Parlamentskorrespondenz Nr. 983 vom 21.09.2022

Russland-Sanktionen: Breite Mehrheit im Nationalrat unterstreicht deren Notwendigkeit, FPÖ warnt vor negativen Folgen

Heftige Debatte auch über Asylpolitik

Wien (PK) – Sind die Russland-Sanktionen alternativlos, um einen Aggressor und Diktator in die Knie zu zwingen, oder stellen sie eine Eskalationsspirale dar, die Österreich und Europa wirtschaftlich und sozial enorm schadet? Was tun gegen die stark steigenden Asylanträge in Österreich? Eine Festung Europa oder zumindest eine Festung Österreich aufbauen oder ein gemeinsames europäisches Asylsystem aufbauen mit der Möglichkeit einer geregelten Zuwanderung? Diese Fragen beherrschten heute im Nationalrat die Aktuelle Europastunde, die auf Verlangen der FPÖ unter dem Titel "Wohlstand und Sicherheit für Österreich statt EU-Sanktionen und Masseneinwanderung" stand.

Die Freiheitlichen warfen der Regierung vor, nichts gegen die stark steigenden Grenzübertritte von Asylsuchenden und Migrant:innen zu tun und damit die Sicherheit für die österreichische Bevölkerung zu gefährden. Zudem warnten sie vor einer Wirtschaftskatastrophe infolge der Sanktionspolitik gegenüber Russland. Dem widersprachen die anderen Parteien heftig. Sie bezichtigten die Freiheitlichen, die Gesellschaft spalten zu wollen und zu verunsichern und das Narrativ russischer Propaganda zu verbreiten.

Die Sozialdemokrat:innen übten jedoch auch harsche Kritik an den in ihren Augen unzureichenden und zu spät kommenden Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung. Sie forderten, in den nicht mehr funktionierenden Markt staatlich einzugreifen. Die NEOS beschworen, den gemeinsamen europäischen Pfad nicht zu verlassen und dem russischen Diktator die Stirn zu bieten. Dessen Imperialismus und Nationalismus mit Bruch des Völkerrechts dürfe kein Modell werden, so der Tenor der NEOS.

Auch ÖVP und Grüne unterstrichen, dass die Sanktionen wirken und die russische Wirtschaft stark schwächen. Sie räumten ein, dass die nächsten Monate nicht leicht würden, verwiesen aber auf die zahlreichen Maßnahmen zur Milderung der Preissteigerungen. Was die gestiegenen Asylanträge betrifft, so erinnerten die ÖVP-Redner an eine erfolgreiche Kooperation mit Ungarn, die dazu geführt habe, dass heuer bereits mehr als 390 Schlepper aufgegriffen werden konnten. Die Grünen sprachen sich mit Nachdruck für eine gemeinsame, auf Menschenrechten basierende EU-Asyl- und Migrationspolitik aus.

Edtstadler warnt eindringlich davor, Russland-Sanktionen aufzuheben

Die Sanktionen seien alternativlos und wirken, verteidigte auch Europa- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler die Regierungspolitik. Die russische Wirtschaft breche ein, während man in der EU noch immer ein Wachstum zu verzeichnen habe, so die Ministerin, auch wenn sie einräumte, dass die Auswirkungen des Krieges und der Sanktionen spürbar seien. Die Sanktionen würden ständig evaluiert, ob sie auch wirken, versicherte sie.

