Parlamentskorrespondenz Nr. 277 vom 14.03.2023

Volksanwaltschaftsausschuss beschäftigte sich mit behördlichen Abläufen im Vorfeld des Terroranschlags in Wien

Zur Debatte stand außerdem ein Volksanwaltschaftsbericht zu den Lebensbedingungen von inhaftierten Jugendlichen

Wien (PK) – Die Frage, ob der Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien von Vornhinein hätte verhindert werden können, beschäftige heute den Volksanwaltschaftsausschuss des Nationalrats. Diskussionsgrundlage bildete ein Sonderbericht der Volksanwaltschaft. Demnach ortet die Kontrolleinrichtung Versäumnisse im Innenressort und Fehler bei der Terrorismusbekämpfung, wobei Volksanwalt Walter Rosenkranz betonte, dass man das Attentat nicht zu 100 % verhindern hätte können. Mit ordnungsgemäßem Handeln wäre man den 100 % aber nahe gekommen, meinte er.

Außerdem wurde ein Wahrnehmungsbericht der Volksanwaltschaft zum Jugendstrafvollzug debattiert. Inhaftierte Jugendliche sollten bestmöglich auf das Leben nach der Haft vorbereitet werden, richtet die Volksanwaltschaft einen Appell an den Gesetzgeber. Volksanwältin Gaby Schwarz betonte die Bedeutung der Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur. Beide Berichte wurden vom Ausschuss einhellig zur Kenntnis genommen.

Terroranschlag: Kritik am Informationsfluss zwischen den Behörden

Das Innenministerium bzw. das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) habe im Vorfeld über ausreichend Hinweise verfügt, dass der spätere Attentäter einen Anschlag plant, stellt die Volksanwaltschaft in ihrem Sonderbericht (III-807 d.B.) zum Terroranschlag vom 2. November 2020 fest. Es wird harsche Kritik am Informationsfluss zwischen den Sicherheitsbehörden geübt. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig in die Ermittlungen eingebunden wurde, erachtet sie als schwerwiegenden Fehler. Konkret geht es um die Information über einen versuchten Munitionskauf des späteren Attentäters, welche von Europol an das Innenministerium, von dort aber erst ein Monat später an das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) weitergeleitet wurde. Eine kriminalpolizeiliche Meldung an die Justiz unterblieb und es wurden keine Schritte zur Eindämmung der Gefahr gesetzt, heißt es im Bericht. Aus Sicht der Volksanwaltschaft hätten konkrete Maßnahmen wie die Observation des späteren Täters erfolgen müssen.

Wenn ordnungsgemäß rasch gehandelt, der Berichtspflicht früher nachgekommen und die rechtliche Beurteilung zur Staatsanwaltschaft oder einem Gericht gekommen wäre, hätte man der Person zu einem früheren Zeitpunkt habhaft werden können, meinte dazu Volksanwalt Walter Rosenkranz mit dem Nachsatz "im Nachhinein ist man natürlich klüger". Der Munitionskauf alleine wäre zwar zu dürftig für polizeiliche Maßnahmen gewesen, zum Zeitpunkt der Ermittlungen lagen aber weitere Fakten - wie eine Verurteilung unter Bewährung - vor, sagte Rosenkranz gegenüber den Abgeordneten Andreas Kollross (SPÖ), Christian Ries (FPÖ), David Stögmüller (Grüne) und Stephanie Krisper (NEOS). Er führte die Versäumnisse auf menschliches Versagen und die Bürokratisierung zurück und unterstrich die Empfehlung der Volksanwaltschaft zu Disziplinarmaßnahmen. Generell gehe es aber nicht um "Name-Dropping", sondern um systemische Punkte, meinte er.

Auch nach der BVT-Reform würden weiterhin Unklarheiten bei der verpflichtenden Berichterstattung der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) an die Staatsanwaltschaft bestehen, wird von der Volksanwaltschaft kritisiert. Die von Peter Weidinger (ÖVP), Christian Ries (FPÖ) und Stephanie Krisper (NEOS) angesprochenen Schulungsmaßnahmen zur Verbesserung der Personalentwicklung im Zuge der Neustrukturierung werden von der Volksanwaltschaft positiv gewertet. Jedoch berichtete Rosenkranz von einer hohen Personalfluktuation innerhalb des Verfassungsschutzes, Mobbing-Vorwürfen und "Eifersüchteleien" zwischen den Organisationseinheiten.

