Parlamentskorrespondenz Nr. 276 vom 14.03.2023

Volksanwaltschaftsausschuss diskutiert über Verankerung von sozialen Grundrechten in der Verfassung

Austausch mit Volksanwalt Bernhard Achitz über Sonderbericht zu NGO-Forum

Wien (PK) – Der Volksanwaltschaftsausschuss diskutierte heute anlässlich eines Sonderberichts über soziale Grundrechte. Im Bericht wird kritisiert, dass in Österreich nicht alle Bevölkerungsgruppen einen Anspruch auf Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe haben. Gefordert werden deshalb soziale Grundrechte im Verfassungsrang. Volksanwalt Bernhard Achitz berichtete von einem NGO-Forum, das dem Bericht zugrunde liegt, und unterstrich die Forderung der beteiligten Organisationen, soziale Grundrechte durch eine Verankerung in der Verfassung außer Streit zu stellen. Der Bericht wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.

Bericht fordert Verfassungsrang für Sozialrechte

Der Sonderbericht (III-756 d.B.) spiegelt die Meinung von Vertreter:innen von NGOs wider, die über Vorschlag des Menschenrechtsbeirats der Volksanwaltschaft bei einem NGO-Forum anwesend waren. Zentrale Forderung ist die Verankerung von sozialen Grundrechten im Verfassungsrang. Konkret werden soziale Grundrechte in der Gesundheitsversorgung samt Pflege, bei leistbarem Wohnen und in der Daseinsvorsorge sowie der Bildung eingefordert.

Um armutsgefährdeten Personen rasche Hilfe zu ermöglichen, wird etwa ein Rechtsanspruch auf Vorleistungen zur Sozialhilfe eingefordert. Neben Verfahrensvereinfachungen wären laut Bericht auch eigene Amtstage für Antragsteller:innen in den Bezirksgerichten hilfreich. Zur Minderung der Obdachlosigkeit wird empfohlen, ein Grundrecht auf soziales Wohnen einzuführen und das Hinauftreiben der privaten Mietzinse zu verhindern. Um der Problematik der Bildungsvererbung entgegenzuwirken, brauche es einen quantitativen und qualitativen Ausbau der elementarpädagogischen Betreuung und gesetzlich garantierte Budgetmittel für die Schulen.

Die Volksanwaltschaft empfiehlt, die im Regierungsprogramm vorgesehenen Verhandlungen zur Erarbeitung eines umfassenden österreichischen Grundrechtskatalogs und Prüfung einer allfälligen Erweiterung der Grundrechte schnellstmöglich in Angriff zu nehmen. Schließlich sei Österreich der einzige EU-Staat, der bislang keine sozialen Grundrechte in der Verfassung verankert hat. Prioritär sein sollte die soziale Absicherung von durch Armut betroffenen Menschen und deren gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, so die Volksanwaltschaft.

Abgeordnete diskutieren mit Volksanwalt über Bericht

Im Austausch mit dem für Soziales zuständigen Volksanwalt Bernhard Achitz zeigte sich Bettina Rausch (ÖVP) kritisch zum Bericht und zur Zusammensetzung des NGO-Forums, an dem zwar Vertreter:innen der Arbeiterkammer, nicht aber der anderen Sozialpartnerorganisationen teilgenommen hätten. Den Grundrechtskatalog zu erweitern, wie im Bericht angeführt, sehe sie skeptisch, weil das die parlamentarische Freiheit einschränken würde. Die Frage, was sozial gerecht sei, müsse in einer Demokratie immer wieder diskutiert werden. Das Parlament solle dabei weiterhin die Gestaltungshoheit haben, so Rausch, die eine Verlagerung hin zur Gerichtsbarkeit nicht für sinnvoll hielt. Insgesamt lese sich der Bericht eher wie ein Forderungskatalog, sagte die Abgeordnete.

Es handle sich um einen Tagungsband, nicht um einen Forderungskatalog, entgegnete Volksanwalt Achitz. Der Bericht gebe das wieder, was beim NGO-Forum diskutiert worden sei, und gebe Empfehlungen ab. Die Zusammensetzung des Forums und die Auswahl der Themen sei in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit der Zivilgesellschaft festgelegt worden. Eine Verlagerung hin zu den Gerichten sehe er nicht. Bereits in der Vergangenheit habe beispielsweise der Verfassungsgerichtshof auch Änderungen in der Sozialgesetzgebung geprüft. Dafür habe er manchmal weit hergeholte Brücken bauen müssen. Eine Verankerung in der Verfassung würde Rechtssicherheit für die Gerichte bringen.

