Verfassungsausschuss gibt grünes Licht für neue Kompetenzverteilung in der Regierung
Mehrere Corona-Sonderregelungen werden verlängert
Wien (PK) – Die von Bundeskanzler Karl Nehammer im Zuge der jüngsten Regierungsumbildung angekündigten Kompetenzverschiebungen sind auf Schiene. Der Verfassungsausschuss des Nationalrats hat heute mehrheitlich einer Novelle zum Bundesministeriengesetz zugestimmt. Durch die Zusammenlegung des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums wird die Zahl der Ministerien wieder auf zwölf reduziert, zudem bekommen das Finanzministerium und das Bundeskanzleramt neue Aufgaben übertragen. Begleitend wird auch das ÖIAG-Gesetz adaptiert, um etwaigen Interessenskonflikten durch die künftige Zuständigkeit des Finanzministeriums sowohl für die ÖBAG als auch für die Regulierung des Post- und Telekommarktes vorzubeugen.
Der Beschluss im Ausschuss fiel mit den Stimmen von ÖVP und Grünen. Die SPÖ kritisierte erneut die Zusammenlegung der Agenden für Arbeit und Wirtschaft in einem Ressort. Auch die künftige Rolle des Finanzministeriums im Bereich der Telekom-Regulierung wurde von der Opposition hinterfragt. Bis die Kompetenzverschiebungen wirksam werden, wird es allerdings voraussichtlich noch etwas dauern. Der Nationalrat hat seine nächsten regulären Sitzungen für Mitte Juni geplant, danach muss sich noch der Bundesrat mit der Novelle befassen.
Auf den Weg gebracht hat der Ausschuss außerdem zwei weitere Gesetzesnovellen, die eine Verlängerung verschiedener Corona-Sonderregelungen zum Inhalt haben. Dabei geht es etwa um den Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren sowie Beschlüsse diverser Gremien und Organe per Videokonferenz bzw. im Umlaufweg.
Neues Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft
Gemäß der von den Koalitionsparteien vorgelegten Novelle zum Bundesministeriengesetz (2597/A) wird es künftig kein eigenständiges Wirtschaftsressort mehr geben. Vielmehr wird ein Großteil der Agenden des Bundesministeriums für Wirtschaftsstandort und Digitalisierung in das Arbeitsministerium verschoben und dieses gleichzeitig in "Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft" umbenannt. Auch die derzeit noch im Landwirtschaftsministerium angesiedelten Tourismuskompetenzen wandern in dieses Ressort, wobei sich laut Ankündigung Nehammers die neue Staatssekretärin Susanne Kraus-Winkler um diesen Bereich kümmern soll.
Finanzministerium künftig auch für Bergwesen, Telekom-Regulierung und Digitalisierung zuständig
Nicht mit in das neue Arbeits- und Wirtschaftsministerium übersiedeln die Agenden für Digitalisierung. Sie sind künftig dem Finanzressort zugeordnet. Konkret werden Finanzminister Magnus Brunner und sein Staatssekretär Florian Tursky damit etwa für die Digitalisierungsstrategie der Regierung, den Bereich E-Government, das Rechtsinformationssystem des Bundes, das ressortübergreifende elektronische Bürgerinformationssystem sowie für das Bundesrechenzentrum zuständig sein. Ebenso gibt das Landwirtschaftsministerium Kompetenzen an das Finanzministerium ab, und zwar nicht nur jene für die Regulierung des Post- und Telekommunikationswesens, sondern auch jene für das Bergwesen.
Da das Finanzministerium im Post- und Telekom-Bereich damit künftig eine Doppelrolle als Eigentümervertreter und Regulator hätte, wird zur Vermeidung von Interessenskonflikten begleitend zum Bundesministeriengesetz das ÖIAG-Gesetz geändert. Demnach sollen die Eigentümerrechte des Bundes in der Hauptversammlung der Österreichischen Beteiligungs AG ÖBAG künftig von Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher ausgeübt werden, wenn es um Angelegenheiten von Unternehmen geht, die der Aufsicht des Finanzministeriums unterliegen. Davon wären nicht nur die Österreichische Post AG bzw. die Telekom Austria betroffen, sondern wohl auch die Casinos Austria.
Bundeskanzleramt erhält Agenden für Zivildienst
Ein weiterer Punkt der Gesetzesnovelle ist die Verschiebung der Zivildienstagenden vom Landwirtschaftsministerium in das Bundeskanzleramt. Dort soll Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm dafür zuständig sein, wie Bundeskanzler Nehammer angekündigt hat. Weiterhin im Landwirtschaftsministerium verbleiben hingegen die Zuständigkeiten für Raumordnung und die finanzielle Abwicklung von EU-Regionalförderungen, etwa über den EU-Strukturfonds: In diesem Sinn wird dieses künftig Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft statt wie bisher Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus heißen.
