ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss: Nationalrat nimmt Abschlussbericht zur Kenntnis
Parteien ziehen unterschiedliche Schlüsse
Wien (PK) – Der Nationalrat hat heute einstimmig den Abschlussbericht des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses zur Kenntnis genommen, der inklusive der fünf Fraktionsberichte knapp 1.000 Seiten umfasst. Die Arbeit des Untersuchungsausschusses ist damit beendet. Die Bilanz der einzelnen Parteien fällt höchst unterschiedlich aus. Während der Untersuchungsausschuss für die ÖVP nur dürftige Erkenntnisse gebracht habe, sehen SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS ein systematisches Korruptionsproblem bei der Volkspartei.
Zwei im Zuge der Debatte von der SPÖ eingebrachte Entschließungsanträge zur Kooperation von ÖVP-Regierungsmitgliedern mit der Staatsanwaltschaft und zur Auflösung der COFAG blieben in der Minderheit. Auch ein im Rahmen einer Geschäftsordnungsdebatte von Jörg Leichtfried (SPÖ) eingebrachter Antrag, den Innenminister herbeizuschaffen, fand keine Mehrheit. Leichtfried kritisierte, dass keine Regierungsmitglieder während der Debatte anwesend waren. Die Klubobleute August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne) verwiesen darauf, dass das nicht üblich sei und derartige Anliegen in der Präsidialkonferenz besprochen werden sollten.
Abschlussbericht des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses
Mit der heutigen Behandlung des Abschlussberichts im Nationalratsplenum ist die Arbeit des ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschusses nach rund einjähriger Prüftätigkeit beendet. Zu dem knapp 1.000 Seiten langen Konvolut kommen noch zahlreiche Stellungnahmen von im Bericht erwähnten Personen und Organisationen. Einen gemeinsamen Nenner, was die Ergebnisse des Ausschusses betrifft, gibt es nicht. Die Parteien ziehen aus den durchgeführten Befragungen und den vorgelegten Akten und Dokumenten zum Teil höchst unterschiedliche Schlüsse.
So sieht sich etwa die ÖVP in ihrer Vermutung bestätigt, dass die Einsetzung des Untersuchungsausschusses rein parteipolitisch motiviert war. Letztendlich habe es einen enormen Ressourcenaufwand "ohne relevanten Erkenntnisgewinn" für die Optimierung von Prozessen im Rahmen der Vollziehung des Bundes gegeben, ist sie überzeugt. Auch kann sie keine Hinweise auf Korruption bei aktiven und ehemaligen ÖVP-Regierungsmitgliedern ausmachen.
Eine gegensätzliche Bilanz ziehen die anderen vier Fraktionen. Ihrer Ansicht nach hat der Untersuchungsausschuss sehr wohl einiges zutage gebracht, wobei die Grünen und die NEOS etwa "Postenschacher", die missbräuchliche Verwendung von Steuergeld und eine "Spezialbehandlung für Superreiche" orten. Außerdem sind sich sowohl die SPÖ als auch die FPÖ nach dem Durchforsten der an den U-Ausschuss gelieferten Akten und der Befragung von mehr als 80 Auskunftspersonen sicher, dass die ÖVP ein systematisches Korruptionsproblem hat.
Zu den Empfehlungen einzelner oder mehrerer Fraktionen gehören unter anderem die Schaffung eines Informationsfreiheitsgesetzes, eine absolute Höchstgrenze für Inseratengelder, ausreichende Ressourcen für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die Ausweitung von Dokumentationspflichten, eine TV-Übertragung von Befragungen in U-Ausschüssen, öffentliche Hearings für Spitzenfunktionen sowie eine stärkere Berücksichtigung von Grund- und Persönlichkeitsrechten bei der Ausschussarbeit. Auch Verfahrensanwalt Wolfgang Pöschl, auf dessen Entwurf der Bericht von Ausschussvorsitzendem Wolfgang Sobotka beruht, hat einige Anregungen. Sie reichen von der Einrichtung einer unabhängigen Bundesstaatsanwaltschaft über gesetzliche Schutzmaßnahmen für private Chats und Handydaten bis hin zu budgetären Höchstgrenzen für Generalsekretariate und politische Kabinette in den Ministerien.