Würden Österreich und Europa aufgeben, dann habe man nichts erreicht, betonte Edtstadler. Es gehe um Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Frieden, Menschenrechte und Wohlstand, und dafür brauche es klare Regeln sowie ein Commitment, diese auch einzuhalten. Österreich stehe für eine regelbasierte Weltordnung und nicht für eine Welt, wo Raketen und Panzer Fakten schaffen. Sollen wir zusehen, wie das Völkerrecht gebrochen wird, und wollen wir unsere Augen vor Kriegsverbrechen schließen, fragte sie in Richtung FPÖ und stellte fest, Putins Treiben sei eiskalt und brutal, sein Vorgehen sei ein Angriff auf europäische Werte. Die Ministerin warnte eindringlich davor, den Sanktionspfad zu verlassen, denn das wäre ein verheerendes Signal, dass Putin weiterhin ohne Konsequenzen Gewalt einsetzen und uns unter Druck setzen kann. Das aber würde unsere Sicherheit und Stabilität gefährden. Sie bezweifelte auch, dass Putin ohne Sanktionen seinen Wirtschaftskrieg beenden würde. In diesem Zusammenhang warf sie der FPÖ Wunschdenken vor. Sie appellierte an die Gemeinschaft in der EU und in Österreich und warb dafür, über den parteipolitischen Schatten zu springen.

FPÖ: Sanktionen bewirken Eskalationsspirale

Die Freiheitlichen sehen die Situation völlig anders. FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl sprach von einer Eskalationsspirale, an deren Ende eine Wirtschaftskatastrophe stehe. Die Wahrheit sei, dass man noch lange nicht auf russisches Öl und Gas verzichten könne. Er kritisierte die Energiepolitik der Regierung scharf und nannte den propagierten Umstellungsprozess ein Wunschdenken, das die Bevölkerung hart treffen werde. Die Regierung verkaufe die eigene Bevölkerung im Namen irgendwelcher Scheinwerte, sagte Kickl.

In das gleiche Horn stießen Europaabgeordneter Harald Vilimsky (FPÖ) sowie Hannes Amesbauer (FPÖ) und Petra Steger (FPÖ). Nach dem "Lockdown-Wahnsinn" komme nun der "Sanktionen-Wahnsinn", sagte Vilimsky und stellte in Abrede, dass Europa Sicherheit und Wohlstand garantiere. Österreich hätte ihm zufolge seinen Neutralitätsstatus für Friedensgespräche nützen sollen. Steger meinte, Österreich trete die Neutralität mit Füßen. Amesbauer bezichtigte die EU im Hinblick auf den Konflikt zwischen Armenien und Aserbeidschan einer Doppelmoral, da es seitens der Union kein klares Wort zur Verurteilung aserbeidschanischer Kriegsverbrechen gebe, weil man von dort Gas einkaufe. Steger wiederum sprach von einer "EU-Hörigkeit" Österreichs. Mit der Sanktionspolitik fahre man das eigene Land und die Union an die Wand, befürchtet sie. 

Scharfe Worte fanden die Freiheitlichen auch zur Asylpolitik. Gut zwei Drittel der Anträge dürften laut Dubliner-Abkommen nicht angenommen werden, unterstrichen Vilimsky und Amesbauer. Das Problem sei der EU-Beitrittskandidat Serbien und mit dem müsste man klar reden. Steger rief einmal mehr nach einer Festung Europa, zumindest aber nach einer Festung Österreich. Angesichts der steigenden Zahlen an Asylanträgen, die heuer schon die 70.000-Marke erreicht haben, forderte Kickl, keine Asylanträge mehr anzunehmen. Die EU sei nicht in der Lage, etwas zu ändern. Er kündigte auch einen Antrag an, in dem die FPÖ fordert, den Klimabonus nicht an Häftlinge und Asylwerber:innen auszuzahlen.