Einen zusätzlichen Aufgabenbereich erhält auch das von Vizekanzler Werner Kogler geführte Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport, es soll künftig in die Koordination in Angelegenheiten der Europäischen Union eingebunden werden. Schließlich werden mit der Novelle Übergangsregelungen in Bezug auf die Zuständigkeit von Personalvertretungsorganen in den von Kompetenzverschiebungen betroffenen Ministerien geschaffen.
Beschlossen wurde die Novelle unter Berücksichtigung eines Abänderungsantrags, der jedoch lediglich redaktionelle Korrekturen und Klarstellungen enthält.
SPÖ kritisiert gemeinsames Ressort für Arbeit und Wirtschaft
Im Rahmen der Debatte übte die SPÖ erneut Kritik an der Zusammenlegung der Agenden für Arbeit und Wirtschaft in einem Ressort. Schon jetzt vermisse ihre Partei arbeitsmarktpolitische Visionen, sagte Selma Yildirim (SPÖ), es werde zu wenig für die berufliche Integration langzeitarbeitsloser Menschen und für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie getan. Damit verzichte man auf das Potenzial zigtausender Frauen. Zudem befürchtet sie Nachteile für jene Bediensteten, die von den Kompetenzverschiebungen betroffen sind, etwa was Verzerrungen bei der Personalvertretung betrifft.
SPÖ und NEOS sprachen außerdem die künftige Doppelrolle des Finanzministeriums als Eigentümervertreter der ÖBAG und Regulator im Telekom-Bereich an. Man nehme sehenden Auges eine mögliche EU-Rechtswidrigkeit in Kauf, kritisierte Nikolaus Scherak (NEOS). Er könne sich auch schwer vorstellen, wie die zeitweise Vertretung des Finanzministers durch den Wirtschaftsminister in der ÖBAG-Hauptversammlung in der Praxis funktionieren soll. Für unproblematisch erachtet Scherak hingegen ein gemeinsames Ressort für Wirtschaft und Arbeit. Die Regierung solle grundsätzlich die Möglichkeit haben, die Kompetenzverteilung so anzulegen, wie sie es für richtig halte, meinte er.
Edtstadler: Neue Kompetenzverteilung "sehr, sehr sinnhaft"
Als "sehr, sehr sinnhaft" bezeichnete Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler die neue Ressortverteilung. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sei es wichtig, einen besonderen Fokus auf den Tourismus zu legen, zudem stecke man mit dem "Next-Generation-Fonds" sehr viel Geld in die Digitalisierung, begründete sie etwa die Bestellung einer eigenen Staatssekretärin bzw. eines eigenen Staatssekretärs für diese beiden Aufgabenbereiche.
Was die neue Zuständigkeit des Finanzministeriums für die Telekom-Regulierung betrifft, zeigte sich der Leiter des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramts Albert Posch überzeugt, dass mit der vorgesehenen strukturellen Trennung EU-Recht Genüge getan wird. Das sehe auch die Finanzprokuratur so, betonte er. Ein externes Gutachten zu dieser Frage wurde laut Edtstadler angesichts der Eigenexpertise des Bundeskanzleramts nicht eingeholt.
Gemeinderäte können in Ausnahmesituationen weiterhin Beschlüsse per Videokonferenz fassen
Ein weiteres Mal verlängert werden verschiedene coronaspezifische Sonderregelungen. Dabei geht es etwa um Beschlüsse von Gemeinderäten und des Ministerrats per Videokonferenz, den Einsatz von Videotechnologie in Verwaltungsverfahren, die Einschränkung des Parteienverkehrs, Verhaltensregeln bei Lokalaugenscheinen, die Erstreckung von Verjährungsfristen und vergaberechtliche Sonderbestimmungen. Die meisten Bestimmungen sind allerdings nur für Ausnahmesituationen vorgesehen, etwa wenn es aufgrund hoher Infektionszahlen zu pandemiebedingten Einschränkungen kommt.
Der von ÖVP und Grünen eingebrachte Gesetzentwurf (2500/A) wurde mit den Stimmen der Koalitionsparteien und der SPÖ angenommen. Damit sollte auch die notwendige Zweidrittelmehrheit im Nationalrat sichergestellt sein. Man wisse nicht, wie sich die Pandemie-Situation im Herbst entwickle, man müsse auf alle Eventualitäten vorbereitet sein, machte Gabriela Schwarz (ÖVP) geltend.
Mit dem gleichen Argument werden auch der Unabhängige Parteien-Transparenz-Senat, die KommAustria inklusive ihrer Senate, die Presseförderungskommission sowie der Stiftungsrat und der Publikumsrat des ORF noch bis Ende 2022 Beschlüsse im Umlaufweg bzw. per Videokonferenz fassen dürfen, sollten physische Zusammenkünfte der Mitglieder aufgrund "außergewöhnlicher Verhältnisse" nicht möglich oder nicht geboten sein. Dieser Gesetzentwurf der Koalitionsparteien (2499/A) erhielt ebenfalls die Zustimmung von ÖVP, SPÖ und Grünen. (Schluss) gs