić führte im Zusammenhang mit der psychologischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen überdies die besonders schützenswerte Stellung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ins Treffen. Tatsächlich zeigt die Volksanwaltschaft auf, vor allem ältere, meist männliche, Jugendliche dieser Gruppe würden häufig in Grundversorgungseinrichtungen ohne psychologische Betreuung verbleiben, und nach Beendigung der Schulpflicht kaum Ausbildungsmöglichkeiten erhalten.

Chronisch kranke Kinder brauchen School Nurse

Das Thema Kindergesundheit machte Edith Mühlberghuber (FPÖ) an der Situation chronisch kranker Schulkinder fest, die bislang kaum auf angemessene Hilfe an den Schulen hoffen konnten. Hinzu hindere oft das Schulsprengelsystem die Eltern daran, diese Kinder in entsprechend ausgestattete Bildungseinrichtungen zu geben. Als Teilerfolg wertet es Volksanwalt Fichtenbauer, dass gemäß Bildungsreformgesetz nun gewisse medizinische Tätigkeiten durch Lehrpersonen zu deren Dienstpflichten gehören. Falls dabei Fehler passieren, hafte nicht primär die Lehrperson selbst, sondern der Staat als Dienstgeber. Dennoch forderte er weitere Verbesserungsmaßnahmen, angefangen von der Vermittlung medizinischer Grundkenntnisse bei der Pädagogenausbildung bis hin zur Sicherstellung ausreichender Medizinkompetenzen an jedem Schulstandort, angelehnt an das britische School-Nurse System.

Maßnahmenvollzug: Reformgesetz heuer noch erwartet

Der Maßnahmenvollzug, in den psychisch kranke Menschen, die straffällig geworden sind, eingewiesen werden, erörterte der Ausschuss ebenfalls ausgiebig. Volksanwältin Brinek hielt fest, im internationalen Vergleich seien die Zustände in Österreich vielfach mangelhaft, schon aufgrund von Personalengpässen und schlechter Honorierung. "Investitionen sind nötig, wenn man sich mit internationalen Standards messen will". Dazu wären österreichweit Zentren wie jenes in Asten einzurichten, in dem die therapeutische Behandlung der sogenannten geistig abnormen Rechtsbrecher tatsächlich erfolgt. Außerdem bemängelte Brinek, dass die Gutachten für Einweisung und Entlassung nicht unbedingt von Psychiatern erstellt werden. Dennoch wollte sie sich dem Vorwurf von Muna Duzdar (SPÖ), die Regierung zeige kein Interesse an der Reform des Maßnahmenvollzugs, nicht anschließen. Justizminister Josef Moser habe aufbauend auf einem Gesetzesentwurf seines Vorgängers zugesagt, im ersten Halbjahr 2018 einen Vorschlag zur Neufestlegung des Maßnahmenvollzugs vorzulegen. Zentral ist für Brinek dabei das Trennungsgebot, also die getrennte Unterbringung von psychisch kranken und gesunden Häftlingen.

Allgemein weist die Volksanwaltschaft auf Defizite in Justizanstalten hin. Aufgrund der mittlerweile "multikulturellen Zusammensetzung" der Inhaftierten, so Brinek, wüchsen die Anforderungen für das Wachpersonal. Um den Herausforderungen in den Gefängnissen gerecht zu werden, brauche es neben einer Personalaufstockung auch ausreichend Weiterbildungsmaßnahmen, etwa zum Deeskalationstraining. Vermehrte Krankenstände unter den JustizwachebeamtInnen würden auf deren permanente Überlastung hinweisen.

Schubhäftlingsunterbringung am Radar der Volksanwaltschaft

Eine Auslagerung der Bewachungsdienste an private Sicherheitsfirmen ist dagegen nicht das Mittel zum Ziel, führte Volksanwalt Fichtenbauer anhand des Beispiels Anhaltezentrum Vordernberg aus. Zwar handle es sich bei den dort Untergebrachten nicht um Straftäter, sondern um Schubhäftlinge, doch sei die Freiheitsbeschränkung eindeutig eine hoheitliche Aufgabe. Vordernberg befinde sich daher ständig am "Radar" der Volksanwaltschaft. Nachdem die Ombudsstelle 2015 einen Sonderbericht zu Vordernberg erstellt hat, um Fehlentwicklungen aufzuzeigen, berichtete Fichtenbauer heute durchaus zufrieden, mehrere der Empfehlungen seien umgesetzt worden bzw. in Planung. So gebe es jetzt Videodolmetsch und eine verbesserte Versorgung hungerstreikender Schubhäftlinge. Fehlen würden wegen Personalmangels allerdings noch die Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten und die psychiatrische Betreuung der Inhaftierten.

