Misstrauensantrag gegen Verteidigungsministerin Tanner findet im Nationalrat keine Mehrheit
Alle Fraktionen sprechen sich für Evaluierung des Corona-Milizeinsatzes aus
Wien (PK) – Die heutige Debatte im Nationalrat über die Landesverteidigung wurde stark von der Kritik der drei Oppositionsparteien an der Verteidigungsministerin dominiert. Sie hatten auch einen gemeinsamen Entschließungsantrag formuliert, Ministerin Klaudia Tanner das Vertrauen zu entziehen. Wie schon im Landesverteidigungsausschuss fand der Antrag aber keine Mehrheit.
Breite Zustimmung fand jedoch ein Entschließungsantrag der NEOS über eine Evaluierung des Milizeinsatzes im Gefolge der Corona-Pandemie.
Opposition begründet Misstrauensantrag mit "Gefährdung der Sicherheit"
Die Oppositionsparteien werfen der Bundesministerin für Landesverteidigung Klaudia Tanner, dass ihre "Ankündigungen, Entscheidungen und Unterlassungen" auf eine "vorsätzliche Gefährdung der Sicherheit Österreichs und seiner Bürger" hinauslaufen. In einem gemeinsam eingebrachten Entschließungsantrag forderten daher Robert Laimer (SPÖ), Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) und Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS), der Ministerin gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG das Vertrauen zu entziehen. Die Abgeordneten der Koalitionsparteien sahen keinen Grund, der Ministerin das Vertrauen zu versagen.
Die Kritik der Opposition entzündete sich vor allem an der von Tanner angekündigten tiefgreifenden Umstrukturierung des Bundesheers. Die Ministerin plane, die Landesverteidigung auf ein Minimum zu reduzieren und das Heer nur noch auf Cyberabwehr und Katastrophenschutz auszurichten, lautete der Vorwurf der drei Wehrsprecher. De facto bedeute dies die Abschaffung der militärischen Landesverteidigung und einen Bruch der Bundesverfassung. Gefährdet sah die Opposition auch die aktive Luftraumüberwachung Österreichs.
SPÖ: Bundesheer muss imstande sein, die Neutralität zu verteidigen
Robert Laimer (SPÖ) kritisierte die Entscheidungen der Verteidigungsministerin im Bereich der Luftraumüberwachung und erinnerte an die immer noch aufklärungsbedürftigen Vorgänge um den Ankauf der Euro-Fighter unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Durch das Reformpapier zur Landesverteidigung werde die "militärische Landesverteidigung für obsolet erklärt", sagte Laimer. Dadurch sei das Vertrauen in die Amtsführung der Ministerin nicht mehr gegeben. Das Bundesheer rein auf Assistenzleistungen und Katastropheneinsätze zu reduzieren, sei nicht im Sinne seiner verfassungsmäßigen Aufgaben zum Schutz der Neutralität.
Der Misstrauensantrag richte sich nicht gegen die unumstrittenen Leistungen des Bundesheeres, sagte Petra Wimmer (SPÖ), sondern gegen die Ministerin. Diese versäume es, die notwendigen Modernisierungen des Heeres durchzuführen. Wimmer verwies darauf, dass eine Petition "Rettet das Bundesheer" initiiert wurde, die eine angemessene Ausstattung des Bundesheeres fordert, und rief zur Unterstützung auf.
ÖVP: Bundesministerin Tanner führt Ressort erfolgreich
Friedrich Ofenauer (ÖVP) sprach von "Theaterdonner der Opposition", die laut ihm "künstlich Probleme schafft. Die Art und Weise, wie die Diskussion über das Bundesheer geführt werde, sei nicht zielführend. Die Vorwürfe der Opposition seien bereits im Landesverteidigungsausschuss widerlegt worden und der Antrag hätte dort zurückgezogen werden sollen. Zweifellos müsse sich das Bundesheer neuen Herausforderungen stellen, wie etwa in der Luftraumüberwachung. Hier habe die Ministerin mit der Entscheidung für den Ankauf von Hubschraubern und für die Eurofighter-Flotte eine gute Lösung gefunden.
