Parlamentskorrespondenz Nr. 624 vom 07.06.2022

Volksanwaltschaft ist Haus der Menschenrechte der Republik

Menschenrechtliche Enquete im Parlament anlässlich 10 Jahre der österreichischen Umsetzung des UN-Protokolls OPCAT

Wien (PK) — Seit 1977 steht die Volksanwaltschaft allen Menschen unabhängig von Alter, Nationalität und Wohnsitz zur Seite, wenn sie sich von österreichischen Behörden nicht gerecht behandelt fühlen. Im Juli 2012 wurden die Kompetenzen der Volksanwaltschaft erweitert. Im Zuge der Umsetzung des UN-Fakultativprotokolls zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Optional Protocol to the Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment — OPCAT) erhielt die Volksanwaltschaft auch das verfassungsgesetzliche Mandat zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte. Ihre Aufgabe ist damit die präventive Menschenrechtskontrolle in Einrichtungen, in denen es zum Entzug oder zur Einschränkung der persönlichen Freiheit kommen kann, etwa in Justizanstalten oder Pflegeheimen.

In seiner Videogrußbotschaft betonte Bundespräsident Alexander Van der Bellen, dass Menschenrechte einen "unsichtbaren Schutzschild" gegen Folter, Erniedrigung und ungerechte Behandlung für alle Menschen darstellten. Er dankte der Volksanwaltschaft für ihr Engagement, diesen Schutzschild intakt zu halten.

Rosenkranz: Volksanwaltschaft soll auch Diskursforum für Weiterentwicklung der Menschenrechte sein

Der Vorsitzende der Volksanwaltschaft Walter Rosenkranz eröffnete die Enquete mit einem Rückblick auf die Geschichte der Volksanwaltschaft. Seit nunmehr zehn Jahre sei bei ihr der Menschenrechtsbeirat (MBR) angesiedelt, wodurch sie im Rahmen des nationalen Präventionsmechanismus hauptverantwortlich für den vorbeugenden Schutz der Menschenrechte sei. Ursprünglich sei der Menschenrechtsbeirat dem Innenministerium angegliedert gewesen, was seinen Tätigkeiten nicht völlig gerecht wurde, die sich in die unterschiedlichsten Bereiche erstrecken. Die Allgemeinheit sei sich oft nicht bewusst, wie vielfältig der Bereich sei, in denen menschenrechtliche Fragen auftauchen können. Rosenkranz nannte beispielhaft den Pflegebereich, in dem die Volksanwaltschaft schon für viele Verbesserungen gesorgt habe. Erfreulich sei, dass die durchschnittlich 450 Besuche der Kommissionen pro Jahr nicht nur als Kontrolle wahrgenommen würden, sondern vor allem als wertvolle Anregung für Weiterentwicklungen.

Die Menschenrechte würden sich auch kontinuierlich fortentwickeln, erklärte Rosenkranz und verwies auf die erste Menschenrechtserklärung 1789, die Frauen, Kinder und afrikanische Sklaven noch nicht umfasst habe. Im Sinne der Weiterentwicklung des Menschenrechtsbegriffs müsse die Volksanwaltschaft heute ein Ort des Diskurses sein. Mit Fug und Recht könne man jedoch sagen, dass sie sich bereits zum "Haus der Menschenrechte der Republik" entwickelt habe, betonte Rosenkranz.

Murschetz: Österreich als Role Model beim nationalen Präventionsmechanismus

Verena Murschetz, Leiterin der Kommission 1 der Volksanwaltschaft, bezeichnete Österreich als "Role Model", was den nationalen Präventionsmechanismus betreffe. Die hohe Anzahl der Kommissionsmitglieder erlaube es der Volksanwaltschaft, auch Orte des potenziellen Freiheitsentzuges wie Pflege- und Betreuungseinrichtungen zu besuchen, wobei der Großteil dieser Besuche unangekündigt erfolge. Dabei formulierten die Kommissionen auch konkrete Empfehlungen zur Beseitigung der festgestellten Defizite. Dadurch habe die Volksanwaltschaft bereits zahlreiche Verbesserungen erzielt, wie die Abschaffung von Netzbetten in Psychiatrien, vermehrte Besuchsmöglichkeiten in Justizanstalten oder die Schließung desaströser Betreuungseinrichtungen. Insbesondere im Sozial- und Justizbereich habe man sich Respekt verschaffen können, so Murschetz — nicht im Sinne eines gefürchteten Kontrollorgans, sondern vor allem als Expertenteam, bei dem sich die Reflexion der geäußerten Empfehlungen lohne.