Zu Polizeianhaltezentren insgesamt meinte Fichtenbauer, nach jahrelangen Beratungen mit dem Innenministerium würden nun Verbesserungen wie die menschenrechtskonforme Zellenausgestaltung in Angriff genommen. Problematisch sei vor allem noch die schlechte Verfügbarkeit von AmtsärztInnen, vor allem im ländlichen Raum. Christian Riess (FPÖ) hatte die Erreichbarkeit dieser ÄrztInnen, die festgehaltene Personen unverzüglich zu untersuchen haben, angesprochen. Die Großstadt Wien ist Fichtenbauer zufolge noch am besten ausgestattet, aber auch in den Bundesländern Vorarlberg und Burgenland könnten die Landespolizeidirektionen dank guter Vereinbarungen mit den Landesregierungen die ärztliche Verfügbarkeit sicherstellen. In den übrigen Bundesländern bestehe dagegen zu wenig Kooperationsbereitschaft seitens der jeweiligen Landesregierung, skizzierte der Volksanwalt am Beispiel Oberösterreich.

Für Stephanie Krisper (NEOS), vormals selbst Mitglied einer Volksanwaltschaftskommission zur Menschenrechtskontrolle, befasst sich die Volksanwaltschaft zu wenig mit Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei. Dabei sollte der Nationale Präventionsmechanismus dafür Sorge tragen, dass Polizeigewalt unterbunden wird, unter anderem mittels eines schnelleren Beschwerdeverfahrens. Derzeit würden derartige Fälle kaum Verurteilungen oder Disziplinarverfahren nach sich ziehen, erwartet Kisper sich überhaupt eine breitere Ausgestaltung der Volksanwaltschaftsarbeit im menschenrechtlichen Bereich.

Demgegenüber verwies Fichtenbauer auf die nachprüfende Kontrolle seiner Organisation, bei der natürlich polizeilichen Misshandlungen nachgegangen werde. Letztendlich verlangte er zur Ermittlung derartiger Vorgänge eine polizeiunabhängige Behörde, die wiederum das Parlament zu veranlassen habe. Hinsichtlich menschenrechtlicher Informationstätigkeiten der Volksanwaltschaft erläuterten Fichtenbauer und Brinek die Zusammenarbeit von VertreterInnen des NMP mit Bildungseinrichtungen für PolizistInnen und JustizwachebeamtInnen. Diese "Polizeiausbildungsmodule" seien sehr gut aufgenommen worden, informierten beide auf Nachfrage von Werner Herbert (FPÖ) und werden weitergeführt.

