Parlamentskorrespondenz Nr. 154 vom 15.02.2023
EU-Vorhabensbericht: 30 Jahre EU-Binnenmarkt als wichtigste Basis für Österreichs Wirtschaft
Wien (PK) - Nach den Anstrengungen zur COVID-19-Pandemie und vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine habe für das Jahr 2023 oberste Priorität, die aktuelle Energie- und Teuerungskrise weiterhin bestmöglich einzudämmen und eine nachhaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Erholung sicherzustellen. Das hält Arbeits- und Wirtschaftsminister Martin Kocher im Bericht seines Ressorts mit EU-Jahresvorhaben für 2023 fest (III-877 d.B. und III-813-BR/2023 d.B.), in dem ein breites Themenspektrum – von Arbeit über Wirtschaft, Industrie und angewandte Forschung über Handelspolitik und Außenbeziehungen bis hin zum Tourismus - enthalten ist.
Für 2023 gelte es, kurzfristig die negativen Auswirkungen des Energiepreisschocks und die Kriegs- und COVID-19 Folgen abzumildern sowie mittel- und langfristig die grüne und digitale Transformation erfolgreich zu bewerkstelligen, so der Bericht. Von österreichischer Seite wird dazu etwa die Rückkehr zu einem vollständigen Europäischen Semesterprozess begrüßt, ebenso wie die Orientierungen des EU-Herbstpakets aus 2022. Die Europäische Kommission habe dabei den Jahresbericht über nachhaltiges Wachstum, den Bericht über den Warnmechanismus, den Entwurf des Gemeinsamen Beschäftigungsberichts und den Entwurf einer Empfehlung zur Wirtschaftspolitik der Eurozone präsentiert. Die Wirtschaftskrise von 2008 habe deutlich gemacht, dass eine stärkere wirtschaftspolitische Steuerung und eine bessere sozialpolitische Koordinierung zwischen den EU-Mitgliedstaaten erforderlich seien.
30 Jahre EU-Binnenmarkt: Vorteile für Österreich überwiegen
Das 30-jährige Bestehen des gemeinsamen EU-Binnenmarkts stehe ebenfalls im Zentrum der Arbeiten. Der schwedische EU-Ratsvorsitz im ersten Halbjahr 2023 legt hier dem Bericht zufolge unter anderem den Fokus auf den Bereich der Energie- und Rohstoffversorgungssicherheit, der digitalen Wirtschaft, den grünen Übergang und auf den Dienstleistungsbereich.
Der europäische Binnenmarkt sei für die österreichischen Unternehmen die wichtigste Basis für ihr Wirtschaften. Rund 70 Prozent des österreichischen Außenhandels finden laut Bericht innerhalb der EU statt. Die Exporte in die 26 anderen EU-Mitgliedstaaten haben sich demnach seit dem EU-Beitritt Österreichs mehr als verdreifacht, und zwar auf 112 Mrd. € im Jahr 2021. Auch wenn Österreich "EU-Nettozahler" sei, würden die Vorteile des Binnenmarkts bei Weitem die Kosten übertreffen. Es gehe nun darum, bestehende Regeln zu stärken, Defizite zu beseitigen und den Anwendungsbereich auf die Erweiterungskandidaten auszuweiten. Priorität sei, den Fokus auf die einheitliche Anwendung, Umsetzung und Durchsetzung bestehender Rechtsvorschriften zu legen.
Das Arbeits- und Wirtschaftsministerium habe sich bereits 2020 für eine rasche Anpassung des Vorschlags für eine gemeinsame EU-Industriestrategie und auch für eine Aktualisierung im Hinblick auf die Folgen der COVID-19 Pandemie eingesetzt. Die derzeitige Energiekrise unterstreiche diese Notwendigkeit noch mehr. Im Rahmen des weiteren nationalen Umsetzungsprozesses sollen Punkte wie beispielsweise der Ausbau von strategischen Wertschöpfungsketten und die Diversifizierung insbesondere bei strategischen Rohstoffen im Fokus stehen. Vor allem die in der EU-Industriestrategie formulierten Ziele zur offenen strategischen Autonomie werden demnach auch im Jahr 2023 eine wichtige Rolle spielen.
Fit für 55-Paket, IPCEI und European Chips Act
Was das europäische "Fit für 55-Paket" betrifft, müsse aus österreichischer Sicht im Rahmen der Transformation ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse der energieintensiven Industrie gelegt werden, wobei hier vor allem die Forschung und Weiterentwicklung von grünem Wasserstoff prioritär seien. Der langfristige Erhalt der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit und die Sicherung der Arbeitsplätze könnten nur durch rasche Umstellung auf grüne Technologien und Kreislaufwirtschaft vor allem im Rohstoffbereich gewährleistet werden, so der Bericht.
