Parlamentskorrespondenz Nr. 255 vom 09.03.2021

Menschenrechtsausschuss setzt einstimmiges Zeichen gegen weibliche Genitalverstümmelung

Initiative für Weiterentwicklung des Nationalen Aktionsplans Behinderung ebenfalls einstimmig angenommen

Wien (PK) – Ein einstimmiges Zeichen gegen weibliche Genitalverstümmlung setzten die Parlamentsfraktionen heute im Ausschuss für Menschenrechte. Ebenso einhellig angenommen wurde ein von allen Fraktionen eingebrachter Entschließungsantrag für die Weiterentwicklung des geplanten Nationalen Aktionsplans Behinderung 2022 bis 2030. Ein FPÖ-Antrag zur Bekämpfung von "Jungfräulichkeitszertifikaten" sowie ein Antrag von SPÖ und NEOS zum humanitären Bleiberecht wurden vertagt. Keine Mehrheit fand ein Antrag der Freiheitlichen zum Thema "Meinungsäußerungsfreiheit auf Plattformen mit Monopolstellung".

Abgeordnete sprechen sich einstimmig gegen weibliche Genitalverstümmelung aus

Laut Schätzungen der WHO und UNICEF sind über zwei Millionen Mädchen und Frauen weltweit von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, zeigten ÖVP, Grüne, SPÖ, FPÖ, und NEOS in ihrem gemeinsamen Entschließungsantrag (1260/A(E)) auf. Obwohl in der Europäischen Union weibliche Genitalverstümmelung als Straftat gelte, würden in Europa dennoch hunderttausend betroffene Frauen leben, in Österreich Schätzungen zufolge bis zu 8.000. Dennoch fehle dem European Institute for Gender Equality zufolge aussagekräftiges Datenmaterial für Europa.

Die Parlamentsfraktionen fordern die Bundesregierung daher einstimmig auf, eine regelmäßige, systematische Datenerfassung und Erforschung von weiblicher Genitalverstümmelung in Österreich und auf EU-Ebene voranzutreiben. Der Sozialminister sowie die Frauenministerin werden angehalten, den Austausch mit der Zivilgesellschaft und den betroffenen Berufsgruppen zur Bekämpfung und Prävention von weiblicher Genitalverstümmelung zu intensivieren. Zudem soll im Sinne des Opferschutzes bei den Bundesländern angeregt werden, den Bedarf an psychosozialer und medizinischer Unterstützung sowie den Bedarf von spezieller Geburtshilfe für betroffene Frauen zu erheben. Verstärkte Präventions- und Bewusstseinsarbeit etwa beim medizinischen Personal wird ebenfalls gefordert.

Gudrun Kugler (ÖVP) betonte, dass weibliche Genitalverstümmelung nicht nur eine Frage der Außenpolitik sei, sondern auch Österreich betreffe. Maßnahmen zur Verhinderung der Praxis und zur Erhebung von Daten, wie sie im Antrag vorgesehen sind, seien deshalb wichtig. Sie zeigte sich erfreut, dass alle Fraktionen zum Schutz der Betroffenen an einem Strang ziehen. Faika El-Nagashi (Grüne) schloss sich Kugler an und führte aus, dass es sich um traditionsbedingte Gewalt handle, die auf das Patriarchat zurückzuführen sei. Einen Tag nach dem Internationalen Frauentag über diese "abscheuliche und dramatische Form von Gewalt" an Mädchen und Frauen zu sprechen, sei daher wichtig. Auch sie zeigte sich erfreut über die Arbeit über Parteigrenzen hinweg und strich den Ansatz heraus, stark mit den betroffenen Communities zusammenzuarbeiten.

Auch Stephanie Krisper (NEOS), für die weibliche Genitalverstümmelung eine "massive Menschenrechtsverletzung" ist, hob ebenfalls den Ansatz, AnsprechpartnerInnen für Betroffene in den Communities zu stärken, hervor. Ebenso seien Bildung in der Schule und eine Stärkung des Bewusstseins von medizinischem Personal zentral. Rosa Ecker (FPÖ) äußerte die Vermutung, dass die Zahl der betroffenen Frauen in Österreich seit der letzten Schätzung gewachsen sei und betonte vor diesem Hintergrund die Bedeutung einer Datenerfassung. Petra Bayr (SPÖ) unterstrich die Wichtigkeit von Prävention. Im Strafrecht sei weibliche Genitalverstümmelung nämlich eindeutig geregelt. Dennoch würden keine Fälle vor Gericht verhandelt. Sie bezweifle jedoch, dass es tatsächlich keine Verstümmelungen gebe. Umso wichtiger seien präventive Maßnahmen, um möglichst viele Mädchen vor Genitalverstümmelung zu bewahren. Sie bezeichnete es zudem als wichtig, mit religiösen FührerInnen und Männern allgemein zusammenzuarbeiten.

