Parlamentskorrespondenz Nr. 162 vom 16.02.2023

Doskozil: Föderalismus lebt vom respektvollen Miteinander der Gebietskörperschaften

Burgenlands Landeshauptmann pocht auf Länderzuständigkeit bei Gesundheitswesen, Schulverwaltung und Pflege

Wien (PK) – Anlässlich der Vorsitzübernahme des Burgenlands im Bundesrat nutzte der burgenländische Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil die heutige Sitzung der Länderkammer, um ein Plädoyer für den Föderalismus abzulegen. Dabei bezog er sich auf den Umgang der Gebietskörperschaften miteinander, die gerade in Krisenzeiten durch ihr Zusammenwirken Sicherheit geben müssten. Besonders im Gesundheitswesen sei im Rahmen des Finanzausgleichs eine Finanzierungssicherheit für ganz Österreich zu erreichen, die den föderalen Strukturen gerecht werde und der "Tendenz zur Zwei-Klassen-Medizin" entgegenwirke. "Föderalismus hat seine Bedeutung" für Österreich, betonte er die Notwendigkeit einer bürger:innennahen Politik, neben dem Gesundheitsbereich auch im Bildungswesen und bei der Pflege.

Landesspitäler: Doskozil warnt vor Kompetenzverschiebung an Bund

Vor dem Hintergrund der beginnenden Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund und Ländern erteilte Landeshauptmann Doskozil einer Kompetenzverschiebung bei den Spitälern eine Absage. Österreichs "wohnortnahe" Spitalsstruktur sei in Gefahr, wenn der Bund die Zuständigkeit für die Krankenhäuser erhielte, weil "Kleinstspitäler" dann aus ökonomischen Gründen geschlossen würden. Ziel des Finanzausgleichs sei jedoch, ein System zu schaffen, das ein hochqualitatives Gesundheitssystem bundesweit sicherstellt, so Doskozil. Dem gegenwärtigen Ärztemangel – dem Landeshauptmann zufolge sind derzeit 20% der Arztstellen in burgenländischen Spitälern unbesetzt – versuche das Burgenland durch eine Anhebung des Jahresgehalts auf 140.000 € bei jungen Fachärzt:innen entgegenzusteuern.

Im Detail auf die gegenwärtigen Finanzierungsströme zur Finanzierung der Gesundheitssysteme in den Ländern eingehend, erläuterte er den Sinn der "Gastpatientenregelung", durch die schon jetzt spitzenmedizinische Zentren wie Wien oder Graz im Verhältnis zur Einwohner:innenzahl eine höhere Finanzierung als andere Bundesländer zur Aufgabenerfüllung erhielten. Eine Einzelfallverrechnung anstatt der "Gastpatientenregelung" würde ein Modell des "qualitativen Wettbewerbs" eröffnen, wodurch noch höhere Zuschüsse von Länderseite nötig würden.

Unzufrieden zeigte sich Doskozil über die "Tendenz zur 2-Klassen-Medizin" mit Wahlarztpraxen, die schnellere Leistungen anböten als Kassenpraxen. Patient:innen würden durch das bestehende System der Kassenarztverrechnung in den "privaten Bereich" gedrängt, forderte er eine Neugestaltung der Leistungsverrechnung durch die Politik, zumal zahlreiche Kassenstellen kaum nachzubesetzen seien.

Krisenbewältigung nur gemeinsam zu schaffen

Der Krisenmodus scheine nicht aufzuhören, zählte Landeshauptmann Doskozil diverse Krisen auf, von der die Welt und damit auch Österreich seit der Finanzkrise 2008 heimgesucht worden seien, konkret die Flüchtlingskrise und die Corona-Krise, der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Teuerung. Das alles würde das Leben der Menschen "nicht mehr planbar machen". Daher sei es "Aufgabe der Politik" in ihrer Vorbildfunktion, den Menschen eine positive Aussicht in die Zukunft geben. Deutlich mahnte er das Vorleben eines respektvollen Miteinanders ein, auch zwischen den Bundesländern. Beispielsweise übernehme das Burgenland sinnvolle Nahverkehrslösungen aus der Steiermark, warb er dafür, sich über gute Lösungen im gegenseitigen Verständnis auszutauschen. Diese Form des Förderalismus habe sich die Bevölkerung verdient.