Ein verstärktes Engagement Österreichs im Rahmen der "wichtigen Projekte von gemeinsamen europäischem Interesse" (IPCEI) zur Sicherstellung der Wirtschafts- und Umweltinteressen sei im Regierungsprogramm verankert. Die Initiative Österreichs zur (Wieder-)Einrichtung eines "Joint European Forum for IPCEI" werde bisher von zehn weiteren Mitgliedstaaten unterstützt. Ein "European Chips Act", der für die Erweiterung der europäischen Chip-Produktion einen einheitlichen Rahmen festlegt und eine angemessene budgetäre Dotierung bereitstellt, könnte die heimische Halbleiterindustrie ankurbeln und viele zusätzliche Arbeitsplätze generieren, heißt es im Bericht.
Was das EU-Wettbewerbsrecht betrifft, sollte aus österreichischer Sicht bei der Beurteilung der Effekte wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen der Fokus stärker auf die längerfristigen Auswirkungen hinsichtlich Qualität, Vielfalt und Innovation gelegt werden. Eine Überarbeitung des EU-Beihilfenrechts sowie die damit verbundene Schwerpunktsetzung auf zukunftsweisende Bereiche wie Klima, Umweltschutz, Energie, Digitalisierung, Breitband, Forschung & Entwicklung & Innovation, IPCEI und die Bereitstellung von Risikofinanzierungen begrüße Österreich grundsätzlich, heißt es im Bericht.
Was KMU und Start-Up Förderprogramme betrifft, unterstütze Österreich alle Maßnahmen, die dazu beitragen können, das Investitionsklima in Europa zu verbessern und unternehmerische Investitionen zu induzieren. Äußerst positiv stehe Österreich im Bereich Forschung und Innovation dem Programm "Horizon Europe" gegenüber, da österreichische Unternehmen davon überdurchschnittlich profitieren. Auch der Ansatz der "Neuen Europäischen Innovationsagenda" werde von Österreich unterstützt.
EU-Vorschläge zu Plattformarbeit und Fachkräftemangel
Österreich unterstützt dem Bericht zufolge auch einen Richtlinienvorschlag, der darauf abzielt, die Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit EU-weit zu verbessern. Drei Faktoren seien hier besonders wichtig - und zwar ein besserer Schutz der Arbeitnehmer:innen vor Ausbeutung, die Sicherstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Plattformunternehmen und eine Hintanhaltung zusätzlichen administrativen Aufwands für Plattformunternehmen.
Beim gemeinsamen Handlungsbedarf zum Mangel an Fachkräften begrüße Österreich etwa den Vorschlag über ein "Europäisches Jahr der Kompetenzen 2023" als ein wichtiges Signal. Darin würden Maßnahmen in den Fokus gerückt, um dem Fachkräftemangel in Europa begegnen zu können. Das übergeordnete Ziel der Initiative sei, durch die Unterstützung einer auf Umschulung und Weiterbildung ausgerichteten Denkweise der europäischen Arbeitskräfte einen Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels zu leisten.
Ein Mehrwert in den Ansätzen zum Thema Berufsausbildung liege im EU-Kontext in der Förderung und Unterstützung der Durchlässigkeit der Ausbildungssysteme, insbesondere in Bezug auf die Höhere Berufliche Bildung. Auch das Programm "Erasmus+" stelle einen wichtigen Beitrag zur Attraktivität und Qualität der dualen Berufsausbildung dar. Hervorgehoben wird im Bericht etwa auch die Bedeutung von internationalen Berufswettbewerben wie WorldSkills und EuroSkills.
Österreich unterstütze grundsätzlich die Ziele des IAO-Übereinkommens von 2019 zu Gewalt und Belästigung, sieht allerdings Ratifikationshindernisse - etwa aufgrund von Unklarheiten, wo die Verantwortlichkeit der Arbeitgeberin bzw. des Arbeitsgebers anfängt und endet - sowie darüber hinaus umfassenden Änderungsbedarf im Arbeits-, aber auch im Strafrecht. Daher werde Österreich das Übereinkommen nicht ratifizieren, ein entsprechender Bericht an den Nationalrat sei in Vorbereitung.
