Parlamentskorrespondenz Nr. 1109 vom 29.10.2020

Verfassungsgerichtshof: Weiter hohe Zahl an Beschwerden und Anträgen

Tätigkeitsbericht 2019 liegt dem Nationalrat vor

Wien (PK) – Die Zahl der beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebrachten Anträge und Beschwerden blieb auch im vergangenen Jahr hoch. Zum dritten Mal in Folge wurden mehr als 5.000 Fälle neu eingebracht, deutlich mehr als die Hälfte davon betrafen Asylrechtsangelegenheiten. Das geht aus dem Tätigkeitsbericht 2019 des VfGH hervor, der vor kurzem dem Nationalrat übermittelt wurde (III-193 d.B.). Trotzdem konnte die durchschnittliche Erledigungsdauer mit rund vier Monaten im internationalen Vergleich weiter kurz gehalten werden. Nach wie vor relativ gering ist die Chance, beim Verfassungsgerichtshof mit seinem Anliegen durchzudringen, lediglich 388 Fälle bzw. 8% der insgesamt 5.151 abgeschlossenen Verfahren endeten im Sinne der BeschwerdeführerInnen.

Nicht mitgezählt bei der durchschnittlichen Erledigungsdauer sind Asylbeschwerden. 3.252 der insgesamt 5.219 neuen Fälle 2019 (62%) sind laut Bericht dieser Kategorie zuzuordnen. Beschwerden aus diesem Bereich wurden noch rascher, und zwar in durchschnittlich 113 Tagen, erledigt. Jede Beschleunigung der Erledigung von Asyl- und Fremdenrechtssachen führe zu einer Kostenersparnis in Millionenhöhe im Bereich der Grundversorgung, gibt der Verfassungsgerichtshof in diesem Zusammenhang neuerlich zu bedenken.

Komplexe Gesetzesprüfungen

Explizit weist der Verfassungsgerichtshof im Bericht außerdem darauf hin, dass im Jahr 2019 einige sehr komplexe Gesetzesprüfungsanträge zur Entscheidung standen. Das betrifft etwa die Sozialversicherungsreform, das Sicherheitspaket und das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, wobei der VfGH jeweils nur einzelne Bestimmungen dieser unter der ehemaligen schwarz-blauen Regierung gefassten Beschlüsse aufhob.

Als unzulässig werteten die VerfassungsrichterInnen etwa eine generelle Zugriffsmöglichkeit der Sicherheitsbehörden auf Aufzeichnungen von Section-Control-Anlagen. Das gleiche gilt für die Ermächtigung, Computer und verschlüsselte Nachrichten systematisch verdeckt zu überwachen. Auch die deutliche Kürzung der Mindestsicherung bei unzureichenden Deutschkenntnissen und die drastische Senkung der Kinderzuschläge bei Mehrkindfamilien waren ihrer Meinung nach nicht mit verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Im Bereich der Sozialversicherungsreform wurden u.a. die für manche Organe vorgesehene Eignungsprüfung und die Übertragung der Abgabenkontrolle an eine staatliche Prüfstelle aufgehoben.

Gegen die Zusammenlegung der neun Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse machte der VfGH hingegen keine Einwände geltend. Auch das Verbot der Finanzierung islamischer Religionsgemeinschaften durch ausländische Staaten und deren Einrichtungen, die Beschränkung der Diversion auf Offizialdelikte sowie angefochtene Bestimmungen des Lohn- und Sozialdumping-Gesetzes, der Nationalratswahlordnung und des Konsumentenschutzgesetzes hielten der Prüfung stand. Ebenso nicht zu beanstanden ist laut Höchstgericht, dass SchülerInnen, die grundsätzlich zu Hause unterrichtet werden, zum Besuch von Deutschförderklassen verpflichtet sind.

304 Gesetzesprüfungsverfahren

Insgesamt hat der Verfassungsgerichtshof 2019 304 Gesetzesprüfungsverfahren durchgeführt, wobei nur 36 Verfahren in eine Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen mündeten. Insbesondere sogenannte Parteianträge einer gerichtlichen Verfahrenspartei und Individualbeschwerden haben demnach wenig Aussicht auf Erfolg. Nicht mehr aufgeschlüsselt ist im diesjährigen Bericht, wie viele Gesetzesmaterien von den 304 Prüfverfahren betroffen waren, häufig werden einzelne Bestimmungen mehrfach angefochten.

5.151 abgeschlossene Verfahren

Alles in allem wurden an den Verfassungsgerichtshof im vergangenen Jahr 5.219 neue Fälle herangetragen, das sind etwas weniger als 2018 (5.665). Abschließen konnte das Höchstgericht 5.151 Verfahren. Damit blieben – unter Berücksichtigung der aus dem Vorjahr übernommenen Verfahren – zum Jahresende 1.596 Fälle offen (Ende 2018: 1.523). Den 388 Stattgaben stehen 1.751 Ablehnungen, 248 Zurückweisungen und 71 Abweisungen gegenüber. Dazu kommen 2.589 negative Entscheidungen über Verfahrenshilfeanträge und 104 "sonstige Erledigungen" wie Verfahrenseinstellungen.

74 Verordnungsprüfungsverfahren, 5 Wahlprüfungsverfahren

Neben den 304 Gesetzesprüfungsverfahren hat der VfGH unter anderem 95 Verordnungsprüfungen und 4.693 Verfahren über Individualbeschwerden nach Art. 144 B-VG abgeschlossen, darunter 3.219 Asylbeschwerden. Dazu kommen fünf Wahlanfechtungen, vier Beschwerden in Zusammenhang mit Wählerevidenzen, 22 Fälle von Kompetenzkonflikten und 25 Entscheidungen über vermögensrechtliche Ansprüche. Je eine Entscheidung betraf Konflikte in Zusammenhang mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen, das Ergebnis eines Volkbegehrens bzw. Volksentscheids und die Kategorie Sonstiges.

Auskunft gibt der Bericht auch über die personelle Struktur des Verfassungsgerichtshofs, ausgewählte Entscheidungen, Veranstaltungen und internationale Kontakte. (Schluss) gs