Parlamentskorrespondenz Nr. 1469 vom 15.12.2022

Nationalrat: Debatte über Gleichbehandlungsbericht in der Privatwirtschaft und Informationsoffensive in Sachen Gewaltschutz

Studie zum Thema Menstruationsgesundheit soll umfassend Daten erheben und Handlungsempfehlungen aufzeigen

Wien (PK) – Der aktuelle Stand des Diskriminierungsschutzes und mögliche Verbesserungspotenziale standen im Mittelpunkt der Debatte über den Gleichbehandlungsbericht für die Privatwirtschaft 2020 und 2022, der heute im Nationalrat einstimmig zur Kenntnis genommen wurde. Unisono sprachen sich alle Fraktionen auch für die Umsetzung einer umfassenden Informationsoffensive gegen Gewalt an Frauen und Kindern sowie für die Erstellung einer Studie zum Thema Menstruationsgesundheit aus. Beide Forderungen lagen in Form von Entschließungsanträgen von ÖVP und Grünen vor.

Starker Anstieg bei den Anfragen an die Gleichbehandlungsanwaltschaft

Die Gleichbehandlungsanwaltschaft verzeichnete im Berichtszeitraum einen starken Anstieg an Anfragen. So wurden 2020 und 2021 fast 1.000 Anfragen mehr bearbeitet als in der vorhergehenden Periode. Konkret hat die Gleichbehandlungsanwaltschaft 4.962 Mal zu Diskriminierung und Gleichbehandlung informiert, beraten und individuell unterstützt. 69 % aller Diskriminierungsfälle wurden von Frauen herangetragen. Am häufigsten (1.975) betrafen die Anfragen Geschlechterdiskriminierung in der Arbeitswelt, ein Drittel davon sexuelle Belästigung. Viele Anfragen drehen sich außerdem um Diskriminierungen wegen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder um den sozioökonomischen Status von Frauen. 1.024 Anfragen gab es hinsichtlich rassistischer Diskriminierung. In jedem zehnten Diskriminierungsfall nach dem Gleichbehandlungsgesetz kommt es zu einem Verfahren vor der Gleichbehandlungskommission. So betrafen 116 Anträge Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt, 52 Anträge ethnische Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Alter und sexuelle Orientierung sowie 31 Anträge Diskriminierungen außerhalb der Arbeitswelt.

Im Senat I der Gleichbehandlungskommission, der für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in der Arbeitswelt zuständig ist, seien im Berichtszeitraum 116 Anträge eingebracht worden. Der Senat II ist für Gleichbehandlungsfragen in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit, Religion, Weltanschauung, Alter und sexuelle Orientierung in der Arbeitswelt zuständig und erhielt 2020 und 2021 52 Anträge. Diskriminierungen außerhalb der Arbeitswelt behandelt der Senat III, wo 31 Verfahren eingeleitet wurden.

Debatte über Ausweitung des Diskriminierungsschutzes auf alle Lebensbereiche

Abgeordneter Werner Saxinger (ÖVP) wies noch einmal auf die zentralen Ergebnisse des Berichts hin. In Zukunft werde ein besonderer Fokus auf die Altersdiskriminierung gelegt werden müssen, zeigte er sich überzeugt. Mit den Worten "manche Menschen merken erst, wie sie mit anderen Menschen umgehen, wenn sie selbst so behandelt werden - und plötzlich ist das Leben unfair", schloss Saxinger seine Rede.

Auch Rosa Ecker (FPÖ) war überzeugt davon, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz immer mehr ältere Arbeitnehmer:innen betreffe. Es werde daher entsprechende Maßnahmen in diesem Bereich brauchen. Auffällig sei auch, dass sich viele berufstätige Frauen sehr abwertende Äußerungen gefallen lassen müssen.

