Parlamentskorrespondenz Nr. 781 vom 09.07.2020

Corona-Hilfen: Bundeskanzler Kurz für Balance zwischen Zuschüssen und Krediten

EU-Hauptausschuss diskutiert über EU-Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Corona-Krise und Mehrjährigen Finanzrahmen

Wien (PK) – Österreich stehe hinter der europäischen Maßnahme, auf die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu reagieren und die Regierung werde sich in Brüssel um einen Kompromiss bemühen. Man werde aber auch sehr entschlossen dafür einstehen, dass die Auszahlung von Geldern mit Konditionalitäten verbunden sind, eine Balance zwischen Zuschüssen und Krediten besteht und die Rückzahlung geklärt ist, sagte heute Bundeskanzler Sebastian Kurz im EU-Hauptausschuss des Nationalrats, der im Vorfeld des Corona-Sondergipfels der europäischen Staats- und Regierungschefs am 17. und 18. Juli über den EU-Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der Corona-Krise und den Mehrjährigen Finanzrahmen diskutierte.

Er sei skeptisch gegenüber der Aufnahme von Schulden, im Zweifelsfall seien ihm Kredite noch immer lieber als Zuschüsse, so Kurz. Sein Zugang sei, dafür zu sorgen, dass die ausbezahlten Gelder auch richtig investiert werden. So werde er auf "zukunftsgerichtete Investitionen" drängen, etwa in die Ökologisierung, Digitalisierung und Reformen. Man wolle vermeiden, dass die ausbezahlten Gelder für rückwärtsgewandte Maßnahmen oder zum Stopfen von Budget-Löchern in die Hand genommen werden. Auch müsse vermieden werden, dass das Geld in Korruption versickere. Die "Frugalen Vier" (Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande) seien klar für Konventionalitäten, die Auszahlung müsse auch an ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit sowie an Reformwillen geknüpft sein.

Große Auffassungsunterschiede innerhalb der Union gebe es auch in der Frage der Verteilung. Am Tisch liegen laut Kurz zehn Kriterien, die aus seiner Sicht noch intensiv zu diskutieren sind. Wenn man auf die Corona-Krise reagieren will, mache es Sinn, auf aktuelle Faktoren abzustellen, nicht etwa auf die Arbeitslosigkeit eines Mitgliedslandes seit 2015.

Einen der heikelsten Punkte in den Verhandlungen über den EU-Wiederaufbaufonds(EU Recovery Fund) sieht der Bundeskanzler in der Frage der Rückzahlung. Hier würden viele versuchen, sich "hinwegzuturnen", so Kurz. Werde es keine Eigenmittel der EU geben, müssten Kriterien der Schuldenrückzahlung klar definiert werden, sagte der Bundeskanzler. Ob die EU-27 beim Corona-Gipfel schließlich zu einer gemeinsamen Lösung kommen, hänge davon ab, wie gut und ausgereift der Vorschlag von EU-Ratspräsident Charles Michel ist. Kommt es zu keiner Einigung, spricht sich der Bundeskanzler für ein weiteres Treffen vor der Sommerpause aus.

Kurz: Lösung für Mehrjährigen Finanzrahmen zum Greifen nahe

Anders bewertet Kurz die Verhandlungssituation um den Mehrjährigen Finanzrahmen der EU 2021 bis 2027. Sollte es, wie geplant, zu einer "leichten Redimensionierung" kommen, sei eine Lösung zum Greifen nahe. Die Verhandlungen können aus Sicht des Bundeskanzlers jederzeit abgeschlossen werden. Für die österreichischen Nettozahler sei eine Redimensionierung positiv, "hier gibt es Bewegung in unsere Richtung", so Kurz. Am Tisch liegen würden jedenfalls Vorschläge für einen größeren österreichischen Rabatt, als in der Vergangenheit zugesagt worden sei. Beschlossen sei aber noch nichts, so Kurz.

