Parlamentskorrespondenz Nr. 1390 vom 02.12.2021

Geschäftsordnungsausschuss macht Weg für ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss frei

Fraktionen einigen sich auf Verfahrensrichter bzw. -anwalt und fassen Beweisbeschluss

Wien (PK) – Die Parlamentsfraktionen haben heute im Geschäftsordnungsausschuss des Nationalrats den grundsätzlichen Beweisbeschluss für den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss gefasst. Als Verfahrensrichter wurde der ehemalige Vizepräsident des Oberlandesgerichts Wien Wolfgang Pöschl sowie als Verfahrensanwältin die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Barbara Weiß gewählt. Damit ist der Weg für den von der Opposition verlangten ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss frei. Alle Beschlüsse im Ausschuss wurden einstimmig gefasst, einen Antrag auf Unzulässigkeit des Einsetzungsverlangens oder auf Änderung des Untersuchungsgegenstandes gab es dieses Mal nicht.

Insgesamt 25 Stellen müssen Akten liefern

Laut grundsätzlichem Beweisbeschluss müssen insgesamt 25 Stellen dem Parlament Akten liefern. Neben sämtlichen Ministerien, inklusive nachgeordneter Dienststellen, und den neun Landesregierungen sind das auch der Bundespräsident und der Nationalratspräsident, der Rechnungshof, die Oesterreichische Nationalbank, die Finanzmarktaufsicht sowie die Finanzprokuratur. In der Liste der Stellen, die Akten zu liefern haben, sind zudem der Oberste Gerichtshof, das Bundesverwaltungsgericht, das Bundesfinanzgericht, die Bundesdisziplinarbehörde, der Unabhängige Parteien-Transparenzsenat, die Landesgerichte, das Handelsgericht Wien, die KommAustria und die Wirtschaftskammer Österreich.

Die Übermittlung der angeforderten Akten und Unterlagen hat gemäß Beweisbeschluss innerhalb von sechs Wochen bis spätestens 26. Jänner 2022 zu erfolgen, versehen mit einem Inhaltsverzeichnis und wenn möglich geordnet nach den vier geplanten Untersuchungsabschnitten. Vertrauliche und geheime Akten dürfen ausschließlich in Papierform vorgelegt werden.

Unter dem Begriff "Akten und Unterlagen" sind dabei nicht nur Akten im formellen Sinn zu sehen, sondern sämtliche schriftliche oder automationsunterstützt gespeicherte Dokumente, "Handakten", Berichte, Korrespondenzen aller Art, inklusive E-Mails, Entwürfe und sonstige Aufzeichnungen einschließlich Deckblätter, Einsichtsbemerkungen, Tagebücher, Terminkalender, Antrags- und Verfügungsbögen, Weisungen, Erlässe, Aktenvermerke, Sprechzettel, Entscheidungen, schriftliche Bitten, Berichte, Protokolle von Besprechungen und Sitzungen aller Art, Gedächtnisprotokolle, Notizen, Inhalte elektronischer Aktenführung und dergleichen, unabhängig von Art und Ort der Aufbewahrung oder Speicherung, wie aus dem Beweisbeschluss hervorgeht.

Festgelegt wurde auch die Zusammensetzung des Untersuchungsausschusses. Von den 13 Mitgliedern wird die ÖVP fünf stellen, die SPÖ drei und FPÖ sowie die Grünen jeweils zwei. Die NEOS sind mit einem Mandatar oder einer Mandatarin vertreten. Gleiches gilt für die 13 Ersatzmitglieder. Den Vorsitz im Untersuchungsausschuss hat gemäß der Verfahrensordnung Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka inne. Er kann sich aber auch von Zweiter Nationalratspräsidentin Doris Bures oder Drittem Nationalratspräsidenten Norbert Hofer vertreten lassen.

Zur stellvertretenden Verfahrensrichterin wählten die Abgeordneten Richterin Christa Edwards vom Oberlandesgericht Wien. Über die Einhaltung der Grund- und Persönlichkeitsrechte der Auskunftspersonen werden Barbara Weiß als Verfahrensanwältin und Rechtsanwalt Andreas Joklik als deren Stellvertreter wachen.

Die Fraktionen haben sich außerdem auf die Redeordnung bei Befragungen im U-Ausschuss verständigt. Demnach sind bis zu drei Fragerunden pro Auskunftsperson vorgesehen, wobei das Erstfragerecht zwischen den Fraktionen rotiert. Bei der ersten Auskunftsperson kann demnach die ÖVP mit der Befragung beginnen, bei der zweiten Auskunftsperson die SPÖ, bei der dritten die FPÖ usw.

Opposition will Korruptionsvorwürfe gegen ÖVP klären

Untersuchungsgegenstand des Ausschusses ist, inwiefern Vorteile an mit der ÖVP verbundene Personen durch Organe der Vollziehung des Bundes zu parteipolitischen Zwecken gewährt und damit Gesetze gebrochen wurden. SPÖ, FPÖ und NEOS wollen den Zeitraum zwischen 18. Dezember 2017 und 11. Oktober 2021 beleuchten – also jene Zeit, in der Sebastian Kurz (mit Unterbrechung) Bundeskanzler war. Auch vorbereitende Handlungen im Zusammenhang mit dem "Projekt Ballhausplatz" sollen einbezogen werden. In den Fokus stellt der Beweisbeschluss dabei "einen auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss einer größeren Anzahl von in Organen des Bundes tätigen Personen", bestehend aus der ÖVP zuzurechnenden Mitgliedern der Bundesregierung, StaatssekretärInnen sowie MitarbeiterInnen ihrer politischen Büros.

SPÖ, FPÖ und NEOS gliedern den Untersuchungsgegenstand in vier Beweisthemen: die Beeinflussung von Vergabe- und Förderverfahren, die Einflussnahme auf Beteiligungen des Bundes, die mutmaßliche Beeinflussung von Ermittlungen und Aufklärungsarbeit sowie etwaige Begünstigungen bei der Personalauswahl (siehe Parlamentskorrespondenz Nr. 1110/2021).

27. Untersuchungsausschuss in der Zweiten Republik

Der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss ist nach dem Ibiza-Untersuchungsausschuss der 27. Untersuchungsausschuss in der Zweiten Republik und der sechste, der nach den neuen U-Ausschuss-Regeln eingesetzt wird. Fünf davon gehen auf ein Minderheitenverlangen zurück, für das es zumindest die Unterstützung eines Viertels der Abgeordneten (46) braucht. Die Dauer des Untersuchungsausschusses ist laut Verfahrensordnung grundsätzlich auf 14 Monate begrenzt, im Bedarfsfall kann er auf bis zu 20 Monate verlängert werden. (Schluss) keg/mbu