Menschenrechtsausschuss: Österreich soll Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine unterstützen
Anträge zu Menschenrechtsfragen der Opposition vertagt oder abgelehnt
Wien (PK) — Eine Entschließung von ÖVP und Grünen mit der Forderung nach einer raschen Aufklärung und Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fand heute die Zustimmung aller Parlamentsfraktionen im Menschenrechtsausschuss. Österreich soll sich demnach auf internationaler und europäischer Ebene dafür einsetzen, dass Beweise für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen systematisch ausgewertet und rasch Strafverfahren durchgeführt werden können.
Ein Antrag, in dem die NEOS auf das Problem der sexualisierten Gewalt als Teil der Kriegsführung der russischen Armee hinweisen, wurde von ÖVP und Grünen abgelehnt. Anträge der SPÖ und der FPÖ wurden vertagt. Die Freiheitlichen kritisieren mangelnde Transparenz bei der Finanzierung ausländischer Organisationen sowie eine zu langsame Umsetzung der GRECO-Empfehlungen zur Korruptionsbekämpfung. Die SPÖ fordert in drei Anträgen eine Neuausrichtung der österreichischen Außenpolitik.
Schallenberg: Österreich wird Beitrag zur Verfolgung mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine leisten
Auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit als besonders schwerwiegende Verstöße gegen das Völkerrecht in Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine weisen Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) und Gudrun Kugler (ÖVP) in einem gemeinsamen Entschließungsantrag hin. Österreich soll daher die Zusammenarbeit der diversen Akteur:innen auf internationaler und europäischer Ebene mit den zuständigen Stellen auf nationaler Ebene vorantreiben, damit Beweise systematisch ausgewertet werden können und eine zügige Durchführung von Strafverfahren ermöglicht wird (2601/A(E)).
Die Antragstellerinnen verweisen etwa auf den Expert:innenbericht der OSZE, wonach die OSZE-Mission in der Ukraine klare Muster von Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch russische Streitkräfte in der Kriegsführung gefunden habe. So gebe es Beobachtungen von Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung, Angriffen auf Schulen und Krankenhäuser und systematischen Vergewaltigungen. Aufgrund dieser mutmaßlichen Kriegsverbrechen gelte es, Beweise rasch, systematisch und effizient zu sammeln sowie unabhängige, internationale Untersuchungen einzuleiten, die zu einer objektiven Aufklärung der Geschehnisse beitragen, so die Forderung.
Laut ukrainischer Generalstaatsanwältin gebe es in etwa 15.000 Fällen mutmaßliche Kriegsverbrechen, darunter Luftangriffe auf zivile Personen und die Geburtsklinik in Mariupol, Massenvergewaltigungen und die Erhängung von Frauen, sagte Kugler (ÖVP). Das Instrument des Internationalen Strafgerichtshofs, Individuen bei Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht zur Verantwortung zu ziehen, sei gerade im Fall der Ukraine zu verwenden. Der Antrag ziele auf eine klare Haltung Österreichs zur Einhaltung des Völkerrechts und eine Stärkung der internationalen Strafgerichtsbarkeit ab, ergänzte Ernst-Dziedzic (Grüne).
FPÖ-Abgeordneter Martin Graf sprach von einem ausgewogenen Antrag, zumal es darin aus seiner Sicht um die Ahndung sämtlicher Menschenrechtsverletzungen in Form von Kriegsverbrechen, egal auf welcher Seite diese passieren, gehe.
Um die Aufklärung der in der Ukraine mutmaßlich begangenen Kriegsverbrechen voranzutreiben, unterstütze Österreich den Internationalen Strafgerichtshof mit einem Experten und stelle 100.000 € zur Verfügung, informierte Außenminister Alexander Schallenberg auf Nachfrage von Petra Bayr (SPÖ) und Nikolaus Scherak (NEOS). Das Datenmaterial, das der Gerichtshof zu bearbeiten habe, werde immer umfangreicher. Er gehe davon aus, dass es mehrere Haftbefehle gegen russische Akteur:innen geben werde.
Hinsichtlich eines zur Diskussion stehenden EU-Beitrittskandidatenstatus der Ukraine sagte Schallenberg, das Österreich einen realistischen Zugang vertrete. Nur ein Türschild mit der Aufschrift "Beitrittskandidat" zu vergeben, wäre Symbolpolitik und würde Erwartungshaltungen erzeugen, die nicht erfüllt werden könnten. Die Aufgabe sei es, eine tatsächliche Anbindung der Ukraine in das europäische Wirtschafts- und Lebenssystem zu gestalten. Aufgeworfen wurde das Thema von Nikolaus Scherak (NEOS), der für eine "mutigere Position" vonseiten Österreichs plädierte.
