Parlamentskorrespondenz Nr. 249 vom 10.03.2022

Heftige Debatte im Bundesrat über Impfpflicht und Pandemiebekämpfung

Länderkammer macht Weg für zahlreiche Änderungen im Zusammenhang mit der Pandemie und der Impfpflicht frei

Wien (PK) - Zahlreichen Materien aus dem Gesundheitsbereich standen heute auf dem Programm des Bundesrats. So machte die Länderkammer den Weg für eine Verlängerung der Zweckzuschüsse vom Bund an die Länder im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie frei. Zudem erhält der Gesundheitsminister eine Verordnungsermächtigung zur Durchführung von Screening-Programmen. Änderungen gibt es in Bezug auf die Anträge auf Ersatz des Verdienstentgangs aufgrund einer behördlichen Maßnahme zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus, etwa der Schließung eines Betriebs. Beschlossen wurden ferner ein digitales Ausnahmemanagement auf Länderebene in Bezug auf die Impfpflicht sowie Zuschüsse für Gemeinden für kommunale Impfkampagnen und Impfprämien. Angepasst wurden auch Bestimmungen über COVID-19-Risikoatteste an das Impfpflichtgesetz. Schließlich wurde die Möglichkeit zur Ausstellung von sogenannten Fernrezepten bis Ende Juni 2022 verlängert.

Der Bericht des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz zur EU-Jahresvorschau 2022 wurde mehrheitlich zur Kenntnis genommen. Darin wird auch die Schaffung einer europäischen Gesundheitsunion angestrebt. So soll etwa die rechtliche Basis für EU-Koordinationstätigkeiten bei grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren gestärkt werden. Außerdem sollen ein EU-Vorsorgeplan ausgearbeitet sowie ein integriertes Überwachungssystem geschaffen werden. Bei schwerwiegenden Gesundheitsgefahren soll ein EU-Notstand ausgerufen werden können.

Pandemie-Zweckzuschüsse an Länder werden verlängert

Am Beginn des Gesundheitsblocks stand die Verlängerung der Zweckzuschüsse vom Bund an die Länder im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zur Debatte. Demnach werden die Kostenersätze für Schutzausrüstung, die telefonische Gesundheitsberatung, den administrativen Aufwand im Zusammenhang mit Testungen, für Impfstellen sowie Rettungs- und Krankentransportdienste bis Ende Dezember 2022 verlängert. Dafür stimmten neben den Koalitionsparteien ÖVP und Grüne auch die sozialdemokratischen LändervertreterInnen.

SPÖ thematisiert Mangel an KinderärztInnen

Ingo Appé (SPÖ/K) bezeichnete diese Maßnahmen als sinnvoll. Er nahm jedoch den Gesetzesbeschluss zum Anlass, den Mangel an KinderärztInnen zu thematisieren. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine und andere Bedrohungen führten zu einem erhöhten Betreuungsbedarf für Kinder. Der Mangel an KinderärztInnen mit Kassenverträgen sei alarmierend und berge die Gefahr einer Zwei-Klassen-Medizin. So kommen beispielsweise in Wien auf rund 280.000 Kinder nur 71 ÄrztInnen mit Kassenvertrag, rechnete er vor. Auch in Tirol und Niederösterreich würden viele Stellen fehlen. Insgesamt hätten nur rund 250 von 609 Praxen einen Kassenvertrag, 30 Praxen verfügten über einen Vertrag mit kleinen Kassen. Damit werde für viele Eltern der Besuch von KinderärztInnen unerschwinglich, zeigte er sich besorgt.

Appé brachte in diesem Zusammenhang einen Entschließungsantrag ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, in den kommenden fünf Jahren die Bereitstellung der versprochenen Patientenmilliarde dadurch sicherzustellen, dass jährlich mindestens 200 Mio. € zusätzlich in den Ausbau der Gesundheitsversorgung investiert werden. Insbesondere soll damit sofort ein Anreizsystem finanziert werden, damit insbesondere KinderärztInnen in das Sachleistungssystem der Sozialversicherung einsteigen, um so der Mangelversorgung rasch entgegenzuwirken.

