EU-Hauptausschuss richtet Forderungen zum Ukraine-Krieg an die Regierung
Gemeinsamer Antrag von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS im Vorfeld der Tagung des Europäischen Rates
Wien (PK) – Im Vorfeld des Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs forderten ÖVP, Grüne, SPÖ und NEOS die Regierung im EU-Hauptausschuss heute gemeinsam dazu auf, sich weiterhin für ein Ende der russischen Angriffe auf die Ukraine einzusetzen und Sanktionen mitzutragen. Auch für die rasche Reduktion der Energieabhängigkeit und die Unterstützung von EU-Staaten bei der Aufnahme von Geflüchteten soll die Regierung auf europäischer Ebene eintreten.
Bundeskanzler Karl Nehammer und Europaministerin Karoline Edtstadler gaben einen Überblick über die Themen, die in den kommenden zwei Tagen im Europäischen Rat anstehen. Das Treffen wird vom Krieg in der Ukraine und seinen Auswirkungen auf Wirtschaft und Energieversorgung geprägt sein.
Zu konkreten Positionen wollten FPÖ und SPÖ die Regierung mit Anträgen auf Stellungnahme auffordern. Die FPÖ-Anträge gegen eine Schuldenunion und eine Verteilung von Flüchtlingen in der EU sowie für Rückübernahmeabkommen mit gewissen Ländern blieben aber ebenso in der Minderheit wie eine SPÖ-Forderung, den Status Österreichs als neutrales Land bei allen Maßnahmen zur gemeinsamen Verteidigung verbindlich verankern zu lassen.
Nehammer: Österreich noch skeptisch bei Kommissionsvorschlag zu Gasbevorratung
Der russische Angriff auf die Ukraine habe dramatische Folgen, sagte Bundeskanzler Karl Nehammer. Österreich bemühe sich mit dem Internationalen Roten Kreuz um humanitäre Korridore, helfe den vertriebenen Menschen in vollem Umfang und unterstütze die Ukraine mit Hilfslieferungen. Neben dem Umgang mit geflüchteten Menschen werde die Energieversorgung zentrales Thema beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs sein, informierte der Kanzler. Dem Vorschlag der Europäischen Kommission zur Bevorratung von Gas stehe Österreich noch skeptisch gegenüber. Denn als Land mit großen Speichern müsste Österreich sehr viel Gas einlagern. Die finanzielle Last dafür müsse solidarisch geteilt werden.
Was die Sanktionen betrifft, betonte Nehammer, dass Österreich diese bisher vollumfänglich mittrage. Es dürfe aber nicht passieren, dass aufgrund zunehmender Emotionalisierung künftige Sanktionen nicht mehr ausreichend rational bewertet werden. Er lasse jedenfalls nicht zu, dass die Interessen der BürgerInnen in Österreich gefährdet werden.
Auch Europaministerin Karoline Edtstadler betonte, dass die Einigkeit in der EU noch nie so groß war wie jetzt. Die einzelnen Mitgliedstaaten seien aber unterschiedlich betroffen, weshalb Details etwa bei der Gasspeicherung intern noch zu diskutieren seien. Nach außen wolle man jedenfalls geschlossen auftreten.
Positiv hob sie den Strategischen Kompass hervor, auf den sich die AußenministerInnen und VerteidigungsministerInnen Anfang der Woche geeinigt hatten. Das sicherheitspolitische Konzept der EU sieht unter anderem eine neue militärische Eingreiftruppe mit 5.000 SoldatInnen bis 2025 vor. Im Zusammenhang mit den europäischen Außenbeziehungen hob Edtstadler die Situation am Westbalkan hervor und sprach sich dafür aus, den EU-Beitrittsprozess der Länder der Region massiv zu unterstützen.