SPÖ-Mandatar Mario Lindner (SPÖ) plädierte nachdrücklich für ein "Leveling Up" und das Schließen von Lücken im Diskriminierungsschutz wie etwa hinsichtlich des Alters oder der sexuellen Orientierung. Es sei den Betroffenen nicht erklärbar, warum in einigen Bereichen rechtliche Sanktionen gesetzt werden, in anderen jedoch nicht. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft habe klar zum Ausdruck gebracht, was noch verbessert werden müsse. Als Beispiel führte er den Abbau der "Zersplitterung des Gleichbehandlungsrechts" an. Die zuständige Ministerin "schaue aber nur zu und handle nicht", stellte er mit Bedauern fest.  Petra Oberrauner (SPÖ) machte darauf aufmerksam, dass laut Statistik Austria 27 % der Frauen angeben würden, bereits einmal am Arbeitsplatz sexuell belästigt worden zu sein. Es sei von öffentlicher Seite dringend erforderlich, die Arbeitgeber:innen an ihre Fürsorgepflicht zu erinnern. Weiters drängte sie auf die schon längst überfällige Umsetzung der Vereinbarkeits-Richtlinie der EU. Essentiell sei zudem die Lohntransparenz-Richtlinie, zu der hoffentlich bald eine Einigung auf EU-Ebene vorliegen werde.

Meri Disoski (Grüne) sprach von einem sehr wichtigen Bericht, der eindrücklich zeige, dass die Arbeit der Gleichbehandlungsanwaltschaft wirke. Nach wie vor würden sich aber immer noch wenige Personen aufgrund von Diskriminierung wegen sexueller Orientierung an die Anwaltschaft wenden. Um diesem "underreporting" entgegenzuwirken, werde gezielt Kontakt zu den spezifischen Communitys aufgenommen und über die Beratungsangebote informiert. Klar sei aus ihrer Sicht, dass bestehende Lücken im Gleichbehandlungsgesetz noch geschlossen werden müssen. Ihre Fraktionskollegin Faika El-Nagashi  befasste sich vor allem mit dem im Bericht angesprochenen Thema der Intersexualität, das mehrere Diskriminierungsebenen betreffe. Auch hier gebe es noch Handlungsbedarf.

Henrike Brandstötter (NEOS) sprach einen aktuellen Fall an, wo ein Direktor einer Musikschule über viele Jahre hinweg Lehrer:innen und Mitarbeiter:innen massiv belästigt haben soll. Obwohl die jeweiligen Bürgermeister:innen mehrmals darüber informiert worden seien, wurde nichts unternommen. Offenbar sei der Direktor aufgrund bester politischer Kontakte zum Land Niederösterreich unantastbar gewesen. Dies zeige, dass auch im Jahr 2022 noch vieles im Argen liege. Positiv sei aber, dass aufgrund des gesellschaftlichen Wandels mehr Missstände aufgezeigt werden. Denn es sei "kein Kavaliersdelikt, einer Frau ungefragt auf den Hintern zu grapschen". Allerdings brauche es eine "massive Vereinfachung der Wege und ein Entwirren der Zuständigkeiten", damit Betroffene sich noch leichter Unterstützung holen können, forderte sie. Die Empfehlungen und die Forderungen der Gleichbehandlungsanwaltschaft sollten daher rasch umgesetzt werden.

Bundesministerin Susanne Raab sah im Bericht der Gleichbehandlungsanwaltschaft ein wesentliches Monitoring-Instrument und dankte den Mitarbeiter:innen für ihre wichtige Arbeit. Ihr liege viel an der Weiterentwicklung der Institution, weshalb es auch eine deutliche Budgeterhöhung und eine Erhöhung der Planstellen gegeben habe.

Umfassende Studie zum Thema Menstruationsgesundheit soll Daten erheben und Basis für Handlungsempfehlungen sein

Handlungsbedarf beim Thema Menstruationsgesundheit sehen ÖVP und Grüne, die dazu einen Entschließungsantrag eingebracht haben. Sie ersuchen daher sowohl die Frauenministerin als auch den Gesundheitsminister, alle Fakten zur Menstruation, inklusive all ihren Nebenerscheinungen wie Endometriose, Myome oder Menstruationshygiene zu erheben und Handlungsempfehlungen auszuarbeiten. Nachdem ein Frauengesundheitsbericht in Auftrag gegeben und 2021 die Steuer für Menstruationsprodukte auf 10 % gesenkt wurde, soll nun mit der Studie zur Menstruationsgesundheit ein nächster, wichtiger Schritt gesetzt werden, betonen die Antragstellerinnen.

