Parlamentskorrespondenz Nr. 159 vom 23.02.2022

Arbeitsminister Kocher kündigt Neuregelung des Arbeitslosengeldes an

Nationalrat diskutiert Arbeitsmarktpolitik in Aktueller Stunde

Wien (PK) – "Keine Arbeitslose und kein Arbeitsloser hat etwas von einer generell guten Arbeitsmarktlage", befand Arbeitsminister Martin Kocher heute in der Sitzung des Nationalrats. Mit einer Neugestaltung des Arbeitslosengeldes wolle die Regierung daher besonders langzeitarbeitslosen Menschen bessere Perspektiven auf eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt geben. "Hervorragende Arbeitslosenzahlen: kommende Herausforderungen für den Arbeitsmarkt" lautete folglich der Titel zum von der ÖVP gewählten Debattenthema der Aktuellen Stunde. Der Volkspartei zufolge wird es im 2. Quartal 2022 einen Novellenvorschlag zur degressiven Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes geben. Kern sei die treffsichere Einkommenssicherung bei Arbeitslosigkeit, wobei auch die Frage des Zuverdienstes Eingang finde. Während von Grüner Seite dazu angefügt wurde, eine Kürzung des Arbeitslosengeldes werde es nicht geben, sahen SPÖ und FPÖ eine Verringerung der Leistungen an Arbeitslose drohen. Die NEOS wiederum kritisierten, der Regierung fehle eine langfristige Planung bei der Behebung von Landzeitarbeitslosigkeit und Fachkräftemangel.

Kocher: Gute Arbeitsmarktlage mit strukturellen Problemen

Die aktuelle Arbeitsmarktlage sei insgesamt sehr gut, sagte Arbeitsminister Kocher im Plenum, immerhin registriere man die geringste Februararbeitslosigkeit seit 2011. Auch in den Jahren 2015 und 2016, also lange vor Corona- bzw. Konjunkturkrise, seien in Österreich 90.000 bis 100.000 mehr Personen als jetzt arbeitslos gemeldet gewesen. Die offenen Stellen würden eine "extreme Dynamik" am Arbeitsmarkt zeigen, so Kocher, der auch in den nächsten Monaten eine weiter sinkende Arbeitslosigkeit erwartet, zumal die Corona-Maßnahmen "Schritt für Schritt" zurückgenommen würden. Die Corona-Kurzarbeit beispielsweise werde Ende März auslaufen, wobei Betriebe, die auch danach noch Bedarf hätten, in die gewöhnliche Kurzarbeit wechseln könnten. 185.000 Personen sind Kocher zufolge derzeit für Kurzarbeit vorangemeldet, vor allem als Absicherung vor der Omikron-Welle. Der Arbeitsminister geht allerdings davon aus, dass viele dieser Voranmeldungen nicht abgerechnet werden.

"Die Herausforderungen am Arbeitsmarkt sind strukturell", umriss Arbeitsminister Kocher die arbeitsmarktpolitischen Probleme unabhängig von der Pandemie. Fast 50% der Arbeitslosen hätten keine Bildung über den Pflichtschulabschluss hinaus, weswegen Angebote von Auf- und Umqualifizierung wichtig seien. Gleichzeitig richtete er einen Appell an Unternehmen, langzeitarbeitslosen Personen eine neue Chance zu geben. Das von der Regierung lancierte  "Programm Sprungbrett" zur Wiedereingliederung von Landzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt helfe dabei. Immerhin hätten viele Betriebe, etwa im Tourismus oder der Veranstaltungsbranche, infolge der Unsicherheiten der Pandemie mit einem extremen Fachkräftemangel zu kämpfen.

Grundsätzlich sieht Kocher sowohl Unternehmen als auch Politik in der Pflicht, attraktivere Rahmenbedingungen für Fachkräfte zu schaffen. Dazu gehörten positive Anreize für mehr regionale Mobilität, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die gesundheitliche Förderung von älteren ArbeitnehmerInnen.