Antrag zu "Jungfräulichkeitszertifikaten" vertagt

Vertagt wurde ein FPÖ-Entschließungsantrag zur Bekämpfung der Jungfräulichkeitszertifikate (1064/A(E)). Die Freiheitlichen wollen Außenminister Schallenberg auffordern, sowohl auf europäischer als auch auf bi- und multilateraler Ebene gegen die "islamistische Praxis der Jungfräulichkeitszertifikate" aktiv zu werden. Dahingehende Untersuchungen und die Ausstellung von Zertifikaten über die Jungfräulichkeit bei jugendlichen Frauen und Mädchen stünden laut WHO in noch mindestens 20 Ländern auf der Tagesordnung, heißt es im Antrag.

Corinna Scharzenberger (ÖVP) stellte klar, dass ihre Fraktion die Praxis der sogenannten "Jungfräulichkeitszertifikate" ablehne. Man brauche jedoch Zeit, um das Thema mit dem Koalitionspartner, mit der Frauenministerin und mit GynäkologInnen zu erörtern und weitere Informationen einzuholen. Deshalb stellte sie einen Vertagungsantrag, der mit den Stimmen von ÖVP und Grünen angenommen wurde. Rosa Ecker (FPÖ) begrüßte die Bereitschaft, das Thema im Auge behalten zu wollen und drückte ihre Hoffnung für eine gemeinsame Lösung aus. Der Antrag sei nämlich ein Puzzleteil, um mit archaischen Ritualen aufzuräumen, so Ecker.

Nationaler Aktionsplan Behinderung soll weiterentwickelt werden

Ein Entschließungsantrag (1261/A(E)) im Zusammenhang mit der Erstellung des Nationalen Aktionsplans Behinderung für die Jahre 2022 bis 2030 wurde einstimmig angenommen. Die Parlamentsfraktionen setzen sich damit unter anderem dafür ein, dass die Empfehlungen des UN-Komitees zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention sowie die Empfehlungen der Evaluierung des ersten Nationalen Aktionsplans im neuen Plan umgesetzt werden. Auch der Einsatz moderner Technologien für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen soll darin Eingang finden. Darüber hinaus sei die Finanzierung der ressortbezogenen Maßnahmen sicherzustellen. Ein Anliegen ist den Parlamentsfraktionen zudem, dass Menschen mit Behinderungen eine Partizipation in allen Schritten des Prozesses ermöglicht wird, es soll also auf Barrierefreiheit geachtet werden.

Diese Mitwirkung hob Kira Grünberg (ÖVP) hervor. Neben den Bundesländern seien vor allem betroffene Personen und Interessensvertretungen wichtig. Zudem betonte sie, dass Technologien etwa in der Bildung und am Arbeitsmarkt eine große Erleichterung für Menschen mit Behinderung darstellen können und daher in den Plan einbezogen werden sollen. Zudem brauche es eindeutige Indikatoren zum aktuellen Stand sowie Zielwerte und ein ausreichendes Budget. Heike Grebien (Grüne) schloss sich dem inhaltlich an und äußerte die Hoffnung, dass durch den Antrag alle Ministerien und politischen Ebenen angesprochen werden, tätig zu werden.

Auch Stephanie Krisper (NEOS) bezeichnete es als wichtig, in die Gänge zu kommen. Es gebe genügend Konzepte, man müsse endlich umsetzen, so Krisper. Sabine Schatz (SPÖ) betonte, man dürfe keinen Aktionsplan an den Betroffenen vorbei erstellen, sondern müsse diesen gemeinsam entwickeln. Rosa Ecker (FPÖ) bezeichnete eine laufende Evaluierung der Maßnahmen als notwendig und forderte mehr Schwerpunkte für Kinder und Frauen mit Behinderung.

NEOS und SPÖ für Berücksichtigung der Länder und Gemeinden bei Entscheidungen über das humanitäre Bleiberecht

Vertagt wurde ein Entschließungsantrag (1271/A(E)) von NEOS und SPÖ, in dem sie die Abschiebungen von drei Wiener Schülerinnen und deren Familienangehörigen nach Georgien bzw. Armenien verurteilen. Sie fordern von der Bundesregierung, sich im Sinne der Menschenrechte zum humanitären Bleiberecht zu bekennen und diese "grausamen Abschiebungen" zurückzunehmen. Die nächtlichen Abschiebungen würden einen extremen Härtefall darstellen, zumal die besonders gut integrierten und schutzbedürftigen Personen dabei in einem hohen psychischen und physischen Gesundheitsrisiko ausgesetzt würden, wie im Antrag dargelegt wird. Für NEOS und SPÖ steht fest, dass das humanitäre Bleiberecht zu überarbeiten ist. Dabei sollen in Zukunft betroffene Länder bzw. Gemeinden im Verfahren über die Gewährung von humanitärem Bleiberecht von den Bundesbehörden verpflichtend angehört werden, um die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen zu können.

