Parlamentskorrespondenz Nr. 233 vom 02.03.2023
Jahresvorschau 2023: Innenressort erörtert sicherheitspolitische Vorhaben der EU
Wien (PK) - Das Innenministerium hat seinen Bericht zum Legislativ- und Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2023, zum Achtzehnmonats-Programm des Rates der Europäischen Union sowie zur österreichischen Position bezüglich deren Vorhaben vorgelegt (III-865 d.B. und III-805-BR/2023 d.B.).Positiv bewertet es darin Vorschläge, die den besseren EU-weiten Datenaustausch etwa zur Kriminalitätsbekämpfung betreffen – auch wenn datenschutzrechtliche Bedenken angeführt werden. Kritisch sieht das Innenressort viele migrationspolitische Initiativen die aus seiner Sicht eine Anreizwirkung entfalten könnten.
Verbesserter Datenaustausch bei Reisen, Kriminalitätsbekämpfung und Migrationssteuerung
Bei den neuen Gesetzesinitiativen der Europäischen Kommission ist das Innenressort federführend für eine Initiative zur Digitalisierung von Reisedokumenten zuständig. Ziel ist es, ein gemeinsames Format für digitale Reisedokumente zu schaffen und damit Dokumentenbetrug zu bekämpfen sowie Grenzkontrollen zu vereinfachen. Österreich begrüße die Schaffung digitaler Reisedokumente, das Innenressort betont jedoch, dass diese nur als Ergänzung zu den bestehenden physischen Reisepässen und Personalausweisen fungieren könnten. Zudem sei auf Datensicherheitsstandards und die bestmögliche Nutzung von Software- und Infrastrukturkapazitäten zu achten.
Zum besseren EU-weiten Datenaustausch im Rahmen der Kriminalitätsbekämpfung finden sich im Arbeitsprogramm der Kommission drei "vorrangig anhängige Vorschläge". So unterstützt Österreich laut Innenressort einen Vorschlag zur Ausweitung der Datenkategorien im automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit (Prüm II) und eine dementsprechende Modernisierung der technischen Infrastruktur. Darunter fallen etwa Gesichtsbilder, Kriminalakten oder Führerscheindaten. Auch Europol soll in das Prüm-System integriert werden.
Nach einem weiteren von Österreich grundsätzlich unterstützten Vorschlag, soll den Strafverfolgungsbehörden aller Mitgliedstaaten ein gleichwertiger Zugang zu Informationen ermöglicht werden, die in anderen Mitgliedstaaten zu Verfügung stehen. Auch soll der großen Zahl der dafür genutzten Kommunikationskanäle entgegengewirkt und die Rolle von Europol als Austauschplattform für strafrechtliche Informationen gestärkt werden. Kritisch beurteilt Österreich jedoch im Vorschlag enthaltene Bestimmungen bezüglich eines terminlich fixierten Überprüfungszeitraums für Daten in den nationalen Fallbearbeitungssystemen und die Möglichkeit des Wechsels der Kommunikationskanäle während eines laufenden Informationsaustausches. Diese Aspekte würden die polizeiliche Arbeit erschweren.
Gänzlich positiv wertet das Innenministerium einen Vorschlag, nach dem Eurodac, die europäische biometrische Datenbank für Fingerabdrücke, zu einer umfassenden EU-weit interoperablen Migrationsdatenbank werden soll. Neben verbesserten Einreisekontrollen durch die klare Identifizierung, verspricht sich das Ressort dadurch die Möglichkeit zur Feststellung aktueller Migrationstrends, zur Verknüpfung von Verfahrensarten (Asyl-, Rückkehr-, Visa- und Strafverfahren) sowie zur Bekämpfung von Sekundärmigration.
Migrationspolitik: Österreich kritisch bei EU-Vorhaben
Migration ist auch das übergeordnete Thema von 13 weiteren Vorschlägen der Europäischen Kommission. Verfahrensvereinfachung für Drittstaatsangehörige, die zu Arbeitszwecken legal in die EU kommen - inklusive jederzeit möglicher Inlandsantragstellung, erleichtertem Arbeitgeberwechsel und viermonatiger Befristung der Verfahrensdauer bei Auslandsantragstellung - werden vom Innenressort ebenso kritisch beurteilt, wie die Erleichterung des Erwerbs eines Langzeitaufenthalts-Status. Letztere führe laut Innenressort zu einer Besserstellung von Drittstaatsangehörigen gegenüber EU-Bürger:innen. Einen zu starken Fokus auf Relokation beziehungsweise Resettlement hätten Vorschläge zu einem Solidaritätsmechanismus in Krisensituationen oder "Situationen höherer Gewalt", einem Neusiedlungsrahmen der Union und einer Verordnung über die Steuerung von Asyl- und Migration, wie das Innenministerium bemängelt.