Gemeinsamer Antrag von ÖVP, Grünen, SPÖ und NEOS
Mit großer Mehrheit ohne die Stimmen der FPÖ hat der Ausschuss einen Antrag auf Stellungnahme zur Situation in der Ukraine angenommen. Die Abgeordneten begrüßen darin, dass die EU auf den Angriff Russlands auf die Ukraine schnell, entschlossen und geschlossen mit umfassenden Sanktionen reagiert habe. Mit Blick auf das Treffen des Europäischen Rates fordern sie die Regierung auf, sich weiterhin für ein Ende der Angriffe Russlands und für die Souveränität der Ukraine einzusetzen. Europäische Vermittlungsbemühungen sollen weiterhin unterstützt, weitere geeignete Sanktionen mitgetragen werden. Für Maßnahmen gegen die Energieabhängigkeit von Russland und für erneuerbare Energien soll sich die Regierung ebenso einsetzen wie für flexible Lösungen zur finanziellen Unterstützung von Mitgliedstaaten bei der Aufnahme von Geflüchteten. Unterstützung für die Ukraine, die über den bestehenden Assoziationsvertrag hinausgeht, soll geprüft werden.
Martin Engelberg (ÖVP) betonte, man wolle mit diesem Antrag der Regierung den Rücken stärken. Helmut Brandstätter (NEOS) fand es bedauerlich, dass der Antrag nicht von allen Parteien unterstützt wurde.
Die FPÖ war insbesondere bei den Sanktionen anderer Ansicht. Mit dem "blinden Mittragen der Sanktionen" habe der Kanzler nicht im Sinne Österreichs gehandelt, sagte etwa Petra Steger (FPÖ). Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) betonte ebenfalls, seine Fraktion trete gegen das uneingeschränkte Drehen an den Sanktionsschrauben ein. Europa setze Putin, aber auch sich selbst damit eine Pistole an die Schläfe, könne aber nicht steuern, wann diese abgefeuert werde. Die EU setze Putin nicht die Pistole an die Schläfe, sondern ziehe ihm die Geldtasche aus der Hose, entgegnete Jakob Schwarz (Grüne).
Energieversorgung im Fokus
Großes Thema der Debatte war angesichts der Abhängigkeit Österreichs von russischem Gas die Energieversorgung. Jörg Leichtfried (SPÖ) sprach die Ankündigung Putins an, dass Gas künftig nur noch in Rubel bezahlt werden könne und fragte nach, was das für Österreich bedeute. Die Verträge seien in Euro geschlossen worden und als solche auch einzuhalten, sagte Edtstadler dazu.
Georg Strasser und Peter Haubner (beide ÖVP) machten den Wirtschaftsstandort Österreich zum Thema, für den es eine gesicherte Energieversorgung brauche. Haubner fragte daher ebenso wie Axel Kassegger (FPÖ) nach, welche Alternativen es gebe, um nicht mehr von russischem Gas abhängig zu sein. Edtstadler betonte, kurzfristig sei Österreich von Russland abhängig. Langfristige Alternativen seien letztlich auch eine Frage der Vertretbarkeit und Machbarkeit, sagte Nehammer, etwa mit Blick auf Stromimporte. Österreich sei für die Produktion von erneuerbaren Energien von der Natur gesegnet. Lukas Hammer (Grüne) sprach sich für den Ausbau von erneuerbaren Energien aus und wies darauf hin, dass es dafür auch die Mitarbeit der Bundesländer brauche.
Diskussion um Neutralität und Strategischen Kompass
Nach zahlreichen Debatten in den vergangenen Wochen war die Neutralität Österreichs auch heute im Ausschuss wieder Thema. Für Petra Steger (FPÖ) habe die Regierung mit Aussagen rund um die Neutralität einen völkerrechtlichen Schaden angerichtet. Jörg Leichtfried (SPÖ) pochte ebenfalls auf die Neutralität Österreichs. Es könne aber keine Neutralität gegenüber Kriegsverbrechen, einem Völkerrechtsbruch und dem Leid der Menschen geben. Mit einem Antrag auf Stellungnahme wollte er erreichen, dass der Bundeskanzler auf europäischer Ebene bei allen Maßnahmen zur gemeinsamen Verteidigung oder mit Bezug zur Rüstungsindustrie den Status Österreichs als neutrales Land verbindlich verankern lässt. Der Antrag fand keine Mehrheit.