Pflegefonds soll Verbesserungen herbeiführen helfen

Der Pflegebereich bleibt weiterhin ein Sorgenkind der Volksanwaltschaft. Die hohe Zahl an menschenrechtlichen Beanstandungen infolge der Kommissionsbesuche in freiheitseinschränkenden Einrichtungen, über die sich Gabriela Schwarz (ÖVP) "schockiert" zeigte, liege vielfach an den Erhebungen in Pflege- und Altenheimen, erklärte Volksanwalt Kräuter. Dennoch äußerte er "höchste Wertschätzung" für das Pflegepersonal, das unter prekären Bedingungen eine überaus herausfordernde Arbeit erbringe. Zur Bewältigung der immer komplexeren Pflege in Heimen, die auch medizinische Routinetätigkeiten und gerontopsychiatrische Hilfe umfasst, gebe es nicht die nötigen Personalressourcen, so die Volksanwaltschaft in ihrem Bericht. Seitens des Pflegepersonals wurden gegenüber den NMP-Kommissionen häufig Klagen über hohen Zeitdruck, extreme Arbeitsverdichtung, psychische und physische Belastung, schlechtes Arbeitsklima mit Hierarchiegefälle und laufende Dienstplanänderungen laut. Durch die Überlastung, ohne Supervision und die gerade nachts drastisch reduzierte Personalbesetzung würden Handlungen bzw. Unterlassungen toleriert, die dem Berufsethos widersprechen. Kräuter nannte die unzureichende Dokumentation von Freiheitsbeschränkungen durch Gurte oder sedierende Medikamente als Zeichen für "krasse Menschenrechtsverletzungen". Aus Sicht der Volksanwaltschaft sind bundeseinheitliche Standards wie Qualitätskriterien und Personalschlüssel für die Pflegeheime, die in Länderverantwortung liegen, erforderlich. Der Pflegefonds von "bald 400 Mio. €", der laut Kräuter zu zwei Drittel vom Bund gespeist wird, wäre ein gutes Instrument, die Bundesländer zur Situationsverbesserung in den Heimen "zu zwingen".

Damit künftig kein Ansturm auf die Pflegeheime droht, müsse der Gesetzgeber auch beim Pflegegeld "die richtigen Weichen stellen", appellierte Kräuter an die Abgeordneten. Die Überlegung, nur bei der höchsten Pflegestufe 4 die Unterstützung zu erhöhen, sei falsch, da die mobile Pflege für die Betreuung daheim, die vor allem Menschen der Pflegestufe 1 bis 3 erhalten, dadurch nicht gefördert werde. Für die privaten Pflegeagenturen zur Daheimbetreuung pocht der Volksanwalt zudem auf ein hinreichendes Qualitätssicherungssystem, bei dem der Schutz der Menschenrechte hervorgestrichen wird.

Einen vergrößerten Pflegekräftemangel prognostizierte Kräuter bei der geplanten Indexierung der Familienbeihilfe. Anders als Martina Diesner-Wais (ÖVP), die in Abrede stellte, dass ausländische PflegerInnen nur wegen der Familienbeihilfe nach Österreich kommen, ortet Kräuter konkrete Hinweise auf ein Ausbleiben des Pflegepersonals aus Ländern wie Tschechien oder der Slowakei. "Österreich drohen massive Defizite bei der Pflege, nicht nur bei der 24-Stunden-Betreuung, sondern auch in Krankenhäusern und Pflegeheimen". Bezögen die PflegerInnen nur noch Leistungen abgestellt auf die Lebenserhaltungskosten im Heimatland, schwinde der finanzielle Anreiz, die beschwerliche Tätigkeit hierzulande auf sich zu nehmen.

Cannabinoide: SchmerzpatientInnen müssen warten

Klaudia Friedl (SPÖ) zog den Kreis zu Personen mit chronischen Schmerzen. Während viele Länder bereits große Behandlungserfolge dieser PatientInnen durch Cannabinoide erzielt hätten, habe Österreichs Gesundheitspolitik kein Interesse, solche Medikamente auf Kassenkosten leichter erhältlich zu machen, monierte sie. Bei Volksanwalt Kräuter lief sie offene Türen ein: Österreich sei hier "unterentwickelt". Ärzte und Ärztinnen würden ebenso klagen wie ApothekerInnen, dass Morphinpräparate anstandslos bezahlt würden, die weit weniger nebenwirkungsschwangeren Cannabinoide jedoch nicht. Nicht vergessen werden dürfe, dass chronische Schmerzen der häufigste Grund für Frühpensionen sind.

In einem anderen Punkt habe das Gesundheitsministerium immerhin bejaht, dass kaum Mehrkosten schlagend würden. Konkret bezog sich Kräuter auf die von Alma Zadić beanstandete Situation von Menschen mit Behinderung in eigenen Werkstätten. Die Volksanwaltschaft setze sich dafür ein, diese erwachsenen Personen nicht wie Kinder mit einem Taschengeld abzuspeisen, sondern ihnen eine vernünftige Sozialversicherung inklusive Pensionsansprüche zukommen zu lassen, versprach Kräuter. (Schluss Volksanwaltschaftsausschuss) rei