Andreas Kühberger (ÖVP) schloss sich diesen Aussagen an und betonte, er sehe kein Fundament für einen Misstrauensantrag. Die Begründung der Opposition für den Antrag ist aus seiner Sicht voller Absurditäten. Ministerin Tanner habe bereits zweimal ein Plus für das Bundesheer ausverhandelt und tätige wichtige und überfällige Investitionen. Die Opposition kritisiere genau jenen Einsatz des Heeres beim Katastrophenschutz, der von der Bevölkerung geschätzt werde.
FPÖ: Militärische Landesverteidigung muss gesichert werden
Die Verteidigungsminister habe offenbar den Auftrag, die militärische Landesverteidigung überhaupt abzuschaffen, sagte FPÖ-Wehrsprecher Reinhard Eugen Bösch (FPÖ). Die Opposition müsse daher darauf drängen, dass weiterhin ein funktionsfähiges Bundesheer bestehen bleibt, dass die Aufgaben der Landesverteidigung sowie die Teilnahme an internationalen Friedenseinsätzen weiterhin erfüllen kann. Der Misstrauensantrag sei daher gerechtfertigt, da die Öffentlichkeit erfahren müsse, was hier geplant sei und dass man so nicht mit dem Heer umgehen könne.
Das Bundesheer werde zu einem "technischen Hilfswerk" für Cybersicherheit und Katastrophenschutz degradiert, befürchtet Alois Kainz (FPÖ). Künftige Bedrohungsszenarien könnte mit diesem Konzept nicht ausreichend begegnet werden. Angesichts der Pläne der Verteidigungsministerin sei der Misstrauensantrag gerechtfertigt. Das Thema sei zu ernst, um es so abzutun, wie die Koalition es versuche, schloss sich Axel Kassegger (FPÖ) der Kritik an. Die militärische Landesverteidigung werde de facto abgeschafft, das sei verantwortungslose Politik. Österreich gebe nur 0,5% des BIP für Landesverteidigung aus, während alle Nachbarstaaten von einem Bedarf von zumindest 2% ausgehen. Das Heer brauche auch schwere Waffen, daran führe kein Weg vorbei.
Grüne: Bundesheer muss für Aufgaben der Zukunft gerüstet sein
Die Situation des Bundesheeres sei nicht zuletzt von Verteidigungsministern verursacht worden, die der SPÖ und der FPÖ gestellt wurden, wies David Stögmüller (Grüne) die Kritik an Bundesministerin Tanner zurück. Diese hätten nur den Status quo verwaltet. Im Regierungsprogramm werde festgehalten, dass das Bundesheer sich für die Herausforderungen der Zukunft rüsten müsse, etwa im Bereich der Cybersicherheit oder der Bewältigung von Naturkatastrophen. Auch müssten Grundwehrdienst und Miliz modernisiert werden. Die Grünen sehen die Ministerin als Mitstreiterin bei diesen wichtigen Aufgaben.
NEOS: Verteidigungsministerin muss Amt zur Verfügung stellen
Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS) sagte, nicht die Opposition verbreite Verunsicherung über die Zukunft des Bundesheeres, sondern die Verteidigungsministerin. Ihr fehle eine klare Vision, wohin das Heer gehen solle, sie habe immer wieder nicht akkordierte Aktionen gestartet und damit das Vertrauen verspielt. Reformen würden eine umfassende Diskussion brauchen, dieser wolle sich die Ministerin aber nicht stellen. Grundsätzlich habe die Bevölkerung eine hohe Meinung vom Bundesheer, die Ministerin beschädige diese jedoch. Sie müsse daher ihr Amt zur Verfügung stellen, forderte Hoyos-Trauttmansdorff. Der Abgeordnete ortete die eigentliche Verantwortung jedoch im Bundeskanzleramt, wo seiner Meinung nach diese Politik vorgegeben wird.
Einigkeit aller Fraktionen über Evaluierung des Corona-Milizeinsatzes
Die Abgeordneten zum Nationalrat sprechen sich einhellig für eine Evaluierung des Milizeinsatzes im Rahmen der Corona-Pandemie aus. Der heute im Plenum beschlossene Entschließungsantrag stellt die Abänderung eines ursprünglich von den NEOS dazu eingebrachten Antrags dar. Der neuen Frist für die Vorlage der Evaluierung mit 31. März 2021 konnten alle Fraktionen zustimmen.