Eingesetzt worden war der ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss auf Basis eines gemeinsamen Verlangens von SPÖ, FPÖ und NEOS. Er trat zu insgesamt 48 Sitzungen zusammen und befragte 82 Auskunftspersonen. Der Aktenbestand umfasste rund 27 Millionen Seiten.
ÖVP: Erkenntnisse des Untersuchungsausschusses waren "dürftig"
Die höchst unterschiedlichen Standpunkte der Fraktionen kamen auch in der Debatte zum Ausdruck. Von der ÖVP bekannte sich Andreas Hanger zwar zum Untersuchungsausschuss als wichtiges parlamentarisches Kontrollinstrument, sah aber Luft nach oben bei der Handhabung dieses Instruments. Aus seiner Sicht habe der Untersuchungsgegenstand aufgrund seiner fehlenden Abgrenzung nicht der Verfassung entsprochen. Auch die Erkenntnisse bezeichnete er als "sehr dürftig", wobei Hanger betonte, seine Aussagen auf den Bericht des Verfahrensrichters und nicht auf die Fraktionsberichte zu stützen. Hanger forderte Reformen in Bezug auf die Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes, den Schutz der Persönlichkeitsrechte und schnellere Verfahren. Er sprach sich wie seine Fraktionskollegin Corinna Scharzenberger für ein Zitierverbot aus Strafakten während laufender Ermittlungen aus.
Scharzenberger war der Ansicht, es habe noch nie einen Untersuchungsausschuss gegeben, der weniger Erkenntnisse gebracht und gleichzeitig so viel Geld gekostet habe. Der Ausschuss sei zu einem "parteipolitischen Tribunal" mutiert, meinte sie. Christian Stocker (ÖVP) bezeichnete die Debatten im Ausschuss und im Plenum als "Oppositionstheater". Das Stück sei bereits geschrieben gewesen, bevor der Ausschuss begonnen habe.
SPÖ sieht systematisches Korruptionsproblem bei ÖVP
Anders als die ÖVP sehen die übrigen Fraktionen ein klares Korruptionsproblem bei der Volkspartei. Kai Jan Krainer (SPÖ) führte mit mutmaßlichen Interventionen des Finanzministeriums in Steuerverfahren, parteipolitisch motivierten Meinungsumfragen und Inseratenvergaben durch ÖVP-Kabinette einige Beispiele an, die der Untersuchungsausschuss zu Tage gefördert habe. Krainers Bilanz lautete: "Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem. Sie ist das Korruptionsproblem". Er warf der Volkspartei zudem vor, die Arbeit des Untersuchungsausschusses behindert zu haben. Nun könne sich die ÖVP entscheiden, ob sie weiterhin Teil des Problems sein wolle oder lieber Teil der Lösung.
Julia Herr (SPÖ) kritisierte insbesondere die mutmaßliche Sonderbehandlung von "Superreichen" und führte als Beispiele Sigi Wolf und René Benko an. Aus ihrer Sicht sind Millionärssteuern dringend notwendig, um der Einflussnahme von Reichen auf die Politik vorzubeugen.
Andreas Kollross (SPÖ) zeigte sich überzeugt, dass lückenlose Aufklärung nur möglich sei, wenn die ÖVP nach 40 Jahren die Regierungsbank räume. Auch Christoph Matznetter (SPÖ) forderte die Volkspartei auf, Konsequenzen zu ziehen. Kollross brachte zudem einen Entschließungsantrag ein, mit dem er vom Bundeskanzler und anderen ÖVP-Regierungsmitgliedern Kooperation mit der Staatsanwaltschaft und die Unterlassung von Datenlöschung und Aktenvernichtung einmahnte. Der Antrag blieb in der Minderheit.
Katharina Kucharowits und Reinhold Einwallner (beide SPÖ) orteten systematische Korruption in der ÖVP. Es handle sich nicht um Einzelfälle. Kucharowits thematisierte insbesondere die COVID-19-Finanzierungsagentur COFAG, durch die Großkonzerne überfördert worden seien. Sie brachte im Zuge der Debatte einen Entschließungsantrag ein, mit dem die Sozialdemokrat:innen die Regierung auffordern wollten, bis Ende Mai einen Gesetzesentwurf zur Auflösung der COFAG und Wiedereingliederung ihrer Aufgaben in die staatliche Verwaltung vorzulegen. Auch dieser Antrag fand keine Mehrheit.
