Parlamentskorrespondenz Nr. 1226 vom 03.11.2022

EU-Unterausschuss äußert Grundrechtsbedenken zu Kommissionsvorschlag

Innenminister Karner soll sich bei EU-Verordnung zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch für grundrechtskonforme Maßnahmen einsetzen

Wien (PK) – Der Unterausschuss in Angelegenheiten der Europäischen Union beschäftigte sich heute in Anwesenheit von Bundesminister Gerhard Karner mit aktuellen EU-Agenden aus dem Bereich Inneres. Im Zuge der Verhandlungen des Migrations- und Asylberichts betonte er die durch Schlepperei ausgelöste derzeitige Drucksituation im Asylwesen.

Die Ausschussmitglieder diskutierten zudem Verordnungsvorschläge der Kommission zum Schengener Grenzkodex sowie zur Festlegung von Vorschriften zur Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. Angenommen wurde dazu ein Vier-Parteien-Antrag auf Stellungnahme (ÖVP, SPÖ, Grüne, NEOS), um sicherzustellen, dass sich die Bundesregierung für einen grundrechtskonformen EU-Rechtsakt einsetzt. Alle Parlamentsfraktionen äußerten datenschutzrechtliche Bedenken.

Prävention von Kindesmissbrauch im Internet: Grundrechtsbedenken

Die Kommission möchte einen harmonisierten Rechtsrahmen für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet schaffen. Es soll diesbezüglich ein eigenes EU-Zentrum zur Unterstützung der nationalen Behörden sowie der Opfer eingerichtet werden. Anbieter von Kommunikationsdiensten sollen durch den Verordnungsvorschlag Rechtssicherheit hinsichtlich ihrer Risikobewertung erhalten und gegebenenfalls Missbrauch aufdecken und melden. Österreich befürwortet es, den Schutz von Kindern zu verbessern und ein sicheres Bewegen im Internet zu ermöglichen, allerdings seien bei der konkreten Ausgestaltung laut Innenminister Gerhard Karner noch viele Punkte offen, da man erst am Beginn der Verhandlungen stehe. Besonderer Wert wird darauf gelegt, dass die vorgesehenen Maßnahmen strengen Bedingungen in Bezug auf den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre entsprechen. Die Ausschussmitglieder bemängelten das EU-Vorhaben diesbezüglich unisono.

Zur Sicherstellung einer grundrechtskonformen Ausgestaltung der EU-Verordnung wenden sich ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS mit einem gemeinsamen Antrag auf Stellungnahme an den Minister. Dabei gehe es auch darum, sich bei der Suche nach geeigneten Instrumenten zum Schutz vor Kindesmissbrauch aktiv einzusetzen, erläuterte Abgeordnete Jeitler-Cincelli (ÖVP).

Katharina Kucharowits (SPÖ) führte den zentralen Kritikpunkt trotz genereller Unterstützung des Ziels aus und erinnerte auch an die Fehleranfälligkeit, etwa beim Einsatz von künstlicher Intelligenz. Die Verordnung sei überschießend, da sie eine generelle, grundrechtswidrige "Massenüberwachung" von Bürger:innen beinhalte, meinte sie. Für Süleyman Zorba (Grüne) ist in diesem Sinne noch unklar, wie die Kontrolle von Kommunikationsdiensten – Chats – überhaupt technisch gelöst werden soll. Wie auch NEOS-Mandatarin Katharina Werner, betonte er die Grundrechtswidrigkeit des derzeitig vorliegenden Vorschlags, zu dem auch schon mehrere Institutionen Bedenken geäußert hätten. Auch die FPÖ-Mandatare Christian Lausch und Petra Steger schlossen sich den Bedenken an, wenngleich sie der Vier-Parteien-Initiative nicht zustimmten, sondern einen eigenen Antrag zur Vermeidung der geplanten "Chatkontrolle" einbrachten, den auch die SPÖ-Fraktion unterstützte. Er blieb damit aber in der Minderheit. Abgeordnete Steger (FPÖ) findet nicht nur den Ansatz falsch, unbescholtene Bürger:innen in Chats zu überwachen, sondern sieht auch Probleme hinsichtlich der Handhabe.

Eine Vertreterin des Innenressorts informierte, dass sich eine Expertengruppe im Bundeskriminalamt damit beschäftige und ein umfassender interministerieller Austausch zu dem Thema stattfinde. Der juristische Dienst des Rates habe ein Gutachten bis Ende des Jahres angekündigt. Innenminister Gerhard Karner sagte den Ausschussmitgliedern zu, sich intensiv einbringen zu wollen um die Bedenken in den Rechtsakt einzuarbeiten. Dabei stehe man aber erst am Anfang. Eine politische Auseinandersetzung ist für den nächsten EU-Innenministerrat Anfang Dezember in Aussicht gestellt.

Neuer Schengen-Kodex

Zu den gegenwärtigen Kommissionsvorhaben zählt auch die Stärkung des Schengen-Raums, in dessen Zusammenhang heute ein weiterer Verordnungsvorschlag erörtert wurde. Die für die Mitgliedstaaten vorgesehene Möglichkeit, Binnengrenzkontrollen für einen längeren Zeitraum selbst einzuführen, wird von Seiten Österreichs begrüßt. Aus Sicht des Innenministers bedarf es dem Handlungsspielraum, um autonom auf individuelle Bedrohungen reagieren und Kontrollen selbst einführen zu können. Er berichtete, dass der "Schengen-Kodex Neu" intensiv auf EU-Ebene debattiert wurde. Im Wesentlichen herrsche zwischen den EU-Innenminister:innen aber Einigkeit, dass Binnengrenzkontrollen derzeit notwendig seien, solange es keinen funktionierenden Außengrenzschutz gibt.