NEOS prangern Menschenrechtsverletzungen durch sexualisierte Gewalt in der Ukraine an und erhalten Ablehnung
NEOS-Abgeordnete Henrike Brandstötter weist in einem Entschließungsantrag ihrer Fraktion zur Menschenrechtslage in der Ukraine auf schockierende Fälle von sexualisierter Gewalt und Vergewaltigungen hin, für die russische Soldaten verantwortlich seien. Bereits im Tschetschenienkrieg und bei der Annexion der Krim habe die russische Armee bewiesen, dass sexualisierte Gewalt zu ihrem Kriegsrepertoire zähle. Die internationale Staatengemeinschaft dürfe hier nicht einfach zusehen, sind die NEOS überzeugt. Sie verweisen darauf, dass die Direktorin von UN Women bereits Mitte April eine Untersuchung der Vorkommnisse gefordert habe. Der Außenminister müsse die von der russischen Armee in der Ukraine verübte sexualisierte Gewalt aufs Schärfste verurteilen, sich auf internationaler Ebene für eine Fact-Finding-Mission einsetzen und damit zur Dokumentation und Verurteilung dieser Kriegsverbrechen beitragen (2446/A(E)).
Mit Verweisen auf bereits bestehende Fact-Finding-Missions in der Ukraine, möglichen Retraumatisierungen bei zusätzlichen Einsätzen und das bestehende Engagement Österreichs zur Strafverfolgung wurde der Entschließungsantrag der NEOS von ÖVP und Grünen abgelehnt. Dass sexualisierte Gewalt im Zuge des Ukraine-Krieges aufs Schärfste verurteilt werde, stehe außer Diskussion, sagte Meri Disoski (Grüne).
Europarat: Österreichs Beitrag wird angehoben
In einem weiteren Entschließungsantrag setzt sich die SPÖ für die Freilassung des türkischen Menschenrechtsaktivisten Osman Kavala ein, der sich seit 2017 ohne Verurteilung in Untersuchungshaft befunden hatte und vor wenigen Tagen wegen des Vorwurfs des versuchten Regierungsumsturzes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Österreich soll sich zudem für die Einhaltung der Menschenrechte und den Schutz des Rechtsstaates gegenüber der Türkei sowie für eine Stärkung des Europarates einsetzen, heißt es in dem Antrag (2307/A(E)).
SPÖ-Abgeordnete Petra Bayr (SPÖ) wies in diesem Zusammenhang zudem auf die schwierige finanzielle Situation des Europarats durch den Ausstieg Russlands an. Es werde eine nicht unwesentliche Erhöhung des österreichischen Beitrags geben, kündigte Schallenberg an, um mit anderen Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden die 10% des Finanzierungsbeitrags Russlands auszugleichen.
Mit dem Argument von laufenden Verfahren im Europarat und die Forderungen Österreichs auf die Freilassung von politisch Inhaftierten in der Türkei bei "jeder Möglichkeit", wie Martin Engelbert (ÖVP) sagte, wurde der Antrag von ÖVP und Grünen vertagt.
FPÖ fordert Transparenz bei Finanzierung ausländischer Organisationen
Einen jährlichen Bericht über sämtliche Geldflüsse der Republik an internationale Organisationen bzw. NGOs und wie Vertreter:innen der Republik im Rahmen dieser Organisationen tätig sind, fordert die FPÖ mittels Entschließungsantrag (2497/A(E)), der vertagt wurde. Auf internationaler Ebene seien viele global tätige Stiftungen, NGOs und Unternehmen aktiv, die politische Ziele mit beträchtlichen Mitteln und beeindruckendem Fachwissen verfolgten. Organisationen der Vereinten Nationen würden aber zunehmend von privaten Mitteln finanziert und damit auch abhängig werden, so FPÖ-Abgeordneter Alois Kainz. Problematisch sehen es die Freiheitlichen, wenn nicht sichergestellt ist, dass in diesen Organisationen Entscheidungen unabhängig, transparent und demokratisch getroffen werden. Insbesondere im Fall von NGOs gebe es vonseiten des Außenministeriums keine Transparenz, kritisierte Martin Graf (FPÖ).
Der Antrag strotze vor Verschwörungstheorien, sagte Martin Engelberg (ÖVP) zum Vorstoß der Freiheitlichen. Die Finanzierung von internationalen Organisationen habe keinen Einfluss auf ihre Beschlussfassung, zumal diese nur durch die stimmberechtigten Mitgliedsstaaten erfolge.