SPÖ fordert Markteingriffe

Die SPÖ-Redner:innen konzentrierten sich in ihren Wortmeldungen auf die Folgen der hohen Inflation und ihre Kritik an der heimischen Politik. Julia Elisabeth Herr (SPÖ) griff das Beispiel Deutschland und Frankreich heraus, wo die Maßnahmen bereits zu einem stärkeren Preisrückgang geführt hätten. Sie prangerte vor allem an, dass es in der aktuellen Krise, aber teilweise auch wegen dieser, Profiteure gebe, und das dürfe nicht sein. Sie ortete ein massives Marktversagen und forderte mit Nachdruck, endlich in den Markt einzugreifen und die Preise zu senken. Vor allem müsse der private Handel mit Gas ausgesetzt werden. Zudem sprach sie sich dafür aus, Übergewinne abzuschöpfen und die Energiepreise in den Griff zu bekommen, da sie die Inflation antreiben. In gleicher Weise argumentierte auch Reinhold Einwallner (SPÖ). In seinen Augen hat die Bundesregierung auf die Teuerung viel zu spät und unzureichend reagiert. Er unterstützte die Sanktionspolitik der Regierung und hält es für einen Irrglauben zu meinen, eine Abschaffung der Sanktionen würde die Lage verbessern.

Europaabgeordneter Günther Sidl (SPÖ) rief zu einer verantwortungsvollen Politik auf, die auch Zukunftschancen aufzeigt. Derzeit sei ein Großteil der Produktion außerhalb Europas angesiedelt und man sei abhängig vom Import fossiler Brennstoffe. Sidl forderte eine Reindustrialisierung Europas und mehr Forschungsinvestitionen, ein Lieferkettengesetz und den Ausbau erneuerbarer Energien. Die EU müsse sich zu einer Sozialunion entwickeln. In ganz Europa müsse es zu einem Vorsorgedenken kommen, die Daseinsvorsorge müsse die Energieversorgung miteinschließen, sagte Sidl.

Was die Migrationspolitik betrifft, so warf Einwallner der ÖVP vor, seit 20 Jahren auf dem Posten des Innenministers versagt zu haben. Es gebe kein Grenzmanagement, so sein Resümee.

NEOS: Es geht um die fundamentalen Prinzipien friedlichen Zusammenlebens

NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger hielt den Freiheitlichen vor, sich Putin zu unterwerfen und dessen willfähriger Propagandagehilfe zu sein. Sie appellierte an die Geschlossenheit gegen den Aggressor und unterstützte die Sanktionen gegen Russland. Es gehe um die fundamentalen Prinzipien friedlichen Zusammenlebens und des europäischen Lebensmodells. Es gehe darum, Putin zu stoppen. Imperialismus dürfe kein Modell werden. Angesichts des ungeheuren Rechtsbruchs durch Putin könne es keine Neutralität geben. "Machen wir uns nicht kleiner als wir sind", sagte Meinl-Reisinger. Wie ihr Klubkollege Nikolaus Scherak (NEOS) zeigte auch sie sich überzeugt davon, dass eine konsequente Politik imperialistische Vernichtungskriege verhindern könne. Sanktionen seien die einzige Möglichkeit, den Aggressor in die Knie zu zwingen, sagte Scherak, der sich vorstellen kann, diese auch auszuweiten. Er rief zudem  dazu auf, die russische Opposition tatkräftig zu unterstützen.

Ähnlich auch die Stellungnahme der Europaabgeordneten Claudia Gamon (NEOS). Wer gegen die Sanktionen ist, ist gegen die Freiheit und begibt sich in die Abhängigkeit Putins, warnte sie. Russland sei ein Terrorstaat, so Gamon, alle Putin-Versteher seien schuld an der Krise, in der wir uns heute befinden, man müsse dem Diktator die Stirn bieten. Sie rief zum Zusammenhalt auf und forderte, die Ukraine noch mehr zu unterstützen. 

ÖVP: Sanktionen sind notwendig, müssen aber ständig geprüft werden

Seitens der ÖVP bekräftigte Reinhold Lopatka (ÖVP) die Unterstützung der Sanktionspolitik und unterstrich die Geschlossenheit Europas. Putin habe die Lage falsch eingeschätzt und die NATO gestärkt, sagte Lopatka.