ÖVP: Mehr Menschen in Beschäftigung bringen

"Jeder Arbeitslose ist einer zu viel", betonte Michael Hammer (ÖVP). Deswegen habe die Regierung während der Corona-Krise zahlreiche Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen und ArbeitnehmerInnen ergriffen. Von der Aufhebung der meisten Corona-Maßnahmen ab 5. März 2022 erwartet Hammer einen weiteren Schub an Wirtschaftswachstum mit positivem Effekt für den Arbeitsmarkt. Als größte Herausforderungen für die künftige Arbeitsmarktpolitik nannte der ÖVP-Politiker ähnlich wie Minister Kocher die Langzeitarbeitslosigkeit und mangelnde Ausbildung bei Arbeitssuchenden sowie die Notwendigkeit, mehr Frauen in Beschäftigung zu bringen. Angesichts der demografischen Entwicklung habe zudem die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, beispielsweise mit der Lehrstellenförderung, Priorität. Er unterstütze auch "qualifizierte Zuwanderung durch die Rot-Weiß-Rot-Card, unterstrich Hammer im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel.

ÖVP-Lehrstellensprecherin Martina Kaufmann wies auf den hohen Bedarf an Lehrkräften in Österreich hin. Die Regierung wolle daher die Möglichkeit der höheren Berufsausbildung im Anschluss an die Lehrausbildung auf den Weg bringen; die Lehre werde dadurch auch im internationalen Vergleich einen noch höheren Stellenwert erhalten.

SPÖ: Regierung treibt Menschen in die Armut

Für Rainer Wimmer (SPÖ) ist der jüngste Rückgang der Arbeitslosigkeit auf die gute Konjunktur und Auftragslage zurückzuführen, keineswegs auf die Regierungspolitik. "Es gibt hier wirklich keinen Grund zum Feiern", meinte er. 380.000 Menschen seien immer noch arbeitslos, nach dem Ende der "Aktion 20.000" hätten Langzeitarbeitslose tatsächlich kaum Chancen, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Arbeitsmarktpolitische Ankündigungen der Regierung wie die "Umweltstiftung" seien nie umgesetzt worden, rügte Wimmer: "Ihre Ankündigungspolitik ist Schall und Rauch". Zwar gebe es den vom AMS abgewickelten Teuerungsausgleich für Arbeitslose, doch stelle die steigende Inflation viele Menschen vor existenzielle Nöte. Den Vorschlag der Regierung, den Teuerungsausgleich breitflächig mittels Gutscheinen umzusetzen, nannte der Sozialdemokrat "peinlich", zumal dabei auch noch Stichprobenüberprüfungen der eingelösten Gutscheine und Strafen angedacht würden.

Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) hielt der Regierung vor, das Arbeitslosengeld kürzen zu wollen, wodurch noch mehr Menschen – besonders Frauen – in die Armut getrieben würden. Diese Politik sei "erbärmlich" und wirkungslos, das zeige sich an dem Programm "Sprungbrett", das kaum gegen Arbeitslosigkeit geholfen habe.

FPÖ gegen Kürzung von Arbeitslosengeld

Zynisch findet Dagmar Belakowitsch (FPÖ) den Hinweis auf "hervorragende Arbeitslosenzahlen" im Titel der Aktuellen Stunde. Arbeitslosigkeit könne nie positiv sein. Die Regierung liefere aber keine konkreten Maßnahmen zum Abbau von Arbeitslosigkeit oder zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, so Belakowitsch. Einzig zur Umgestaltung des Arbeitslosengeldes gebe es einen genauen Plan, der in der Kürzung dieser Leistung resultieren werde. Dabei sollte eine aktive Arbeitsmarktpolitik den Unternehmen die Möglichkeit geben, ungestört zu arbeiten und ihre MitarbeiterInnen entsprechend zu entlohnen, ließ die Freiheitliche speziell an Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wie der "2G-Regel" kein gutes Haar. Arbeitslosen Personen gebühre ein "ordentliches Arbeitslosengeld", von dem sie leben können, gerade vor dem Hintergrund einer massiv steigenden Inflationsrate.