Für Stephanie Krisper (NEOS) hätte die Gesetzeslage dazu verpflichtet, das Kindeswohl in die Abwägung einzubeziehen und nicht abzuschieben. Die Gesetzeslage spreche klar für die Kinder, der Vollzug habe versagt, zeigte sie sich überzeugt. Deshalb brauche es weitere Leitplanken, die die Behörden an ihre Pflicht erinnern. In diesem Sinne sei der Antrag gemeint. Den Grünen warf sie vor, in diesem Bereich in den Verhandlungen nichts weitergebracht zu haben, der ÖVP, sich herzlos und wirtschaftspolitisch unvernünftig zu positionieren. Dem schloss sich ihr Fraktionskollege Nikolaus Scherak an. Er bezeichnete es als volkswirtschaftlich falsch, etwa einen Lehrling nach Abschluss der Ausbildung abzuschieben und forderte die ÖVP auf, diesen Aspekt in ihre Überlegungen einzubeziehen.

Harald Troch (SPÖ) bezeichnete die Abschiebungen aus dem Aspekt der Integration als "extrem unintelligente Entscheidung". Es empfehle sich, die Einbindung der lokalen Behörden wieder zu verankern. Schließlich wüssten diese am besten Bescheid, wie gut ein Mensch integriert sei. Es sei nicht einzusehen, dass "gut integrierte Menschen demonstrativ, willkürlich und brutal abgeschoben werden", so Troch. Selma Yildirim (SPÖ) forderte die Grünen zum Handeln auf. Sie sollten sich nicht darauf ausreden, dass sie sich in der Koalition nicht durchsetzen können. Schließlich hätte die Partei die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen. "Jetzt sind Sie am Zug!", lautete Yildirims Aufforderung.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) betonte, dass der Antrag aus der Sicht der Grünen begrüßenswert sei. Das Justizministerium habe sich auch klar zum humanitären Bleiberecht bekannt und werde dieses durch die Einsetzung der Kindeswohlkommission auch stärken. Dass die Abschiebungen stattfinden konnten, führte Ernst-Dziedzic aber auf Verschärfungen im Asyl- und Fremdenrecht der vergangenen zehn Jahre zurück. Man wolle nun im Rahmen der Möglichkeiten für Verbesserungen sorgen, sagte sie. Faika El-Nagashi (Grüne) unterstrich, dass die Grünen in dieser Sache noch nicht fertig seien. Man bemühe sich nach wie vor im Gespräch mit dem Koalitionspartner um eine Annäherung.

Vom Koalitionspartner sprach sich Gudrun Kugler (ÖVP) dagegen aus, Asyl und Lehre zu vermischen. Peter Weidinger (ÖVP) betonte, dass die Volkspartei sich zum humanitären Bleiberecht bekenne und dass die Entscheidungen von unabhängigen Gerichten getroffen werden. Er widersprach dem Vorwurf von SPÖ-Abgeordnetem Troch, die Abschiebungen seien willkürlich durchgeführt worden. Es handle sich um ordnungsgemäße rechtsstaatliche Verfahren, so Weidinger. Er versicherte, alle Anregungen sehr ernst zu nehmen, stellte aber einen Vertagungsantrag, um die Diskussion noch näher führen zu können. Der Antrag wurde mit den Stimmen von ÖVP und Grünen vertagt.

FPÖ-Antrag zur Meinungsäußerungsfreiheit auf Plattformen mit Monopolstellung abgelehnt

Keine Mehrheit konnte die FPÖ mit einem Entschließungsantrag (616/A(E)) finden, in dem sie das von Facebook geplante "Oversight Board", also jenes Gremium, das künftig über umstrittene Facebook-Postings entscheiden soll, kritisiert. Facebook würde sich damit selbst eine Art eigenes Verfassungsgericht für das größte soziale Netzwerk der Welt schaffen, hieß es im Antrag. Die FPÖ wollte eine Regierungsvorlage einfordern, welche die Meinungsäußerungsfreiheit auf Plattformen mit Monopolstellung im Internet absichert und verhindert, dass österreichische NutzerInnen "Quasi-Gerichten" unterworfen werden, die selbstständig und willkürlich Menschen- und Grundrechte über Staatsgrenzen und Kulturkreise hinweg interpretieren.

Für Susanne Fürst (FPÖ) sei die Entwicklung und die Einsetzung des "Oversight Boards" bei Facebook bedenklich. Sie vermutete eine überbordende Löschpraxis, insbesondere bei politisch unerwünschten Äußerungen. Zudem sei das Gremium nicht demokratisch legitimiert und daher rechtsstaatlich bedenklich. Martin Engelberg (ÖVP) und Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) drückten ihre Ablehnung für den Antrag aus, da dessen Forderungen mit dem Kommunikationsplattformengesetz, das seit Anfang des Jahres in Kraft sei, abgedeckt würden. Beide wiesen auf die schwierige Balance zwischen Meinungsfreiheit, Zensur und der Bekämpfung von Fake News hin. Laut Martin Graf (FPÖ), Selma Yildirim (SPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS) löse das Kommunikationsplattformgesetz jedoch nicht die angesprochene Problematik, dass ein Unternehmen mit Quasi-Monopolstellung hoheitliche Aufgaben übernimmt, die eigentlich Aufgabe des Rechtsstaates wären. Es brauche hier Regelungen auf nationaler und internationaler Ebene. (Schluss Menschenrechtsausschuss) kar