Parlamentskorrespondenz Nr. 1180 vom 20.10.2022

Nehammer regt Gaspreis-Modell nach iberischem Vorbild an

EU-Hauptausschuss berät im Vorfeld des EU-Gipfels

Wien (PK) – Unmittelbar bevor der Europäische Rat über die Ukraine, Energie, wirtschaftliche Aspekte und die EU-Außenbeziehungen beraten wird, nahm Bundeskanzler Karl Nehammer dazu heute im EU-Hauptausschuss des Nationalrats Stellung. Er sprach sich hinsichtlich Gaspreisdeckel für das "iberische Modell" aus und verurteilte die russische Invasion in die Ukraine als "Staatsterrorismus". Die Verleihung des EU-Beitrittskandidatenstatus an Bosnien Herzegowina sieht er positiv.

Energiekrise: Vorerst kein Gaspreisdeckel

Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten wünsche sich hinsichtlich der Energiekrise ein Modell, das Gas- und Strompreis voneinander entkoppelt, so Bundeskanzler Karl Nehammer. Bislang sei dies aber nicht erfolgt und so sieht er Potenzial im "iberischen Modell", wonach die Staaten den Gaseinkauf für Kraftwerke subventionieren. Es beinhalte einen Finanzierungsanteil und könnte einen Hebel darstellen, die Inflation zu senken. Deutschland würde dabei allerdings bremsen. Bei Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werde er sich persönlich dafür einsetzen. Bei dem von der Kommission vorgelegten Preiskorrekturmechanismus laufe man seiner Meinung nach Gefahr einer Angebotsverknappung am internationalen Gasmarkt.

SPÖ-Abgeordneter Jörg Leichtfried (SPÖ) hatte sich für vorübergehende europaweite geschützte Höchstpreise eingesetzt und zugleich einen koordinierten europäischen Gaseinkauf vorgeschlagen, sodass die Weitergabe zu einem garantierten Preis von 50 € pro Megawattstunde ermöglicht wird. Der gemeinsame Einkauf und Subventionen würden dazu führen, dass der Gaspreis zu ruhen kommt, meinte er. Der Antrag auf Stellungnahme blieb allerdings ebenso in der Minderheit wie jener von FPÖ-Mandatar Axel Kassegger zur Beendigung des "EU-Sanktionsregimes" gegen Russland.

Lukas Hammer (Grüne) und Maria Theresia Niss (ÖVP) befürworteten das österreichische Vorgehen und sprachen sich dafür aus, beim gemeinsamen europäischen Gaseinkauf in die Gänge zu kommen.

Situation in der Ukraine

Zur Invasion der russischen Föderation in die Ukraine sei Österreichs Haltung wie auch die der EU-Mitgliedstaaten sehr klar, bekräftigte Nehammer. Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur seien in seinen Augen "Staatsterrorismus". Für die notwendige Liquidität der Ukraine wurden bislang EU-Unterstützungsleistungen in der Höhe von 6 Mrd. € getätigt, Österreich beteilige sich auch bei der Schutzgewährung von Vertrieben, führte er aus.

Petra Steger (FPÖ) zeigte sich besorgt, dass ganz Europa durch eine "Eskalationsspirale" in den Krieg hineingezogen werden könnte und beantragte mehrere Maßnahmen unter dem Titel "Aktive Friedens- und Neutralitätspolitik statt Kriegstreiberei". Vorgeschlagen wurde, Zahlungen an die Europäische Friedensfazilität wie auch Militärtransporte durch Österreich zu stoppen und sich für den Erhalt des Einstimmigkeitsprinzip der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) einzusetzen. Der Antrag auf Stellungnahme wurde vor seiner Ablehnung kritisch diskutiert.

Die Frage der Neutralität sei zwar so auszulegen, sich nicht an Waffenlieferungen zu beteiligen, sagte Michel Reimon (Grüne), ansonsten sei es aber eine Sicherheitsfrage für Österreich, sich an den europäischen Maßnahmen zu beteiligen. Auch Christoph Matznetter (SPÖ) konnte dem Antrag wenig abgewinnen, stellte die Frage der Einstimmigkeitspolitik in der GASP jedoch zur Diskussion. Die EU würde dadurch gehindert, zu Lösungen zu kommen, meinte er. Für den Bundeskanzler ist das Einstimmigkeitsprinzip aus Perspektive eines mittelgroßen Landes in Europa derzeit unverzichtbar.