Chris Field würdigt Österreichs Vorreiterrolle beim Schutz der Menschenrechte

Der Präsident des International Ombudsman Institute (IOI) Chris Field betonte, dass Österreich stolz sein könne, eine Vorreiterrolle beim Schutz der Menschenrechte einzunehmen. Bei der Erarbeitung des UN-Protokolls OPCAT habe österreichische Expertise einen wichtigen Beitrag geleistet. Unter Berufung auf Immanuel Kant erklärte er, dass jeder Mensch als Selbstzweck verstanden werden müsse und für keinen externen Zweck von Institutionen instrumentalisiert werden dürfe. Nichts rechtfertige eine Verletzung von Menschenrechten und der angeborenen Würde jedes Einzelnen. Besonderer Schutz müsse vulnerablen und marginalisierten Gruppen zuteilwerden, wofür es erforderlich sei, moralische Standfestigkeit, Voraussicht und Engagement zu verbinden. Field gratulierte der Volksanwaltschaft, die für ihre Arbeit auch international hohes Ansehen genieße.

Kicker: Präventive Standards für neu entstehende Möglichkeiten von Menschenrechtsverletzungen notwendig

Es bedeute einen Meilenstein im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz, dass in Österreich seit zehn Jahren proaktiv bedenkliche Menschenrechtssituationen aufgezeigt und verhindert würden, erklärte die Vorsitzende des Menschenrechtsbeirats Renate Kicker. Sie sprach über die juristische Stellung des Beirats, dessen personelle Zusammensetzung aus Vertreter:innen verschiedenster Gebiete ausschlaggebend für die Qualität der zahlreichen, auch veröffentlichten Stellungnahmen sei. Die Monitoring-Tätigkeit erstrecke sich über viele Bereiche, unter anderem den polizeilichen, wo die Expertise des Menschenrechtsbeirates beispielsweise in den Umgang mit Demonstrant:innen einfloss.

Österreich brauche präventive Standards für immer wieder neu entstehende Möglichkeiten für Menschenrechtsverletzungen, wie Kicker ausführte. In Zukunft müsse es auch Ursachenforschung geben, was den Mangel an Umsetzungen der Vorschläge betreffe. Auch engere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sei anzustreben.

Ausbildung für Polizei, Justizwache und Pflegeberufe legt Grundstein für gute Zusammenarbeit mit Volksanwaltschaft

In einer Gesprächsrunde unterhielten sich die Volksanwälte Walter Rosenkranz, Werner Amon und Bernhard Achitz mit jungen Fachkräften die derzeit an Schulen für die Justizwache und Polizei sowie für Krankenpflegepersonal ausgebildet werden bzw. die ihre Ausbildung vor Kurzem abgeschlossen haben. Übereinstimmend berichteten sie, dass die Sensibilisierung für Menschenrechte Teil des Lehrplans sei, etwa im Rahmen des Ethikunterrichts. Auch der Kontakt mit den Kommissionen der Volksanwaltschaft werde bereits während der Ausbildung hergestellt. Dadurch werde Bewusstsein dafür geschaffen, dass die Volksanwaltschaft ihre Kontrolltätigkeit in erster Linie wahrnimmt, um Verbesserungen anzustoßen, so der Tenor der Statements.

Für die Polizei ist eine der großen Herausforderungen, ihre Tätigkeit ohne Ansehen der Person auszuüben und etwa bei Personenkontrollen kein voreingenommenes "Profiling" zu betreiben. Die Justizwache steht vor dem Problem, dass viele Menschen Freiheitseinschränkungen sehr schwer verkraften, weshalb der Suizidprävention und der Verhinderung von Selbstschädigung hohes Augenmerk geschenkt wird. Volksanwalt Werner Amon wies darauf hin, dass der Maßnahmenvollzug auch eines der "Sorgenkinder" der Volksanwaltschaft sei.

Im Pflegebereich bestehe oft ein schmaler Grat zwischen notwendigen Präventionsmaßnahmen und nicht mehr gerechtfertigten Freiheitseinschränkungen. Ein nach wie vor bestehendes Problemfeld seien etwa medikamentöse Ruhigstellungen. Diese seien nicht immer vermeidbar, sondern zum Schutz von Patient:nnen medizinisch notwendig, etwa bei Intubationen. Das Hauptproblem für den Pflegebereich sei allerdings der Personalmangel. Die angekündigte Pflegereform zeige erste Schritte in die richtige Richtung, denen aber noch weitere folgen müssten. Volksanwalt Bernhard Achitz äußerte seine Überzeugung, dass die Zukunftsträger:innen der neuen Generation von Fachkräften in menschenrechtlich sensiblen Bereichen gut ausgebildet werden und somit Garant:innen für eine gute Zusammenarbeit mit der Volksanwaltschaft sind.