Diese Initiative stieß jedoch nicht auf eine ausreichende Zustimmung. Karlheinz Kornhäusl (ÖVP/St) merkte dazu an, dass es derzeit Verhandlungen um einen neuen Gesamtvertrag gebe und man sich auf gutem Weg befinde. 

Verordnungsermächtigung zur Durchführung von Screening-Programmen – Teststrategie wird überdacht

Mit der – nur von ÖVP und Grünen unterstützten - Änderung des Epidemiegesetzes wird die gesetzliche Voraussetzung dafür geschaffen, dass in Zukunft die GesundheitsministerInnen per Verordnung festlegen können, zu welchen Zwecken, mit welchen Testmethoden und in welcher Häufigkeit Screening-Programme, und damit auch die Teststrategie im Rahmen der Pandemie, auf Kosten des Bundes durchgeführt werden. Sie haben dafür das Einvernehmen mit dem Finanzministerium herzustellen. Die SPÖ sieht in diesem Zusammenhang eine Einschränkung der Kompetenzen des Gesundheitsressorts, wie Ingo Appé (SPÖ/K) ausführte. Das sei in der Praxis schon immer so gewesen, weil ja der Finanzminister die Mittel bereitstelle, konterte Karlheinz Kornhäusl (ÖVP/St).

Eine weitere Änderung betrifft die Anträge auf Ersatz des Verdienstentgangs aufgrund einer behördlichen Maßnahme zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus. Die Ansprüche konnten bisher bis zu drei Monate nach Ende der behördlichen Maßnahme geltend gemacht werden. Eine Antragsänderung war nach Ablauf dieser Frist nicht mehr möglich. Weil in vielen Fällen Verbesserungsaufträge wegen fehlender Daten erst nach Ende der entsprechenden Frist ergangen sind, soll die Bestimmung nun geändert werden. Fristgerecht eingebrachte Ansprüche sollen künftig während eines anhängigen Verfahrens auch nach Ablauf der Frist der Höhe nach ausgedehnt werden können.

Die Freiheitlichen nützten die Debatte dazu, ihre grundsätzliche Kritik am Pandemiemanagement zu erneuern. Christoph Steiner (FPÖ/T) sprach von "Hysterie" und "angsteinflößender Rhetorik" gegenüber Ungeimpften sowie von einem "Impfmythos", der an der Lebensrealität der Menschen vorbeigehe. Er zog die Wirkung der Impfung in Zweifel und warf der Regierung vor, durch ihre Politik Streit in Familien und unter Freunden verursacht zu haben. Ihre Maßnahmen hätten auch dazu geführt, dass unzählige Menschen allein sterben mussten, ohne sich von ihren Angehörigen verabschieden zu können. Steiner will auch die Zuschüsse für die Massentests hinterfragen und sprach sich dafür aus, nur Personen mit Symptomen und in sensiblen Bereichen, wie Pflegeheimen, zu testen. Die Regelungen zur Maskenpflicht kritisierte der FPÖ-Bundesrat als unverständlich.

Die Aussagen Steiners stießen auf vehementen Widerspruch von  Karlheinz Kornhäusl (ÖVP/St). Die knapp 50.000 Neuinfektionen am heutigen Tag seien beunruhigend, sagte er, auch wenn die Lage auf den Intensivstationen stabil sei. Jedenfalls würden die Zahlen in den Normalstationen wieder leicht steigen. Der relativ milde Verlauf der Omikron-Variante sei der Impfung zu verdanken, zeigte er sich überzeugt.

Die Pandemiebekämpfung bezeichnete er als ein "Fahren auf Sicht", denn es gelte, ständig zu evaluieren und die Strategie der Entwicklung anzupassen. Es sei daher richtig, dem Gesundheitsminister die Möglichkeit zu geben, die Teststrategie grundlegend zu überarbeiten. Hier hakte auch Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne/O) ein. Man stehe gerade vor einem Paradigmenwechsel in der Pandemiebekämpfung. Es gelte, die Strategie den Virusmutationen anzupassen. Die bisherige Teststrategie sei für den vergangenen Herbst und Winter gemacht worden, nun seien zielgerichtete Tests notwendig.