Anders als die ÖVP sahen die SPÖ-Abgeordneten den Bericht und das NGO-Forum positiv. Mario Lindner (SPÖ) zeigte sich nicht verwundert über die Wortmeldung der ÖVP-Mandatarin Rausch. Sie zeige, dass die ÖVP mit sozialen Grundrechten nichts anfangen könne. Lindner wollte ebenso wie seine Fraktionskollegin Sabine Schatz wissen, welche Auswirkungen aktuelle Krisen wie die Pandemie und die Teuerung auf soziale Grundrechte haben und inwiefern sich die Dringlichkeit einer Verankerung in der Verfassung dadurch verstärkt habe.

Was eine solche Verankerung mit Blick auf aktuelle Krisen bewirken könne, hänge letztlich von der konkreten Formulierung der Grundrechte ab, so Achitz. Im Rahmen des NGO-Forums hätten die Organisationen die Befürchtung geäußert, dass die sozialen Errungenschaften durch die Corona-Pandemie unter Druck geraten könnten. Es habe sich gezeigt, wie schnell es gehen könnte, dass Grundrechte eingeschränkt werden. Dass die Grund- und Freiheitsrechte in der Pandemie nur mit einer speziellen Begründung und in gewissem Ausmaß beschränkt werden durften und dass der Verfassungsgerichtshof diese Einschränkungen auch geprüft hat, sei durch die Verankerung in der Verfassung außer Streit gestellt. In gleicher Weise wollen die NGOs auch den Sozialstaat und die damit verbundenen Rechte außer Streit gestellt sehen, berichtete der Volksanwalt.

Sowohl das NGO-Forum als auch der daraus entstandene Bericht wurde auch von Seiten der Grünen begrüßt. Heike Grebien (Grüne) thematisierte, dass in vielen europäischen Ländern soziale Grundrechte bloß in Form von Staatszielbestimmungen in den Verfassungen verankert seien. Diese würden noch keine unmittelbaren Ansprüche für die Menschen schaffen. Sie wollte wissen, ob der Volksanwalt eine ähnliche Verankerung auch in Österreich befürworte und welche Vor- und Nachteile sich daraus ergeben. Auch Ulrike Fischer (Grüne) fragte nach, ob Achitz eine Erweiterung der Grundrechte in der Verfassung für notwendig halte, und an welchen konkreten Schrauben es zu drehen gelte.

Wie man soziale Grundrechte in der Verfassung verankere und wie weit man dabei gehe, sei letztlich eine politische Entscheidung, sagte der Volksanwalt. Grundrechte seien nichts Selbstverständliches und müssten stets erkämpft werden, meinte Achitz. Der österreichische Grundrechtskatalog sei schon sehr lange nicht mehr weiterentwickelt worden. Darauf weise die Volksanwaltschaft auf Bitte der beteiligten NGOs guten Gewissens hin, ohne sich jeder einzelnen Forderung im Bericht anzuschließen.

Von der FPÖ erinnerte Christian Ragger an den Österreich-Konvent, bei dem bereits vor 20 Jahren ähnliche Fragen beraten worden seien. Vor diesem Hintergrund wollte Ragger wissen, ob begleitend zum Bericht Gespräche mit den Bundesländern geführt worden seien. Schließlich würden viele von sozialen Grundrechten betroffene Bereiche, wie etwa die Mindestsicherung oder die Jugendwohlfahrt, in den Kompetenzen der Länder liegen.

Der Sonderbericht sei auch allen Landtagen übermittelt worden und werde dort behandelt, gab Bernhard Achitz Auskunft. In diesem Rahmen weise die Volksanwaltschaft darauf hin, dass auch die Länder soziale Grundrechte in ihren jeweiligen Landesverfassungen abbilden können.

Als wichtigen Diskussionsbeitrag bezeichnete Johannes Margreiter (NEOS) den Bericht der Volksanwaltschaft. Aus seiner Sicht werde aus der in der Verfassung festgelegten Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bereits deutlich, dass soziale Fragen eine politische Aufgabe seien. Er würde wenig davon halten, weitere Grundrechte zu formulieren und dadurch klagbare Ansprüche für die Menschen zu schaffen, wenn diese vom Staat nicht erfüllt werden können. Das hieße, das Pferd von hinten aufzuzäumen, so Margreiter. Aus seiner Sicht stehe in mehreren Bereichen, etwa bei der Umsetzung der Daseinsvorsorge, im Bildungswesen oder im Gesundheitsbereich, der Föderalismus im Weg. Er wollte daher wissen, ob seitens der Volksanwaltschaft angedacht sei, den Föderalismus zu evaluieren.

Die Volksanwaltschaft setze sich nicht mit dem Föderalismus grundsätzlich auseinander, weil das momentan nicht in ihrer Kompetenz liege, führte Achitz aus. Man befasse sich aber mit den Auswirkungen des Föderalismus auf die betroffenen Menschen und weise darauf hin, wenn föderalistische Bestimmungen zu Ungerechtigkeiten führen. Dies sei etwa im Pflegebereich teilweise der Fall, so der Volksanwalt. (Fortsetzung Volksanwaltschaftsausschuss) kar