Martin Engelberg (ÖVP) bezeichnete die FPÖ-Initiative als widersinnig und "verbale Brandstiftung", auch Bundeskanzler Karl Nehammer rief angesichts der Wortwahl der FPÖ dazu auf, Ursache und Wirkung voneinander zu trennen. Die Landesverteidigung sei das Grundrecht einer jeden Nation und Neutralität heiße nicht, wegzuschauen, meinte er. Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU wirke gegenüber der Invasion mit friedlichen Mitteln – Sanktionen – gemeinsam solidarisch, aber Aggression und Erpressung dürften niemals hingenommen werden, so der Bundeskanzler. Als Aufgabe eines Demokraten versteht er es, "Unrecht auch immer zu benennen".

Im Zuge der Ausschussverhandlungen thematisierte ÖVP-Sprecher für Europa- und Außenpolitik Reinhold Lopatka die Sicherheit in den ukrainischen Atomkraftwerken. Laut Bundeskanzler Nehammer zeige sich die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) ob der angespannten Lage mehr als besorgt. Die Involvierung der Vereinten Nationen sei wichtig. Für die Aufklärung von Kriegsverbrechen habe Österreich Geldmittel von 100.000 € und eine Justizexpertin zur Verfügung gestellt, wurde Helmut Brandstätter (NEOS) informiert.

EU-Perspektive für den Westbalkan

Positiv wertet Bundeskanzler Karl Nehammer, dass Bosnien Herzegowina endlich EU-Beitrittskandidatenstatus erhalten wird, wo es doch bislang keinen formalen Zugang zu den Beitrittsgesprächen hatte. Dies sei auch gegenüber Nordmazedonien und Albanien ein wichtiges Signal um Gleichheit unter den Staaten zu erreichen, sagte er. Es sei erwiesen, dass die Beitrittsperspektive Wirkung zeige, verteidigte er gegenüber Petra Steger (FPÖ) Österreichs Rolle als "Brückenbauer". Die FPÖ-Mandatarin bezeichnete es als schädlich, Länder in die EU aufzunehmen, die wirtschaftlich hinterherhinken. Daraufhin bekräftigte Nehammer, dass die Heranführung des Westbalkans an die EU im Sicherheitsinteresse Österreichs liege, wobei selbstverständlich klare Regeln einzuhalten und Maßstäbe zu definieren seien.

Edtstadler informierte über weitere EU-Agenden

Europaministerin Karoline Edtstadler berichtete dem Ausschuss vom jüngsten Rat in Allgemeinen Angelegenheiten, wo unter anderem ein Sachstandsbericht zum Artikel-7-Verfahren gegenüber Polen besprochen wurde, in dem die Europäische Kommission schwere Bedenken in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz zum Ausdruck bringt. Laut Edtstadler dürfe es bei der Rechtstaatlichkeit keine Kompromisse geben. In Bezug auf die EU-Zukunftskonferenz seien vielfältige Vorschläge vorgebracht worden, wovon 95% davon ohne Vertragsänderungen umsetzbar wären, hielt die Ministerin positiv fest. Ein vorliegendes EU-Wahlrechtsreformpaket hat ferner zum Ziel, die Wahlbeteiligung durch Harmonisierungsvorschläge zu erhöhen. Dabei gehe es etwa darum, die EU-Wahl in allen Mitgliedstaaten am selben Tag abzuhalten und die Briefwahl gesamtheitlich zu ermöglichen. Grundsätzlich sei dies zu befürworten, würde allerdings verfassungsrechtliche Legislativmaßnahmen in Österreich erfordern, gab Edtstadler zu bedenken.

Am Beginn der Sitzung wurde Rudolf Taschner (ÖVP) einstimmig zum Ersatzmitglied des Ständigen Unterausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union gewählt. (Schluss EU-Hauptausschuss) fan