Gemeinden wichtiger Teil des Föderalismus

Wie respektvoll der Umgang miteinander sich gestalte, zeige der Finanzausgleich, findet Doskozil, weil dabei die Aufteilung der Steuermittel neu diskutiert werde. Am Beispiel der Schulverwaltung führte er aus, wie Bund und Länder zusammenarbeiten, indem bundesgesetzliche Bildungsgrundsätze und Finanzierungsmaßstäbe den Ländern den für sie nötigen Spielraum lassen, selbständig Maßnahmen zu setzen. Dadurch sei es möglich, "Kleinstschulen" zu erhalten, auf Zweisprachigkeit zu achten und wie im Burgenland die Teilungszahl von 25 Schüler:innen in einer Klasse als "Pflichtwert" zu nehmen. Subsidiarität sei aber keine "Einbahnstraße", räumte der Landeshauptmann ein. Auf Landesseite müssten bestimmte Entscheidungen auch an die Gemeindeebene weitergegeben werden, um die "Nähe zum Bürger" in den Gebietskörperschaften zu leben.

Dezentrale Pflege dient Erhalt ländlicher Strukturen

Zum Bereich Pflege sagte Landeshauptmann Doskozil, auch hier seien ein föderaler Vollzug und die Zuständigkeit der Länder fraglos wichtig. Schon um die weitere Ausdünnung der ländlichen Strukturen zu verhindern, wolle das Burgenland 71 Pflegestützpunkte errichten, jeweils zuständig für 1.400 Einwohner:innen. Ziel sei, die kleinteilig organisierte, dezentrale Pflegestruktur des Burgenlands zu erhalten. Die 2018 erfolgte Abschaffung des Pflegeregresses begrüßte der Landeshauptmann in seiner Rede, wiewohl er zu bedenken gab, zur Abfederung der daraus entstehenden Kosten für die Länder müsse man mit laufend neuen 15a-Verträgen zwischen Bund und Ländern die Finanzierung der Pflege sicherstellen. Für die Gemeinnützigkeit der Pflege werde aber durch Umschichtungen im Landesbudget gesorgt, versicherte Doskozil. Nicht nach Stundensatz bezahlte Pflegedienste würden künftig vom Mindestlohn im Burgenland umfasst.

Doskozil verteidigt Mindestlohn im öffentlichen Dienst

Die Politik habe vielfach "vergessen", wie sich das tägliche Leben der Menschen gestaltet, ortet Doskozil zu wenig Bodenhaftung bei Politiker:innen. Einmalige Hilfszahlungen reichten zur Kostendeckung vieler Menschen derzeit nicht mehr aus. Weil das Leben aber mit ehrlicher Arbeit bzw. für Pensionist:innen trotz der horrenden Preissteigerungen leistbar bleiben müsse, habe das Burgenland entgegen aller Kritik einen Mindestlohn von 2.000 € netto monatlich im öffentlichen Dienst eingeführt. Die letzten Gehaltserhöhungen seien dabei "nicht linear" durchgeführt worden, wie bundesgesetzlich vorgesehen, sodass für hohe Beamt:innen und Politiker:innen die Aufstockungen niedriger ausgefallen seien als beispielsweise für Reinigungskräfte. Das Burgenland versuche "für alle da zu sein", fasste der Landeshauptmann zusammen, für die Wirtschaft ebenso wie für die Bürger:innen. "Dafür werden wir gewählt". Vorhaltungen, das Burgenland habe sich durch derartige Maßnahmen stark verschuldet, wies er dezidiert zurück.

Bundesrat richtet Fokus auf Burgenlands Eigenheiten

Burgenlands Landespolitik sorgte im Plenum des Bundesrats für eine harte Debatte. Während die SPÖ die Landespolitik mit ihren eigenständigen Wegen als Vorbild für ganz Österreich lobte, kritisierte die ÖVP landesgesetzliche Maßnahmen, die der Wirtschaft schaden würden. Grüne und NEOS orteten Schwachstellen im landesgesetzlich gesteuerten Gesundheits- und Pflegewesen, die FPÖ verurteilte vor allem den Einfluss der EU auf alle Politikfelder in Österreich. Dennoch klang bei sämtlichen Wortmeldungen der Wunsch durch, gemeinsam für das Land zu arbeiten.