Bei der Menstruationsgesundheit handle es sich um einen "blinden Fleck" in der Gendermedizin, urteilte Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP). Wichtig sei vor allem, dass es zu einer Enttabuisierung des Themas komme, zumal laut einer Umfrage auch heutzutage noch über 60 % der Mädchen eine negative Einstellung zur Periode haben sollen. Ein besonderes Anliegen war ihr das Thema Endometriose, von der schätzungsweise jede zehnte Frau betroffen sei. Bis es allerdings zu einer entsprechenden Diagnose komme, würden oft viele Jahre vergehen. Es könne nicht sein, dass die Betroffenen, die oft unter sehr starken Schmerzen leiden würden, nicht ernst genommen werden, merkte Abgeordnete Meri Disoski (Grüne) weiters an. Nachdem die Frauen von der bisherigen Gesundheitspolitik leider im Stich gelassen wurden, müsse sich dies nun ändern.

Ihre Fraktion unterstütze das Vorhaben, erklärte Abgeordnete Eva Maria Holzleitner (SPÖ), allerdings könne schon jetzt einiges getan werden. So wisse man, dass sich viele Frauen aufgrund von finanziellen Problemen nicht mehr ausreichend Periodenartikel leisten können. Damit verbunden seien aber mögliche schwere gesundheitlichen Folgen, da die zu lange Verwendung von Tampons zu toxischen Schocks führen könne, gab sie zu bedenken. Auch den Betroffenen von Endometriose müsse nun endlich unter die Arme gegriffen werden. Es brauche nicht nur mehr Forschungsgelder dafür, sondern auch einen spezifischen Aktionsplan, forderte Holzleitner.

Wenn die Jugendlichen in Österreich über kein Basiswissen über Menstruation verfügen, dann haben wohl auch die Schulen versagt, urteilte Rosa Ecker (FPÖ). Die Erhebung von zusätzlichen Daten sei zwar gut, aber den Studien müssen auch konkrete Taten folgen. Sie frage sich zudem, warum die Regierung erst immer einen Antrag an sich selbst stellen müsse, um endlich zu handeln.

Gewaltschutz: SPÖ will klare Definition des Begriffs Femizid, FPÖ für österreichweite Studie zur Ursachenforschung

Um den Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt sowie die Sensibilisierung dafür in der Öffentlichkeit weiter zu fördern, soll es eine umfassende Medienkampagne geben, heißt es in einem weiteren Entschließungsantrag von ÖVP und Grünen, der ebenso von allen Fraktionen mitgetragen wurde. Im Laufe ihres Lebens erfahre jede dritte Mädchen bzw. jede dritte Frau eine bestimmte Form von Gewalt, berichtete Meri Disoski (Grüne). Die Femizide stellten dabei den Gipfel der patriarchalen Gewalt dar. Österreich habe ein großes Problem mit Männergewalt, deshalb räume die Regierung dem Gewaltschutz höchste Priorität ein. Dies zeige sich etwa in der massiven Aufstockung der Budgets für Frauenberatungsstellen oder für die Finanzierung von Start- und Übergangswohnungen für von Gewalt betroffene Frauen. Weiters wurde die psychosoziale Prozessbegleitung deutlich ausgebaut. Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP) machte auf die Kampagne "16 Tage gegen Gewalt" aufmerksam, die vom 25. November bis 10. Dezember 2022 stattgefunden habe. Es sei allen bewusst, wie wichtig es ist, Frauen und Mädchen gegen Gewalt schützen. Erst vergangene Woche habe Ministerin Raab eine Gewaltschutzkonferenz organisiert, an der mehrere Ressorts teilgenommen haben. Froh zeigte sich Pfurtscheller zudem darüber, dass das Frauenbudget seit 2019 um fast 140 % erhöht werden konnte. Wichtig seien auch Informationsoffensiven, da jede Frau wissen müsse, dass es zahlreiche Anlaufstellen und vor allem die wichtige Frauen-Helpline gebe.