Österreich setze sich für ein verpflichtendes aber flexibles Solidaritätsmodell ein, das die Möglichkeit alternativer Leistungen vorsieht, etwa im Grenzschutz und in der Schaffung von Perspektiven vor Ort, um den Migrationsdruck zu reduzieren. Weiters soll laut Innenresort der Solidaritätsmechanismus in Folge von Search-and-Rescue-Operationen in vorliegender Form gestrichen werden, damit keine Pull-Faktoren geschaffen werden und stattdessen die enge Zusammenarbeit mit den Mittelmeer-Nachbarstaaten und den Transitländern entlang der Migrationsrouten im Mittelpunkt stehen.
Vorschläge der EU-Kommission zur Vereinheitlichung der Anwendung von Maßnahmen an den Außengrenzen im Rahmen des Schengener Grenzkodex sowie zur Harmonisierung von Asylverfahren und zur An- oder Aberkennung von internationalem Schutz, betrachtet Österreich differenziert. So müsse bei der Überarbeitung des Schengener Grenzkodex auf ausreichenden Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten geachtet werden, damit diesen die Entscheidung über die Einführung von Binnengrenzkontrollen überlassen bleibe. Bezüglich der Asylverfahren begrüßt Österreich die von der EU-Kommission vorgeschlagene Stärkung des Konzepts der Außengrenzverfahren, vorgelagerte Screening-Verfahren und die stärkere Verknüpfung zwischen Asyl- und Rückkehrverfahren. Der aktuelle Entwurf des Grenzverfahrens greife jedoch zu kurz, da er etwa durch eine große Zahl an Ausnahmen "ausgehöhlt" werde, so das Innenressort. Auch bei der Vereinheitlichung der Regelungen zur An- und Aberkennung von internationalem Schutz ortet das Innenministerium Nachschärfungsbedarf, insbesondere was die Aberkennung im Falle von Straffälligkeit betrifft.
Positiv steht Österreich zu Vorschlägen bezüglich der Bekämpfung der Instrumentalisierung von Migration etwa im Rahmen hybrider Angriffe und zu einem flächendeckenden Screening an der EU-Außengrenze, bei dem eine umfassende Identitätsfeststellung sowie eine Sicherheits- und Gesundheitsüberprüfung durchgeführt werden sollen. Auch ein effektives und harmonisiertes EU-Rückkehrsystem und die Angleichung der Aufnahmebedingungen in den einzelnen Mitgliedsländern werden begrüßt. Wesentlich für Österreich ist dabei die Bekämpfung der Sekundärmigration, also die Bewegung von Migrant:innen von einem EU-Staat in einen anderen.
Unter den Vorschlägen findet sich auch ein Verordnung zur Festlegung eines harmonisierten Rechtsrahmens für die Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet. Das Innenressort betont die Unterstützung Österreichs dafür, verweist jedoch gleichzeitig auf die Anforderungen des Datenschutzes sowie der Grund- und Freiheitsrechte aller Betroffenen.
Achtzehnmonatsprogramms des Rates der EU
Frankreich, Tschechien und Schweden haben als Vorsitzende des Rates der EU für den Zeitraum von 1. Jänner 2022 bis 30. Juni 2023 ein gemeinsames Achtzehnmonatsprogramm vorgelegt, das den Rahmen für die Organisation und Planung der Arbeit des Rates definiert. Das Innenressort äußert sich überwiegend positiv zu den darin enthaltenen Vorhaben, wie eine Strategie für einen reibungslos funktionierenden und resilienten Schengen-Raum und einen Änderungsvorschlag des Schengener Grenzkodex. Bei letzterem sei laut Innenressort darauf zu achten, dass es zu keiner Beschränkung des Handlungsspielraums der Mitgliedstaaten kommt.
Das vom Rat der EU vorgeschlagene Migrations- und Asylpaket wird grundsätzlich begrüßt. Kritisch gesehen werden wiederum der Fokus auf Relokation, die Rückkehrpatenschaften und der Solidaritätsmechanismus. In diesem Zusammenhang positiv beurteilt werden die Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern, die Gewährleistung wirksamer Rückführungen sowie die Zielsetzung des Rates, illegale Migration stärker zu bekämpfen. Österreich begrüßt laut Bericht außerdem die Bestrebungen im Kampf gegen Terrorismus, Extremismus und organisierter Kriminalität sowie bei der Interoperabilität der EU-Informationssysteme.
Die Maßnahmen im Bereich des Katastrophenschutzes und der Resilienz kritischer Infrastruktur, wie die Einrichtung des "Unions-Wissensnetzes für Katastrophenschutz", finden ebenfalls Österreichs Unterstützung. Dabei sei die Einhaltung des Subsidiaritäts- und des Proportionalitätsprinzips zentral, sodass primär die Mitgliedstaaten selbst ihre Resilienz stärken und den europäischen Institutionen eine "last resort"-Rolle in besonders kritischen Krisensituationen zukommt, wie im Bericht festgehalten wird. (Schluss) wit