Sandra Gerdenitsch (SPÖ/B) eröffnete die Debatte zur Rede von Landeshauptmann Doskozil im neuen Sitzungssaal des Bundesrats im sanierten Parlamentsgebäude. Die Verbesserungen der "Lebensrealitäten" der Menschen in Krisenzeiten zeigt ihr zufolge das Burgenland mit vielen Maßnahmen vor, nannte sie den Mietpreisdeckel, Fixpreise bei Energie, Alleinerziehendenförderung, Ferienbetreuung von Schüler:innen, Gratiskindergarten bzw. bedarfsorientierte Kinderbetreuung. Neben der monetären Unterstützung - über 36 Mio. € würden jährlich vom Burgenland in die Kindergärten investiert – setze das Land aber auch bei der Bewusstseinsbildung über soziale Gerechtigkeit wichtige Akzente, wie sie anhand der burgenländischen Frauenstrategie skizzierte.

Die Vorzüge des Burgenlands, nicht zuletzt in touristischer Hinsicht, umriss auch Bernhard Hirczy (ÖVP/B), wobei er Österreichs jüngstes Bundesland als Europaregion hervorhob. Allerdings merkte er kritisch an, Burgenlands Landeshauptmann agiere mit seiner absoluten Mehrheit im Land häufig im Sinne der Verstaatlichung. Wettbewerbsverzerrungen würden nach Expertenmeinung durch neue Landesgesetze in Kauf genommen. Vielfach sei auch die PR-tauglichkeit einzelner Maßnahmen – Hirczy nannte den 2.000 €-Mindestlohn – größer als deren tatsächliche Wirkung. Für die Gemeinden habe es wiederum vom Land keinerlei Hilfen während der Corona-Krise gegeben. Dabei hätten diverse "Prestigeprojekte" des Burgenlands bereits zu einer beträchtlichen Schuldensteigerung geführt.

Als Wiener meinte der Freiheitliche Johannes Hübner, vieles im Burgenland "werde richtig gemacht", aber es gebe natürlich – wie überall – Fehler. Maßgeschneiderte Lösungen für die Menschen zu finden im Rahmen der Dezentralisierung stellt für ihn die beste Form der Demokratie dar. Bedroht sieht Hübner dieses Konzept des Föderalismus aber weniger durch den Bund als vielmehr durch die Europäische Union. 80 % der Gesetzesmaterien in Österreich kämen aus Brüssel und würden bis in Landes- und Gemeindebelange eingreifen, erinnerte er an einen im gestrigen EU-Ausschuss des Bundesrats diskutierten Vorschlag der EU-Kommission, die mit einer Verordnung in die Raumplanung eingreifen wolle. "Von einem bürokratischen Organismus erdachte Vorgaben" könnten nicht maßgeschneidert für alle Regionen in Europa sein, hielt Hübner fest. Gleiches gelte für die von der EU geregelten Strompreise.

Maria Huber (Grüne/St) hob die Eigenständigkeit des Burgenlands in vielen Bereichen hervor, etwa bei der Pflege. Das burgenländische Modell enthalte aber "einige Fallstricke", bezog sie sich auf die Finanzierung, die nur Angehörige umfasse, aber nicht pflegerische Fachdienste. Letztere müssten selbst bezahlt werden. Dienstverhältnisse des Landes mit den pflegenden Angehörigen sorgten zudem für eine klare Schlechterstellung dieser Angestellten. Zu den angepeilten 71 Pflegestellen meinte sie, hier gebe es viel Kritik von Fachorganisationen, da Menschen dabei "wie Figuren auf einem Spielbrett" verschoben würden, weg von den ihnen bekannten Pflegekräften. Zielführende Reformen im Pflegebereich müssten anders aussehen. Ein weiteres großes Problem im Burgenland ist der Grünen-Bundesrätin zufolge die Bodenversiegelung, die weiter voranschreite.

Den Föderalismus beleuchtete wie schon Doskozil Karl-Arthur Arlamovsky (NEOS/W) vorrangig in Hinblick auf das Gesundheitswesen. "Wir haben zu viele Spitäler in Österreich", meinte er, vielfach handle es sich dabei um "Prestigespitäler". Viele stationär erbrachte Leistungen sollten aber besser im niedergelassenen Bereich erfolgen. Zur Abschaffung des Pflegeregresses sagte er, dieser sei "überhastet" erfolgt, wodurch vielfach die Pflege in Heime gewandert sei. Die mobile Pflege solle das Ziel sein, durchgeführt von Fachkräften. "Vorsichtig wohlwollend" bewertete er daher diesbezügliche Pläne des Burgenlands. Generell meinte er zum Finanzausgleich, dieser sollte aufgaben- und leistungsorientiert ausgestaltet sein, mit einer Steuerautonomie für Länder und Gemeinden, etwa über die Einkommenssteuer. (Fortsetzung Bundesrat) rei

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