Helmut Brandstätter (NEOS) zufolge wurde es bisher verabsäumt, aufzuzeigen, dass Österreich die gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in seiner Verfassung verankert hat. Er sprach sich aus ökonomischen Gründen etwa dafür aus, dass die 27 EU-Mitgliedstaaten gemeinsam Waffen einkaufen. David Stögmüller (Grüne) brachte gemeinsame Investitionen im Zusammenhang mit dem Strategischen Kompass ebenfalls zur Sprache. Er interessierte sich zudem für die darin verankerte neue EU-Eingreiftruppe und fragte nach Einsatzszenarien. Man baue hier auf Erfahrungen von Übungen der bisherigen EU Battlegroups auf, gab die Europaministerin Auskunft. Die Truppe könne etwa für Evakuierungen eingesetzt werden.
Außenbeziehungen: China und Westbalkan im Fokus
Von Gabriela Schwarz (ÖVP) und Helmut Brandstätter (NEOS) auf die Situation am Westbalkan angesprochen, führte der Bundeskanzler aus, dass es sich hier um einen wichtigen geostrategischen Raum für Österreich handle. Das sei auch der Grund für seine Balkanreise gewesen. Nehammer hatte anlässlich dieser Reise eine Beschleunigung des EU-Beitrittsprozesses für die Länder des Westbalkans gefordert, weil für diese Region eine Destabilisierung durch Russland zu befürchten sei.
In dem Zusammenhang kam auch ein EU-Beitritt der Ukraine zur Sprache. Die Ukraine habe als europäisches Land das Recht, einen Beitritt zu beantragen, führte Edtstadler dazu aus. Niemand habe gesagt, dass ein Beitritt in Kürze erfolge. Sie halte es jedoch für wichtig, der Ukraine diese Perspektive zu geben. Für Wolfgang Gerstl (ÖVP) geht es darum, dafür zu sorgen, dass die Ukraine Teil einer europäischen Wertegemeinschaft bleibe.
Michel Reimon (Grüne) und Johannes Margreiter (NEOS) machten schließlich noch die Beziehungen zu China zum Thema. Margreiter sprach sich dafür aus, nicht immer nur über Importe aus dem Land zu sprechen, sondern auch zu überlegen, wie man die demokratischen Werte Europas nach China exportieren könne. Für Nehammer habe sich China zuletzt im UN-Sicherheitsrat an der Seite Russlands positioniert. Der Umgang mit China sei langfristig eine bedeutende strategische Frage, so der Kanzler.
FPÖ bleibt mit Anträgen in der Minderheit
Für insgesamt drei Anträge auf Stellungnahme über den Umgang mit Geflüchteten und gemeinsame Schulden in der Europäischen Union konnte die FPÖ keine Zustimmung finden.
Die Freiheitlichen wollten den Bundeskanzler auffordern, sich bei dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs vehement gegen die Verteilung von MigrantInnen zwischen den EU-Ländern einzusetzen. Quoten und Strafzahlungen bei Nichteinhaltung seien kategorisch abzulehnen, so die FPÖ. Sie forderte auch, dass der Kanzler dem Migrationspakt eine Absage erteilt.
Außerdem wollte die FPÖ den Kanzler auffordern, sich bei der Sitzung des Europäischen Rates dafür auszusprechen, die Verhandlungen von Rückübernahmeabkommen mit Algerien, China, Marokko, Tunesien und Jordanien schnellstmöglich abzuschließen. Neben Rückübernahmeabkommen sollte sich Nehammer aus Sicht der Freiheitlichen daher außerdem dafür einsetzen, dass Entwicklungshilfe künftig daran geknüpft wird, dass die Länder ihre illegal in die EU eingereisten StaatsbürgerInnen rückübernehmen.
Die Freiheitlichen befürchten zudem, dass die EU den Krieg in der Ukraine ausnutzen wolle, um eine Schuldenunion voranzutreiben. Der Kanzler solle sich gegen eine weitere Vergemeinschaftung von Schulden aussprechen und klarmachen, dass Österreich keine Haftungen übernehmen werde, forderten sie in einem weiteren Antrag. Die Schaffung eines neuen Resilienzfonds sei demnach abzulehnen. (Schluss Hauptausschuss) kar