Bedauerlicherweise wurde der Zeitraum, in dem die Kampagne gelaufen sei, nicht genutzt, um Maßnahmen auf den Weg zu bringen, entgegnete Abgeordnete Sabine Schatz (SPÖ). Wenn  erst heute dazu ein "Pseudo-Antrag" im Nationalrat beschlossen werde, dann müsse man sich fragen, wie ernst die parlamentarische Arbeit überhaupt noch genommen werde. Baustellen würde es aber genug geben, da gerade in Krisenzeiten Fälle von häuslicher Gewalt stark ansteigen würden, führte sie ins Treffen. Gemeinsam mit Henrike Brandstötter von den NEOS brachte sie einen Entschließungsantrag zur Verbesserung der Datenlage zu geschlechtsspezifischen Gewaltverbrechen ein. Im Konkreten wird die Bundesregierung aufgefordert, schnellstmöglich eine rechtswirksame Definition für den Begriff "Femizid" zu erarbeiten. Es müssten zudem ressortübergreifende Maßnahmen ergriffen werden, damit geschlechtsspezifische Motive bei Frauenmorden in Zukunft detailliert in der Kriminalstatistik aufscheinen und so essentielle Weichen für eine umfassendere Gewaltschutzpolitik in Österreich gestellt werden können.

Die freiheitliche Mandatarin Rosa Ecker brachte ebenso einen Entschließungsantrag ein, der auf die Durchführung einer österreichweite Dunkelfeldstudie zu "Gewalt gegen Frauen" abzielt. Damit sollen unter anderem die Hintergründe von Gewalt gegen Frauen, das typische Täterbild und mögliche gezielte Hilfestellungen zur Eindämmung von Gewalt gegen Frauen erhoben werden. In diesem Jahr habe es schon 28 Frauenmorde gegeben, zeigte Ecker auf, dies könne nicht so einfach hingenommen werden. Sehr erschreckend sei, dass mehr als 30 % der Fälle auf "importierte Gewalt" zurückzuführen seien. Es müsse dafür gesorgt werden, dass sich die Frauen wieder sicher im öffentlichen Raum bewegen können.

Gewalt an Frauen und Kindern habe in den letzten Jahren dramatisch zugenommen, zeigte sich die fraktionslose Abgeordnete Pia Philippa Strache besorgt. Da viele Betroffene vor Angst gelähmt seien, sich selbst Hilfe zu suchen, sei es eine gesellschaftliche Verpflichtung, mehr Information und Unterstützung anzubieten. Es brauche auch mehr psychologische Angebote, damit betroffene Frauen davon überzeugt werden, nicht mehr zum gewalttätigen Partner zurückzukehren. "Schauen wir nicht weg, sondern helfen wir", appellierte sie.

Seit Beginn ihrer Amtszeit stehe der Gewaltschutz ganz oben auf der Agenda, bekräftigte Bundesministerin Susanne Raab. Wie die letzte Gewaltschutzkonferenz gezeigt habe, gebe es einen breiten Schulterschluss in der Regierung, der sich nicht nur in Budgeterhöhungen, sondern auch in sehr konkreten Aktivitäten manifestiere. Gerade durch die gute Zusammenarbeit zwischen den Ressorts sei viel gelungen, führte Raab aus, die Maßnahmen würden von der deutlichen Steigerung der sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen bis hin zum Ausbau der Prävention und der Männerarbeit reichen.

Die beiden im Zuge der Debatte eingebrachten Entschließungsanträge fanden bei der Abstimmung keine Mehrheit. (Fortsetzung Nationalrat) sue

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