Opposition sieht Regierung bei Umsetzung der GRECO-Empfehlungen säumig
In einem Entschließungsantrag, der in die Warteschleife geschickt wurde, attestiert die FPÖ der Regierung einen Reformstau, wenn es um Korruptionsbekämpfung geht. Konkret sei die Koalition bei der Umsetzung der Empfehlungen der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (GRECO) säumig. In ihrem letzten interimistischen Umsetzungsbericht komme GRECO zum Schluss, dass Österreich bisher drei der 19 Empfehlungen zufriedenstellend und neun Empfehlungen nur teilweise umgesetzt habe. In sieben Fällen seien die Empfehlungen überhaupt nicht umgesetzt worden. Auch vor dem Hintergrund von strafrechtlichen Verfahren in Zusammenhang mit der ÖVP sei die Umsetzung der Empfehlungen von GRECO zur Korruptionsprävention zu beschleunigen (2584/A(E)).
Nikolaus Scherak (NEOS) teilte die Sorge der FPÖ grundsätzlich und vermisste etwa die von der Justizministerin angekündigten Änderungen im Korruptionsstrafrecht. Dem entgegnete Meri Disoski (Grüne), dass die GRECO-Empfehlungen im Justizministerium zu 75% umgesetzt worden seien und sich zwei noch in Begutachtung befänden. Es werde im Ressort kontinuierlich an der Umsetzung gearbeitet.
Die Vorwürfe nicht nachvollziehen konnte zudem Gudrun Kugler (ÖVP). Was von der FPÖ im Entschließungsantrag geforderte werde, werde auch gemacht. Für die anstehende Evaluierungsrunde in diesem Jahr existiere volle Kooperation.
SPÖ will konsequentes Eintreten für Menschenrechte in der Außenpolitik
Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg hätten weltweit die verschlechternde Lage der allgemeinen Situation der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit weiter verschärft, stellt SPÖ-Abgeordneter Harald Troch in einem weiteren Entschließungsantrag seiner Fraktion fest. Die SPÖ trete daher für die Schaffung eines österreichischen Botschafters für Menschenrechte ein (2432/A(E)). Bereits zehn EU-Mitgliedsländer, darunter Schweden, Frankreich und Deutschland, hätten einen Menschenrechtsbotschafter. Österreich sollte als Hüterin der Menschenrechte und anderer fundamentalter Freiheiten aus Sicht der SPÖ verstärktes Engagement zur internationalen Legitimation und Umsetzung der Menschenrechte zeigen. Diese Position könnte über Jahrzehnte mit hoher Expertise ausgeführt werden, räumte Troch des Weiteren ein.
Die Vertagung der Koalition begründete Kira Grünberg (ÖVP) mit dem bereits existierenden Einsatz Österreichs zum Schutz der Menschenrechte im Ausland. Auch die Botschaften hätten diese Aufgabe, demnach gebe es viele österreichische Menschenrechtsbotschafter:innen. Die Ernennung eines Sonderbotschafters für Menschenrechte sei in der Vergangenheit zudem geprüft worden und sei dienstrechtlich nicht umsetzbar.
Harald Troch (SPÖ) entgegnete, dass bilaterale Botschaften anderwärtige Aufgaben hätten und dabei ein gutes Verhältnis mit dem Gastland gesucht werde. Ein Menschenrechtsbotschafter könnte sich im Gegensatz dazu auch in Konflikten positionieren.
Laut SPÖ-Abgeordneter Petra Bayr hat die österreichische Außen- und Europapolitik in den letzten Jahren zudem an Ansehen und Konturen verloren. Schuld seien ein Kurs, der ausschließlich die österreichischen Interessen mit Blick auf die innenpolitische Agenda vertrete, außenpolitische Fehlentscheidungen wie die Weigerung, Abkommen der Vereinten Nationen zu ratifizieren, sowie abwertende Beurteilungen über südliche EU-Mitgliedsstaaten oder die enge Zusammenarbeit mit den Visegrad-Staaten. Österreich habe in der Vergangenheit eine wichtige Rolle als Vermittler und verlässlicher Partner eingenommen. Nun sei es höchst an der Zeit, der Außenpolitik wieder verlässliche Werte wie Menschenrechte, die Förderung demokratischer und rechtstaatlicher Strukturen, das konsequente Eintreten für Frieden und den Schutz der Umwelt zugrunde zu legen (2327/A(E)). Auch dieser Oppositionsantrag wurde vertagt. (Fortsetzung Menschenrechtsausschuss) keg/sox
Links
- 2601/A(E) - Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in der Ukraine und individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit
- 2446/A(E) - Sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung als Kriegswaffe in der Ukraine
- 2497/A(E) - fehlende Transparenz bei der Finanzierung internationaler Organisationen
- 2584/A(E) - Korruptionsprävention – die Bundesregierung muss endlich handeln!
- 1/A-ME - Ausschuss für Menschenrechte
- 2307/A(E) - konsequentes Eintreten für Menschenrechte im Europarat
- 2432/A(E) - Schaffung der Position eines Botschafters für Menschenrechte
- 2327/A(E) - eine werteorientierte und interessengeleitete Außenpolitik