Heftige Auseinandersetzung über Aussetzen der Impfpflicht

Auch die weiteren Gesetzesänderungen zum Impfpflichtgesetz sowie das Gesetz hinsichtlich der Zweckzuschüsse an die Länder für Impfkampagnen ließen die Wogen hochgehen. Sascha Obrecht (SPÖ/W) kritisierte seitens seiner Fraktion scharf die heute verkündete Aussetzung der Impfpflicht trotz hoher Fallzahlen.

Andreas Arthur Spanring (FPÖ/N) hingegen bezeichneten das Aussetzen der Impfpflicht als einen Etappensieg, zumal die Freiheitlichen die Impfpflicht als eine verfassungswidrige Maßnahme sehen und deren Zurücknahme fordern. Gemeinsam mit den Bundesräten Christoph Steiner (FPÖ/T), Johannes Hübner (FPÖ/W) und Markus Leinfellner (FPÖ/St) brachte er einen Entschließungsantrag ein, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird, dem Bundesrat einen Bericht über die Anzahl der ÖsterreicherInnen, die "durch die COVID-19-Maßnamenregelungen und ihre gesetzwidrigen Verordnungen sowie verfassungswidrige Gesetze psychisch, physisch sowie auch finanziellen Schaden genommen haben, bis 29. Juni 2022 zuzuleiten". Dieser Vorstoß wurde jedoch von der Mehrheit der BundesrätInnen abgelehnt.

Spanring sprach auch von einer Steuergeldverschwendung, da für insgesamt 8 Millionen ÖsterreicherInnen insgesamt 57 Millionen Impfdosen angeschafft wurden. Einmal mehr sprach er im Zusammenhang mit dem Pandemiemanagement der Regierung von Zwang, der durch nichts begründet sei. Die Regierung schikaniere die Bevölkerung zudem mit den Bestimmungen hinsichtlich der Ausnahmen bei der Impfpflicht und negiere den Datenschutz im Zuge von Corona.  

Gesundheitsminister Johannes Rauch reagierte auf die Debatte mit dem Hinweis darauf, dass das Impfpflichtgesetz mit der Opposition und ExpertInnen erarbeitet worden sei, wobei man eine Evaluierung verankert habe. Er räumte Fehler ein, bat jedoch, bei der Kritik Maß zu bewahren.

Fehler seien gemacht worden, sagte auch Martin Preineder (ÖVP/N), aber die Pandemieentwicklung sei nicht vorhersehbar und planbar und daher auch schwer gestaltbar. Bei der Verlängerung von Maßnahmen im Rahmen der Impfpflicht und deren  Aussetzung sieht er keinen Widerspruch, denn das Ganze sichere Flexibilität, sagte er. Er kritisierte scharf die Aussagen Spanrings unter Hinweis auf die vielen Toten nach einer COVID-19-Erkrankung und appellierte, sich impfen zu lassen und die Impfquote zu erhöhen, denn man wisse nicht, was der Herbst bringe.

Ähnlich argumentierte Claudia Hauschildt-Buschberger (Grüne/O). Die Impfpflicht bleibe grundsätzlich erhalten, sie werde nur temporär ausgesetzt und stelle ein zentrales Instrument der Pandemiebekämpfung dar. Ob und wann sie umgesetzt werde, sei ständig neu zu bewerten, so Hauschildt-Buschberger. Sie wies auf die ExpertInnen hin, die vor einem massiven Infektionsgeschehen im Herbst warnen. Man dürfe Corona nicht unterschätzen, wie dies Spanring getan habe. Auch sie zeigte sich überzeugt davon, dass die Impfung schützt und Medikamente helfen. Kommunale Kampagnen hält sie für sinnvoll, weil diese näher an den BürgerInnen seien. 