Die Frage der Menschenrechte in Zeiten des Krieges

In seinem Festvortrag ging Michael Lysander Fremuth, Wissenschaftlicher Direktor des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Grund- und Menschenrechte, auf aktuelle rechtswissenschaftliche Fragen zur Weiterentwicklung der Menschenrechte und ihrer Durchsetzbarkeit insbesondere in kriegerischen Konflikten ein. Der aktuelle bewaffnete Konflikt in der Ukraine bot ihm Anlass zu Überlegungen über das Spannungsverhältnis von humanitärem Völkerrecht und Menschenrechten. Er betonte, dass die früher verbreitete Auffassung, wonach das Völkerrecht in bewaffneten Konflikten die Geltung der Menschenrechte verdränge, nicht mehr geteilt werde. Kritisch äußerte sich Frehmut allerdings zu Vorstößen, neue Menschenrechte zu definieren, wie etwa ein "Recht auf Frieden" oder ein "Recht auf Entwicklung". Diese Vorstöße würden insbesondere von Russland und China unternommen. Dahinter stehe der Versuch, tendenziell individuelle Freiheitsrechte abzuwerten, gab der Rechtswissenschaftler zu bedenken.

Fremuth analysierte das Verhalten der Konfliktparteien Russland und Ukraine. Grundsätzlich habe Russland mit dem Angriff auf die Ukraine einen der schwersten Verstöße gegen das Völkerrecht begangen. Keiner der von Russland angeführten Gründe, wie historische Gebietsansprüche, eine unerwünschte Neuausrichtung der Ukraine Richtung NATO, nicht einmal die angebliche "Verhinderung eines Völkermords im Donbass" rechtfertige nach geltendem Völkerrecht einen Angriffskrieg, betonte der Experte. Zu verzeichnen sei auch eine Reihe von Verstößen gegen die Grundsätze des humanitären Völkerrechts, etwa beim Einsatz bestimmter geächteter Waffengattungen wie Cluster- und Phosphormunition. Russland verstoße auch gegen das Exzessverbot von militärischen Maßnahmen, das festlege, dass keine Schritte gesetzt werden dürfen, bei denen die Zivilbevölkerung überproportional zu Schaden kommt, etwa durch gezielte Angriffe auf zivile Einrichtungen, oder bei der Behandlung von Kriegsgefangenen, wenn diesen etwa Folter oder die Todesstrafe angedroht werde. In der Frage der Behandlung von russischen Kriegsgefangenen gebe es auch Vorwürfe gegen das ukrainische Militär, die bereits untersucht würden.

Die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention gehe über die Schutzbestimmungen des Völkerrechts hinaus. So gebe es erweiterte Aufklärungspflichten, die auch den Tod von Kombattanten umfasse. Betroffene können auch Anklage wegen der Verletzung individueller Schutzrechte während bewaffneter Konflikte erheben. Allerdings bestehe in der aktuellen Rechtsauslegung zur EMRK eine Lücke insofern, als ihre Geltung sich nicht auf Gebiete erstrecke, in denen noch um die Oberhoheit gekämpft werde. Nach Einstellung der Kampfhandlungen werde sie aber wieder eine Rolle spielen, unterstrich Fremuth.

Die Menschenrechtskontrolle der Volksanwaltschaft sei eine der Auswirkungen der Bemühungen, Menschenrechten zum Durchbruch zu verhelfen. Die österreichische Volksanwaltschaft nehme diese Aufgabe in vorbildlicher Weise wahr und erhalte dafür auch internationale Anerkennung. In einem Ausblick auf die Weiterentwicklung der Tätigkeit in der Umsetzung des OPCAT ortete Fremuth noch Potenzial bei einer Erweiterung des Mandats. Sie könne in Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen versucht werden, tiefere strukturelle Ursachen von Problemen, die die Volksanwaltschaft aufdecke, zu ergründen. Eine weitere Aufgabe sieht Fremuth in der Einbindung der Zivilgesellschaft in den Menschenrechtsbeirat, um diese möglichst in ihrer ganzen Bandbreite abzubilden. (Schluss) sox/wit

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