Die Miliz habe in der Corona-Krise im Frühjahr gezeigt, dass sie imstande sei, sich auf neue Herausforderungen einzustellen, sagte Johann Höfinger (ÖVP). Sie sei eine große Stütze des Bundesheeres. Nun gehe es darum, den Einsatz zu bewerten und daraus für die Zukunft zu lernen. Der Milizeinsatz sei durchaus ein Erfolg gewesen, auch wenn sich einige Probleme gezeigt hätten, befand auch Christian Stocker (ÖVP). Der Evaluierung sehe er mit Spannung entgegen.
Die Situation der Miliz müsse dringend verbessert werden, sagte Harald Troch (SPÖ). Sie sei nicht voll einsatzfähig, wie der Zustandsbericht "Unser Heer 2030" des Verteidigungsministers der Übergangsregierung Bierlein, Thomas Starlinger, deutlich herausgearbeitet habe. Die Miliz sei grundsätzlich eine wichtige Stütze und Personalreserve des Bundesheeres, das müsse anerkannt werden. Troch forderte, dass wieder verpflichtenden Übungen für Milizsoldaten eingeführt werden. Cornelia Ecker (SPÖ) benützte die Diskussion, sich für den Erhalt alle Kasernenstandorte auszusprechen. Der Milizeinsatz habe deutlich gemacht, wie wichtig es sei, dass das Bundesheer auch stark in den Regionen verankert ist. Dazu müsse es aber auch eine entsprechende budgetäre Absicherung erhalten.
Die FPÖ habe den Einsatz der Miliz in der Corona-Krise befürwortet, da er Gelegenheit bot, wichtige Erfahrungen zu sammeln, sagte Reinhard Bösch (FPÖ). Wichtig sei es nun, durch eine umfassende Evaluierung die gesetzten Schritte zu beurteilen. Ein besonderes Anliegen ist es Bösch, dass es in Zukunft keine unterschiedliche Entlohnung für den Milizeinsatz gibt. Auch er sprach sich für die Wiederaufnahmen von Übungen. Zudem sollte möglich sein, dass Milizangehörige sich freiwillig für Assistenzeinsätze melden könne. Für Volker Reifenberger (FPÖ) liegen die größten Problem bei der unzureichenden Ausbildung der "befristet beorderten" Soldaten, dem Mangel an grundlegender Ausrüstung und einem uneinheitlichen Bezahlungsschema der Miliz. Österreich habe zwar laut Verfassung ein Milizsystem, tatsächlich werde dieser Bestimmung aber in der Realität nicht entsprochen.
Alle Schritte von der Teilmobilmachung der Miliz im Frühjahr bis zur Abrüstung müssten evaluiert werden, sagte David Stögmüller (Grüne). Damit wolle man die Stärken wie auch die Schwächen im System aufdecken und erkennen, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt.
Der Einsatz der Miliz sei zuerst groß angekündigt worden, allmählich aber immer mehr reduziert worden, sagte Douglas Hoyos-Trauttmansdorff (NEOS). Von angekündigten 3.000 SoldatInnen seien am Ende 800 übrig geblieben. Nun gelte es, aus diesen Erfahrungen zu lernen. Hier habe die Politik eine Verantwortung, die sie wahrnehmen müsse. Der Antrag sei ein Zeichen dafür, dass alle das Beste für das Bundesheer wollen.
Das Bundesheer zeige in Krisen immer wieder, dass es schnell und schlagkräftig reagieren könne, hob Verteidigungsministerin Klaudia Tanner hervor. Sie sei auch dankbar, dass mit dem neuen Budget eine weitere Steigerung der Mittel für das Heer erfolge. Die Corona-Krise habe erstmals in der Zweiten Republik eine Verlängerung des Grundwehrdienstes sowie die Mobilisierung der Miliz notwendig gemacht. Diesen Einsatz gelte es zu evaluieren, denn es hätten sich einige Probleme gezeigt, aus denen man lernen müsse. Bereits jetzt werde an der Beseitigung der uneinheitlichen Bezahlung sowie der unterschiedlichen sozialrechtlichen Absicherung für Personen im Milizeinsatz gearbeitet. Sie sei zuversichtlich, dass entsprechende Gesetzesänderungen noch bis Jahresende möglich sind, sagte Tanner. (Fortsetzung Nationalrat) sox
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