Zugestimmt habe Österreich (im Rat Beschäftigung) im Dezember 2022 etwa der allgemeinen Ausrichtung des Vorschlags zum Schutz der Arbeitnehmer:innen gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz.
Handelspolitik mit bewährten und neuen Partnern
In der Handelspolitik geht es dem Bericht zufolge etwa darum, bewährte Partnerschaften zu stärken und gleichzeitig neue verlässliche Partner zu suchen, mit denen auf Augenhöhe ein faires, regelbasiertes Welthandelssystem ausgebaut und die Welthandelsorganisation (WTO) modernisiert werden könne.
Was die neue EU-Handelsstrategie betrifft, würden sich viele der österreichischen Prioritäten dort wiederfinden, wie beispielsweise das Ziel der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit von Wertschöpfungsketten.
Im Hinblick auf Verhandlungen zu EU-Freihandels- und Investitionsabkommen bestehe beispielsweise grundsätzlich Interesse an dem Abkommen etwa mit Australien. Jedoch müssten österreichische Sensibilitäten im Landwirtschaftsbereich berücksichtigt werden, so der Einwand. Die politische Einigung zum Abkommen mit Neuseeland, aber auch etwa mit Chile wird dem Bericht zufolge von österreichischer Seite begrüßt. Österreich unterstütze unter anderem auch jede Initiative, die auf eine substantielle Verbesserung und Vertiefung der Beziehungen mit den USA abzielt.
EU-Sanktionsregime gegenüber Russland
Zentral sei ein geschlossenes Auftreten aller EU-Mitgliedstaaten gegenüber Russlands Aggression sowie die uneingeschränkte Unterstützung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine. Im Blick zu behalten sei dabei auch, dass EU-Sanktionen dem Aggressor mehr schaden müssen als den EU-Mitgliedstaaten selbst.
Was neue EU-Beitrittskandidaten betrifft, befürworte Österreich die EU-Integration der Westbalkanstaaten und werde diese auch in Zukunft auf ihrem Weg in die Europäische Union unterstützen. Österreich anerkenne auch den Wunsch der Ukraine sowie von Moldau und Georgien, Teil der Europäischen Union zu werden. Um auf dem Weg in die EU voranzukommen, geht es dem Bericht zufolge für die drei Staaten darum, die geforderten Reformen umsetzen. Betreffend Türkei spreche sich Österreich für ein realistisches EU-Türkei-Nachbarschaftskonzept aus.
Thematisiert werden im Bericht unter anderem auch die EU-Afrika Beziehungen sowie die EU-China Beziehungen. Österreich unterstütze etwa die dreigleisige Strategie der EU, in der China zugleich als Partner, Wettbewerber und Rivale begriffen wird.
Europäische Agenda für Tourismus
Zum Bereich Tourismus heißt es im Bericht, dass dessen Erwähnung im EU-Binnenmarktprogramm für Österreich mit seiner starken Tourismuswirtschaft essenziell sei. Es seien für Österreich wesentliche Themen entsprechend berücksichtigt worden, daher werde das Binnenmarktprogramm begrüßt. Ebenso positiv wird von österreichischer Seite dem Bericht zufolge der Übergangspfad für den Tourismus bzw. die Europäische Agenda für Tourismus bewertet. Insbesondere der breite Ökosystemansatz der Europäischen Kommission sei für den Tourismus aufgrund dessen Horizontalität passend. Das gesamte Ökosystem, vor allem aber auch die Tourismusbetriebe, sollen demnach inspiriert werden, notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Zukunftsfähigkeit zu setzen. Dabei werde auch auf die Kleinstrukturiertheit der Branche Rücksicht genommen - über 99 Prozent der Tourismusunternehmen in Österreich seien KMU.
Mit einem Verordnungsvorschlag der EU soll außerdem – sofern Behörden Zugang zu Daten von Online-Plattformen erhalten wollen – eine Registrierungspflicht für Gastgeber auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene eingeführt werden. Grundsätzlich werde der Vorschlag begrüßt. Im Hinblick auf die komplexe Rechtslage in Österreich sollte die Verordnung den Mitgliedstaaten aber möglichst breiten Spielraum bieten, so die Position.
Ein Vorschlag zur Überarbeitung der Pauschalreise-Richtlinie liege demgegenüber noch nicht vor. Offen sei auch noch ein Vorschlag etwa zur Digitalisierung von Reisedokumenten, was jedoch das Potenzial haben würde, das Reisen innerhalb des Schengenraums einfacher zu gestalten. (Schluss) mbu