ÖVP-Mandatar Wolfgang Gerstl schätzte den Kommissionsvorschlag hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit, um Sicherheit und Freiheit in Europa gleichzeitig bewerkstelligen zu können. Für Michel Reimon (Grüne) ist die Reisefreiheit eines der höchsten Güter der EU. Man müsse aufpassen, dieses Grundrecht nicht durch Binnengrenzkontrollen einzuschränken, sagte er. Diese sollen laut vorliegendem Vorschlag eine Höchstdauer von zwei Jahren nicht überschreiten, kritisierte FPÖ-Mandatarin Petra Steger, woraufhin der Minister ausführte, dass bei entsprechender Begründung auch eine längere Dauer möglich sei.

Von SPÖ-Abgeordneter Katharina Kucharowits auf Alternativmaßnahmen angesprochen, sprach Karner vom derzeit großen Druck an der österreichisch-ungarischen Grenze, wo es zu zusätzlichen Maßnahmen komme. Dazu zählen gemischte Streifen, der Einsatz von österreichischen Exekutivbediensteten an den EU-Außengrenzen aber auch die Zurverfügungstellung von technischem Equipment. Generell bestünde derzeit enormer Druck durch die Schlepperei, sagte der Innenminister. In den Augen von Christian Lausch (FPÖ) ist Schengen gescheitert, solange die Schleppermafia innerhalb der Europäischen Union agiere.

Im Zuge der Verhandlungen wurde von Katharina Kucharowits (SPÖ), Katharina Werner (NEOS) und Christian Lausch (FPÖ) die Frage nach menschenwürdigen Asylunterkünften aufgeworfen. Innenminister Karner rechtfertigte den Einsatz von Zelten als Notmaßnahme um Obdachlosigkeit vorzubeugen. Derzeit seien knapp 200 junge Männer, die praktisch keine Chance auf Asyl in Österreich hätten, in Zelten untergebracht.

Der Kommissionsvorschlag beinhaltet ferner Mechanismen zur Notfallplanung wie die Ermöglichung von vorübergehenden Reisebeschränkungen. Die Trilogverhandlungen haben allerdings noch nicht begonnen.

Migrations- und Asylbericht der Kommission

Anlass zur Diskussion lieferte ferner eine Mitteilung der Kommission, worin über die zentralen Entwicklungen und Fortschritte im Bereich Migration und Asyl berichtet wird. Russlands Einmarsch in die Ukraine habe zur raschen Aktivierung der Richtlinie über die Gewährung vorübergehenden Schutzes und so zur Registrierung von über vier Millionen Flüchtlingen aus der Ukraine in der EU geführt. In Österreich befinden sich derzeit rund 56.000 Ukrainer:innen in der Grundversorgung.

Innenminister Gerhard Karner betonte auch bei diesem Tagesordnungspunkt den derzeitigen Druck im Asylwesen. Parallel zur Situation in der Ukraine habe sich ein neues Geschäftsfeld für Schlepper etabliert. Mit der EU-Vertriebenen-Richtlinie sei anderorts geworben und somit das europäische Asylsystem zusätzlich belastet worden. Auch in den nächsten Wochen sei noch mit einer intensiven Belastung zu rechnen, wurde ÖVP-Mandatar Wolfgang Gerstl informiert. Leider sei der europäische Asyl- und Migrationspakt noch nicht weit gediehen, es gebe noch viel zu tun und einen Bedarf an nachbarschaftlicher, grenzüberschreitender Zusammenarbeit, so Karner. Österreich würde einen solidarischen Beitrag leisten, wenngleich es natürlich eine europäische Lösung trotz vieler unterschiedlicher Interessen der Mitgliedstaaten braucht, sagte er zu Robert Laimer (SPÖ), der den freiwilligen EU-Solidaritätsmechanismus und einen Verteilungsschlüssel thematisierte. Letzteres lehnt der Innenminister ab. Es sei nicht praktikabel.

Petra Steger (FPÖ) legte einen Forderungskatalog vor, wie das europäische Asylsystem nach der Vorstellung ihrer Fraktion auszusehen habe. Der Antrag auf Stellungnahme beinhaltet unter anderem die generelle Ablehnung des EU-Migrationspakts und eine Legalisierung von "Push-Backs" an der EU-Außengrenze. Er wurde nicht weiter unterstützt und somit abgelehnt.

Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) kritisierte den FPÖ-Vorstoß als unseriös und meinte, dass derartige Herausforderungen nur gemeinschaftlich zu lösen seien. Sie sprach sich zudem dafür aus, (Arbeits-)Migration klar von Flucht und Asyl zu trennen sowie die Fluchtursachen zu bekämpfen. Auch Katharina Werner (NEOS) und Eva Maria Holzleitner (SPÖ) sehen diesbezüglich Diskussionsbedarf auf europäischer Ebene.

Zur Bewältigung der gegenwärtigen Migrationslage wird im Kommissionsbericht festgehalten, dass sich die Zahlen entlang der östlichen Mittelmeerroute gegenüber 2021 verdoppelt und am Westbalkan verdreifacht haben. In den ersten sieben Monaten 2022 wurden EU-weit 480.000 Asylanträge gestellt. Während EU-Asylagentur, Europol und Frontex die Mitgliedstaaten bei der Lagebewältigung unterstützen, zählt auch das integrierte europäische Grenzmanagement zu einem wichtigen Instrument. Das EU-Rückkehrsystem wird weiterentwickelt, hin zu einem Konzept der Migrationspartnerschaften mit Drittländern. Generell sei geplant die Verhandlungen über das EU-Asyl- und Migrationspaket bis Februar 2024 abzuschließen. (Schluss EU-Unterausschuss) fan