Frauen seien die große Gruppe der Verlierer infolge des Krisenmanagements der Regierung, sagte Erwin Angerer (FPÖ). Nicht nur seien sie öfter von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit betroffen gewesen als ihre männlichen Kollegen, ihre Belastung sei nicht zuletzt im Bereich der unbezahlten Arbeit gestiegen, auch durch das häufige Schließen von Kindergärten während der Corona-Pandemie.

Grüne für faire Entlohnung

Strukturelle Versäumnisse am Arbeitsmarkt habe die SPÖ mitzuverantworten, genauso wie frühere Kürzungen beim Arbeitslosengeld, warf Meri Disoski (Grüne) der früheren Regierungspartei vor. "Mit uns Grünen wird es keine Kürzungen beim Arbeitslosengeld geben". Eines von Disoskis größten Anliegen in der Arbeitsmarktpolitik ist, Lösungen für eine gerechte Bezahlung von Frauen zu finden. Sie wiederholte dabei die Forderung ihrer Fraktion nach einem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab dem 1. Lebensjahr, denn "Teilzeitarbeit ist selten eine persönliche Entscheidung". 

Der Arbeitsmarkt habe sich erfreulicherweise entspannt, konstatierte Markus Koza (Grüne) und folgerte, offenbar habe die Regierung in der Krise einiges richtig gemacht. So verwies er auf die mit 700 Mio. € dotierte Corona-Job-Offensive. Als Maßnahmen zur Krisenbewältigung nannte er außerdem die Erhöhungen bei Notstandshilfe, Arbeitslosengeld und Bildungsbonus: "Bildung muss man sich erst einmal leisten können", sei sie doch die Basis für nachhaltige Arbeit. Die heimischen Sozialversicherungssysteme in der Arbeitsmarktpolitik wirkten zwar, erläuterte Koza die Lehren aus der Krise, aber man müsse verstärkt an der Reintegration von Personen, die aus dem Arbeitsmarktsystem gefallen sind, arbeiten.

NEOS: Regierung verschlimmert Lage am Arbeitsmarkt

Gerald Loacker (NEOS) befand, die Regierungsparteien würden sich an gute Arbeitslosenzahlen klammern, obwohl die Beschäftigungszahlen massiv eingebrochen seien. Die Zahl der Beschäftigten liege unter dem Vorkrisenniveau. Dabei bestehe in allen Bereichen des Arbeitsmarkts Arbeitskräftemangel, die Maßnahmen der Regierung wie die Kurzarbeit würden das Problem noch verschlimmern. Leute würden dadurch in Jobs gehalten, in denen sie nicht gebraucht würden, erklärte Loacker. Am Entwurf eines degressiven Arbeitslosengelds vermisst er eine zeitliche Begrenzung der Leistungen, die Menschen in Arbeit bringen würde. Genauso liege die qualifizierte Zuwanderung in Österreich im Argen. Ein Rot-Weiß-Rot-Card-Verfahren für Spitzenkräfte dauere mit 15 Wochen viel zu lange: "Wir exportieren die gut Ausgebildeten und holen die schlecht Ausgebildeten herein".

Die Probleme des Tourismus am Arbeitsmarkt beleuchtete Julia Seidl (NEOS) anhand des Lehrkräftemangels in diesem Bereich. Die NEOS-Vorschläge zur Problembehebung, wie die Senkung der Lohnnebenkosten, seien im letzten Sozialausschuss erneut versandet, kritisierte sie die Vertagung entsprechender Anträge. Die neue Saisonnier-Regelung der Regierung werde nur für ein paar Jahre funktionieren, vermutete sie und kündigte einen Antrag ihrer Fraktion dazu an, der den Betrieben langfristige Planung ermögliche. (Fortsetzung Nationalrat) rei

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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