Lopatkas Ansicht nach betreibt die FPÖ eine "schamlose Verunsicherung" der Bevölkerung. "Mit Ängsten spielt man nicht", betonte er und erinnerte wie auch Europaabgeordneter Alexander Bernhuber (ÖVP) an die zahlreichen Maßnahmen der Bundesregierung zur Milderung der Folgen steigender Inflation. Die Entlastung in Österreich sei pro Kopf sieben Mal so hoch wie in Deutschland, rechnete er vor. Man sei auch bei der Energiewende auf gutem Weg. Christian Stocker (ÖVP) wies darauf hin, dass Gas, Getreide und Düngemittel nicht von den Sanktionen betroffen sind. Alle drei ÖVP-Mandatare unterstrichen gleichzeitig die Notwendigkeit, die Sanktionen auf deren Wirksamkeit ständig zu überprüfen.

Auch Lopatka gab zu bedenken, dass die nächsten Monate nicht leicht würden, aber Sanktionen seien der einzige Weg, wenn Putin das Völkerrecht bricht. In der Hoffnung, dass man wieder einmal Verhandlungen führen könne, sprach sich Lopatka dafür aus, Kanäle offen lassen.

Stocker ging auch auf die Migrations- und Asylfrage ein und vermisste konkrete Lösungsvorschläge seitens der FPÖ. Er verhehlte nicht, dass man derzeit in diesem Bereich ein Problem habe und nannte vor allem auch das Schlepperwesen aus Serbien und die dortige Visafreiheit für Menschen aus Indien, Pakistan, Tunesien und Bangladesch .  

Grüne: Es zählt das Völkerrecht und nicht das Recht des Stärkeren

Auch die Grünen verteidigten die Sanktionspolitik gegenüber Russland als notwendige Maßnahme gegenüber einem Aggressor. Man dürfe nicht zulassen, dass ein diktatorisches Regime Europa mit Krieg und Kriegsverbrechen überzieht, betonte Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) auch mit Hinweis auf den heutigen Weltfriedenstag. Putin baue Russland auf Nationalismus und Militarismus auf. Die Grünen seien für ein Europa, wo das Völkerrecht zählt und nicht das Recht des Stärkeren.

Die Sanktionen wirken, rechnete auch Michel Reimon (Grüne) anhand einiger Beispiele für die sinkende Wirtschaftskraft Russlands vor. Er griff die Freiheitlichen scharf an und bezichtigte sie als Handlanger Putins, Vertreter einer ausländischen Nation, die die Republik an einen Autokraten und Diktator verkaufe. Reimon erinnerte auch an den jahrelangen Freundschaftsvertrag der FPÖ mit Putins Partei. Kickls Vorgehen im ehemaligen BVT habe auch dazu geführt, dass Österreich nun von ausländischen Geheimdienstinformationen abgeschottet ist, so Reimon. Die Sanktionen seien eine richtige, vernünftige und angemessene demokratische Antwort, ist auch Europaabgeordnete Monika Vana (Grüne) überzeugt. Sie seien auch ein Selbstschutz im Interesse einer Entflechtung mit einem Land, das andere zu erpressen versucht, sagte Ernst-Dziedzic.

Die Grünen Mandatar:innen sehen die Inflation als eine Folge der weltweit gestiegenen Energiekosten und der unterbrochenen Lieferketten aufgrund der Pandemie. Der Krieg habe die Entwicklung nun befeuert, so Ernst-Dziedzic und Vana.

Vana thematisierte als Europaabgeordnete auch die Migrationsfrage und sprach sich für eine menschenrechtsbasierte gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik mit geregelten Zuwanderungsmöglichkeiten aus. Es müsse Lösungen geben, die rechtsstaatlichen Normen und europäischen Werten entsprechen. (Schluss Aktuelle Europastunde/Fortsetzung Nationalrat) jan

HINWEIS: Sitzungen des Nationalrats und des Bundesrats können auch via Livestream mitverfolgt werden und sind als Video-on-Demand in der Mediathek des Parlaments verfügbar.