Parlamentskorrespondenz Nr. 58 vom 22.01.2020

Nationalrat: ÖVP und Grüne wollen Anteil armutsgefährdeter Menschen halbieren

Anträge von SPÖ, FPÖ und NEOS zur Sozialhilfe blieben ohne Mehrheit

Wien (PK) – Eine lebhafte Diskussion im Plenum des Nationalrats fand zum Thema Sozialhilfe statt. Der Verfassungsgerichtshof hat einige Teile des unter Türkis-Blau verabschiedeten Grundsatzgesetzes des Bundes aufgehoben, gleichzeitig haben etliche Länder die bundesweiten Vorgaben noch nicht umgesetzt. Den Abgeordneten lagen dazu zwei konträre Entschließungsanträge von SPÖ und FPÖ vor, die bereits vorab im Sozialausschuss abgelehnt wurden.

Während es der SPÖ unter anderem um eine armutsvermeidende Leistungshöhe, die Festlegung von Mindestrichtsätzen statt Höchstrichtsätzen und diskriminierungsfreie Kinderzuschläge geht, pocht die FPÖ auf eine Umsetzung der nicht vom Verfassungsgerichtshof beanstandeten bzw. nicht angefochtenen Gesetzesteile durch die Länder.

Mit zur Debatte stand ein vom Sozialausschuss mit Regierungsmehrheit gefasster Entschließungsantrag zum Thema Armutsbekämpfung. ÖVP und Grüne ersuchen darin Sozialminister Rudolf Anschober, ehestmöglich geeignete Maßnahmen zur Halbierung des Anteils armutsgefährdeter Menschen in Österreich zu setzen.

SPÖ-Appell an Grüne gegen "falsche Richtung in der Sozialpolitik"

Enttäuscht, dass der Antrag der SPÖ im Ausschuss für Arbeit und Soziales abgelehnt wurde, zeigte sich Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ). Die ersten Regierungswochen hätten gezeigt, dass Maßnahmen zur Reduktion von Armut fehlen. Als Beispiele nannte Muchitsch Ungleichheiten beim Familienbonus sowie angekündigte Sanktionsverschärfungen für BezieherInnen von Arbeitslosengeld. Vor allem in Richtung Grüne appellierte Muchitsch, den SPÖ-Antrag als Hilfe zur Reparatur des Sozialhilfe-Grundgesetzes zu nutzen. Das Angebot eines Grundkonsenses in der Sozialpolitik durch Bundesminister Anschober werde die SPÖ gerne annehmen. "Aber nur dann, wenn Reiche nicht reicher werden, während Arme ärmer werden", so Muchitsch.

Grüne sehen neue Möglichkeiten auf Länderebene

Für die Bundesländer ortet Abgeordneter Markus Koza (Grüne) durch das VfGH-Erkenntnis neue Spielräume, um wirkungsvolle Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut zu ermöglichen. Das würden die deutlich höheren Kindersätze in Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung zeigen. Koza verwies auch auf das Regierungsprogramm, in dem einige Punkte neue Vereinbarungen mit den Ländern erfordern würden, etwa bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Für das Anliegen der SPÖ, ein neues Sozialhilfe-Grundsatzgesetz zu formulieren, äußerte Koza Verständnis, räumte allerdings ein, dass die dafür erforderlichen Mehrheiten nicht vorhanden seien. "Wer Anschober kennt, weiß, dass er den Worten auch Taten folgen lässt", schloss Koza in Richtung des Sozialministers.

FPÖ: Sozialhilfe-Grundgesetz ist gültig und umzusetzen

Harsche Kritik an den Vorhaben der Regierung äußerte Abgeordnete Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Die Umsetzung der nicht beanstandeten Teile des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes durch die Länder sei notwendig, um "Schieflagen im System" zu beheben. Es sei bedauerlich, dass geplante Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen oder Alleinerziehende nun nicht umgesetzt würden. "Die Zuwanderung ins Sozialsystem wird weiter gefördert, denn hohe Beiträge gehen alle an ausländische Großfamilien", warnte Belakowitsch.

NEOS fordern zeitliche Limitierung von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe

Nichts als "heiße Luft" sei in den letzten Jahren in Sachen Sozialhilfe bzw. Mindestsicherung produziert worden, lautete das Urteil von Abgeordnetem Gerald Loacker (NEOS). Ein Grundproblem, so Loacker, sei die zeitlich unbegrenzte Notstandshilfe, die die Versichertengemeinschaft überstrapaziere. Ein Entschließungsantrag, in dem die Zusammenführung von Mindestsicherung und Notstandshilfe zu einem "einzigen System der sozialen Absicherung" gefordert wurde, fand keine Mehrheit im Plenum.

ÖVP beruft sich bei Sozialhilfe auf altes und neues Regierungsprogramm

Ein einleitendes Bekenntnis zu den Zielsetzungen der letzten Regierung legte Abgeordneter Michael Hammer (ÖVP) ab, anerkannte jedoch die Entscheidung des VfGH. Ein neues bundesweites Gesetz hält er angesichts nur zweier aufgehobener Regelungen – betreffend Mehrkindstaffel und Arbeitsqualifizierungsbonus – nicht für notwendig. Hammer unterstrich die Notwendigkeit von "Gerechtigkeit im System" und verwies auf das Regierungsprogramm, in dem gezielte Maßnahmen zur Armutsbekämpfung festgeschrieben seien. Zusammen mit den Bundesländern werde man Lösungen finden, so Hammer.

Der gemeinsame Entschließungsantrag von ÖVP und Grünen zum Thema Armutsbekämpfung wurde mit Stimmenmehrheit angenommen.

Sozialminister Rudolf Anschober lädt zur Zusammenarbeit bei Armutsbekämpfung ein

Sozialminister Rudolf Anschober mahnte zur Sachlichkeit beim Thema Sozialhilfe. Österreich als wohlhabendes Land habe die Verantwortung, für jene zu sorgen, die es nicht so leicht haben. Nur eine gemeinsame Kraftanstrengung könne zur Lösung bestehender Probleme führen. Deutlich sprach sich Anschober gegen das Schüren von Neid und Angst in der Debatte aus: " Wenn es anderen schlechter geht, geht es dir besser, diese Rechnung stimmt nicht. Uns geht es besser, wenn es anderen auch besser geht", so der Minister. (Fortsetzung Nationalrat) cke

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Live-Stream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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