Vonseiten der ÖVP machte Abgeordneter Reinhold Lopatka darauf aufmerksam, dass es sich beim Mehrjährigen Finanzrahmen schon immer um ein "zähes Ringen" gehandelt habe. Neben dem europäischen Denken sei jeder Regierungschef auch gegenüber seinem Nationalstaat und damit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Darüber sollte man sich nicht hinwegschwindeln, harte Diskussionen seien nichts Negatives. Die "Frugalen Vier", die aus unterschiedlichen politischen Lagern kommen, würden versuchen, verantwortungsvoll auch gegenüber der nächsten Generation vorzugehen. 

In der Frage der Rückzahlung sagte Grün-Abgeordneter Michel Reimon (Grüne), dass die EU aus seiner Sicht die Möglichkeit bekommen sollte, Eigenmittel wie Plastiksteuern einzuheben, zudem sei neben Kriterien eine gewisse Flexibilität sinnvoll. Man könne auch nicht über den Corona-Wiederaufbaufonds und den Mehrjährigen Finanzraumen diskutieren, ohne dabei die Zukunft der Union im Blick zu haben. Wenn 750 Mrd. € für den EU-Wiederaufbaufonds aufgenommen werden, bedeute das eine der größten Politikwechsel und Veränderungen in der EU seit den letzten zehn Jahren, in denen ein Austeritätkurs und Budgetdisziplin dominiert hätten, so Reimon, nun gehe es um Gestaltung. In der Frage der Verwendung der Gelder treten die Grünen für eine ökologische Umsteuerung, Reformen sowie Maßnahmen im Bereich der Digitalisierung und im Gesundheitssystem ein. Es könne aus österreichischer Sicht nicht sein, dass Gelder ohne Konditionalitäten ausgegeben werden, zudem müsse auch auf Rechtsstaatlichkeit Wert gelegt werden.

Die Diskussion über Geld sei nun essentiell, es gehe aber auch um die Frage, in welche Richtung sich die EU entwickelt, sagte Europaministerin Karoline Edtstadler. "Nur dann können wir entscheiden, wie wir das Geld am besten einsetzen", so die Ministerin. Europa müsse seine Lehren aus der Corona-Krise ziehen, ihr Ansatz sei in Anlehnung an das Motto des deutschen Ratsvorsitzes "Gemeinsam. Europa wieder stark machen.", Europa so stark wie nie zuvor zu machen. Deshalb sei ihr die Zukunftskonferenz ein großes Anliegen, auf nationaler Ebene habe der Konsultationsprozess bereits begonnen. Ihr Ziel sei es etwa, in Zukunft in jeder Gemeinde einen EU-Gemeinderat vertreten zu haben, so Edtstadler.

Ein von ÖVP und Grünen eingebrachter Antrag auf Stellungnahme, in dem die Regierung u.a. aufgefordert wird, sich auf nationaler Ebene für eine Beteiligung der nationalen Parlamente in dem Prozess der Zukunft Europas einzusetzen, wurde im Ausschuss von allen Parlamentsfraktionen außer der FPÖ unterstützt.

SPÖ: "Geizige Vier" kontraproduktiv für Österreich

Kritik für die Position der Bundesregierung kam von SPÖ-Abgeordnetem Jörg Leichtfried. Seines Erachtens sei die Teilnahme Österreichs bei den "Geizigen Vier" kontraproduktiv für die österreichischen Gesamtinteressen, wie er mit Blick auf die Export- oder Tourismuswirtschaft sagte. "Wenn unsere Handelspartner Schwierigkeiten haben, bereitet das auch uns Probleme", so der SPÖ-Abgeordnete. Beim Corona-Wiederaufbaufonds soll es nach Meinung Leichtfrieds nicht nur Kredite geben und die Akuthilfe samt Standards im Auge behalten werden. Diese dürfe aber nicht zu einem Scheitern der Wirtschaftssysteme führen.