FPÖ: "ÖVP hat sich Staat einverleibt"
Christian Hafenecker von der FPÖ bezeichnete den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss als den "erschütterndsten Untersuchungsausschuss der Zweiten Republik". Es sei freigelegt worden, wie die ÖVP sich den Staat einverleibt habe - vom "Beinschab-Tool" über den Fördermissbrauch von der ÖVP nahen oder zugehörigen Institutionen bis zur mutmaßlichen Inseratenkorruption. Die Vorgänge rund um die COFAG oder den Wirecard-Skandal habe man aus Zeitgründen gar nicht mehr behandeln können. Hafenecker machte dafür die NEOS verantwortlich, die sich gegen eine Verlängerung des Untersuchungsausschusses ausgesprochen haben.
Der Untersuchungsausschuss habe aber auch gezeigt, dass die Geschäftsordnung nicht auf einen parteiischen Vorsitzenden wie Wolfgang Sobotka und taktische Meldungen zur Geschäftsordnung von ÖVP-Abgeordneten vorbereitet sei. Hafenecker forderte daher eine Überarbeitung der Verfahrensordnung und die Einführung einer Live-Übertragung von U-Ausschüssen.
Für Wolfgang Zanger (FPÖ) sei die Erkenntnis des Untersuchungsausschusses eindeutig: "Wo ÖVP draufsteht, ist Korruption drinnen". Christian Ries (FPÖ) zeigte sich entsetzt über eine Aussage des Nationalratspräsidenten, in der er die Wahrheitspflicht vor dem Untersuchungsausschuss in Frage gestellt hatte.
Grüne: Untersuchungsausschuss als "Vertrauensrückholaktion"
Nina Tomaselli (Grüne) zufolge hat der Untersuchungsausschuss eine große Täuschung offengelegt. Man habe aufzeigen können, dass ein kleiner, türkiser Machtzirkel rund um Sebastian Kurz gesetzliche Schlupflöcher genutzt, die Bevölkerung manipuliert, Postenschacher und eine Spezialbehandlung für "Superreiche" betrieben und Österreich noch fester in die Abhängigkeit von russischem Gas getrieben habe. Das alles habe dazu geführt, dass die Menschen das Vertrauen in die Politik verloren haben. Die Grünen haben daher den Untersuchungsausschuss als "Vertrauensrückholaktion" angelegt, so Tomaselli. Aus ihrer Sicht habe der Ausschuss auch während seiner Laufzeit in Form von mehreren Rücktritten seine Wirkung entfaltet. Für die Zukunft forderte die Abgeordnete vor allem Integrität ein. Es sei wichtig, dass das politische Handeln durch ein Informationsfreiheitsgesetz in die Auslage gestellt werde und die starke Kontrollfunktion eines wachsamen Parlaments erhalten bleibe.
Auch David Stögmüller (Grüne) forderte Konsequenzen, um das Vertrauen der Bevölkerung wieder zu gewinnen. Es sei höchste Zeit, die "türkisen Jahre" als gescheitertes Kapitel der österreichischen Politik zu erkennen und den "neuen Stil" hinter uns zu lassen, meinte er. Stögmüller forderte insbesondere ein "Korruptionsstrafrecht mit Biss" sowie strengere Regeln bei der Vergabe von Posten und Inseraten. Das "Kapitel Untersuchungsausschuss" sei abgehakt. Nun gelte es, ein neues Kapitel der Kontrolle und Transparenz aufzuschlagen.
NEOS für dringende Reformen
Stephanie Krisper (NEOS) fand es zwar erfreulich, dass es aktuell Ermittlungen zu Korruption in der Politik gibt. Sie ortete jedoch weiterhin Machtmissbrauch, Postenschacher und Inseratenkorruption. Der Untersuchungsausschuss habe klar herausgearbeitet, dass es unter Sebastian Kurz von 2017 bis 2021 ein "Best of Korruption" gegeben habe. Die "türkise Familie" habe sich in noch nie dagewesener Dreistigkeit an der Republik bereichert, so Krisper. Sie forderte dringende Reformen ein und warf auch den Grünen vor, nicht zu handeln. Gerade bei der Verhinderung von Postenschacher könnte etwa der zuständige Vizekanzler Werner Kogler längst Verbesserungen umsetzen. (Fortsetzung Nationalrat) kar
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