Einen Verwaltungsmissstand sieht die Volksanwaltschaft außerdem bei der unzureichenden Aktenübermittlung des Innenministeriums im Zuge der Untersuchung, während die Kooperation mit dem Justizministerium anstandslos verlaufen sei, wie Volksanwalt Walter Rosenkranz vor den Ausschussmitgliedern erläuterte. Es ging dabei um Ermittlungsdokumente des Bundesamts zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung (BAK). Insbesondere Peter Weidinger (ÖVP), Rudolf Silvan (SPÖ) und Christian Ries (FPÖ) hatten sich danach erkundigt.

Jugend in Haft: Resozialisierung als höchste Priorität

Die Volkanwaltschaft untersuchte im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die präventive Menschenrechtskontrolle die Lebens- und Aufenthaltsbedingungen von inhaftierten Jugendlichen und leitete daraus Empfehlungen für eine verbesserte Betreuung im Jugendstrafvollzug ab (III-859 d.B.). Resozialisierung und Rückfallprävention sollten oberste Priorität haben, so die zentrale Botschaft. Kritisiert werden in diesem Zusammenhang etwa eingeschränkte Besuchszeiten und die räumliche Entfernung zur Familie - was es den Inhaftierten erschwert, ihr soziales Netz aufrechtzuerhalten - die Ordnungsstrafe "Hausarrest" und unzureichende psychiatrische Versorgung. Die Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur erscheint als "das Um und Auf", meinte Volksanwältin Gaby Schwarz. Hier gäbe es noch viel Luft nach oben. Auch auf die bessere Erreichbarkeit von Familienmitgliedern, etwa Besuche an Wochenenden, sollten die Jugendlichen ihrer Ansicht nach ein Recht haben.

Mehrere Abgeordnete thematisierten die Möglichkeiten einer Berufsausbildung im Strafvollzug, woraufhin Schwarz von einem Projekt der Justizanstalt Graz-Jakomini berichtete, in dem soziale Kompetenzen für die Lehrstellensuche vermittelt werden. Es soll nun auch in anderen Anstalten ausgerollt werden, wurden Gudrun Kugler (ÖVP), Rudolf Silvan (SPÖ), Agnes Sirkka Prammer (Grüne) und Johannes Margreiter (NEOS) informiert. Von Cornelia Ecker (SPÖ) auf die Situation in der Justizanstalt Gerasdorf angesprochen, meinte die Volksanwältin, dass aufgrund der Raumnot umliegender Justizanstalten eine andere Nutzung der Räumlichkeiten angedacht werden sollte. Dass es zu einem eklatanten Rückgang an Ordnungsstrafverfahren gekommen ist, sei ebenso zu begrüßen wie ein gemischter Belag, sofern die Gefahrenabwägung diese Individualentscheidung zulässt, hielt Gaby Schwarz gegenüber Agnes Sirkka Prammer (Grüne) fest.

Laut der Volksanwältin seien bereits erste Konsequenzen aus dem Wahrnehmungsbericht abgeleitet worden. Das Justizministerium habe eine Arbeitsgruppe mit dem Zeithorizont eingerichtet, die Empfehlungen noch dieses Jahr abzuhandeln. Christian Lausch (FPÖ) geht davon aus, dass die Empfehlungen einen hohen personellen und finanziellen Aufwand bedeuten würden und schlug die Möglichkeit einer GPS-Fußfessel in Einzelfällen als Alternative vor.

Die Anzahl junger Menschen in Haft nimmt seit 2016 ab. Mit Stichtag 1. August 2022 waren in Österreich 113 Jugendliche und 337 junge Erwachsene (unter 22 Jahren) - hauptsächlich wegen Vermögensdelikten wie Raub und Diebstahl - inhaftiert. (Schluss Volksanwaltschaftsausschuss) fan