Ein Antrag auf Stellungnahme, wonach Bundeskanzler Kurz aus Sicht der SozialdemokratInnen das von der Europäischen Kommission vorgelegte Paket für den Europäischen Aufbauplan unterstützen soll, wurde im Ausschuss abgelehnt. Auch kein Glück hatte die SPÖ mit einem mit den NEOS eingebrachten Antrag, in dem die beiden Oppositionsparteien eine vermeintliche Kürzung bei den Mitteln für Erasmus+ im Mehrjährigen Finanzrahmen verhindern wollten. Bundeskanzler Kurz informierte in diesem Zusammenhang, dass es bei Erasmus+ laut aktuellem Entwurf zu keinen Kürzungen, sondern zu Budgetsteigerungen kommen werde. Österreich habe kein Interesse, in diesem Bereich zu kürzen.

Nach Meinung Leichtfrieds müsse im Rahmen der Redimensionierung des EU-Haushaltsplans das Thema Landwirtschaft und Agrarpolitik angegangen werden. So würde Leichtfried bei den Subventionen für die Agrarindustrie den Sparstift ansetzen, mehr Geld brauche es für kleine und mittlere Bauernbetriebe sowie eine Bio-Wende. In der Frage des EU-Beitrags Österreichs gebe es die Lösung von steuerfinanzierten EU-Eigenmitteln, wodurch sich die Beiträge verringern würden, so Leichtfried. Dazu brauche es allerdings etwa einheitliche Steuerbemessungsgrundsätze in der Union oder ein Level-Playing Field etwa im Bereich der Besteuerung von Großkonzernen. 

FPÖ: Haftungen für Schulden anderer Staaten mit EU-Verträgen nicht vereinbar

Geht es nach der FPÖ, sollte die Regierung auf europäischer Ebene jede Maßnahme in Zusammenhang mit dem geplanten Recovery-Instrument ablehnen, die eine Vergemeinschaftung von Schulden darstellen und somit den österreichischen Steuerzahler für Schulden anderen Mitgliedstaaten zur Kasse bitten würde. Ein entsprechender Antrag, in dem die Freiheitlichen auch ein Veto gegen jede Erhöhung des EU-Nettobeitrags Österreichs sowie gegen EU-Steuern fordert, wurde im Ausschuss allerdings abgelehnt.

Ihr sei die Position des Bundeskanzlers bis heute nicht klar, bemängelte FPÖ-Abgeordnete Petra Steger, sie habe etwa vor allem in der Frage der Zuschüsse und Kredite widersprüchliche Positionen gehört. "Wird es Zustimmung zu Zuschüssen geben? Kommt es wirklich zu diesem gewaltigen Umfaller?", so Steger in Richtung Bundeskanzler. Die Übernahme von Haftungen für andere Staaten sei mit dem in den EU-Verträgen verankerten "No-Bail-Out-Prinzip" unvereinbar. "Das Einstehen für fremde Schulden anderer Staaten führt dazu, dass es immer mehr Schulden gibt", so Steger, sowohl Zuschüsse als auch Kredite seien ein fatales Zeichen und würden die EU in eine vollkommen falsche Richtung führen.

NEOS: Nicht in Fragen der Migration kürzen

Unterschiedliche Positionen der Regierung, wenn es um die Frage der Zuschüsse und Kredite geht, bemängelte neben Steger auch Nikolaus Scherak (NEOS). Seine Fraktion stehe ebenfalls dafür ein, ausbezahlte Hilfsgelder in zukunftsgerichtete Bereiche wie den Klimawandel, die Digitalisierung oder Reformen zu investieren. Bei der Redimensionierung des Mehrjährigen EU-Finanzrahmens dürfe es zudem nicht zu Kürzungen in Fragen der Migration oder beim Grenzmanagement kommen, so Scherak, der von Bundeskanzler Kurz die Einsparungspotenziale aus österreichischer Sicht wissen wollte. Diese sieht Kurz etwa in der EU-Verwaltung, wo es noch Puffer im Budget für Verhandlungsspielraum gebe, zudem könne er sich Kürzungen in der Kohäsionspolitik vorstellen. Sehr viele Förderungen seien in den letzten Jahren etwa in Regionen geflossen, wo dennoch wenig Entwicklung und Veränderung stattgefunden habe. (Schluss EU-Hauptausschuss) keg