Diese Debatte wurde zu folgenden Gesetzesänderungen geführt:

Digitales Ausnahmemanagement im Rahmen der Impfpflicht

Bei den von ÖVP, SPÖ und Grünen unterstützten Änderungen im COVID-19-Impfpflichtgesetz geht es um die Etablierung eines sogenannten digitalen Ausnahmenmanagements auf Länderebene. Damit die Bestätigungen über Ausnahmen von der Impfpflicht ausgestellt und ins zentrale Impfregister eingetragen werden können, werden die Landeshauptleute ermächtigt, ein entsprechendes elektronisches System zur Verfügung zu stellen. Betroffene Personen sollen dort die zur Befreiung notwendigen Dokumente hochladen können. Die Landeshauptleute sind die datenschutzrechtlich Verantwortlichen und haben auf die Vertraulichkeit der Daten zu achten. Neben dem digitalen Weg muss es laut Gesetzesänderung auch die Möglichkeit geben, die benötigten Daten postalisch zu übermitteln.

Mit der Novelle wird außerdem geregelt, dass für Personen über 18 Jahren, die nach Österreich ziehen, die Impfpflicht erst ein Monat nach Begründung des Wohnsitzes gilt. Zudem werden die rechtlichen Grundlagen für die Erstellung der Ausnahmezertifikate geschaffen.

Zweckzuschüsse für Impfkampagnen und Impfprämien für Gemeinden

Um die Impfquote zu erhöhen, sollen nun die Gemeinden Zweckzuschüsse für kommunale Impfkampagnen und Impfprämien erhalten. Die entsprechende Gesetzesvorlage erhielt die Stimmen der beiden Koalitionsparteien ÖVP und Grüne. Demnach sollen die Gemeinden insgesamt 75 Mio. € für Print- und Onlinekampagnen sowie für persönliche Informationsmaßnahmen erhalten. Die Mittel sollen bis Anfang April überwiesen werden und zwar anteilig der Bevölkerungszahl der Gemeinden. Im Sinne der Transparenz soll auf allen Print- und Online-Produkten sowie Einladungen zu persönlichen Informationsmaßnahmen ein Hinweis platziert werden, dass die dafür nötigen Gelder aus der kommunalen Impfkampagne stammen. Die SPÖ stimmte wie die FPÖ dagegen. Die SPÖ sah darin einen Widerspruch zur Aussetzung der Impfpflicht, die Freiheitlichen sprachen von einer "Gemeindepropaganda-Aktion".

Anpassung der Bestimmungen über COVID-19-Risikoatteste an das Impfpflichtgesetz

Auf mehr Zustimmung stießen die von Seiten der Regierungsfraktionen vorgeschlagenen Änderungen im ASVG und in anderen Sozialversicherungsgesetzen. Im Zuge dessen werden nicht nur Leistungsharmonisierungen, sondern auch Bestimmungen in Bezug auf die Ausstellung von COVID-19-Risikoattesten mit den Regelungen im Impfpflichtgesetz harmonisiert. Im Konkreten wird festgelegt, dass ab dem 1. April 2022 Bestätigungen über medizinische Ausnahmegründe von der COVID-19-Impfpflicht samt den entsprechenden Befunden vorgelegt und – analog zum Impfpflichtgesetz - durch eine fachlich geeignete Ambulanz, AmtsärztInnen oder EpidemieärztInnen bestätigt werden müssen.

Der Wiener NEOS-Bundesrat Karl-Arthur Arlamovsky übte Kritik an einer Bestimmung, wonach der Verkaufspreis für innovative, teurere Medikamente nicht mehr als 20% über jenem der billigsten Produkte liegen darf. Er verwies auf die hohen Kosten der Entwicklung von Medikamenten und befürchtete, dass diese Regelung dazu führen könnte, dass Österreich bei der Belieferung mit neuen, innovativen Medikamenten hintangestellt wird. 

Verlängerung der Möglichkeit zu Fernrezepten

Mit breiter Mehrheit – lediglich die FPÖ stimmte gegen die entsprechenden Änderungen im Gesundheitstelematikgesetz – gab der Bundesrat auch grünes Licht für die Verlängerung der Möglichkeit zur kontaktlosen Medikamentenverschreibung per Fax oder E-Mail ("Fernrezept") bis Ende Juni 2022. (Fortsetzung Bundesrat) jan

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.


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